Große Worte - wenig Frontex

Der EU-Einsatz zur Abwehr der Flüchtlinge vor den Kanarischen Inseln verzögert sich weiter, 2006 wurden bislang 25.000 Flüchtlinge registriert

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Schon vor Monaten hatte die EU der spanischen Regierung Unterstützung zur Abwehr der Flüchtlinge und Einwanderer zugesagt, die sich auf den Weg von Westafrika auf die Kanarischen Inseln machen. Doch weiter ist unklar, wann der Einsatz von der EU-Grenzschutzbehörde Frontex beginnt. Die Situation auf den Urlaubsinseln gestaltet sich kafkaesk. Touristen leisten völlig erschöpften Menschen an Stränden erste Hilfe und sehen sich bisweilen auch Leichen gegenüber. Spanien will nun auch Menschen aus Drittstaaten nach Marokko abschieben.

Ein neuer Tag, ein neuer Rekord. Gestern ist vor der Insel El Hierro ein Boot aufgetaucht, das gleich 172 Menschen aus Westafrika auf die Kanarischen Inseln transportierte. Das Boot ist mit etwa 30 Metern Länge wesentlich größer als die sonst üblichen „Cayucos“ und auch nicht nur aus Holz gebaut, sondern wurde mit Glasfasermatten verstärkt, um den langen Weg aus dem Senegal gut zu überstehen, von wo aus die meisten Boote nun starten. Die Insassen des Boots haben erklärt, sie seien vor 12 Tagen im Senegal gestartet und hätten damit mehr als 1000 Kilometer zurückgelegt. Dieser Weg ist mit großen Risiken verbunden, schon der kürzere Weg aus Mauretanien führte im Winter und im Frühjahr zu einem Massensterben vor den Kanarischen Inseln.

Unklar ist weiter, wie viele Menschen bei der Überfahrt schon das Leben verloren haben. In den letzten 14 Tagen wurden auf den Kanaren insgesamt 12 Immigranten geborgen, die Teneriffa, Gran Canaria und La Gomera nur noch tot erreicht haben. In der letzten Woche wurden aber allein 28 ertrunkene Menschen an der Küste der Westsahara gefunden, die Marokko besetzt hält..

Klar ist nun, dass die Abschottung früherer Wege über Marokko zu der gefährlichen Verlagerung geführt hat. Statt über die Meerenge von Gibraltar oder über den Landweg in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, starten viele Menschen nun direkt von Westafrika aus. Die Zahlen machen das deutlich. Im laufenden Jahr sind dreimal so viele Flüchtlinge auf den Kanarischen Inseln angekommen als im gesamten Vorjahr. Insgesamt hat sich die Zahl derer verdoppelt, die versuchen in Booten auf spanische Inseln oder an die Südküste zu gelangen. Fast 25.000 Menschen sind 2006 registriert worden.

Doch die seit Monaten angekündigten EU-Patrouillen per Schiff- und Luftüberwachung zur Abwehr afrikanischer Bootsflüchtlinge verzögern sich weiter. Geplant sind dafür vier Schiffe, ein Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug. Langfristig will Spanien sogar Satelliten und Drohnen einsetzen, um Flüchtlingsboote kurz nach der Abfahrt abfangen und die Menschen schnell wieder nach Mauretanien, Senegal und auf die Kapverdischen Inseln zurückbringen zu können.

Weiterhin Probleme mit Abschiebung und Rückführung

Als neueste Erklärung für die Verzögerung gibt die EU-Grenzschutzbehörde an, zunächst müssten im Budget von Frontex 3,4 Millionen Euro umgeschichtet werden. Zudem sei noch immer unklar, ob der Senegal den europäischen Grenzschützern die Überwachung seiner Hoheitsgewässer gestatte. Wegen merkwürdiger Vorgänge bei den Schnellabschiebungen waren diese kürzlich auch schnell wieder ausgesetzt worden. Allerdings, so Frontex, sei die Wirksamkeit der Patrouillen vor der westafrikanischen Küste aber auch vom Einsatz vor der senegalesischen Küste abhängig. Wann Frontex vor der westafrikanischen Küste zum Einsatz kommt, ist also weiter unklar. Der Präsident von Teneriffa, Ricardo Melchior, wird am kommenden Mittwoch in der spanischen Hauptstadt Madrid von der sozialistischen Regierung Erklärungen für den sich weiter verzögernden Frontex Einsatz fordern.

Der Einsatz soll zunächst nur bis Ende September befristet sein, weil Brüssel davon ausgehe, dass eine raue See im Herbst und Winter die Überfahrt von Flüchtlingsbooten erschwert. Ozeanographen weisen nach Angaben der Zeitung El País aber darauf hin, dass die EU dabei von falschen Prämissen ausgehe. Im Atlantik vor der Küste Westafrikas herrschten vor allem im Sommer oft starke Winde, die im November abflauten. Deshalb geht man in Madrid sogar davon aus, dass die Zahl der Boote im Oktober weiter zunehmen wird. Die vielen Toten bei der Überfahrt aus Mauretanien haben zudem gezeigt, dass sich die Menschen auch von schlechter See nicht abhalten lassen.

Spanien sucht derweil mit allen Mitteln nach Wegen, um auch die Menschen loszuwerden, deren Abschiebung bisher blockiert ist, weil mit den Heimatländern keine Rücknahmeabkommen bestehen. Die Vizeministerpräsidentin María Teresa Fernández de la Vega hat am Wochenanfang mit der marokkanischen Regierung über die Rückgabe von Drittstaatlern verhandelt. Marokko habe sich verpflichtet, die Möglichkeit für ein neues Rücknahmeabkommen zu untersuchen, das über die Rücknahme eigener Staatsbürger hinausgehe. Das bestehende Abkommen von 1992 „funktioniert annehmbar gut”, versuchte De la Vega den Gastgebern in Rabat Honig um den Mund zu schmieren. Tatsächlich funktioniert auch dieses Abkommen nur schlecht. Meist weigert sich Marokko, bis auf wenige propagandistische Ausnahmen, sogar eigene Staatsbürger anzunehmen und lässt sich das mitunter gut bezahlen. Noch immer warten 4000 Minderjährige in Spanien auf die Rückführung nach Marokko.

Interessant ist, wie Spanien erneut seine Argumentation anpasst. Im letzten Herbst hatte sich das Land zunächst voll hinter Marokko gestellt, das Flüchtlinge zum Teil ohne Wasser und Lebensmittel mitten in der Wüste, zum Teil in vermintem Gelände absetzte. Im Frühjahr wurde dann der Aufbau von spanischen Lagern in Mauretanien damit begründet, man wolle verhindern, dass Menschen schlicht in die Wüste abgeschoben werden. Doch auch mit Mauretanien war Spanien nachsichtig, Garantien wurden nicht gefordert und die von den Kanaren per Schnellabschiebung deportierten Menschen kamen in dem eigens für sie gebauten Lager nie an. Auch bei den Verhandlungen mit Marokko geht es nicht um Menschenrechtsgarantien und Menschenrechtsstandards für die abzuschiebenden Flüchtlinge. De la Vega erinnerte Marokko vielmehr an die Bemühungen Madrids, um für das Land in der EU eine Sonderbehandlung durchzusetzen. Es scheint Spanien weiterhin egal zu sein, ob Rabat die Abgeschobenen dann wieder im Niemandsland ablädt.