Wie würde ich handeln, wenn ich israelischer Premierminister wäre?

Neue Computerspiele orientieren sich am aktuellen politischen Geschehen

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Blind drauflosballern ist nicht mehr angesagt, zumindest wenn es nach einer neuen Generation von Spieleherstellern geht. Das „ernsthafte“ Computerspiel wird als Bildungsmedium entdeckt, um über politische Prozesse aufzuklären oder um über die Arbeit von Hilfsorganisationen zu informieren. Mit Hilfe von Computerspielen sollen aber auch gezielt politische Meinungen vermittelt werden.

Screenshot aus Peacemaker

Wie würde ich handeln, wenn ich israelischer Premierminister wäre? Diese Frage kann sich stellen, wer das Computerspiel Peacemaker spielt. Im Laufe des Spiels kann sich der Premier von einem mittelmäßigen Regierungschef in einen Kriegsverbrecher oder einen Nobelpreisträger verwandeln, je nachdem, welche politischen Entscheidungen der Spieler trifft. Obwohl das Ziel des Spiels ein dauerhafter Frieden in der Region ist, kann man in der Rolle des Premiers durchaus zu militärischen Mitteln greifen. Ebenso lässt sich das Spiel in der Rolle des palästinensischen Präsidenten spielen, auch hier sind diplomatische Verhandlungen als auch gewaltsame Aktionen möglich.

„Peacemaker“ ist ein Spiel, das Menschen in aller Welt, vor allem aber in Israel, den palästinensischen Gebieten und den arabischen Nachbarländern, den Konflikt im Nahen Osten verständlicher machen soll. Dabei soll jeweils Verständnis für die andere Perspektive geweckt werden. Eine spezielle Zielgruppe gibt es nicht. „Wir haben das Spiel von sehr vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen testen lassen, auch von sehr viel älteren, als vom traditionellen Spielemarkt angesprochen werden“, berichtet Asi Burak, einer der Initiatoren von „Peacemaker“.

Die ursprüngliche Idee zu dem Spiel stammt von einer Gruppe Studenten der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh. Bei der Entwicklung des Spiels holten sie sich Hilfe zahlreicher Experten in den USA, Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten. Asi Burak und Eric Brown arbeiten nun mit ihrer Firma ImpactGames an einer kommerziellen Version des Friedensspiels, die noch dieses Jahr erscheinen soll. Bei der Entwicklung würden immer wieder aktuelle politische Ereignisse einfließen, so Burak.

Den derzeitigen Krieg im Libanon werden künftige Spieler allerdings nicht wieder finden, da sich „Peacemaker“ auf den Israel-Palästina-Konflikt beschränkt. Insgesamt erhebt „Peacemaker“ aber nicht den Anspruch, den Konflikt in seinen gesamten Facetten abbilden zu können. „Wir geben nicht alle Antworten, wir wollen nur zum Nachdenken anregen“, so Asi Burak.

Screenshot aus Peacemaker

„Peacemaker“ repräsentiert wie auch das von der UN entwickelte Food Force eine neue Generation von Computerspielen, die sich mehr und mehr an der politischen Realität orientieren und Bildungsziele verfolgen. So klärt Food Force über die Funktion des Welternährungsprogramms der UN auf (Humanitäre Hilfe als Computerspiel?). Seit seiner Veröffentlichung im letzten Jahr wurde das Spiel über vier Millionen Mal kostenlos heruntergeladen.

In ähnlicher Weise auf die humanitäre Notlage von Menschen hinweisen soll Darfur is Dying. Hier muss der Spieler in der Rolle eines sudanesischen Flüchtlings – zur Auswahl stehen Charaktere von zehn bis 30 Jahren – ein Flüchtlingscamp mit Wasser versorgen. Die hauptsächliche Aufgabe besteht dabei darin, sich nicht von den Janjaweed-Milizen entführen zu lassen. Besonders trügerisch ist dabei die Funktion „verstecken“, denn obwohl der Computer meldet, man sei nun versteckt, wird man dennoch von den Fahrern der Geländewagen verschleppt. „Darfur is Dying“ wird online gespielt und wurde vom Universitätskanal des Musiksenders MTV veröffentlicht. Das Spiel erlaubt wegen seines einfachen Aufbaus aber nur eine sehr beschränkte Sichtweise auf den Konflikt. Die Spielfiguren sind auf die Rolle des vor den Milizen fliehenden Opfers beschränkt.

Screenshot aus A Force More Powerful

Sehr viel komplexere politische Szenarien bietet A Force More Powerful, nach eigener Beschreibung ein „gewaltloses Strategiespiel“. Der Spielende schlüpft in die Reihe einer Führungsfigur einer politischen Bewegung und muss komplexe Entscheidungen treffen, in der politische, ökonomische, ethnische und religiöse Faktoren eine Rolle spielen. Die Szenarien sind fiktiv, beruhen aber laut den Spielentwicklern vom International Center on Nonviolent Conflict und York Zimmerman auf realen politischen Ereignissen in der jüngsten Geschichte. Es geht um Arbeitsrechte, die Rechte von Frauen oder generell um den Widerstand gegen ein totalitäres Regime. „Das Spiel ist für jeden, der es benutzen möchte. Wir hatten ein großes Interesse von Seiten von Schulen, aber auch von Gemeinde- und Aktivistengruppen“, so Miriam Zimmerman. Seit der Veröffentlichung des Spiels im März wurden etwa 5000 Kopien verkauft.

Screenshot aus America’s Army

Ernsthafte Computerspiele müssen aber nicht unbedingt politisch korrekter sein als rein fiktive Egoshooter-Szenarien. Der US-amerikanischen Serious Games Initiative geht es um den Gebrauch von Computerspielen in Erziehung, Ausbildung, Gesundheit und Politik. Das Computerspiel fungiert als Mittel, sich in politische Rollen zu versetzen. Dabei können diese Rollen positiv wie negativ besetzt werden. Interessanterweise ging es bei einem der ersten „ernsthaften“ Computerspiele durchaus um den Gebrauch von Waffen. 1999 hatte der General der US-Army Casey Wardynski die Idee zu America’s Army, einem Spiel, bei dem verschiedene Trainingssituationen der US-Armee durchlaufen werden. „America’s Army“ wird bewusst als Rekrutierungsinstrument eingesetzt. „Der Erfolg der Armee, vielversprechende junge Erwachsene anzuziehen, ist für die weltbeste Bodenstreitmacht überlebenswichtig“, erklärt Casey Wardynski im Internetauftritt von America’s Army.

Ben Sawyer, stellvertretender Direktor der „Serious Games Initiative“ entwickelte mit seiner Firma Digitalmill sowohl Spiele für Wahlkampagnen der Demokratischen als auch der Republikanischen Partei und beweist damit, dass Spiele als Instrument jeder politischen Gruppe genutzt werden können. Ein „ernsthaftes“ Computerspiel entlastet die Spielenden daher noch lange nicht davon, den Inhalt kritisch unter die Lupe zu nehmen.