Neurotisch durch Parasiten?

Ein US-Wissenschaftler behauptet, dass der auch unter Menschen weit verbreitete Katzenparasit Toxoplasma das Verhalten von ganzen Bevölkerungsgruppen verändern kann

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Parasiten, die Mitesser, werden gerne in ihrem Vorkommen und vor allem in ihren Folgen unterschätzt. Sie gelten als sekundäre Lebensformen, allerdings könnte es ähnliche viele Parasiten geben wie andere Organismen (Abgespeckt), wobei selbst schon die Definition eines Parasiten Schwierigkeiten bereiten kann. Parasiten sind nicht nur ebenfalls wie ihre Wirte der Evolution und Ko-Evolution ausgesetzt, sie beeinflussen auch ihre Wirte und ganze Nahrungsketten – und sie schieben die Evolution an (Die Biologisierung des Sozialen). Vermutlich haben Parasiten auch daran mitgewirkt, dass das Leben durch die Bildung Endosymbionten komplexer wurde. Seitdem haben sie stetig für evolutionären Druck. Ein US-Wissenschaftler versucht nun zu zeigen, dass Parasiten, in diesem Fall der weltweit verbreitete Katzenparasit Toxoplasma gondii, nicht nur ihre eigentlichen Wirte verändern, sondern auch zu Verhaltens- oder Persönlichkeitsveränderungen bei Menschen oder gar ganzen Kulturen führen können.

Zyste des Einzellers Toxoplasma gondii im Gehirn. Bild: CDC

Toxoplasma gondii ist ein bei Säugetieren und Vögeln weit verbreiteter Parasit. Er kann sich zwar nur sexuell im Darm von Katzen fortpflanzen, asexuell aber auch in anderen Wirten, in die er oral in Form von Oozysten im Katzenkot gelangt. Dort kann er sich wie in Katzen auch im Gehirn oder in Muskeln durch Teilung vermehren und in Zysten teils über Jahre warten. Über die Aufnahme von rohem (oder nicht ausreichend gekochtem) Fleisch können Zysten auch neue Wirte wie den Menschen infizieren, wo sie allerdings nur selten gefährlich und meist nach der Infektion vom Immunsystem ohne auffällige Symptome gebändigt werden. In manchen Ländern ist die Mehrzahl der Menschen Zwischenwirt dieses Parasiten, die sich in Form von Zysten eingelagert haben. Weltweit soll die Hälfte der Menschheit von diesem Parasiten infiziert sein. Offenbar kapert der Parasit nach der Aufnahme in den Körper die dentritischen Zellen des Immunsystems, die hyperaktiv werden, den ganzen Körper durchwandern und die Parasiten über den ganzen Körper einschließlich des Gehirns verbreiten.

Bekannt ist, dass Toxoplasma bei Infektion während der Schwangerschaft zu Schäden bei den Kindern führen können. Tschechische Wissenschaftler haben bereits Ende der 90er Jahre behauptet, dass auch latente Infektionen durch den Katzenparasiten bei Menschen zu Veränderungen im Gehirn führen. Bei jungen Frauen sei eine Infektion mit einer höheren Intelligenz und stärkeren Schuldgefühlen korreliert. In einer anderen Untersuchung wollen sie herausgefunden haben, dass mit dem Parasiten infizierte Menschen ein höheres Risiko haben, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden, weil ihre Reaktionszeit verlängert ist. Sie gehen auch davon aus, dass sie unsicherer sind und eine geringere Neigung besitzen, nach Neuem zu suchen, was bereits bei Ratten beobachtet wurde (konstatiert wird auch ein möglicher Zusammenhang mit Schizophrenie). So seien infizierte Männer reflektierter, würden mehr Informationen vor einer Entscheidung verlangen und könnten nicht so leicht abgelenkt werden, während Frauen warmherziger und stärker nach außen orientiert seien. Abhängig war dies aber seltsamerweise auch von der Größe des Wohnorts. Auf dem Land oder in Dörfern scheint es im Gegensatz zu Städten keine Korrelation zu geben. Das mag aber auch daran liegen, dass hier die Signifikanz nicht groß genug ist, weil Toxoplasmosis in Städten weiter verbreitet ist.

Grund für den Zusammenhang zwischen Infektion und Suche nach Neuheit ist für die Wissenschaftler ein erhöhter Spiegel des Neurotransmitters Dopamin. Das sei aber keine Folge einer Manipulation der Wirte, sondern eine zufällige Begleiterscheinung der Parasiten, die sich im Gehirn ansiedeln. Allerdings ist bei den vermuteten Persönlichkeitsveränderungen immer auch die Frage, ob diese von den Parasiten verursacht sind oder eine höhere Infektion bei bestimmten Persönlichkeitstypen vorliegt.

Bei infizierten Mäusen wurde durch die Parasiteninfektion eine herabgesetzte motorische Leistung, eine Verminderung der Lern- und Gedächtnisfähigkeiten, höhere Aktivität, längere Reaktionszeiten und die Neigung festgestellt, weniger stark zwischen bekannten und unbekannten Umgebungen zu unterscheiden. Ratten hingegen sollen neben geringerer Lernfähigkeit auch weniger Angst vor Neuem und vor Jägern haben. Daraus wurde die These aufgestellt, auch wenn nicht alle Eigenschaften zu passen scheinen, dass der Parasit die Persönlichkeit des Zwischenwirts so verändert, dass er leichter von Katzen gefangen und gefressen wird, wodurch er seine Reproduktion sichert. Nur in Katzen kann der Parasit sich sexuell vermehren. Aufgefallen war bei Ratten, die mit Toxoplasma infiziert waren, dass sie im Gegensatz zu gesunden Ratten nicht Stellen ausweichen, an denen im Experiment der Duft von Katzen angebracht wurde. Wissenschaftler der Stanford University beobachteten schließlich, dass infizierte Ratten und Mäuse gar von Katzengeruch angezogen werden.

Oozyste von Toxoplasma. Bild: CDC

Kevin Lafferty von der University of California – Santa Barbara vertritt nun in einem Artikel, der in den Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences erschienen ist (doi: 10.1098/rspb.2006.3641), die These, dass der Parasit nicht nur das Verhalten von einzelnen Menschen, sondern je nach Verbreitung auch das von ganzen Gesellschaften beeinflussen kann. Auch wenn Menschen nicht von Katzen gefressen werden, könnten die vom Parasiten im Gehirn ausgelösten Verhaltensänderungen natürlich auch bei diesen auftreten, wenn ähnliche Mechanismen vorliegen, die etwa zur erhöhten Ausschüttung von Dopamin führen.

Lafferty zog, ausgehend von den Ergebnissen der tschechischen Forscher, Daten über die Infektion der Bevölkerung von 39 Ländern heran, um zu überprüfen, ob der Parasit dort, wo er sehr verbreitet ist, auch die Kultur der Menschen beeinflusst. Während in manchen Ländern unter 10 Prozent der Menschen (z.B. Südkorea: 4,3%) infiziert sind, tragen in anderen Ländern 60 Prozent und mehr den Parasiten in sich. In Frankreich sollen, wie andere Untersuchungen ergeben haben, gar 90 Prozent der Menschen Toxoplasma-Wirte sein. Die geografische Verbreitung hängt beispielsweise aber davon ab, wie das Klima das Überleben des Parasiten im Boden begünstigt, wie Essen in einer Kultur zubereitet wird und ob es viele Katzen als Haustiere gibt. Nach Lafferty weisen Kulturen mit einem hohen Anteil an Toxoplasma-Zwischenwirten bei Persönlichkeitstests auch einen höheren Grad an Neurotizismus auf, beispielsweise eine Neigung zu Schuldgefühlen. Bewohner von westlichen Ländern mit einer hohen Infektionsrate würden so „neurotischer“ sein, was die männlichen Sexualitätsrolle und die Risikobereitschaft betrifft. Die Menschen würden dann eher an sozialen Regeln festhalten und Risiken vermeiden. Das trifft offenbar auf asiatische Länder in geringerem Maße zu.

Wenn die statistischen Analysen zutreffen sollten und es sich im Hinblick auf die Parasiteninfektion um eine „Massenpersönlichkeitsveränderung“, wie Lafferty vermutet, handeln sollte, dann liegt freilich zunächst nur eine Korrelation vor, die auch zufällig oder von vielen anderen Faktoren bedingt sein könnte. Toxoplasmosis sei, so Lafferty, „einer von vielen Faktoren, der die Persönlichkeit und die Kultur beeinflussen kann“. Unterschiedliche Reaktionen auf den Parasitenbefall könnten zu unterschiedlichen kulturellen Folgen führen und würden so zur kulturellen Vielfalt beitragen. Auf der anderen Seite könnte, falls die These zutrifft, eine Bekämpfung des Parasiten auch wieder zu Verhaltensänderungen im großen Stil führen. Und natürlich steht die interessante Frage im Hintergrund, inwieweit Parasiten an der Formung der Persönlichkeit von einzelnen Menschen und der Kultur von Populationen beteiligt sind.