Spiritualität auf Knopfdruck?

Wissenschaftler brechen mit einer Psilocybin-Studie das Tabu spiritueller Erfahrungen

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Seit dem Verbot vieler psychedelischer Substanzen in den 60er Jahren waren pharmakologische Studien zur Erforschung spiritueller und mystischer Erfahrungen für viele unvorstellbar. Mit einer Untersuchung, die letzten Freitag in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Psychopharmacology (Springer Verlag, Berlin) erschienen ist, brachen US-amerikanische Wissenschaftler dieses Tabu: Mehr als die Hälfte der Versuchspersonen, die den psychedelischen Wirkstoff Psilocybin genommen hatten, zählten ihre Erlebnisse unter die fünf bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens.

Die Suche nach dem Sinn des Lebens ist schon seit Jahrtausenden ein menschliches Projekt. Manche erhoffen sich, eine Antwort in spirituellen Erfahrungen zu finden. Daher ist es kaum verwunderlich, dass in religiösen Praktiken insbesondere in Mittel- und Südamerika psychedelische Substanzen eingesetzt werden, die solche Erlebnisse auslösen. Beispiele hierfür sind Meskalin, das im Peyote-Kaktus vorkommt, Ayahuasca, eine spezielle Zubereitung aus Dschungelpflanzen, sowie Psilocybin, das in Pilzen der Gattung Psilocybe (Deutsch auch „Kahlköpfe“) enthalten ist.

In der Studie, die Roland Griffiths von der Johns Hopkins Universität (Baltimore) und William Richards vom Council on Spiritual Practices (San Francisco) mit zwei weiteren Kollegen durchgeführt haben, wurde den Versuchspersonen der Pilz-Wirkstoff verabreicht. Insgesamt hatten sich zwar 135 auf die von den Forschern verteilten Flyer beworben. Doch nach einem telefonischen Interview wurden nur 54 zu einem persönlichen Gespräch eingeladen, von denen letztlich 36 – darunter 14 Männer – im Durchschnittsalter von 46 Jahren als geeignet ausgewählt wurden. Wer beispielsweise als nicht psychisch gesund eingestuft wurde oder schon Erfahrungen mit psychedelischen Substanzen hatte, wurde von den Forschern ausgeschlossen. Eine Voraussetzung für die Teilnahme war hingegen ein vorhandenes spirituelles Interesse, sodass kaum verwundert, dass 56% der Versuchspersonen angaben, täglich religiösen oder spirituellen Aktivitäten nachzugehen. Als solche Aktivitäten galten etwa Gebete, Meditation, der Besuch eines Gottesdienstes, aber auch schon Singen im Kirchenchor oder die Teilnahme an einer religiösen Diskussionsgruppe.

Blinde Versuchskaninchen

Um tatsächlich die Wirksamkeit von Psilocybin zu untersuchen und nicht bloß die Wunschvorstellungen der Versuchspersonen, haben sich die Forscher ein kompliziertes Studiendesign ausdenken müssen. So wurden die Freiwilligen zu zwei Terminen eingeladen: Beim ersten Termin bekamen nur 15 zufällig ausgewählte Teilnehmer, ohne dass sie es wussten, den psychedelischen Wirkstoff. Die restlichen 21 bekamen zur Kontrolle Methylphenidat, ein Stimulans, mit dem beispielsweise Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD) behandelt werden. Diese Substanz hat zwar psychische Auswirkungen, etwa auf die Aufmerksamkeit, jedoch keine psychedelischen Effekte. Beim zweiten Termin bekamen 15 andere den Pilz-Wirkstoff und der Rest wieder Methylphenidat. Sechs sind bei beiden Terminen also leer ausgegangen. Als Resultat dieser Geheimhaltung wussten weder die zwei Wissenschaftler, die während des Versuchs das Verhalten der Teilnehmer beobachten sollten, noch die Freiwilligen selbst, ob sie nun das psychedelische Psilocybin oder die Kontrollsubstanz bekommen hatten.

Zu jedem der beiden Termine verbrachten die Versuchspersonen jeweils einzeln acht Stunden in der Obhut der zwei Forscher. Nach Einnahme der Substanz wurden sie gebeten, sich auf ein Sofa zu legen, die Augen mit einer Schlafmaske zu verdecken und per Kopfhörer einem klassischen Musikprogramm zuzuhören. In dieser Zeit haben die beiden Beobachter wiederholt physiologische Daten wie Herzschlag und Blutdruck gemessen, aber auch äußere Verhaltens- und Stimmungsmerkmale der Teilnehmer mithilfe von Fragebögen aufgezeichnet. Wie die spätere Auswertung ergab, zeigten sich schon nach 30 Minuten deutliche Unterschiede zwischen der Pilz- und der Kontrollgruppe. Beispielsweise schätzten die Beobachter die Aufregung und die erlebte Freude unter den Psilocybin-Personen deutlich höher ein.

Nachgefragt

Am wichtigsten war für die Auswertungen aber eine Reihe von Fragebögen, welche die Versuchspersonen sieben Stunden nach Einnahme der Substanz ausfüllen mussten, wenn die Wirkung wieder abgeklungen war. Damit sollte festgestellt werden, welche Auswirkungen Psilocybin auf ihr Bewusstsein hatte. Die Forscher griffen teilweise auf Fragebögen zurück, die schon in den Drogenexperimenten der 60er Jahre benutzt worden waren, oder auf neuere Entwicklungen, beispielsweise aus der Religionswissenschaft, mit denen man mystische Erfahrungen bewertet. So wurde geprüft, ob die Teilnehmer etwa „reines Bewusstsein“, ein „Verschmelzen mit der letzten Realität“, die „Einheit aller Dinge“ oder die „Transzendenz von Zeit und Raum“ erlebt hatten. Außerdem wurde nach tief wahrgenommenen Gefühlen, wie denen der Freude, des Friedens und der Liebe, gefragt.

Aus mehreren Hundert solcher Einzelfragen konnten die Forscher dann bestimmte Messwerte berechnen, welche die Erfahrungen der Versuchspersonen beschreiben. Besonders auffällig war bei den Ergebnissen, das die Antworten der Psilocybin-Gruppe wesentlich höher auf den Skalen für „ozeanische Entgrenzung“, „Furcht vor einer Ich-Auflösung“ oder „visuelle Umstrukturierung“ abschnitten als die Kontrollgruppe. Auch auf den Skalen für „Heiligkeit“, „tief erlebte positive Gefühle“ oder „intuitives Wissen“ schnitt diese Gruppe deutlich höher ab.

Bleibende Effekte

Die Forscher haben sich aber nicht nur für die kurzfristigen Auswirkungen der psychedelischen Droge interessiert, sondern wollten auch wissen, ob die Einnahme bleibende Effekte verursacht. Dafür haben sie zwei Monate später die Versuchspersonen wieder Fragebögen ausfüllen lassen. Es stellte sich heraus, dass selbst nach dieser Zeitspanne ganze 67% der Teilnehmer ihre Psilocybin-Erfahrung entweder als die bedeutendste oder eine der fünf bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens ansahen. Einige verglichen ihre Bedeutsamkeit sogar mit der Geburt ihres ersten Kindes oder dem Tod eines Elternteils. Häufig bezogen sie sich dabei auf Erlebnisse wie das der „Einheit ohne Inhalt“ bzw. des „puren Bewusstseins“ und der „Einheit aller Dinge“. 79% gaben an, die Einnahme von Psilocybin habe ihren „Sinn für persönliches Wohlbefinden“ oder ihre „Zufriedenheit mit ihrem Leben“ moderat (50%) oder sehr stark (29%) vergrößert. Glücklicherweise meldete keine der Versuchspersonen, durch das Experiment eine Verringerung dieser Kriterien erfahren zu haben. Eine weitere Befragung, ein Jahr nach dem Versuch, ist von den Wissenschaftlern geplant.

Um die Effekte auch mithilfe des sozialen Umfelds zu untersuchen, haben die Forscher zusätzlich jeweils drei Personen aus dem Bekanntenkreis der Versuchspersonen, meistens Familienmitglieder und gute Freunde, interviewt. Tatsächlich bestätigten die Befragten den positiven Eindruck: Nach der Psilocybin-Einnahme, nicht aber bei Methylphenidat, sahen sie positive Auswirkungen auf die Versuchsteilnehmer.

Gleichzeitig muss aber auch erwähnt werden, dass sechs der Freiwilligen durch Psilocybin Niedergeschlagenheit oder Angst erlebt haben, die teilweise die Form paranoider Gedanken annahm. Drei gaben an, dass sie so eine Erfahrung nie mehr wieder machen wollen. Diese Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig die Betreuung bei psychedelischen Erfahrungen ist. Um eine Vertrauensbeziehung zu den Versuchspersonen aufzubauen, hatte einer der Forscher, der später als Beobachter beim Experiment anwesend war, sich vorher für jede Versuchsperson acht Stunden Zeit für Gespräche genommen. Wenn es während des Versuchs zu einem Angstzustand kam, konnten die Beobachter die Person durch gutes Zureden oder Berührungen an der Hand oder Schulter beruhigen. Zum Glück verschwanden diese negativen Erlebnisse spätestens dann, wenn die Wirksamkeit der Substanz nachließ.

Spiritualität auf Abruf?

Roland Griffiths und seine Forscherkollegen haben in ihrem Experiment mit modernen wissenschaftlichen Methoden gezeigt, dass sich mit Psilocybin bestimmte Erfahrungen erzeugen lassen, deren Erlebnisgehalt große Ähnlichkeit mit mystischen oder spirituellen Erlebnissen hat, die aus religiösen Kontexten bekannt sind. Sehr erstaunlich ist auch, dass selbst zwei Monate später viele Versuchspersonen ein gesteigertes Wohlbefinden berichteten und das Psilocybin-Erlebnis unter ihre fünf bedeutendsten Lebenserfahrungen einordneten. Der Wirkstoff unterliegt aber in den USA, wo die Studie durchgeführt wurde, der schärfsten Stufe für kontrollierte Substanzen. Auch in Deutschland fällt er unter das Betäubungsmittelgesetz und gilt als „nicht verkehrsfähiger und nicht verschreibungsfähiger Stoff“. Dieses Schicksal haben Psilocybin und verwandte Substanzen, wie zum Beispiel LSD und DMT, dem weit verbreiteten Missbrauch in den 60er Jahren zu verdanken. Gleichzeitig zeigt aber auch die Studie, dass ein kontrollierter und verantwortungsvoller Umgang einschlägige und von den Freiwilligen als positiv bewertete Lebenserfahrungen bewirken kann. Dabei muss jedoch insbesondere an den aufwändigen Auswahl- und Betreuungsprozess der Versuchsleiter erinnert werden. Mit zufällig aus der Bevölkerung ausgewählten Personen und ohne die kompetente Betreuung hätte die Studie auch ganz anders ausgehen können.

Der Philosoph Thomas Metzinger von der Universität Mainz schlug kürzlich mit seinem „LSD-Führerschein“ ein kontrolliertes Modell vor, das einzelnen, die auf eine Selbsterfahrungsreise gehen wollen, nach theoretischen und praktischen Prüfungen – ähnlich wie beim Autoführerschein – in begrenztem Maß den Konsum von LSD erlauben soll. Von so einer Legalisierung – oder vielmehr Lizenzierung – psychedelischer Drogen sind wir noch weit entfernt. So erinnert beispielsweise Herbert Kleber, Psychiater an der Columbia University (New York) und Experte für Drogenmissbrauch, zu recht an die zahlreichen Opfer der Drogenrevolution der 60er Jahre und sieht die Studie von Griffiths mit kritischen Augen: „Die positiven Funde dieser Studie werden in einigen die Bedenken erzeugen, dass sie Jugendliche zu Versuchen mit diesen Substanzen verleitet. Mit Blick auf die Geschichte sind solche Bedenken nicht ungerechtfertigt.“

Kleber gibt aber auch zu, dass sich im Zeitalter des Internet, wo sich Jugendliche in zahlreichen Chaträumen oder auf Webseiten über die Anwendung solcher Wirkstoffe informieren könnten, durch diese Studie nicht viel ändern werde. Er und einige seiner Kollegen, zum Beispiel Charles Schuster, Psychiater an der Wayne State Universität (Detroit), weisen aber auch auf mögliche klinische Anwendungen psychedelischer Substanzen hin: „Es ist absolut vorstellbar, dass psychotropische Wirkstoffe, die diese Erfahrungen erzeugen, eine Rolle in der Behandlung von Suchtzuständen haben. Spiritualität ist schon seit langer Zeit ein wesentlicher Punkt in der Behandlung von Alkoholismus und anderen Formen der Drogensucht“, so Schuster. David Nichols von der Purdue Universität (West Lafayette, USA) weist sogar auf frühere Studien hin, in denen beispielsweise LSD in der Behandlung sterbenskranker Krebspatienten benutzt wurde, um deren Angst vor dem Tod und Schmerzen zu reduzieren.

Bis wir „Spiritualität auf Knopfdruck“ gesellschaftlich zulassen oder die Möglichkeit überhaupt erstmal offen diskutieren, ist es sicher noch ein weiter Weg. Die Studie von Griffiths und seinen Kollegen zeigt aber, ebenso wie die Meinungen angesehener Psychiater, dass die Wirkstoffe nicht nur einseitig Dämonisierung verdienen, sondern auch im Hinblick auf ihren Nutzen – sei es zur Therapie oder Selbsterfahrung – diskutiert werden müssen.