Geheimdienstlicher Drahtseilakt

Geplante Anti-Terror-Datei soll schnell Informationen liefern, praktisch handhabbar sein - aber dennoch geheim bleiben

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Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will nach der Parlamentspause einen Gesetzesentwurf zur Schaffung einer zentralen Anti-Terror-Datei in den Bundestag einbringen. Das Vorhaben gleicht einem geheimdienstlichen Drahtseilakt: Der geplante Informationspool soll alle Erkenntnisse zum „internationalen Terrorismus“ enthalten und allen zuständigen Behörden zur Verfügung stehen - aber so, dass nicht zu viele, und vor allem entscheidende Kenntnisse über den Inhalt der Datei, Quellen und Informanten, an die Öffentlichkeit dringen.

Die geplante so genannte Anti-Terror-Datei soll Namen und Decknamen von Verdächtigen, deren Alter und Anschrift sowie Bankverbindungen, Telekommunikation und Unternehmen, Stiftungen, etc., mit denen sie in Verbindung stehen, enthalten. Dabei sollen keine neuen Daten gesammelt werden, sondern die vorhandenen besser zugänglich gemacht werden. Laut Schäuble sollen alle relevanten Stellen Zugriff darauf haben: sämtliche Verfassungsschutzbehörden (VS), der Bundesnachrichtendienst (BND), die Landeskriminalämter sowie das Zollkriminalamt. Ursprünglich sollte die Datei nur Informationen über „islamistische Terrorverdächtige“ enthalten, inzwischen ist die Rede davon auch Erkenntnisse über „links- und rechtsextremistische Terrorverdächtige“ darin zu speichern.

Die praktische Umsetzung dieser Idee kann sich offensichtlich noch niemand so richtig vorstellen. Die Debatte ist geprägt von verwirrenden Begriffen wie Volltextdatei, Indexdatei, verdeckte Speicherung, etc. Der Hintergrund dafür ist, dass die Verfassungsschützer fürchten, ihre intimsten Geheimnisse preisgeben zu müssen. Wenn z.B. die Polizei sich in einem Ermittlungsverfahren Zugang zu den Informationen des VS verschafft, werden diese aktenkundig und Anwälten per Akteneinsicht ebenfalls zugänglich. Also müssen Modalitäten entwickelt werden, wie Quellen und Informantenschutz gewahrt bleibt.

In einer Volltextdatei wären alle Informationen gespeichert und für alle beteiligten Behörden jederzeit abrufbar. In einer Indexdatei würde die anfragende Stelle nur darüber informiert, welche Behörde Informationen über die betreffende Person gesammelt hätte und müsste dort wie gehabt eine Anfrage stellen. Die informationsgebende Stelle, z.B. der VS, könnte im Zweifelsfalle ein übergeordnetes Interesse geltend machen, und den Antrag ablehnen.

Mit der „verdeckten Speicherung“ sollen die Bedenken der Verfassungsschützer indes ausgeräumt werden. Bei diesem Verfahren erkennt die nachfragende Behörde nicht, ob und wenn ja welche Behörde Informationen über die fragliche Person hat, sondern die entsprechenden Stellen bekommen das Interesse signalisiert und können eigenständig entscheiden, ob sie in Kontakt treten und Informationen preisgeben wollen. Das alles hört sich ziemlich verworren an und es wird sicher noch einige Zeit vergehen, bis die Interessen der einzelnen Behörden mit denen von Bund und Ländern unter einen Hut gebracht werden.

Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst wird aufgehoben

Unterdessen gerät die geplante Anti-Terror-Datei unter einem ganz anderen Aspekt in die Kritik: Oppositionspolitiker und Anwälte fürchten, dass damit die Trennung von Polizei und Geheimdienst endgültig außer Kraft gesetzt wird. „Nicht umsonst haben die Alliierten nach 1945 zunächst alle geheimdienstlichen Tätigkeiten in Deutschland verboten und später deren strikte Trennung angeordnet“, unterstreicht der Hamburger Strafverteidiger Heinz-Jürgen Schneider. „Auf dem Papier gibt es dieses Prinzip immer noch, es wurde allerdings in den vergangenen 61 Jahren stark durchlöchert. Mit den Schäuble-Plänen werde es nun endgültig de facto abgeschafft.“

Also kein Datenaustausch? Auch wenn dadurch die Ermittlungsarbeit stark vereinfacht würde? Der Jurist verneint:

Die geplante so genannte Anti-Terror-Datei entzieht sich jeglicher demokratischer Kontrolle. Kein Mensch weiß, was da alles gespeichert wird. Meines Erachtens brauchen wir keinen Ausbau geheimdienstlicher Tätigkeiten und größeren Austausch von den dadurch gewonnen Erkenntnissen, sondern sollten über die Abschaffung der Geheimdienste nachdenken.

Heinz-Jürgen Schneider

Dafür nennt Schneider drei Gründe:

Erstens die Gefahr des Missbrauchs: Ich möchte an dieser Stelle nur auf den jüngsten Skandal verweisen, in dem bekannt wurde, dass Journalisten von Geheimdiensten heimlich abgehorcht wurden. Zweitens die direkte Beteiligung an Verbrechen. Beispielsweise deckte der BND mehrfach verbotene Geschäfte, wie z.B. Plutoniumhandel auf. Hinterher stellte sich dann raus, dass die BND-Mitarbeiter diese dubiosen Machenschaften mit angeschoben und ausgeführt hatten. Drittens verfügen die Organe über Tausende von Agenten. Das Geld, das dafür verwendet wird, könnte sicherlich an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden.

Heinz-Jürgen Schneider

Auch die stellvertretende Bundestagspräsidentin und Abgeordnete der Linkspartei, Petra Pau, kritisiert, dass die geplante Datei gegen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten verstoße. Die Politikerin geht davon aus, dass ein solches Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht kein Bestand habe.