"AK 47 ist die wahre Massenvernichtungswaffe"

Der Film "Lord Of War" über den weltweiten Waffenhandel gehört zu den Lichtblicken in der kommerziellen Massenkultur

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Seit diesem Monat ist „Lord Of War“ (USA 2005) von Andrew Niccol auch in den Videotheken greifbar. Das Werk gehört nicht zu den so genannten „Kriegssatiren“, die sich durch oberflächlichen Klamauk einen kritischen Anstrich geben und blutigen Ernst als Anreiz zum Lachen verarbeiten. Man merkt in vielen Teilen: Der Autor hat erst einmal so recherchiert, als wolle er einen Dokumentarfilm drehen. In den Extras zur DVD-Ausgabe kommen kritische Experten ausführlich zu Wort. Hauptdarsteller Nicolas Cage hat sich für einen Aufklärungsspot von amnesty international über „Kleinwaffen“ zur Verfügung gestellt.

Szenen aus Lord of War mit Nicholas Cage. Fotos: Lions Gate Films

Yuri Orlov, die zentrale Figur des Films, stammt aus der Ukraine und ist schon als Kind mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Seine ersten Erfahrungen als angehender Waffenhändler sammelt er in den USA auf der Straße. Doch seine wahre Bestimmung sieht Yuri nicht in Revolverlieferungen an lokale Gangs: „Die richtige Kohle verdient man in echten Kriegen.“ Weltweit zirkulieren über 550 Millionen Feuerwaffen, das ist eine für jeden zwölften Menschen auf dem Planeten. Für den „Händler des Todes“ stellt sich dabei nur eine Frage: „Wie bewaffnet man die anderen elf?“

Die maßgeblichen Kontakte werden auf kommerziellen Waffenschauen geknüpft. Dort kann man sexy Girls im Militarylook auf Panzern und Flugzeugtragflächen bewundern. Die passende Werbemusik dazu ist aus Coppolas Vietnamfilm „Apokalypse Now“ geklaut: Richard Wagners Walkürenritt. Sehr bald nach der Etablierung von Selbstmordattentaten im Nahen Osten liefert Yuri Waffen in den Libanon. Partei ergreift er nie. Israels Kugeln kommen in die Hände von Muslimen und kommunistische Gewehre sind bei Faschisten sehr begehrt. Nur Osama bin Laden wird nicht beliefert, weil dessen Schecks ständig platzen. Dass auch hochwertige Drogenpakete und vor allem afrikanische „Blutdiamanten“ sehr geeignete Zahlungsmittel sind, gilt es noch zu lernen.

So richtig in Gang kommt das internationale Waffengeschäft erst nach dem Niedergang der Sowjetunion. Über korrupte Militärs und Beamte öffnen sich in ehemaligen Sowjetrepubliken und ganz Osteuropa riesige Waffenlager, die in Folge des Rüstungswettlaufs von West und Ost bis oben hin gefüllt sind. Alte Ordnungen und klare Fronten verschwinden. Das Chaos bringt die „Global Player“ nach oben. Ihr wichtigster Markt liegt in Afrika, ihre größten Feinde heißen „Waffenstillstand“ und „Friedensverhandlung“. Vom westlichen Kriegskult sind die Afrikaner offenbar schwer beeindruckt. Der Sohn des liberianischen Diktators klagt: „Sie haben mir immer noch nicht das Gewehr von Rambo besorgt!“ Den Vorwurf, er habe Wahlen manipuliert, beantwortet ein afrikanischer Politiker allerdings mit einem Hinweis auf die US-Präsidentschaftswahlen vom 7. November 2000.

Ausgiebig zeigt „Lord Of War“ die Abgründe Afrikas: Diktatoren mit kannibalistischen Ambitionen, Korruption, AIDS, drogenkonsumierende Kindersoldaten mit „Angel Kings“ (Kalaschnikows) und Massaker an Dorfbewohnern durch „Befreiungskämpfer“. In diesen Ausschnitten liegt deshalb eine Schwäche des Films, weil die globalen wirtschaftlichen Hintergründe des Elends auf dem Kontinent nirgends zur Sprache kommen. Die Bildaussagen könnten auch zur Begründung von militärischen „Missionen“ der reichen Weltzentren in Afrika missbraucht werden, bei denen es rhetorisch um gute Taten und ökonomisch gesehen um Rohstoffsicherung geht.

Um sein Geschäft von Anfang an erfolgreich führen zu können, hat sich Yuri Orlov eigene Weisheiten fürs Mentale und Praktische ausgedacht: Wenn er nicht liefert, würde jemand anders liefern. Das Böse siegt immer. Das Kriegerische liegt ohnehin in der Natur des Menschen. („Schon die ältesten Gerippe haben Speerspitzen in den Knochen.“) Der eigenen Frau sollte man verheimlichen, dass sie selbst gekauft ist, und auch, aus welcher Branche der familiäre Wohlstand resultiert. Das wichtigste Geheimnis des Waffenhändlers: „Ziehe niemals in den Krieg, besonders nicht mit dir selbst!“ Wenn den Waffenlieferungen direkt nach Geschäftsabschluss ein Blutbad am Ort folgt, muss man nur rechtzeitig die Augen zu machen. Das unterdrückte (Ge-)Wissen führt indessen bei Yuris jüngerem Bruder zu einer psychischen Erkrankung. Selbst Kokain hilft ihm nicht mehr, über den Dingen zu stehen, und am Ende bezahlt er seine Schwäche fürs Moralische mit dem Tod.

„Lord Of War“ zeigt etwas, das sonst so gut wie nie im US-Film zu sehen ist: Orlovs Gegenspieler aus der internationalen Waffenschieberfahndung beschränkt sich bis zum Schluss auf rechtsstaatliche Mittel. Der Fahnder hält die Fixierung der Weltöffentlichkeit auf nukleare und andere Massenvernichtungswaffen für fatal. Sein Vorwurf lautet: „Sie verschieben Waffen. Sie machen ein Vermögen damit, den ärmsten Menschen dieser Erde die Möglichkeit zu geben, sich weiter umzubringen. Neun von zehn Kriegsopfern werden heute von Ihren Sturmgewehren umgebracht. Ihre AK 47, das ist die wahre Massenvernichtungswaffe!“ Selbst als unwiderlegbare Beweise vorliegen, wird Yuri Orlov vor Gericht nicht angeklagt. Mächtige Agenten der US-amerikanischen Außenpolitik haben den Waffenhändler immer wieder als „notwendiges Übel“ benutzt und würden nie zulassen, dass er inhaftiert wird.

Im Text zu den Schlussbildern wird die vom Drehbuch vernachlässigte staatliche Seite der globalen Mordwaffenschieberei zumindest noch einmal thematisiert: „USA, Großbritannien, Russland, Frankreich und China sind die größten Waffenlieferanten der Welt. Außerdem sind sie die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat.“ Auch für die Firmenphilosophie dieser Giganten ist es zentral, niemals mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Im Abspann ist unter den Danksagungen der Filmmacher ein Verteidigungsministerium aufgeführt, das sich offenbar nicht auf promilitärische Kulturbeiträge festgelegt hat: „Thanks to ... the Department of Defense of the Republic of South Africa“.

Bedauernswerter Weise bleibt Deutschland in „Lord Of War“ ausgespart. Die Modelle von „Heckler & Koch“ gehören global zu den beliebtesten Mordinstrumenten und hätten mindestens ebenso genannt werden müssen wie das „AK 47“. Dokumentarfilme wie „Tödliche Gefahren – Waffen aus Deutschland“ (BRD 2005, TV) oder „Lost Children“ (BRD 2005) zeigen die Wirkungen „deutscher Maßarbeit“. „Kleinwaffen“ sind innerhalb der beschämenden Rüstungsexportentwicklung vielleicht der skandalöseste Posten.

Das Ausmaß, in dem die Bundesrepublik Deutschland und auch die ehedem bundeseigene Munitionsfirma Fritz-Werner-Geisenheim den bis ins kleinste Dorf reichenden Waffenbetrieb im Sudan mitzuverantworten haben, wird durch eine Dissertation des Berliner Doktoranten Roman Deckert demnächst zumindest für Insider transparent. Ein UN-Report enthielt schon vor Jahren Hinweise auf Verstrickungen einer Tochter des Bayer-Konzerns in Rohstoffgeschäfte mit Kriegsparteien im Kongo. Nach einer Presseinformation des ARD-Magazins „Report Mainz“ vom 3. Juli 2006 spielt die „Gesellschaft für Elektrometallurgie“ (GFE) mit Sitz in Nürnberg als Eigentümerin einer Erzmine in der kongolesischen Provinz Nordkivu eine nicht minder traurige Rolle. Der von „Report“ aufgegriffene Bericht von UN-Experten legt sogar nahe, „dass GFE und Bundesregierung die Verflechtungen mit Waffenschiebern dulden, um die Interessen an der Mine zu wahren.“

Filme:

Lord Of War (Händler des Todes), USA 2005, Regie & Drehbuch: Andrew Niccol.
Lost Children, BRD 2005 (Dokumentarfilm), Regie & Drehbuch: Ali Samadi Ahadi, Oliver Stoltz.
Tödliche Gefahren – Waffen aus Deutschland, BRD 2005, TV-Dokumentarfilm von Peter Ohlendorf.