Das Bild der Verwüstung ist unglaublich

Reportage aus Beirut

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Die Grenze in den Libanon ist frühmorgens leer. "Erst später kommen die Busse und Taxis aus Beirut hier an", erklärt Lotfi, der Taxifahrer, der täglich zwischen Damaskus und Beirut hin- und zurückfährt. 300 Dollar verlangt er dafür, wenn man Referenzen einer seiner Bekannten hat. Ansonsten klettern die Preise bis zu 800 Dollar. Für die Rückfahrt von Beirut nach Damaskus kassieren manche Taxifahrer sogar 1.000 Dollar.

Nachdem ein verschlafener syrischer Grenzbeamter das Visa in den Pass gestempelt hat, geht es weiter Richtung Zahle. "Die Strecke über Tripoli nehmen wir nicht", sagt Lotfi. "Das dauert viel zu lange." Später hören wir im Radio, dass die von den Israelis angeblich freigegebene Route für Flüchtlinge und Hilfsgüter von der Luft aus bombardiert wurde.

Nach einer guten halben Stunde durchs weite Bekaa-Tal, das hauptsächlich von Schiiten bewohnt wird und als Bastion der Hisbollah gilt, fahren wir Richtung Berge. Neben der Straße immer wieder ausgebrannte Autos, Minibusse und Lastwagen.

Plötzlich wackelt unser Auto, ein 15 Jahre alter Chevrolet, der 30 Liter schluckt. Man hört ein dumpfes schweres Rauschen. Der Taxifahrer beruhigt seine Fahrgäste, obwohl er selbst, wie alle anderen, erschrocken ist. Wenig später sieht man auf der kleinen Passstraße in etwa einem Kilometer Entfernung einen riesigen Bombenpilz in die Luft steigen. Ein Gemisch aus schwarzem und weißem Rauch, das sich fast malerisch langsam über die Ebene erhebt. Im Radio kommt wenige Minuten später die Meldung, dass die Israelis eine Schule ins Visier genommen hatten. Außerdem Angriffe auf die Stadt Baalbek und andere Ziele im Bekaa-Tal. Als Reaktion auf die Bombardierungen sind viele Kleinlaster stehen geblieben, verstecken sich in schlecht einsehbaren Kurven. Unser Taxifahrer drückt aufs Gas. Der Rest der Fahrt durch christliche Bergdörfer vergeht ohne Zwischenfälle.

In Beirut ist auf den ersten Blick vom Krieg nichts zu spüren. Keine Zerstörungen, Menschen gehen zur Arbeit, Taxis und Privatautos sind unterwegs. Im Hamra, wo es viele große Hotels gibt und auch die "American University" liegt, sind Cafes, Restaurants, Supermärkte und Geschäfte geöffnet. Der Krieg ist hier weit weg. Einzig vor der indischen Botschaft warten einige hundert Menschen auf ihre Evakuierung. Mit Bussen werden sie in Hafen gebracht, wo ein indisches Kriegsschiff sie aufnimmt und weiter nach Zypern transportiert.

"In Hamra haben wir es gut", sagt Sami, ein älterer Libanese, der den 15-jährigen Bürgerkrieg miterlebt hat. "Wir haben Wasser und Elektrizität, nur manchmal hören wir die Detonationen, wenn die Israelis Südbeirut bombardieren. Dort, wo die Büros der Hisbollah sind."

Von Hamra nach Dahle, einem der schiitischen Stadtteile der libanesischen Hauptstadt, sind es mit dem Auto nur knapp 10 Minuten. Treffpunkt ist die völlig zerstörte "Hadi Nasrallah Brücke", benannt nach dem Sohn von Hassan Nasrallah, dem Hisbollah-Generalsekretär. Hadi starb 1997 bei Kämpfen während der israelischen Okkupation des Südlibanons.

Zerstörungen in Dahle. Foto: A. Hackensberger

Der Pressesprecher der Hisbollah führt durch einen Teil der Ruinen. "Wir haben maximal 30 Minuten Zeit", ruft Hussein Nabulsi den knapp 50 internationalen Journalisten zu. "Danach besteht die Gefahr, dass wir unter israelisches Feuer geraten." Und er fügt lapidar hinzu, dass "vom Abschuss bis zum Einschlag höchstens zwei Sekunden vergehen".

Das Bild der Verwüstung ist unglaublich. Häuserblock um Häuserblock völlig zerstört. An manchen Fällen brennt es, Qualm steigt auf. Überall der typische Bombengeruch. 10- und 12-stöckige Gebäude sind auf wenige Meter zusammengefaltet, als wären sie wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Ein deutliches Indiz für Implosionsbomben, die international verboten sind. Vor einer Woche hatte der antisyrische Informationsminister Ghazi Aridi bereits darauf hingewiesen, dass Israel verbotene Waffen gegen Zivilisten einsetze und "sein Land vor der Auslöschung" stehe.

Einige Male steigt einem deutlich Leichengeruch in die Nase. In den riesigen Trümmerfeldern ist es unmöglich, während der Bombardierungspausen die Toten zu bergen. "Nach den Bombardierungen klingeln die Handys", sagt der Pressesprecher der Hisbollah, der von mehreren Kamerateams bedrängt wird. Die Journalisten stolpern über ein unüberschaubares Meer von zerbrochenen Glasscheiben, herausgerissenen Fensterahmen, Türen, eingefallenen Wänden, meterhoch aufgetürmtem Schutt. Inmitten der Zerstörung kleine Überreste menschlichen Lebens: Schuhe, Teddybären, Taschen, Küchengeräte.

Nabulsi mahnt zur Eile. Hektisch führt er zu den Resten seines Büros. "Hier habe ich gearbeitet, im dritten Stock." Mit seinem Büro ist eine Gesamtfläche von zwei, dreitausend Quadratmeter dicht aneinander gebauten Wohnhäuser von den israelischen Bomben platt gewalzt worden.

Foto: A. Hackensberger

Zwei Frauen sagen, was eigentlich unvorstellbar ist, dass sie hier noch irgendwo wohnen. "Wir wollen nicht aufgeben, wir wollen uns nicht vertreiben lassen." Man blickt in völlig versteinerte Gesichter.

Vom Willen weiterzumachen, sich nicht unterkriegen zu lassen, zeugt auch ein Lautsprecherwagen, der durch die verwüsteten und verlassenen Straßenzüge des Viertels fährt. Ein leichtes Ziel für die immer wiederkehrende Luftwaffe, die in dieser Gegend Tonnen über Tonnen von Sprengstoff herunterlässt. Der Fahrer des Kleinlasters fährt langsam im Schritttempo. Mit immenser Lautstärke beschallt er die Ruinen mit dumpfen Hisbollah-Hymnen, als wollte er ihnen so wieder Leben einhauchen.

Nach einer knappen halben Stunde ist alles vorbei. Ein Besuch anliegender, nicht minder verwüsteter Stadtteile wird aus Sicherheitsgründen abgesagt. Hisbollah-Mitglieder auf kleinen Vespas und mit Funkgeräten ausgestattet haben die Nachricht gebracht, dass ein neuer Luftangriff bevorsteht. Verschiedene Fernsehteams, einige mit schusssicheren Westen und Helm, versuchen dem Pressesprecher noch einige Statements abzuringen. Die letzte Antwort bekommt ein pakistanischer Redakteur, der um eine Botschaft an sein Volk gebeten hatte. Zum Abschluss ermahnt Nabulis das Team von CNN, bei den nächsten "Trümmer-Touren" endlich pünktlich zu kommen. Danach kehren die Journalisten in Taxis und gemieteten Minibussen wieder zurück in ihre sicheren Quartiere in den Luxushotels der Stadt.

Wenige Stunden später sind in Hamra kurz hintereinander drei schwere, dumpfe Explosionen zu hören. Im Fernsehen kann man den Rauch über Dahle sehen, den die erneuten Bombenangriffe der israelischen Luftwaffe hinterlassen haben.