Der unbequeme Konflikt

Die israelische Wiederbesetzung von Teilen des Gazastreifens ist auch in arabischen Medien kaum noch Thema

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

„Während sich die internationale Aufmerksamkeit zu Recht auf die libanesischen Zivilisten richtet, die den Kämpfen im Libanon zu entfliehen versuchen, sitzen die 1,4 Millionen Menschen im Gazastreifen in der Falle, unfähig, den momentanen Auseinandersetzungen zu entkommen.“ So der Aktionsaufruf von 26 internationalen Hilfsorganisationen vom Freitag. Sie sind alle im Gazastreifen aktiv und bemängeln ihre zunehmende Unfähigkeit, Menschen in Not zu erreichen.

Die Hilfe für die Hunderttausende von Flüchtlingen im Libanon wird über von der israelischen Armee freigegebene „humanitäre Korridore“ organisiert. Derartige Durchgänge zum palästinensischen Gazastreifen sind allerdings weitgehend geschlossen. Nach der Gefangennahme eines israelischen Soldaten durch palästinensische Milizen am 27. Juni besetzte die Armee weite Teile des dicht besiedelten Gebiets. Seither feuerte sie täglich 200-250 Artilleriegeschosse in den Gazastreifen, die Luftwaffe flog zusätzlich über 200 Angriffe. Demgegenüber stehen durchschnittlich 9 sogenannte selbstgebaute Raketen, die pro Tag auf israelischem Gebiet landeten, so die Zahlen der Vereinten Nationen. Insgesamt erlagen über 150 Palästinenser dem Dauerbeschuss, darunter 31 Kinder. Über 550 wurden verletzt. Durch palästinensischen Raketenbeschuss wurden sieben Israelis verletzt.

Konflikt in Palästina unbequem

Noch Anfang Juli bemühten sich arabische und internationale Vermittler um einen Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen und die Freilassung des israelischen Soldaten. Nachdem aber öffentlich wurde, dass die Militäroperation schon länger geplant war und die Ausschaltung der Hamas-Regierung zum Ziel hat, flachten die Vermittlungsversuche ab. Und der Beginn der israelischen Angriffe auf den Libanon rückten den Gazastreifen vollends in den Hintergrund. Die zerquetschten Leiber libanesischer Zivilisten und Spendenaufrufe belegen jetzt die Sendeplätze arabischer Fernsehsender. Der Konflikt in Palästina ist unbequem und selbst für Araber kaum noch eine Nachricht wert, der im Libanon ist dagegen neu und für die meisten Menschen in der Region eindeutig Teil westlicher Bemühungen, die arabische Welt schwach zu halten.

Auch am Sonntagmorgen waren die Folgen der israelischen Bombardierung in den Nachrichten zu beobachten. Ein Haus im libanesischen Qana wurde getroffen, in dessen erstem Stock, so Nachbarn, hatten etwa 35 Menschen Schutz gesucht. Arabische Fernsehsender übertrugen die Bergungsarbeiten live und zeigten, wie Rettungshelfer die zerquetschten Leichen von mehrheitlich Frauen und Kindern ausgruben. Das sind die Bilder, die man in den Ländern, die für das israelische Bombardement Verständnis zeigen, nicht zu sehen bekommt.

Für Palästinenser sind die Folgen solcher Bombardierungen jedoch Teil ihrer eigenen Erfahrungen. Die meisten lehnen deshalb die Hisbollah-Raketen auf Israel nicht ab. „Auch wenn diese Raketen zielungenau sind“, so ein palästinensischer Linker, „Hassan Nasrallah (der Generalsekretär der Hisbollah) zeigt den Israelis wenigstens mal, dass sie nicht alles ungestraft tun können.“ Die Hamas-Führung jedoch ist sehr darauf bedacht, ihren Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik in Westjordanland und Gazastreifen beschränkt zu sehen. Man solidarisiert sich zwar mit dem Libanon, wehrt sich aber gegen etwaige Vereinnahmungsversuche Hisbollahs oder Al-Qaidas. Israelische Behauptungen, diese beiden Organisationen seien in den palästinensischen Gebieten aktiv, blieben bisher auch unbewiesen.

Auch im Gazastreifen wenig Strom

Wie in Teilen des Libanon leben auch die meisten Menschen im Gazastreifen jetzt ohne Strom und Wasser oder ausreichende Nahrungsversorgung. Etwa die Hälfte des Stroms im Gazastreifen wurde von Palästinensern selbst produziert, der Rest wird aus Israel zugekauft. Israel sorgte mit der Bombardierung des palästinensischen Kraftwerks für die Halbierung der Elektrizitätsversorgung. Dasselbe Ergebnis wäre mit der schlichten Umlegung eines Schalters beim israelischen Lieferanten erzielt worden. Aber dann hätte dieser auf einen großen Teil seines Umsatzes verzichten müssen. Seit der Bombardierung des Elektrizitätswerks versorgt die Europäische Union Krankenhäuser und Wasserpumpen mit israelischem Diesel für ihre Notstromaggregate.

Unterdessen brachten palästinensische Parlamentsmitglieder aller Fraktionen eine Initiative zur politischen Lösung auf den Weg. „Wir konzentrieren uns auf zwei Aspekte“, so Salah Bardawil, Fraktionssprecher der Hamas. „Zum einen die Aufhebung der Belagerung im Gegenzug zu einem beiderseitigen Waffenstillstand, zum anderen ein Gefangenenaustausch.“ Allerdings lehnt Israel derartige Gespräche ab.