Friedensengel Erdogan?

Die Türkei fordert Schlüsselrolle bei den Bemühungen zur Lösung des Israel-Libanon-Konflikts

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Als Troubleshooter bot sich der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan gestern auf der Libanon-Konferenz in Rom an. Er verfügt über gute Beziehungen zu Israel und anderen arabischen Staaten sowie über eine große Armee mit viel praktischer Kriegserfahrung. Als „UN-Friedensengel“ könnte Erdogan mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: sein Ansehen im eigenen Land und seine Verhandlungsbasis mit der EU stärken und ganz nebenher die USA unter Druck setzen, ihm bei seiner Art der „Lösung der Kurdenfrage“ behilflich zu sein.

Erdogan ist seit März 2003 Ministerpräsident der Türkei. Der streng gläubige Moslem stammt aus ärmlichen Verhältnissen, weshalb er auch die Sprache des „einfachen Mannes auf der Straße“ zu verstehen weiß. Er machte der kriegsmüden und von wirtschaftlichen Rezessionen gebeutelten Bevölkerung große Versprechungen. Zu Beginn sah es so aus, als ob er diese auch einlösen würde: Die wirtschaftliche Lage schien sich zu stabilisieren und auch ein paar Zugeständnisse an die Kurdinnen und Kurden wurden eingelöst, so dass Hoffnung aufkeimte, dass auch dieser Konfliktherd beseitigt werden könnte.

Doch das war nur eine kurze Phase, inzwischen ist die Wirtschaft auf einer Schwindel erregenden Talfahrt, der Währungskurs total im Keller, das Parlament verabschiedete gerade mit dem Anti-Terror-Gesetz das restriktivste Gesetzeswerk in der Geschichte der Türkei, das bei allen gesellschaftlichen Schichten höchst umstritten ist, die Verhandlungen über die Aufnahme der Türkei in die EU scheiterten zum wiederholten Male, die Kämpfe mit der PKK flammten wieder auf und derzeit bereitet die türkische Armee eine Großinvasion in den kurdischen Gebieten im Nordirak vor. Angeblich, um die PKK endgültig zu liquidieren, doch so ganz nebenbei geht es dabei auch um Öl: In der kurdischen Region Kirkuk gibt es riesige Vorkommen des „schwarzen Goldes“.

Das Image Erdogans, der sich so gern als Vertreter des einfachen Volkes sieht, ist mehr als angekratzt und die Irak-Invasion eine verzwickte Angelegenheit, in der die türkischen mit den Interessen der USA kollidieren.

Seit Tagen machen türkische Medien Propaganda für eine UN-Friedenstruppe unter türkischer Führung. Erdogan, der gleichzeitig ein aktives NATO-Engagement gegen die PKK im Nordirak fordert, hat dafür einiges in die Wagschale zu werfen: Die Türkei ist der einzig muslimisch geprägte Mitgliedsstaat der NATO, die Regierung in Ankara verfügt über gute Kontakte zu Israel, Syrien und dem Iran sowie eine große Armee mit kampferprobten Soldaten. Die türkische Armee leitete in der Vergangenheit bereits den Einsatz der so genannten Friedenstruppen in Afghanistan und war an Einsätzen in Bosnien, Kosovo und Somalia beteiligt.

Seit 20 Jahren bekämpft die türkische Armee die kurdische Guerilla

Doch nicht nur im Ausland konnte die türkische Armee praktische Erfahrungen sammeln: Seit mehr als 20 Jahren versucht die zweitgrößte NATO-Armee der Welt die kurdische Guerilla PKK zu bekämpfen - übrigens immer noch und immer wieder auch mit deutschen Waffen, Panzern und anderem Kriegsgerät. Das Flaggschiff der türkischen Marine, die Fregatte „Salih Reis“ wurde in Hamburg auf der Werft Blohm und Voss gebaut und war zu dem Zeitpunkt der Übergabe Ende 1998 eines der modernsten Kriegsschiffe der Welt - und eines der teuersten. Doch das brauchte die damalige türkische Regierung nicht zu interessieren, denn der Deal wurde durch die Hermes-Kreditanstalt abgewickelt. Die „Salih Reis“ wird mangels Gelegenheit nicht in Kurdistan eingesetzt werden, doch bei der UN-Friedenstruppe könnte sie sich als äußerst nützlich erweisen.

Am 14. August 1984 begann die PKK den bewaffneten Widerstand gegen die türkische Beatzung. Die Türkei schlug mit unbarmherziger Härte - und den USA und Europa im Rücken - zurück: Zig-Tausend Menschen kamen ums Leben, Hunderte kurdischer Dörfer wurden vernichtet, die Vegetation in den kurdischen Bergen unwiederbringlich zerstört, Millionen Kurdinnen und Kurden mussten fliehen. Nur eines ist der türkischen Armee in mehr als 20 Jahren und trotz der finanziellen und militärischen Unterstützung der USA, BRD und anderen NATO-Staaten nicht gelungen: die PKK zu vernichten.

Die Partei der Arbeit Kurdistans (Partiye Kerkeren Kurdistâne – PKK) wollte freiwillig die Waffen strecken. Drei Mal in der Vergangenheit, zuletzt rief deren Vorsitzender Abdullah Öcalan zum Weltfriedenstag, dem 1. September, 1998 einen unbefristeten einseitigen Waffenstillstand aus. Doch statt dieses Angebot anzunehmen, setzte die Türkei Syrien militärisch unter Druck. Nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus hatte die PKK damals ihr Hauptquartier. Weil das türkische Militär im wahrsten Sinne des Wortes schwere Geschütze an der syrischen Grenze auffuhr, knickte Syrien ein und Öcalan musste das Land verlassen. Tagelang war der Kurdenführer verschwunden, tauchte in Italien auf, um „die kurdische Frage auf die europäische Tagesordnung zu bringen“, wie er damals sagte, musste Italien aber wieder verlassen, tauchte in Russland bei Schirinowksi unter, dann plötzlich in Athen wieder auf. Doch auch Griechenland musste er verlassen und wurde in die griechische Botschaft nach Nairobi/Kenia ausgeflogen. Dort nahmen ihn der türkische Geheimdienst, vermutlich mit Unterstützung des amerikanischen CIA und des israelischen Mossad, fest. Soviel zum Thema „gute Beziehungen zu Israel“.

Öcalan wurde zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch nicht vollstreckt. Er hockt seitdem als einziger Gefangener auf der Gefängnisinsel Imrali im Mittelmeer und seit etwa zwei Jahren flammen die Kämpfe zwischen der PKK und der türkischen Armee wieder auf - wobei die türkische Armee nie mit ihren Angriffen aufgehört hat. Mehrfach wurde dabei in der Vergangenheit die Grenze zum Irak überschritten. Doch die Regierung Saddams Husseins störte das offensichtlich nicht weiter, so dass es deshalb zu keinerlei internationaler Sanktionen gegen die Türkei kam. Denn: „Wo kein Kläger, da auch kein Richter“, kommentierte der Hamburger Völkerrechtler und jetziger Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, Norman Paech, die Toleranz der „internationalen Wertegemeinschaft“ gegenüber den militärischen Operationen der Türkei im Irak.

Problemfeld Irak

Doch die Karten wurden neu gemischt, und aus politischen Freundschaften könnten schnell Feindschaften werden, die sich die Türkei indes nicht leisten könnte. Zum einen ist der transatlantische NATO-Partner USA plötzlich unmittelbarer Nachbar geworden und wird seine Interessen im Irak nachdrücklich verteidigen. Und zu diesen Interessen gehört auch das Öl von Kirkuk. Und die USA haben wenig Interesse, sich außer mit Talibani und Barzani auch noch mit den Türken arrangieren zu müssen. Kirkuk befindet sich auf kurdischem Hoheitsgebiet. Die kurdischen Parteien im Nordirak, Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die Kurdische demokratische Partei (KDP) gehören zu den engsten Verbündeten der USA im Irak, der PUK-Chef Celal Talabani ist seit 2005 irakischer Präsident. Mit ihm wird es sicherlich gentlemen agreements geben, von der weder USA noch irakische Kurden wollen, dass die Türkei diesen Burgfrieden stört.

Talabani und der KDP-Chef Messud Barzani, beide eigentlich eher Stammesfürsten als Parteivorsitzende, kämpften einst wahlweise gegeneinander, aber auch im Verbund mit der Türkei gegen die PKK. Doch bei Geld oder Öl hört die Freundschaft bekanntlich auf, deshalb haben sich Talabani und Barzani jede militärische Operation der Türkei im Nordirak energisch verbeten. Genau so abweisend reagierte die USA bisher auf die Drohung Erdogans, in den Nordirak einzumarschieren. Ungeachtet dessen bringt die Türkei die Truppen in Stellung: Türkischen Medien zufolge sollen 200.000 Soldaten an der Grenze zum Irak stationiert werden, 40.000 sollen in den Irak einmarschieren, 40 Generäle sollen die Operation leiten.

Mit der Federführung der UNO-Friedensmission würde Erdogan seine Verhandlungsposition in Sachen Irak steigern. Bei soviel aktiven und geplanten militärischen Aktionen ist es kein Wunder, dass „die Entfremdung der Bevölkerung vom Militär“ große Besorgnis in Ankara auslöst. Das Praktizieren dieser „Entfremdung“ gilt als Vaterlandsverrat, ein Verbrechen, das mit dem kürzlich in Kraft getretenen Anti-Terror-Gesetz mit hohen Haftstrafen geahndet wird. Wehrdienstverweigerer gelten nach dem neuen Gesetz als Terroristen und werden entsprechend hart bestraft.

Während Erdogan noch droht, die PKK-Stellungen im Nordirak anzugreifen, werden diese bereits von der iranischen Armee massiv bombardiert. Soviel zum Thema „gute Beziehungen zum Iran“. Die Welt bekommt davon allerdings nichts mit, da kaum darüber berichtet wird. Die iranische Presse verschweigt das aus gutem Grunde und kurdische Medien haben enorme Schwierigkeiten, aus dem Kriegsgebiet zu berichten. Kürzlich kam die kurdische Journalistin Silan Aras bei einem dieser iranischen Bombenangriffe ums Leben.