Hisbollah-Souvenirs aus Damaskus

Damaskus steht seit Beginn der Bombardierung des Libanons am 13. Juli im Kriegsfieber und verheimlicht nicht, wem die Sympathien gelten.

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Im Souk von Al-Hamidiyeh, der Touristenattraktion im Zentrum von Damaskus, hängen große Banderolen, die in Englisch, Französisch und Arabisch den Sieg des „libanesischen Widerstands“ gegen die „Imperialisten aus Israel und den USA“ beschwören. Die kleinen, gelben Taxis fahren mit wehenden Hisbollah-Fahnen, Geschäfte und Restaurants sind mit Postern von Hassan Nasrallah geschmückt. In öffentlichen Gebäuden hängt das Bild des Hisbollah-Generalsekretärs sogar Seite an Seite mit Baschir Assad, dem syrischen Staatspräsidenten.

In Damaskus ist deutlich, dass es Nasrallah und die Hisbollah sind, denen die Sympathie der Menschen gilt. Ein Verdienst, das ausnahmsweise nicht der staatlichen Propagandamaschine des sozialistischen Baath-Regimes anzulasten ist, sondern den TV-Bildern der arabischen Nachrichtensender „Al Jazeera“, „Al Arabia“, aber auch dem Hisbollah-Kanal „Al Manar“. In der syrischen Hauptstadt sind sie dieser Tage allgegenwärtig. Selbst in den Souvenirläden der Altstadt, die mit orientalischem Kitsch voll gestopft sind, laufen die Nachrichtenprogramme nonstop.

„Die toten Kinder von Kana sprechen doch Bände“, sagt Mohammed Atassi, der Verkäufer eines dieser Geschäfte, die sich in der Nähe der Omajaden-Moschee endlos aneinanderreihen. „Da muss man nicht viel überlegen, was Recht und Unrecht ist“, fügt er in gebrochenem Englisch an und dreht den kleinen Schwarzweißfernseher lauter, der zwischen einem Stapel von Tischdecken und Schals untergebracht ist. „Sehen Sie, zu den libanesischen Opfern sind nun auch syrische gekommen.“ „Al Manar“ berichtet wieder einmal über die 28 syrischen Erntehelfer, die in der libanesischen Stadt Kaa während der Mittagspause von israelischen Raketen überrascht und getötet wurden. „Da hat es die Ärmsten der Armen unserer Landsleute getroffen. Das muss einen doch zornig machen“, sagt Mohammed in einem bitteren Tonfall.

An einem der vielen T-Shirt-Stände im Souk betrachtet man die Toten von Kaa jedoch weniger moralisch. „Kaa hat das Geschäft deutlich angekurbelt“, meint der Verkäufer, der gerade einen Kunden abwimmelte, der einen Mengenrabatt für fünf gelbe T-Shirts mit Hisbollah-Emblem haben wollte. „200 syrische Pfund, genau vier Dollar, kostet das Stück und darin wird nicht gerüttelt“, bekräftigt er mit einem Gesichtsausdruck, der keinen Zweifel an seiner Standfestigkeit zulässt. Er kann es sich offensichtlich leisten, sein Verkaufstisch ist umringt. „Touristen aus Jordanien, Ägypten, aber auch aus den arabischen Emiraten wollen ein Hisbollah-Souvenir mit Nachhause nehmen“. Besonders einträglich seien jedoch die Iranern, die nach Damaskus das ganze Jahr über auf Pilgerfahrt kommen.

Zur Mittagszeit ruft der Imam der Omajaden-Moschee aus krachenden Lautsprechern zum Gebet. Eine Gruppe von Frauen, alle von Kopf bis Fuß schwarz verschleiert, wird von einem Geistlichen angeführt, dessen schwarzer Turban einen direkten Nachfahren des Propheten Mohammeds signalisiert. Der bärtige Mann hält eine Hisbollah-Flagge und überquert allen voran den marmorausgelegten prächtigen Innenhof. Die Gruppe aus dem Iran marschiert jedoch nicht in die große Gebetshalle der Moschee, die mit unzähligen Teppichen ausgelegt ist und in der zahlreiche Gläubige versammelt sind.

Das Ziel der Pilger ist ein kleiner, eher unscheinbarer Seitenflügel. Dort befindet sich ein Schrein, in dem der Kopf von Imam Hussein liegen soll. Für Schiiten ein Heiligtum, zu dem Jahr für Jahr Zehntausende Schiiten anreisen. Iman Hussein kam vor etwa 1300 Jahren bei der Schlacht im heute irakischen Kerbala ums Leben, als er gegen omajadische Truppen für die Erbnachfolge der Abkömmlinge des Propheten Mohammeds kämpfte. Laut schiitischer Legende soll Hussein mit nur 72 Mitstreitern gegen eine Übermacht von 15.000 Mann angetreten sein. Ayatollah Khomeini hat diesen Mythos, der die Spaltung von Sunniten und Schiiten begründete, während seiner diktatorischen Regentschaft infolge der iranischen Revolution 1979 neu belebt. Imam Hussein wurde zum beispielhaften Märtyrer stilisiert, der sein Leben in aussichtsloser Situation für eine gute, gerechte Sache opferte. Sein Tod lastet bis heute als eine Art Erbschuld auf allen Schiiten, die bei den alljährlichen Ashoura-Prozessionen daran gedenken. Im Libanon gibt es davon eine „blutige Version“. In der Stadt Nabathieh, die in den letzten Tagen von der israelischen Luftwaffe mehrfach schwer bombardiert wurde, ritzen sich jedes Jahr Tausende von Menschen die Kopfhaut auf und ziehen blutüberströmt durch den Ort (Blutiges Spektakel in Erinnerung an den vorbildlichen Opfertod).

„Die einen lieben das Leben, die anderen den Tod“

Die schwarz verschleierten Frauen in Damaskus brechen vor dem Schrein Imam Husseins in Tränen aus, Männer seufzen tief vor Schmerz. Ein Vater steckt den Kopf seiner Tochter in eine mit Silber ausgeschlagene Nische, was ihr eine verheißungsvolle Zukunft bescheren soll. Durch die Pilgerschaft bekennen die Menschen hier ihre historische Schuld, beten aber gleichzeitig für ganz persönliche Anliegen. Ein Ausweg aus der Erbschuld ist der Märtyrertod, für den man, wie einst Imam Hussein, einen Platz im Paradies bekommt. Im Irak-Krieg (1980-1988) schickte Iman Khomeini Märtyrer- Frauen und -Kinder in die gegnerischen Minenfelder. In Teheran liegen sie auf dem Märtyrer-Friedhof Beheshte Zahra mit insgesamt 70.000 anderen. Im Libanon kämpfen seit über drei Wochen etwa 2500 Hisbollah-Kämpfer gegen eine Übermacht von rund 7000 israelischen Soldaten. Den Erfolg der Milizionäre erklären sich Militärexperten nicht alleine aus der Guerillataktik, sondern mit der fehlenden Angst vor dem Tod und dem Wunsch, endlich ins Paradies einzugehen. Die bekannte libanesische Publizistin Iman Humaian Junis nennt es einen „Clash der Ideologien“, der sich im Krieg zwischen Hisbollah und Israel offenbart. „Die einen lieben das Leben, die anderen den Tod.“

Vor einem der Eingänge der Omajaden-Moschee in Damaskus verkauft ein junger Kerl im Nasrallah-T-Shirt Fruchtsäfte. Mit einem rostigen Messer hobelt er schwitzend unter einem zerschlissenen Sonnenschirm in der Mittagshitze kleine Stücke aus einem großen Eisblock. Sein improvisierter Stand wackelt, als er sie mit kräftigen Schlägen zerstampft, sie mit Erdbeeren und Himbeeren zu einem kalten, erfrischenden Mus vermischt. Der vielleicht gerade 18-Jährige hat wenig Interesse am schiitischen Märtyrermythos, nicht alleine, weil er Sunnit ist. Hassan Nasrallah ist für ihn und viele in Syrien, wie auch in anderen Ländern der arabischen Welt, ganz einfach ein Held, bei dem Religionszugehörigkeit keine Rolle spielt. Ein Held, der nicht nur im Kino oder im Fernsehen existiert, sondern ganz real.

Dabei ist es völlig egal, ob die ganze restliche Welt Hisbollah für eine Bande von menschenverachtenden, antisemitischen Terroristen hält. Hassan Nasrallah ist für ihn einer der wenigen politischen Führer, der Worten auch Taten folgen lässt und den Arabern nach all den militärischen und moralischen Niederlagen der letzten 50 Jahren gegen Israel ein Stück Würde wieder gibt. Nicht umsonst demonstrierten die Menschen in Syrien, Ägypten, Pakistan oder auch in Marokko für Nasrallah und seine Hisbollah.

„Er ist ein bisschen wie Abdel Nassar, der legendäre ägyptische Staatspräsident der 1950er und 1960er Jahre“, meint Hassan Daoud, der libanesische Journalist der Hariri-Zeitung „Al Mustqbal“. Eigentlich hat er als eingeschworener Demokrat nichts mit Nasrallah gemeinsam und plädiert auch für eine uneingeschränkte Entwaffnung der Hisbollah. „Leider hat Israel Nasrallah zum Helden gemacht.. In der syrischen Hauptstadt Damaskus ist dies nur allzu leicht abzulesen, bei all den Hisbollah-Flaggen und -Postern, die an jeder Ecke zu finden sind. In manchen Geschäften gibt es sogar Schlüsselanhänger und kleine Aufkleber für das Handy.

Der junge Fruchtsaftverkäufer vor dem Eingang zur Oamjaden-Moschee zeigt strahlend auf das Bild von Nasrallah auf seiner Brust und hebt die Faust mit dem Daumen nach oben. Die vielen, dunklen Erdbeerflecken auf dem T-Shirt scheinen ihn dabei wenig zu stören.