Direkter Draht zum Computer

Der österreichische Informatiker Gerwin Schalk sieht für die Symbiose von menschlichem Gehirn und Computer keine grundsätzlichen Grenzen

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Wenn die Daten erst mal im Computer sind, haben sie freie Bahn. Die leistungsfähigsten Datennetze erreichen heute bereits Übertragungsraten bis zu 40 Gigabit pro Sekunde. Bei der Übertragung von Punkt zu Punkt ist sogar schon die Terabit-Schwelle überschritten worden. Hier hält derzeit das Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik in Berlin den Weltrekord mit 2,56 Terabit pro Sekunde. Bis ein Mensch seine Gedanken aber überhaupt erst in die digitale Form gebracht hat, dauert es eine Weile: Ein geübter Maschineschreiber schafft über längere Zeit maximal vier bis fünf Zeichen, also bis zu 40 Bit pro Sekunde.

Sofern es nicht nur um die Vernetzung der Computer, sondern auch der davor sitzenden Menschen geht, ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer immer noch der engste Flaschenhals, durch den die Daten hindurch müssen. „Die Kommunikationsgeschwindigkeiten von Menschen und Computern liegen um den Faktor eine Billion auseinander“, sagt Gerwin Schalk vom Wadsworth Center in Albany, New York.

Der gebürtige Österreicher beschäftigt sich an dem Forschungsinstitut des New Yorker Gesundheitsministeriums mit einer Technologie, die diesen Flaschenhals in den kommenden Jahrzehnten deutlich erweitern könnte. Brain Computer Interfaces erlauben die gedankliche Steuerung von Computern durch Aufzeichnung und Auswertung von Gehirnsignalen. Die Gehirnaktivität kann dabei mit unterschiedlichen Methoden wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) oder durch implantierte Elektroden gemessen werden. Zumeist kommt aber die seit Jahrzehnten erprobte Elektroenzephalografie (EEG) zum Einsatz, bei der die Elektroden auf der Kopfhaut befestigt werden.

Die Datenraten solcher Geräte liegen heute noch sehr niedrig. So beziffert Benjamin Blankertz vom Berlin Brain Computer Interface im Gespräch mit der C’T (18/2006) die bislang erzielte Höchstgeschwindigkeit beim Verfassen von Texten mit 42 Bit pro Minute. Ein US-amerikanisches Forschungsteam meldete kürzlich, in einem Experiment mit Affen bei der Steuerung von Robotikprothesen mithilfe implantierter Elektroden 6,5 Bit pro Sekunde realisiert zu haben.

Für schwerst Gelähmte, die etwa im Endstadium der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) selbst die Augenlider kaum noch bewegen können, eröffnet das einen lebenserhaltenden Kommunikationskanal zur Außenwelt. So rechnet Schalk damit, dass BCI-basierte Kommunikationshilfen in den nächsten Jahren als kommerzielle Produkte angeboten werden.

Einen ersten Schritt in dieser Richtung haben die Wadsworth-Forscher bereits unternommen. Zusammen mit der Beratungsfirma Cambridge Consultants arbeiten sie an einer Schreibhilfe, die ungefähr 5.000 US-Dollar kostet und mit dem „P300-Signal“ arbeitet. Dabei handelt es sich um ein so genanntes ereigniskorreliertes Potenzial, das etwa 300 Millisekunden nach einem unerwarteten Sinnesreiz ausgelöst wird und im EEG relativ leicht zu erkennen ist. Solche Systeme präsentieren dem Nutzer eine quadratische Tabelle, die in ihren Feldern Buchstaben und Ziffern enthält. Nach dem Zufallsprinzip werden die Zeilen und Spalten der Tabelle auf dem Monitor hervorgehoben. Wenn das Zeichen, an das der Nutzer gerade denkt, dabei ist, zeigt sich das im P300-Signal.

Arm- und Beinprothesen, die wie eigene Gliedmaßen gedanklich gesteuert werden können, seien dagegen „momentan nicht in direkter Reichweite“, so Schalk. Das Militär sei aber sehr daran interessiert. Da die Verbesserungen auf diesem Gebiet „praktisch ausschließlich von technischen und kommerziellen Gesichtspunkten und nicht von theoretischen Überlegungen geprägt“ seien, könne man davon ausgehen, dass sie gelöst werden.

Schalk geht davon aus, dass die BCI-Technologie in den kommenden Jahrzehnten mehr und mehr den Alltag aller Computernutzer prägen und das Verhältnis zwischen Mensch und Computer grundlegend verändern wird. „Einem Link im Internet folgen wir dann vielleicht, indem wir einfach unsere Aufmerksamkeit auf ihn richten“, spekuliert er. „Oder wir spüren, dass eine bestimmte Menüauswahl nicht passt, ohne den Text auf dem Monitor lesen zu müssen.“

Eines Tages könnten den Menschen sogar Flügel wachsen. „Stellen Sie sich einen Piloten vor, der auf diese Weise ein Flugzeug steuert“, sagt Schalk. „Statt umständlich Hebel und Schalter zu bewegen, könnte er die vielen Freiheitsgrade gleichzeitig und direkt kontrollieren. Und den Zustand der Maschine muss er nicht von Instrumenten ablesen. Er spürt ihn einfach.“