Das fast völlige Fehlen des Elements "Zukünftigkeit"

Science-Fiction in der arabischen Literatur

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Während sich die europäische Literaturwissenschaft schon seit einigen Jahrzehnten mit der zeitgenössischen utopischen Literatur beschäftigt, fand das erste Symposium zur "Arabischen Literatur und Science Fiction" erst im April 2006 statt. An der Fakultät für Literatur und Humanwissenschaften im marokkanischen Casablanca wurde darüber diskutiert, ob es in der arabischen Welt überhaupt ein Bewusstsein für SF gibt, warum SF den arabischen Autoren keinen Spaß macht und wie sich die mangelnde Verbreitung dieser Literaturgattung, auch im akademischen Sektor, überhaupt erklären läßt.

Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.

Arabisches Sprichwort

Unter der Leitung des Professors für arabische Literatur Dr. Idriss Qassouri referierten die Teilnehmer über die paar wenigen Romane arabischsprachiger Autoren, die sich mit Themen der Zukunft beschäftigen. Man analysierte den Ist-Zustand und bemängelte anschließend, dass sich auch Literaturkritiker nicht ausreichend mit dem Genre beschäftigen. Eine fundierte Analyse vorzulegen fiel allerdings schwer, denn es gibt "viel zu viel westliche Theorie für viel zu wenig arabisches Material."

Für dem Umgang mit dieser Literaturgattung war bislang eher die folgende Sichtweise charakteristisch: Noch 1987 wurde auf einem großen Symposium über Kinderbücher in den Ländern der Golfstaaten die SF-Literatur zwar als "grundsätzlich anregend" bezeichnet, aber die Geschichten und TV-Serien sollten doch besser in einer den arabischen Kindern gewohnten Umwelt spielen, sich aus der arabischen Kultur ableiten und außerdem auch zu den Glaubensgrundsätzen des Islam passen. Das Motto lautete: "Die Phantasie des Kindes soll befreit werden - aber in anerkannten Grenzen."

Erst Mitte 2005 konnte Sifat Salameh, eine in den USA lebende ägyptische SF-Expertin, die arabischen Bildungssysteme kritisieren, denen sie vorwirft, Phantasie und Kreativität nicht ausreichend zu unterstützen. Sie forderte, SF in den regulären Unterricht an Schulen und Universitäten der arabischen Welt zu integrieren:

Die Wichtigkeit der Literaturgattung SF liegt darin, daß sie die kreative Phantasie des Lesers anregt und seine Vorstellungskraft stärkt. Sie ist regelrecht notwendig, um die Erfindungsgabe zu entwickeln und um schon früh die Kreativen und die Ausnahmen zu entdecken, damit unsere arabische Welt eine Generation entdeckungsfreudiger Wissenschaftler erhält.

In ihrem Essay in der in London erscheinenden Tageszeitung al-Scharq al-Awsat zitierte sie auch den ägyptischstämmigen Nobelpreisträger Ahmed Zewail:

Der wirkliche Wissenschaftler, der seine Arbeit liebt, muss träumen, denn wenn er sich die Welt nicht selbst vorstellt und träumt, dann wird er stets nur dasselbe wie seine Vorgänger machen und dem nichts mehr hinzufügen."

Auf dem 1. Internationalen Konferenz zum Thema Cyber-Law, das die Arabische Liga im August 2005 in Kairo veranstaltete, referierte der informationstechnologische Berater der Liga Zayn Abdelhadi dann sogar schon über den Einfluß der SF auf die Gesetzgebung der Virtualität. Er bewies damit, daß die SF über den Umweg der neuen Technologien auch im arabischen Raum langsam an Akzeptanz gewinnt - selbst wenn er William Gibsons berühmten Roman mit orientalischer Verklärung "New Romancer" schreibt. [Oder war"s der Säzzer?]

Die Probleme der arabischen Gegenwart mit Phantasie und Vision verwundern eigentlich, denn genau wie in Europa gab es auch hier schon frühe Utopien im Sinne "perfekter Gesellschaften" - beispielsweise die des Philosophen Abu Nasr Muhammad al-Farabi in seinem Werk "Meinungen der Bewohner einer vortrefflichen Stadt". Bereits 500 Jahre vor dem "Utopia" des Thomas Morus beschrieb al-Farabi ein Leben in Glück und Wohlstand, da der optimale Staat die bösen Regungen der Menschen beseitigt hatte. Oder die futuristische Erzählung al-Qazwinis über den von einem fernen Planeten zur Erde gekommenen "Awaj bin Anfaq", die um 1250 n.Chr. entstanden ist. Doch im Unterschied zu Europa blieben solche Texte seltene Ausnahmen. Sie kamen viel zu früh und konnten wohl daher auch noch nichts bewirken.

Heute dagegen wird die geringe wissenschaftliche Bildung der Massen (und der Autoren) beklagt, wenn auch nicht ohne Selbstkritik. Doch Wissenschaftler wie Hoyle, Asimov oder Sagan, die über die Grenzen des Bekannten hinaus denken, schreiben und begeistern, gibt es in der arabischen Welt noch nicht. Und auch nicht einen Verlag mit dem Mut, Übersetzungen von "Harry Potter" in Auftrag zu geben (was in 62 anderen Sprachen vorzüglich geklappt hat.)

Utopische Romane im Ausnahmezustand?

Träume können subversiver sein als politische Ideologien, deshalb sind sie für die selbsternannten Realisten so bedrohlich.

Arno Gruen

Schon viele Betrachtungen wurden darüber angestellt, warum heutzutage - nach den verheerenden Mongolenstürmen, fünf Jahrhunderten der osmanischen Besatzung, den Kämpfen gegen die angreifenden Kreuzritter davor bzw. gegen die europäischen Kolonialmächte danach - kaum ein Araber mehr große Illusionen hegt: Weil es weder die nationalen Befreiungsrevolutionen noch die große panarabische Vision, weder die religiös orientierten Bewegungen noch der Staatssozialismus (samt seinen wahrlich oft utopischen 5-Jahres-Plänen) geschafft haben, ihre Versprechungen einer allumfassenden Prosperität zu halten. Einem Schritt voran folgten meist zwei oder gar drei zurück. Auch von den bislang 28 Versuchen zwei oder mehrere der willkürlich geschaffenen "arabischen Staaten" wieder zu vereinen, gelang nicht ein einziger. Alle Visionen verblaßten nur allzu schnell im Licht machtpolitischer und wirtschaftlicher Interessen.

Und sicherlich sind traditionelle Clan- und Klientelstrukturen nicht gerade der fruchtbarste Nährboden für die Entwicklung von Utopien, denn ihre Nachhaltigkeit erzielen sie durch den weitgehenden Erhalt des status quo. Nur wer sich in ständiger Redundanz mit der gesamten Überlieferung befindet erlangt Achtung - neue Ideen dagegen finden weit seltener offene Ohren.

Im Grunde klingt das unlogisch, denn mit der Phantasie an sich haben weder die arabischen Autoren noch ihr Publikum Schwierigkeiten. Schon in dem arabesken Werk 1001 Nacht gibt es diverse Elemente, die aus wissenschaftlicher Sicht ohne weiteres der SF-Literatur zugeordnet werden könnten (Beispiel: Fliegender Teppich). Doch diese Wahrnehmung ist eine "westliche" und nicht diejenige des arabischen Lesers, für den die heutige Technik etwas Äußerliches und Fremdes ist, technologische Gefäße, die man importiert und benutzen kann, ohne sich jedoch inhaltlich damit auseinander setzen zu müssen (Beispiel: Digitalkoran). Allgemein gesagt ist ihm die Vorstellung eines Handys solange völlig fremd, bis er selbst eines benutzt. Um dann übergangslos zu einer Selbstverständlichkeit zu werden. Ist dies nicht Allahs Wille?!

Die Zukunft in Gottes Hand

Ein wissenschaftlicher Roman der mit Phantasie verbunden ist findet keinen fruchtbaren Grund in der Umgebung vorgefertigter Antworten und der Ablehnung einer Kultur des Wissens.

Dr. Omar Abdelaziz

Das fast völlige Fehlen des Elements "Zukünftigkeit" ist charakteristisch für die gesamte arabische Literatur - wie für einen weiten Bereich des Lebens. Denn die Zukunft ist allein in Gottes Hand, und es ist fast ein Sakrileg diesem in seine Pläne hineinphantasieren zu wollen.

Wenn die Menschen Europas die Flucht nach vorn angetreten haben, um aus mittelalterlicher Dunkelheit zu entkommen, dann steht den arabischen Ländern dieser Schritt größtenteils noch bevor. Bis dahin wendet man sich lieber der glorreichen Vergangenheit zu, die rückblickend strahlender und heller wirkt als jede vorstellbare Zukunft in den desolaten Volkswirtschaften, unter rigiden Regimen sowie dem zunehmenden Druck der Globalisierung. Das Verhalten ist nachvollziehbar, denn im täglichen Leben der meisten arabischen Bürger sind diese Dinge stets fühlbar. Und für viele beweist die tägliche Realität, dass der Krieg noch lange nicht zuende ist.

Das einzige übriggebliebene Heilsversprechen ist das der Religionen. Doch auch ihre Protagonisten sind weit davon entfernt, den Menschen glaubhafte Alternativen und Modelle einer erstrebenswerten Zukunft zu zeigen. Außerdem bedeutet Phantasie im engen islamischen Sinn Schaffenskraft - und Erschaffen ist auf Gott alleine beschränkt. Schwere Zeiten also für arabischsprachige SF-Autoren.

Kein Interesse an SF?

Ich selbst lese seit meinem 14. Lebensjahr utopische Romane, wie sie damals hießen. Dank dem Goethe-Institut in Damaskus erreichten mich schon in den 1960er Jahren die ersten Übersetzungen des Goldmann-Verlags. Da ich gleichzeitig die arabische Schulausbildung absolvierte, konnte ich meine Kameraden immer wieder begeistern, indem ich ihnen Zusammenfassungen dieser SF-Geschichten erzählte. Die Bereitschaft von Jugendlichen, sich auf Vorstellungen und Utopien einzulassen, scheint wohl kulturübergreifend zu sein.

In den 80er Jahren schrieb ich dann selbst einige Stories, die ich unter dem Pseudonym Ghassan Homsi1 im Heyne-Verlag veröffentlichte, doch in meinem arabischen Umfeld schien das Interesse an möglichen Zukünften mit zunehmendem Erwachsenenalter dramatisch abzunehmen - kaum mehr jemand, dem ich mit meinen Berichten über Orbitalaufzüge, Nano-Technologien und Dysonsphären eine Freude machen konnte. Die Gesellschaftsmaschine hatte zugeschlagen und die Zeit blieb stehen. Auch heute werden in arabischen Artikeln oder bei Autoren-Interviews stets nur Verne und Wells, manchmal vielleicht noch Orwell, Asimov oder Sturgeon erwähnt.

Jüngere kennen sich dagegen bei SF-Filmen und TV-Serien genauso aus wie wohl überall sonst auf der Welt. In den Foren stellt man schnell fest, daß neben Terminator, Star Wars, Alien und Matrix ganz besonders die Filme 2001, Blade Runner und The Guardian großen Eindruck gemacht haben. Warum sollten diese Jugendliche also keine Lust auf arabischsprachige SF haben?

Vorreiter Ägypten

Die erste arabische SF der Neuzeit wurde vor gut 50 Jahren in Ägypten geschrieben, die anderen arabischen Länder folgten rund 25 Jahre später. Doch das Echo auf diese Werke war bescheiden. Literaturexperten zählen 35 SF-Romane auf, die bislang in diesem Sprachraum geschrieben wurden. Was nicht ganz stimmen kann, denn alleine in Ägypten lassen sich bis zur Jahrtausendwende über 20 Romane mit Titeln wie "Bewohner der anderen Welt" oder `Flucht ins All" sowie mindestens 15 Bände mit Kurzgeschichten nachweisen (z.B. "Rettet diesen Planeten" oder "Lebenszeit fünf Minuten"). Denn viele arabische Autoren haben schon einmal mit SF kokettiert - doch mehr als eine einzige Kurzgeschichte oder einen einzigen Roman hat nur eine Handvoll von ihnen geschrieben. Außerdem sind die Romane von meist bescheidenem Umfang zwischen 100 und 150 Seiten.

Der ägyptische Dramatiker und Erzähler Taufik al-Hakim versuchte sich im Laufe seiner schriftstellerischen Karriere zwei mal an SF-Themen: in der Kurzgeschichte "Im Jahr Million" (1953) und in dem Theaterstück "Reise ins Morgen" (1958). Youssef Izzedeen Issa schrieb mehrere SF-Hörspiele, die ab 1957 vom ägyptischen Rundfunk ausgestrahlt wurden. Oftmals wird der Romane "Die Spinne" (1964) von Mustafa Mahmud als erster echter SF bezeichnet, später veröffentlichte der Autor noch "Ein Mann unter Null" (1967). Ahmad Suwailem legte mit "Reisen und Medaillen" (1983) und "Splitter" (1994) zwei Gedichtsbände voller SF-Motive vor, und der erste Roman einer Frau war "Das Verbrechen einer Welt" (1992) von Omayma Khafaji. Noch aktiver sind die Autoren Nihad Scharif und Muhammad el-Ashry.

Der 1932 geborene Nihad Sharif gilt als Vertreter einer disziplinierten arabischen SF, die nicht zu wild ausufern will. Der Absolvent der Geschichtswissenschaften begann bereits 1949 zu schreiben, seine Texte erreichten die meisten arabischen Zeitschriften und Magazine.

Nach dem ersten Roman "Niederringer der Zeit" von 1966 folgten noch 6 weitere Romane, 8 Bände mit Kurzgeschichten sowie zwei Theaterstücke. In seinem Erstlingswerk geht es um Kyronik, um das Einfrieren menschlicher Körper: In seinem Institut in Helwan findet ein Mediziner eine funktionierende Methode und entführt gemeinsam mit seinem Assistenten eine Reihe Wissenschaftler unterschiedlicher Nationalität, die er in eingefrorenem Zustand ausnutzen will. Ein junger Journalisten deckt den teuflischen Plan auf. Dieser Kurzroman wurde später mit Nour al-Scharif (Mohammed Jaber) in der Hauptrolle sogar verfilmt.

Ein Werk mit utopischen Ansätzen bildet "Bewohner der anderen Welt", wo Wissenschaftler in ihrer unterseeischen Basis wichtige Technologien entwickeln. Sie haben das Wohl der Menschheit im Auge und beginnen auf die Staaten der Welt Druck auszuüben, um einen globalen Frieden zu schließen und alle Waffen zu verschrotten, insbesondere die atomaren. Doch dann werden die Unterseeboote der Wissenschaftler von unbekannten Flugzeugen bombardiert. Nur eines kann sich in die geheime Basis zurückretten - um den Kampf von neuem aufzunehmen.

Von Muhammad el-Ashry erschienen bislang vier Romane: "Mädchen der träumenden Mythen", ,Die Goldquelle", "Wüstenapfel" sowie "Licht-Halo". In Vorbereitung sind "Ein Duft vergessener Tage" und "Seelengarten".

Der 38-jährige Erdöl-Geologe aus Kairo, der auch ein Übersetzerdiplom besitzt, hat bereits einige Preise erhalten. Als Kind las er über die Bomben von Hiroshima und Nagasaki und wollte gleich eine "Negativ-Bombe" bauen, die all die Strahlung wieder aufsaugen und komprimieren sollte. Heilung und Schadensbegrenzung ist auch das Motto seiner späteren Bücher, die häufig vom Leben in Wüstencamps inspiriert sind. Und die Lösung liegt immer in der Liebe - ganz im Sinne der orientalischen Romantik. Dies erschließt sich auch aus seinem arabischsprachigen Blog, in dem er aber auch die allgemeine Lage der arabischen SF kommentiert:

Die mangelnde Verbreitung von SF innerhalb der arabischen Literatur liegt an der wissenschaftlichen Rückständigkeit unseres Lebens. (...) Die meisten neuen technologischen Begriffe kommen uns in ihrer arabischen Form ungewohnt und schwerfällig vor, so dass wir sie kaum benutzen.

Muhammad el-Ashry
Titelbild der Romans 'Licht-Halo' von Muhammad el-Ashry (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Bei al-Ashry begegnen uns neue Ideen und "echte" SF-Elemente. In "Licht-Halo" (2002) beschäftigt sich der Autor mit der Frage von Energiealternativen: Da der Wüstensand oftmals mit einer hauchdünnen Schicht aus elektrisch leitendem Eisenoxid überzogen ist, erzeugen die sich im Wind aneinander reibenden Sandkörner eine elektrische Ladung. So entwickelt man eine Maschine in welcher der Sand durch chaotische Luftströmungen aufgeladen wird, um die entstehende Spannung abzuleiten und zu nutzen. Die Idee, Wüstensand als Energieträger zu nutzen, kann als Synchronizität betrachtet werden, denn der Autor wusste damals nichts davon, dass dies in Europa schon längst keine "wissenschaftliche Fiktion" mehr ist, seitdem hier über die industrielle Nutzung von Silan gesprochen wird.

Und gerade in Ägypten begegnen wir einen Schatten der 50er Jahre, als man auch in westlichen Gefilden Groschenromane und Trivialliteratur weitgehend ignorierte und ihren Autoren jede literarische Qualifikation absprach. Denn kaum jemand traut sich den 1956 geborenen Nabil Farouk zu erwähnen, Autor und Herausgeber diverser Kriminal- und SF-Reihen, die hauptsächlich von Kindern und Jugendlichen gelesen werden und an die "Drei Fragezeichen" erinnern - ins All versetzt.

Der ägyptische Arzt, der allerdings schon lange nicht mehr praktiziert, erhielt 1979 den Preis des Kulturschlosses in Tanta für seine Kurzgeschichte "Die Prophezeiung" - mit der er dann die Reihe "Cocktail 2000" begann - sowie 1984 den Wettbewerb des kuwaitischen Magazins "Buchwelten" für seine Kurzgeschichte "Todesstrahlen"- mit der er anschließend die Reihe "Akte Zukunft" startete. In dieser kämpft eine unerschrockene Gruppe junger Ägypter beiderlei Geschlechts gegen die ganze Bandbreite des Verbrechens, angefangen von illegalen Waffenentwicklungen bis hin zu außerirdischen Invasoren, die sich seit Millionen von Jahren im Innern unserer Erde versteckt halten. Dabei wird auch alles genutzt, was das Genre zu bieten hat, von Parallelwelten bis zu Reisen durch Raum und Zeit. Als "Rettungsringe" werden noch genügend philosophische Betrachtungen eingeflochten, damit die Geschichten nicht im ausufernden Meer der Action völlig untergehen. Immerhin gilt Nabil Faruk durch seine Reihen inzwischen als bekanntester SF-Autor der arabischen Welt.

Die anderen arabischen Länder

Hier gilt der Roman "Das Lebenselixier" (1974) des Marokkaners Mohammed Aziz al-Habbabi als erster SF, doch auch bei diesem Autor blieb es beim einmaligen Versuch. Ein weiterer Roman aus Marokko ist "Die blaue Flut" (1979) von Mohammed Abdelsalam al-Baqqali.

Im Irak erschien die erste SF Mitte der 1980er von Kassem al-Khattat der Roman "Der grüne Fleck" (1984),sowie die Kurzgeschichtensammlungen "Sie pulsiert vor Leben" von Muwaffaq Uays Mahmud und "Der grüne Planet" von Ali Karim Kathem (beide 1987). Mit dem Roman "Der vielfache Mann" (1992) der Kuwaiterin Tiba Ahmad al-Ibrahim, die anschließend noch zwei weitere Bücher schrieb, erschien - zeitgleich mit Omayma Khafaji in Ägypten - erstmals eine SF einer arabischen Autorin.

In den 90er nahm die Zahl der Autoren zu, die sich mit dem Genre beschäftigten, wie Kassem Kassem im Libanon, Mustafa al-Kailani in Tunesien, Abdallah Khalifa in Bahrain und Mussa Oald Ibno in Mauretanien. Die syrische Autorin Lina Kailani verfasst 40 Texte, der Jordanier Sulaiman Mohammed al-Khalil behandelte das Klonen mit dem in der arabischen Literatur leider viel zu seltenen schwarzer Humor und in Saudi-Arabien fanden die Kurzgeschichtenbände "Geisterjäger" (1997) und "Sehnsucht nach den Sternen" (2000) von Aschraf Faqih ihren Weg in die Buchläden.

Besonderer Erwähnung bedarf der 1948 geborene Taleb Omaran aus Syrien, der ebenfalls als einer der Pioniere arabischer SF gilt. Seine Bibliographie umfasste bis August 2005 bereits 45 Romane und Kurzgeschichtensammlungen. Omran besitzt einen Doktortitel in Astronomie und moderierte im syrischen Fernsehen mehr als 14 Jahre lang eine Wissenschaftssendung. Zur Zeit ist er Leiter der Abteilung Mathematik und Computerwissenschaften an der Fakultät für Erziehung in al-Rastan tätig.

Nach seinem Erstling "Planet der Träume" (1978) folgten Romane wie "Vorbeireisende hinter der Sonne" (1979), "Auf dem Mond gibt es keine Armen" (in bereits drei Auflagen 1983, 1997, 1999) oder "Brunnen der Dunkelheit" (1995). Der Roman "Geheimnisse aus der Stadt der Weisheit" (1985) wurde 1992 ins Englische übersetzt und in Indien veröffentlicht. Seine Romane und Kurzgeschichtenbände erschienen dann ab 1997 hauptsächlich in drei Schüben im islamisch orientierten Dar al-Fikr Verlag in Damaskus. Sie haben zumeist einen Umfang von 100 bis 150 Seiten und kosten 2 bis 4 US-$. Und vielleicht bildet die Statistik ja eine wahre Tendenz zunehmenden Interesses ab, denn während es 1997 noch 4 Bücher waren, wurden 1999 bereits 8 und 2004 sogar schon 12 Bände veröffentlicht.

Omran selbst schimpft allerdings gegen die Trittbrettfahrer, die mit unlogischen und unwissenschaftlichen Phantasien das Genre verderben. Besonders regt ihn auf, wenn z.B. ein "arabisches Raumschiff" auf dem (Gasplaneten!) Jupiter oder gar den Ringen des Saturn "landet", wenn ein aus dem Dach des Hochhauses ausbrechender Fahrstuhl gleich weiter bis zum Mond fliegt oder wenn ein Kind in einer Seifenblase weit durch die Luft entführt wird. Solches gehöre eher zu den Geschichten aus 1001 Nacht. Denn dort geht alles, es gibt keine Grenzen für die Phantasie und auch kein Ende der Geschichten...

Fazit

Ernsthafte SF und "richtige" arabische SF-Autoren gibt es bislang nur wenige. Und es gibt auch noch keinen arabischen Perry Rhodan, um die Lösung dafür zu finden, wie aus dem Hyperraum die Gebetsrichtung nach Mekka zu lokalisieren ist. Die Autoren werden bislang stets mit der hohen Latte der traditionellen Literatur verglichen - und ernten scharfe Kritik, wenn sie sich mit Tabuthemen beschäftigen.

Vertrieb und Marketing sind im allgemeinen mangelhaft - selbst innerhalb der einzelnen arabischen Länder -, und das Wissen um die Produktion der Nachbarn ist trotz diverser Buchmessen eher bescheiden. Erst durch das Internet beginnt der Austausch zwischen jungen Autoren. Das Netz bietet die Rettung vor dem großen Untergehen. Doch langsam merken auch andere auf:

Bereits im Februar 2006 gibt die libanesische Tageszeitung al-Nahar bekannt, auf ihrer Literaturseite in Zukunft auch SF zu behandeln. Die Journalistinnen Jumana Haddad und Zaynab Assaf rufen dazu auf, Texte einzureichen. Sie mussten jedoch frustriert feststellen, dass auch die meisten der direkt angeschriebenen Jungautoren gar nicht erst antworteten. In ihrer Analyse sparen die beiden nicht an Kritik, lassen die gängigen Argumente aber nicht gelten. Kein wissenschaftliches Umfeld? Das gab es bei Cyrano du Bergnac auch nicht, 300 Jahre vor Apollo. Nicht genug Phantasie? Das stimmt keinesfalls, obwohl die arabische Phantasie eher zu Übertreibungen neigt, deren Verbalkunst ihren Niederschlag zumeist in der Lyrik findet. Erdrückende Beschäftigung mit Brot, Sex und Überleben? Nun, einige der besten SF wurden angesichts persönlicher, nationaler oder gar globaler Katastrophen geschrieben, oder nicht? Und so kommen auch die beiden Journalistinnen der al-Nahar dazu, die Sprache als den Hauptverantwortlichen auszumachen:

Die arabische Sprache ist gegenüber der Terminologie der Wissenschaft regelrecht "unfreundlich". Diese Nomenklatur ist weder harmonisch noch versöhnt mit der Sprache. Dadurch, daß in vielen Schulen die wissenschaftlichen Fächer in Französisch oder Englisch erteilt werden, wird das wissenschaftliche Denken von unser arabischen Sprache abgekoppelt. Übersetzungen sind schwierig oder gar unmöglich.

Man kann die Zurückhaltung der Verleger gegenüber Übersetzungen leicht nachvollziehen wenn man beispielsweise sieht, daß "Hard SF" wörtlich mit "schwerer" SF übersetzt wird! Sogar mitsamt Erklärung: Diese SF sei deshalb so "schwer", weil sie mit wissenschaftlichen Gesetzen und Theorien höchster Genauigkeit zu tun habe - und daher auch vom Autor einen hohen Spezialisierungsgrad erfordere! Welcher Verleger will sich da noch mit Banks, Brin oder Vinge anlegen?!

Auf dem eingangs erwähnten Symposium zur "Arabischen Literatur und Science Fiction" wurde jedenfalls beschlossen, dass die weitere Erforschung der SF innerhalb der arabischen Literatur dringend notwendig sei. Und vielleicht können auf dem für April 2008 geplanten Internationalen Symposium in Casablanca sogar ein paar neue SF-Romane vorgestellt werden - ein paar taschengerechte neue Gärten der Phantasie. Die Jugend der arabischen Welt wird sich bedanken!

Eine kleine Perle zum Abschluss: Am 24.12.2005 veröffentlicht der Libyer Baqer Jassem Mohammad auf der unabhängigen linksgerichteten Site "Zivilisierter Dialog" eine SF-Kurzgeschichte mit dem Titel "Welt ohne Farbe": Wissenschaftler versuchen herauszufinden, welche farbliche Umgebung für die Menschen am vorteilhaftesten ist. Fünf Städte werden vollständig in einer jeweils anderen Farbe angestrichen, alle Gebäude und Fahrzeuge, die gesamte Kleidung, einfach alles besitzt nur noch diese eine Farbe. Bei der statistischen Analyse des letzlich katastrophal verlaufenden Versuchs zeigt es sich, dass der Schaden in allen Städten gleich groß war - denn eine Welt mit nur einer Farbe ist eine Welt ohne Farbe.

In der arabischen Welt gibt es viele Seiten, denen man diesen Satz nur allzu gerne zurufen würde.