"Hoffentlich gibt es keinen zweiten Bürgerkrieg"

Die Hisbollah scheint im Libanon aufgrund des Krieges größere Unterstützung gefunden zu haben, aber die Stimmung im bombardierten Land und bei Politikern ist schwierig zu beurteilen

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Im Cafe Gondole in Beirut zeichnet Ziad Saab sorgfältig das Schlachtfeld um Bint Jbeil auf ein Blatt Papier. Der 50-Jährige ist der Sprecher der Neuen Linken Bewegung, die mit einem Sitz im Parlament vertreten ist und zur Koalition von Premier Fuad Siniora gehört. In der letzten Woche konzentrierten sich die Kämpfe zwischen Hisbollah und israelischer Armee um Bint Jbeil, ein Dorf im libanesischen Grenzgebiet. Auf beiden Seiten starben zusammen über 50 Soldaten und Kämpfer.

„Hier ist Masroun al Ras“, sagt Saab und zeichnet einige kleine Kreise für den 900 Meter hohen Hügel. Links davon markiert er das Dorf Bint Jbeil und direkt darunter zwei weitere kleine Hügel, mit einem Kreuz versehen für israelische Stellungen. „Hisbollah ist von hinten auf diese beiden kleinen Hügel los, hat acht israelische Soldaten getötet und somit die Offensive gestoppt“. Das sei eine "taktische Meisterleistung von kampferprobten und furchtlosen Männern", selbst wenn Hisbollah dabei vielleicht 40 Mann verloren habe, fügt der ehemalige Soldat hinzu. „Viele Menschen tragen Waffen, aber nur wenige können und wollen wirklich kämpfen.“

Ziad Saab weiß, wovon er spricht. 1983, während des libanesischen Buergerkriegs, kämpfte er in Bint Jbeil mit der Kommunistischen Partei gegen Israel. „Damals haben wir Maroun al Ras zurückerobert und zwei uralte Panzer erbeutet“, erzählt er schmunzelnd. Trotz seiner soldatischen Bewunderung für die Hisbollah-Kämpfer hat er sonst wenige Sympathien für die religiöse Widertandsbewegung. „Sie hören letztendlich alle auf Ayatolla Khameni in Teheran. Auch Hassan Nasrallah, der Generalsekretär.“ Chancen auf einen irgendwie gearteten militärischen Sieg der Hisbollah sieht er nicht. „Spätestens am kommenden Wochenende ist alles vorbei“, meint er sachlich nüchtern, „falls es keinen Waffenstillstand gibt.“ Über das Schicksal der Hisbollah macht er sich wenig Gedanken. Für ihn führen sie einen Stellvertreterkrieg im Namen des Irans und Syriens. „Iran will von ihrem Atomprojekt ablenken und Syrien von seiner Schuld am Mord von Rafik Hariri.“

Eine Position, die auch Walid Jumblatt, der Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei, vertritt. Wie am Fließband empfängt der Drusenführer Tag für Tag in seinem schloßähnlichen Anwesen in den Chouf-Bergen internationale Journalisten. Er warnt vor dem „kriminellen Kerl in Damaskus, der den Libanon total zerstören will.“ Außerdem vor dem Iran, der die USA ausgerechnet auf libanesischem Territorium bekämpfe und gerne die islamisch-schiitische Weltherrschaft antreten würde. Die Meinung kann man von Drusen immer wieder hören. Da geht es wohl um eine historisch bedingte, innerislamische Sekten-Rivalität. Die Angst ums Überleben einer immer wieder verfolgten religiösen Minderheit. „Wir müssen der USA dankbar sein“, sagte Walid Jumblatt im Interview, „dass sie uns bei der Vertreibung der Syrier und bei der Fundierung unserer Demokratie geholfen haben.“

Nasrallah müsse gestoppt werden. Nervös rutschte der sozialistische Drusenführer dabei auf seinem Stuhl umher, als wäre im nicht ganz wohl bei der Sache. Selbst bei einem nur moralischen Sieg der Hisbollah könnten derartige Aussagen zu seinem politischen Testament werden. In Kriegszeiten ist das Wort „Verräter“ schnell bei der Hand, wenn Menschen reihenweise an der Front im Namen des Libanons sterben.

Wie alle Linken im Libanon ist auch Ziad Saab und seine Neuen Linke Bewegung ein strikter Gegner Israels. Jedoch möchte der Familienvater nicht mehr wie früher mit der Waffe in der Hand kämpfen, sondern mit friedlichen Mitteln. „Wir brauchen einen demokratischen, souveränen und von allen Mächten unabhängigen Libanon“, betont er mehrmals mit Nachdruck. Saab ist froh darüber, dass Premierminister Fuad Siniora den Besuch von Condoleezza Rice einfach absagte. „Unser Land steht doch nicht zum Verkauf. Nach den Toten von Kana gibt es noch weniger eine Chance auf einen Kompromiss.“

Das Maß sei übervoll. Man müsse jetzt die Forderungen der Regierung nach einem sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand, sowie die Rückgabe der besetzten Shebaa-Farmen und die Freilassung aller libanesischen Häftlinge aus israelischen Gefängnissen durchsetzen. Danach könne man über die Waffen der Hisbollah verhandeln, die unter den Oberbefehl des libanesischen Staates gestellt werden müssten. Ziad Saabs Aussagen decken sich mit dem Positionspapier, das Premierminister Siniora letzte Woche bei den Verhandlungen in Rom präsentierte, und zeigt, wie sehr die Neue Linke Bewegung Teil der Koalition des „14. März“ ist.

„Wir werden über alle Schritte der Regierung informiert“, bestätigt der ehemalige Kämpfer der Kommunistischen Partei, mit der er nichts mehr zu tun haben will. „Die glauben noch heute, dass die Sowjetunion existiert“, sagt er lachend. Saab hofft, dass der Tod von den bisher 750 Toten und etwa 3.200 Verwundeten nicht umsonst war und sein freier, unabhängiger Libanon entsteht. „Hoffentlich gibt es keinen zweiten Bürgerkrieg“, sagt er nachdenklich, ohne weitere Erklärungen dazu geben zu wollen. „Ich will nicht als Defätist gelten. Zuerst kommt der Krieg, dann sehen wir weiter.“

Unklarheit über die Stimmung der Menschen im Libanon

Ähnliche pessimistische Vorahnungen hat auch der Journalist Hassan Daoud, der bei der Hariri-Zeitung Al Mustaqbal arbeitet. „Es könnte zu Konfrontationen zwischen Sunniten und Schiiten kommen, wenn nach Beendigung des Konflikts die Verantwortung für die katastrophale Zerstörung und die Toten Hisbollah angelastet wird.“ Die Christen seien obendrein auch uneins. Es gäbe große Animositäten zwischen den Anhängern von Michel Aoun der Freiheitlichen Patrioten und Samir Geaga, dem rechtsradikalen Falangistenführer.

Ex-General Aoun, der erst 2005 aus dem französischen Exil in den Libanon zurückgekehrt war, bekundete in den ersten Kriegstagen seine Sympathie für den „libanesischen Widerstand“. „Nicht Hisbollah ist das Problem, sondern Israel.“ Anschließend wurde offiziell eine Allianz zwischen den christlichen „Patrioten“ und der „Partei Gottes“ geschlossen. Ein Bündnis, das den Falangisten wenige gefallen dürfte. Aoun und Hisbollah repräsentieren zusammen mehr als die Hälfte der libanesischen Bevölkerung. Eine Mehrheit, das auch die aktuelle Umfrage der Beiruter Tageszeitung „Al Safir“ etwas erklären würde. Danach unterstützen 87 Prozent der Gesamtbevölkerung Hisbollah im gegenwärtigen Krieg (80% bei Christen, 89% bei Sunniten, 80% Drusen). Sogar die Entführung der beiden israelischen Soldaten, die am 12. Juli den Konflikt heraufbeschwor, wird von der Mehrheit angeblich als positiv gewertet. Die USA dagegen gilen bei 89% nicht als ernst zu nehmender Vermittler.

„Ich glaube grundsätzlich nicht an derartige Umfragen“, sagt Ziad Saab. „Aber dieses Ergebnis kann nicht stimmen.“ Hassan Daoud, der Publizist von Al Mustaqbal, sieht es nicht anders. „Ich kenne mein Land, die Umfrage ist nicht korrekt.“ Gerade die Sunniten seien für einen sofortigen Waffenstillstand und eine Entwaffnung der Hisbollah. „Auch bei den Drusen kann ich mir absolut nicht vorstellen, dass sie Hisbollah unterstützen.“

Den kritischen Stimmen zum Trotz war auch vor der Tragödie in Kana eine seltsame Solidarität zu spüren, die sich gegen Israel richtete. „Mit dieser unglaublichen Zerstörung und absoluter Kaltblütigkeit reihenweise Zivilisten zu ermorden“, sagte die Autorin Iman Humaian Junis bereits vor zwei Wochen, „erzeugt Israel nur eine Erinnerung des Hasses.“ Kana, die Stadt im Südlibanon, das nach 1996 nun zum zweiten Mal am letzten Sonntag Schauplatz eines israelischen Angriffs wurde, wäre ein gutes Beispiel für die These der libanesischen Autorin. Nicht umsonst hat Premierminister Fuad Siniora unmittelbar nach Bekanntenwerden der schrecklichen Ereignisse in Kana den Besuch von Condoleezza Rice abgesagt. Auf einer Pressekonferenz erhärtete er seine Forderungen nach einem sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand, dem Abzug der Israelis hinter die „Blaue Linie“, Befreiung der libanesischen Gefangenen und Rückgabe der von Israel besetzten Sheeba-Farmen. Obendrein bedankte er sich beim Hisbollah-Generalsekretär, Hassan Nasrallah sowie allen Märtyrern, die für den Libanon ihr Leben ließen.

Die Kriegsereignisse haben die Meinungsverschiedenheiten zwischen Hisbollah und dem Premierminister beinahe vollständig ausgeräumt. „Wir ziehen am gleichen Strang“, bestätigte Ibrahim Mousawi, der Verantwortliche der Hisbollah-Zeitung „Al Ahed“ und des TV-Senders „Al Manar“. Mousawi ist einer der ganz wenigen Hisbollah-Offiziellen, die nicht völlig abgetaucht sind. Aber auch er ist schwer zu treffen. Erst nach zwei Tagen und unzähligen Telefonanrufen ist es soweit. „Ich bin dauernd unterwegs, bleibe nie lange an einem Ort.“

Angst kenne er nicht, obwohl jeden Augenblick eine israelische Rakete über ihn niedergehen könnte. Die Peilung über sein Handy würde genügen, um einer Rakete das Ziel zu geben. „Ich war gestern auch in Bint Jbeil, das ein Tal der Verwüstung ist.“ Unter Granatenbeschuss habe er drei ältere Frauen auf dem Rückweg nach Beirut mitgenommen, erzählt er ohne jeden Anflug von Dramatik. Das Interview muss schnelle gehen. Man merkt, kaum dass er Platz genommen hat, ist er schon wieder auf dem Sprung. „Ja, wir und die Regierung haben die gleiche Agenda. Wenn es ein langfristiges Friedensabkommen gibt, kann man auch über eine Entwaffnung sprechen.“

Premierminister Siniora sei der Mann, der alle zukünftigen Verhandlungen führen soll. Wenn es einen Sieg der Hisbollah gäbe, dann gehöre er dem ganzen libanesischen Volk. Mousawi wiederholt, was Hassan Nasrallah fast wörtlich bei seiner TV-Ansprache am letzten Wochenende sagte. „Und an einem Sieg der Hisbollah ist nicht zu zweifeln“, fügt Ibrahim Mousawi mit einem breiten, überzeugten Lächeln hinzu. „Israel hat nicht einmal ein Prozent unserer militärischen Infrastruktur zerstört.“ Es werde noch einige Überraschungen geben, verspricht Mousawi, bevor er eilig aus dem Büro verschwindet, das ihm Journalistenkollegen zur Verfügung stellten.

Draußen am nächtlichen Himmel von Beirut ist wie immer das Brummen israelischer Kampflugzeuge zu hören, die über der libanesischen Hauptstadt ihre Runden drehen oder zum Kampfeinsatz in den Nordlibanon weiterfliegen. Trotz der von Israel angekündigten 48-stündigen Bombardierungspause wurde weiterhin auf alles geschossen, was verdächtig gilt: Motorradfahrer, Kleintransporter mit Gemüse, Privatautos und LKWs. Wenn die Kampfjets verschwunden sind, fliegen unbemannte Drohnen über Beirut, surrend wie kleine Propellerflugzeuge. Im Mövenpick Hotel logieren TV-Teams aus aller Welt. Selbst am Abend tummeln sich Gäste am Swimmingpool. Vom achten Stock der Luxusherberge kann man im Mondlicht noch immer die dicken Rauchschwaden sehen, die von den Öltanks des Elektrizitätswerkes in Jyeh aufsteigen, das in den ersten Kriegstagen bombardiert wurde. Beständig treibt der Wind den schweren Rauch Richtung Beirut.