Skepsis über die Umsetzbarkeit

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat eine Resolution zum Libanon-Krieg verabschiedet. Ob sie kurzfristig etwas verändern wird, ist fraglich, erst einmal wird heftiger denn je gekämpft

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15.000 Blauhelme wollen die Vereinten Nationen in den Süden des Libanon verlegen; in wenigen Wochen könnte es soweit sein. Mindestens zehn Tage sollen die Waffen zuvor ruhen. Doch bis dahin gehen die Kampfhandlungen mit unverminderter Schwere weiter: Am Samstag weitete die israelische Armee ihre Bodenoffensive aus; Truppen rückten in Richtung des 20 Kilometer von der Grenze entfernt verlaufenden Litani-Flusses vor. Außerdem wurden weiterhin Luftangriffe auf Ziele überall im Zedernstaat geflogen, während Kämpfer der Hisbollah auch am Wochenende nahezu unvermindert Katjuscha-Raketen auf den Norden Israels abfeuerte: Allein in der Großstadt Haifa schlugen seit Donnerstag mindestens 30 Raketen ein. Dementsprechend steigt auch die Zahl der Todesopfer auf beiden Seiten weiter.

Die Reaktionen auf UN-Resolution 1701 sind verhalten optimistisch: Hatte Israels Regierung einen Waffenstillstand direkt vor der Abstimmung im Sicherheitsrat noch abgelehnt, begrüßt sie die Resolution mittlerweile vorsichtig, kritisiert aber, dass die beiden Soldaten, die Anfang Juli nach einem Überfall auf einen Armeeposten an der israelischen Nordgrenze von Kämpfern der Hisbollah in den Süd-Libanon verschleppt worden waren, nur im Vorwort der Resolution erwähnt werden. . Am Sonntag kündigte die israelische Regierung aber an, demnächst über die Freilassung der Beiden verhandeln zu wollen. Scheich Hassan Nasrallah, Anführer der Hisbollah, erklärte derweil, man akzeptiere die UN-Resolution, fügte aber hinzu man werde so lange weiter kämpfen, bis der letzte Soldat von libanesischem Boden abgezogen sei. Den Beschuss Israels mit Raketen würde man einstellen, wenn Israel die Luftangriffe beendet. Selbst im UN-Sicherheitsrat glaubt so gut wie niemand an ein baldiges Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen. Die „harte Arbeit der Diplomaten“ beginne erst, sagte US-Außenministerin Condoleeza Rice.

Resolution 1701 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ruft die Hisbollah dazu auf, sämtliche Angriffe sofort einzustellen und fordert von Israel den umgehenden Verzicht auf alle „offensiven militärischen Operationen.“ Nach dem Eintreten des Waffenstillstandes solle die libanesische Regierung, mit Unterstützung durch eine auf 15.000 Soldaten aufgestockte UNIFIL-Truppe, Armeekontingente in den Süden des Landes verlegen. Im Zedernstaat soll niemand mehr ohne die ausdrückliche Zustimmung der Regierung eine Waffe besitzen dürfen; sämtliche Milizen seien zu entwaffnen. Das Gebiet zwischen Litani-Fluss und israelisch-libanesischer Grenze soll, bis auf die mit den Vereinten Nationen vereinbarten libanesischen Truppen und die UNIFIL-Soldaten, vollständig entmilitarisiert werden. Anders als bisher werden die UNIFIL-Angehörigen künftig weitreichende Befugnisse haben: Sie sollen den libanesischen Soldaten dabei helfen, die Kontrolle über den Süden zu übernehmen, humanitäre Hilfe leisten und dürfen dafür, falls nötig, auch zu „sämtlichen Mitteln greifen, die sie für notwendig halten“.

Dennoch ist der Nahe Osten auch kurz vor Beginn von Woche fünf des Libanon-Krieges ziemlich weit von einem Frieden entfernt: Zwar begrüßten die Regierungen Libanons und Israels die Resolution am Samstag, äußerten aber auch Skepsis über die Umsetzbarkeit des Ganzen: „Es ist ein schöner Traum, dass die Hisbollah ihre Waffen niederlegen wird,“ sagte ein Mitarbeiter des israelischen Verteidigungsministeriums: „Ich kann nur keinen Grund sehen, warum sie das tun wollen würde – immerhin würde das doch bedeuten, dass sie den Krieg verloren hat.“ Auch Mitarbeiter der libanesischen Regierung zweifelten an der Machbarkeit von Entwaffnungen, entmilitarisierten Zonen und Grenzsicherungen: „Wir sind mit dieser Resolution einen guten Schritt weiter. Aber selbst mit Unterstützung aus dem Ausland wird es sehr schwierig werden, sie umzusetzen“, heißt es aus Beirut.

Das Problem der Scheba'a-Farmen ist weiterhin ungelöst

Die schlimmste Befürchtung dort: Eine weitere Destabilisierung des Libanon, vielleicht sogar ein neuer Bürgerkrieg. Denn die Hisbollah, die sich schon vor dem Krieg durch soziale und spirituelle Arbeit eine große Basis im Zedernstaat geschaffen hatte, hat es geschafft, sich im Laufe des Krieges als wahre Verteidigerin des Libanon und gleichzeitig als Fürsprecherin des palästinensischen Volkes darzustellen, und die eigenen Verbindungen zu Syrien und dem Iran in den Köpfen der Menschen in den Hintergrund rücken zu lassen. „Es ist üblich, dass sich das Volk in Zeiten des Krieges vereinigt, und dies ist auch diesmal geschehen“, sagt der libanesische Journalist Ahmad Kassir: „Das Problem dabei ist allerdings, dass sich viele nicht hinter die Regierung, sondern die Hisbollah gestellt haben, die dadurch eine neue Legitimität als Verteidigungsmacht des Libanon erhalten hat. Die Schritte der internationalen Gemeinschaft und der libanesischen Regierung kommen zu spät.“

Denn die Organisation scheint fest dazu entschlossen zu sein, ihre eigenen Wege zu gehen: Zwar erklärte Scheich Hassan Nasrallah, Anführer der Hisbollah, in einer Fernsehansprache am Samstag Abend, seine Organisation akzeptiere die Entscheidung des UNO-Sicherheitsrates, nachdem er noch in der vergangenen Woche eine internationale Friedenstruppe abgelehnt hatte, weil unklar sei, unter welchem Kommando sie stehen werde. So gehen Beobachter davon aus, dass es sich bei der Erklärung am Samstag um einen diplomatischen Winkelzug handelt.

Der Knackpunkt ist, wie schon vor viereinhalb Wochen, als die Hisbollah einen israelischen Armeeposten jenseits der Grenze überfiel und zwei Soldaten in den Libanon verschleppte, jener kleine, gerade 12 mal 2,5 Kilometer breite Landstrich, der weltweit als „Scheba'a-Farmen“ bekannt ist: Die Vereinten Nationen, die nach dem israelischen Abzug aus dem Süd-Libanon im Sommer 2000 die Grenze festlegten, gehen davon aus, dass es sich dabei um Land handelt, dass 1967 von Syrien besetzt wurde. Die Hisbollah behauptet dennoch, dass die Scheba'a-Farmen libanesisch sind und beruft sich dabei auf eine militärische Landkarte, die einzige von mehr als 90, die die UN-Mitarbeiter damals begutachtet hatten, auf der die Farmen als Teil des Libanon eingezeichnet sind. Die Karte, die angeblich aus dem Jahr 1966 stammt, stellte sich später als Fälschung jüngeren Datums heraus.

So betrachten Beobachter es als einen „großen Fehler“ (die israelische Zeitung Jedioth Ahronoth), dass die Autoren der Resolution auf eine klare Stellungnahme zu den Scheba'a-Farmen verzichtet, und das Thema lieber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben haben: „Natürlich war dies der einfachere Weg“, sagt Uri Goldberg vom israelischen Armeerundfunk: „Aber man muss der Hisbollah nicht nur die Waffen, sondern auch die Legitimation wegnehmen. Und dies kann nur geschehen, wenn man das Problem der Scheba'a-Farmen löst: Jeder ist sich bewusst, dass sie nicht auf Ewigkeit zu Israel gehören werden, aber um sie zurück zu geben, muss man wissen, an wen – den Libanon? Syrien?“

Denn auch Syrien macht, mal mehr, mal weniger intensiv, Ansprüche auf das Land geltend - „je nachdem, wie es gerade genehm ist“, klagt ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen. Zeitweise sah es vor einigen Monaten danach aus, als käme Bewegung in die Sache: Syriens Regierung bezeichnete die Farmen plötzlich als Teil Libanons, weigerte sich aber, die Abtretung des Besitzanspruches, wie von den Vereinten Nationen gefordert, in einem Schriftwechsel an die libanesische Regierung für alle Zeiten festzuschreiben. „Das war damals offensichtlich ein diplomatischer Schachzug, um nach der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri und den darauf folgenden Massenprotesten den außenpolitischen Druck ein bisschen zu mildern“, sagt der UN-Mitarbeiter.

Dennoch gibt sich die internationale Gemeinschaft optimistisch, warnt aber auch vor übertriebener Euphorie: Die „harte Arbeit der Diplomaten“ beginne erst, sagt die US-Außenministerin Condoleeza Rice nach der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Freitagabend (Ortszeit). Es sei unrealistisch, von einem sofortigen Ende der „Feindseligkeiten“ auszugehen: „Dies ist ein erster Schritt, aber es ist ein guter Schritt.“ Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier lobte die Resolution derweil als „politische Grundlage für ein Schweigen der Waffen“.

Doch zunächst einmal müssen am Sonntagmorgen die Regierungen des Libanon und Israels die Resolution abnicken – ein Schritt, der vermutlich keine Probleme verursachen wird: Sowohl der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert als auch sein libanesischer Amtskollege Fuad Siniora haben ihren Kabinetten empfohlen, dem Dokument zuzustimmen.

Das israelische Militär hat derweil am Samstag in Erwartung eines Waffenstillstandes seine Bodenoffensive massiv ausgeweitet: Die Soldaten sollen nun so viele Hisbollah-Hochburgen wie möglich besetzen. Militärexperten gehen davon aus, dass es Blauhelmen und libanesischen Truppen damit einfacher gemacht werden soll, diese Orte zu übernehmen: „Strategisch macht das Sinn“, sagt der militärische Analyst Joel Ben-Ami vom Fernsehsender Kanal Zwei, „auf diese Weise ist das Risiko geringer, dass die Truppenverlegung in den Süden zum Debakel wird, denn daran kann auch Israel kein Interesse haben.“ Am Samstag alleine starben 24 israelische Soldaten in den Kämpfen, Dutzende wurden verletzt. Die Luftwaffe bombardierte Ziele in mehr als 50 Städten und Dörfern im Libanon, wobei auch wieder Zivilisten getötet wurden. Tyrus und Sidon sind durch Bombardierungen von Strom abgeschnitten. Die ersten israelischen Truppen haben angeblich den Litani-Fluss erreicht. Auch die Hisbollah soll schwere Verluste erlitten haben. Eine Rakete, die in Nordisrael in ein Haus am Sonntag einschlug, tötete mindestens einen Menschen und verletzte neun.

Kritik an Regierungschef Olmert nimmt zu

Allerdings ist die Ausweitung heftig umstritten: Während die Militärführung darauf pocht und der unerfahrene Verteidigungsminister Amir Peretz, der keinerlei militärische Erfahrung besitzt, darauf hört, sucht Regierungschef Olmert nun nach Auswegen aus einem Krieg, der zu einer Katastrophe für seine Karriere zu werden droht: Das traditionelle „Zusammenrücken in Kriegszeiten“, wie es der libanesische Journalist Ahmad Kassir in seinem eigenen Land erkannt hat, ist in Israel bis jetzt noch nicht eingetreten – im Gegenteil: Massiv ist die Kritik der Medien am Krisenmanagement der Regierung; offen wird die Führungsfähigkeit Olmerts in Frage gestellt: Er habe das Land in einen Krieg geführt, ohne eine Idee zu haben, wie es wieder hinaus kommen solle, die unter Beschuss stehenden Bewohner des israelischen Nordens vernachlässigt, die sich die Flucht ins Zentrum des Landes nicht leisten können, und obendrein im Laufe eines Monats kein nennenswertes militärisches Ergebnis erzielt, wird ihm vorgeworfen – und das nicht nur in der Öffentlichkeit.

Auch innerhalb der Regierung und seiner eigenen Partei, der zentristischen Neugründung „Kadima“, wird scharfe Kritik laut: Schimon Peres, der das Amt eines Vize-Regierungschefs (nicht zu verwechseln mit dem des stellvertretenden Premierministers) inne hat, sei „stinksauer“ gewesen, als er in der vergangenen Woche von einem Besuch in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, berichten seine Mitarbeiter. Außenministerin Zippi Livni plädiert derweil weiterhin für eine gleichzeitige Suche nach einer diplomatischen Lösung der Krise – und hat sich deshalb mit Olmert überworfen: Am Freitag brüskierte sie der Regierungschef, indem er ihr ohne viel Federlesen während einer Kabinettssitzung eine Reise zu den Vereinten Nationen in New York verbot. Bereits in den vergangenen Wochen war sie nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen, hatte sich auf Hintergrundgespräche mit ausländischen Ministern und Diplomaten beschränkt und die Entscheidungen des Kabinetts nur mit knirschenden Zähnen abgenickt. „Olmerts Führungsstil hat in den vergangenen Wochen für viele Verstimmungen gesorgt“, berichtet Ofer Neeman von der Zeitung Ma'ariv: „Er ist ziemlich isoliert.“