Terroristische Journalisten?

Trotz israelischer Bombardierungen sendete das Hisbollah-nahe "Al-Manar TV" seine "antizionistische Propaganda" weiter

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„Das sind keine Journalisten, das sind Terroristen“, qualifizierte ein israelischer Journalist die Mitarbeiter des Senders al-Manar. Das soll offenbar die zahlreichen Raketenangriffe auf das Sendergebäude im Süden Beiruts rechtfertigenl. Der Internationale Journalistenverband IFJ verurteilte die israelischen Bomben auf einen zivilen TV-Sender als „Katastrophe für die Pressefreiheit“. Für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wird gegen internationales Recht verstoßen, wenn Installationen angegriffen werden, die nicht militärischen Zwecken dienen.

Al-Manar, selbsternannter „Sender der psychologischen Kriegsführung gegen den zionistischen Feind“, sorgt seit geraumer Zeit auch im Westen für Polemiken: 2004 entzog Frankreich der „Stimme der Hisbollah“ die Lizenz zum Senden (Das Böse kommt vom Himmel). Kurz darauf erklärte die US-Regierung al-Manar zur terroristischen Organisation (Start eines west-östlichen Medienkriegs?). Letzten März wurden die Vermögenswerte des libanesischen Senders in den USA eingefroren. Finanzielle Transaktionen zwischen US-Bürgern und al-Manar oder al-Nour-Radio, das ebenfalls als medialer Arm der Hisbollah angesehen wird, sind verboten. Stuart Levey, auf den Terrorismus spezialisierter Staatssekretär des Finanzministeriums, erklärt den Umstand, dass die US-Behörden einen TV-Sender als terroristische Bedrohung kategorisieren, folgendermaßen:

Any entity maintained by a terrorist group – whether masquerading as a charity, a business, or a media outlet – is as culpable as the terrorist group itself.

Zudem hätte al-Manar Mitglieder der Hisbollah beschäftigt und Geldbeschaffungsaktionen und Mitgliederanwerbungen der militanten schiitischen Gruppierung mit TV-Aufrufen unterstützt. Die Argumentationsweise des israelischen Militärs ist fast wortwörtlich die selbe. Die mehrmaligen Luftangriffe auf das al Manar-Gebäude in Beirut, vom 14. bis zum 24.Juli fielen quasi täglich Bomben auf den Sender, werden damit begründet, dass die „Bürger Israels gegen terroristische Attacken, die vom Libanon ausgehen“, verteidigt werden müssten:

Al-Manar has been used for years as the central tool for propaganda, incitement, and recruitment for the Hezbollah terror organization, acting without interruption from Lebanese territory, poses a grave terror threat against the citizens of Israel and against the soldiers of IDF, as proven by the continuing terror attacks.

Ob die UN-Resolution vom letzten Freitag da langfristig Abhilfe schaffen wird, bleibt fraglich. In ihr wird einerseits die Hisbollah aufgefordert, alle Attacken sofort einzustellen, und andererseits Israel dazu aufgerufen, alle „offensiven militärischen Operationen“ einzustellen. Allerdings scheint Israel seine „militärischen Operationen“ auf libanesischem Territorium vorwiegend als defensiv zu begreifen. Seit Montag morgen schweigen jedenfalls die Waffen (fast) auf beiden Seiten., wenn auch viele Beobachter der einstweiligen Ruhe nach dem Sturm gründlich misstrauen. Am Montag hieß es noch auf der IDF-Site, dass die israelische Armee zwar die Waffenruhe einhalte, aber weiterhin ihre Streitkräfte und die israelischen Bürger verteidigen werde.

Und sie senden doch

Derweilen bedient sich der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, nach wie vor al-Manars als Sprachrohr. Samstag noch erklärte er ebenda, die UN-Resolution zu akzeptieren, wenn auch der Krieg erst dann endgültig beendet sei, wenn der letzte israelische Soldat libanesischen Boden verlassen habe. Letzten Dienstag hatte der Hisbollah-Chef, natürlich ebenfalls auf al-Manar, verkündet, dass seine Miliz den Libanon in eine Grabstätte für die IDF-Streitkräfte verwandeln werde. Am Montag, dem ersten Tag des Waffenstillstands, erklärte Nasrallah auf al-Manar, die Hisbollah habe einen „strategischen historischen Sieg“ errungen. Es sei ein falscher Zeitpunkt, jetzt über die Entwaffnung der Hisbollah sprechen zu wollen. Das müsse in geheimen Verhandlungen zu späterer Zeit geklärt werden. Ohne die Hisbollah könne aber der Libanon nicht vor einem neuen Angriff Israels verteidigt werden. Er kündigte an, dass Hisbollah beim Wiederaufbau Libanons helfen und die Flüchtlingen auch finanziell unterstützen werde.

Wie es al-Manar noch immer schafft, auf Sendung zu bleiben – die Webseite ist allerdings nur zeitweise erreichbar - , ist keinem so richtig klar, sind doch die Sendestudios in Beirut und einige Senderrelais im ganzen Land schon längst zu Schutt und Asche gebombt worden. Bei diesen Angriffen sollen laut der „International Federation of Journalists“ (IFJ), 7 Menschen verletzt worden sein. Der israelischen Armee ist es bislang noch nicht gelungen herauszufinden, wo der Sender Zuflucht gefunden hat, und wie es ihm gelingt, quasi ununterbrochen „on air“ zu bleiben. Am 1. August soll es Israel allerdings gelungen sein, einige Minuten lang das laufende Programm mit einem Störsignal zu unterlaufen. Die Nachrichten seien mit dem Foto einer mit einem Munitionsgürtel ausgestatteten Leiche unterbrochen worden, wie die Tageszeitung „Le Monde“ berichtete. Der Untertitel des eingeschmuggelten Fotos soll folgendermaßen gelautet haben: „Dies ist das Foto der Leiche eines Mitglieds der Spezialstreitkräfte der Hisbollah.“ Und: „Nasrallah lügt. Wir verstecken nicht unsere Verluste“. In den letzten Tagen will die IDF nach eigenen Angaben eine Liste mit Namen von getöteten Hisbollah-Kämpfern über al-Nour-Radio und al-Manar ausgestrahlt haben. 530 „Terroristen“ sollen bislang getötet worden sein.

Tatsächlich scheint auf al-Manar immer nur die Rede von der Anzahl der getöteten israelischen Soldaten und dem zerstörtem „feindlichen“ Kriegsmaterial zu sein, nie von den Opfern auf Seiten der Hisbollah. Al-Manar, das den gesamten Mittleren Osten via Satellit oder terristischen Signalen abdeckt, bevorzuge es, die „Durchschlagskraft“ der Hisbollah-Raketen auf den Norden Israels hochzuloben, als ein Wort über die zivilen israelischen Opfer zu verlieren, wie das französische Medienmagazin „Télérama“ anmerkt. Die zivilen Opfer auf der libanesischen Seite würden allerdings rund um die Uhr mittels Schockbildern ausführlich dargestellt. In einer vom libanesischen Sender übertragenen Predigt eines Imams wurde offen zum Märtyrertod aufgerufen:

Wascht die Ehre des Islams und der Muslime rein. Rettet eure Heimat, selbst wenn es gilt, sich zu opfern.

Nun habe die Stunde des Dschihad geläutet. Ständig sollen Libanesen vor die Kameras der al-Manar-Reporter gebeten werden, um ihre Lobeshymnen auf die Hisbollah und Nasrallah, abzusingen. Seit Beginn des Krieges soll der Sender seine Zielgruppe merklich erweitert haben (http://www.liberation.fr/actualite/monde/197061.FR.php), denn nun kämen auch unverschleierte Frauen und sichtlich anderen Glaubensgemeinschaften Angehörende zu Wort. Vor dem Krieg seien solche Bilder auf al-Manar noch unvorstellbar gewesen, das laut Eigendefinition als medialer Spiegel der Muslime und ihres Glaubens verstanden werden möchte. In der Selbstdarstellung heißt es weiter, dass man auf „billige Aufwiegelung“ verzichte, und sich auf objektive Art und Weise für die „gerechte Sache“ der gesamten Nation einsetze.

Wird die Pressefreiheit dem Krieg gegen den Terrorismus geopfert?

Für die IFJ (http://www.ifj.org/default.asp?Index=4064&Language=EN), die mehr als eine halbe Million Journalisten in etwa 110 Ländern repräsentiert, sind die Bomben auf al-Manar ein klarer Beweis dafür, dass Israel eine Politik betreibt, die Gewalt einsetze, um unliebsame Medien zum Schweigen zu bringen. Der IFJ-Generalsekretär Aidan White, geht noch weiter:

This action means media can become routine targets in every conflict. It is a strategy that spells catastrophe for press freedom and should never be endorsed by a government that calls itself democratic.

Zudem hätten sich die Angriffe auf Medien in letzter Zeit gehäuft, vor allem seitdem 1999 ein serbischer Sender, dem vorgeworfen wurde, Propaganda für das Milosevicregime zu betreiben, Ziel von NATO-Bomben wurde. 2002 bombardierte Israel eine palästinensische Radio- und TV-Organisation in Gaza-City und Ramallah. Und im selben Jahr waren es die USA, welche die Büros von al-Dschasira in Kabul angriffen. Während der Irakinvasion 2003 wurde das al-Dschasira-Büro in Bagdad von der US-Luftwaffe bombardiert. Ein Journalist kam dabei ums Leben. Aidan White warnt eindrücklich davor, dass alle Medien bedroht seien, wenn man einen Sender mit der Begründung angreift, dass er Propaganda veretreibe.

In conflict situations, unarmed journalists cannot be treated as combatants, irrespective of their political affiliations.

Die Kritik der IFJ gegen die israelischen Bomben auf al-Manar hat allerdings beim israelischen Journalistenverband für Empörung gesorgt, der daraufhin seine Mitgliedschaft bei der internationalen Journalistenföderation aus Protest suspendiert hat. Aidan White wird als „Feigling“ apostrophiert. Es sei eine Schande, ein „Hisbollah-Propagandawerkzeug“ als freie Presse zu bezeichnen. Al-Manar bezöge seine finanziellen Mittel von denselben Leuten, die ihre Raketen auf Israel abfeuerten.

Auch Human Rights Watch kritisierte den Propagandavorwurf. Zivile Senderanlagen dürften niemals zu legitimen militärischen Zielen werden, selbst wenn sie eine „Pro-Hisbollah und Anti-Israelische Propaganda“ verbreiten würden. Ein Sender könne nur dann zum militärischen Ziel erklärt werden, wenn er effektiv zu militärischen Operationen beitrage. Auch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung, die wiederum Auswirkungen auf die Politik einer Regierung haben könne, sei kein direkter Beitrag zu militärischen Operationen. Statt mit Bomben zu reagieren, rät HRW dazu, Sendungen mit Gegensendungen, Propaganda mit Gegenpropaganda zu bekämpfen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) weisen darauf hin, dass nicht nur al-Manar Ziel israelischer Bomben gewesen sei. Ein Techniker des libanesischen TV-Senders „LBC“ sei dabei ums Leben gekommen und drei Journalisten von „New TV“ verletzt worden. Die Bombardierungen von rein zivilen Anlagen seien ein Verstoß gegen die Genfer Konvention, die Journalisten wie Zivilpersonen vor militärischen Angriffen schützen soll.

Doch werden die USA und die israelische Regierung, aber nach dem Vorbild auch andere Regierungen wahrscheinlich darauf bestehen, dass das, was sie als „terroristische Propaganda“ begreifen, auf keinen Fall mit Journalismus und Pressefreiheit gleichgesetzt werden könne. Die Frage, was denn genau als „Propaganda“ zu gelten hat, wird in Konfliktfällen kaum einvernehmlich geklärt werden können. Dagegen werden auch die Genfer Konvention nur wenig ausrichten können.