Sex and War

Cineastische Annäherungen an ein Tabuthema

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Der US-amerikanische Pornokönig Larry Flynt stellte seinen Widersachern in der Gesellschaft die Frage: "Was ist obszöner: Sex oder Krieg?" Zumindest die vorherrschende Massenkultur in den Vereinigten Staaten betrachtet Krieg durchaus nicht als per se obszön. Der Krieg gegen zu freizügigen Sex, vorehelichen Geschlechtsverkehr, "Homoehe", Vierbuchstabenwörter etc. gehört hingegen zum Regierungsprogramm der derzeitigen US-Administration. Sexualfeindlicher Puritanismus und Kriegsethos scheinen sich nicht zu widersprechen. Der wahnsinnige Colonel Kurtz in Coppolas Film "Apokalypse Now" hat dazu ein passendes Zitat in seiner Zeitungssammlung parat: "Wir bilden junge Männer aus, um auf Menschen Bomben zu werfen, aber ihre Kommandeure wollen ihnen nicht erlauben, das Wort `Fuck!´ auf ihre Flugzeuge zu schreiben, weil das obszön ist!" Das saubere Kriegshandwerk darf mit dem Schmutzigen nicht verunreinigt werden. Die Mischung Sex und Krieg gehört zu den strengsten Tabubereichen. Im Kriegskino ist sie oft zu finden, in der aktuellen Kriegsberichterstattung nur selten.

Zur dürftigen Quellenlage - bezogen auf laufende Kriegsschauplätze - schrieb der Psychoanalytiker Stephen Soldz im Januar dieses Jahres:

What is going on sexually among US troops in Iraq is one of the great untold and unknown stories of the Iraqi occupation. As I have followed the course of this war, I have paid careful attention to any glimmers on information available. Having read perhaps 30.000-50.000 articles on Iraq, I´ve seen at most a couple dozen mentions of anything related to sex, other than the systematic sexual abuse and sometime rape of detainees at Abu Ghraib and the other US prisons.

Soldz nennt einzelne Hinweise für sexuelle Belästigungen innerhalb des US-Militärs und für Prostitution in der militärisch gesicherten "Green Zone" Bagdads. Mit Blick auf weit mehr als 100.000 junge US-Soldaten in einer fremden Kultur geht er von einer verbreiteten sexuellen Frustration aus, die aber in den Medien eben kein Thema ist. Sexualisierte Kriegsgewalt, Prostitution, Affären von US-Militärangehörigen mit Einheimischen oder gar "Mischlingskinder", über solche Dinge im Rahmen von Kriegsunternehmungen in arabischen bzw. islamischen Ländern wünschen die PR-Abteilungen des Pentagon sich wohl kaum Medienmeldungen. Unterschiede zu Vietnam, wo zwischen 1961 und 1973 insgesamt rund drei Millionen US-Soldaten, zumeist junge Wehrpflichtige und Freiwillige, Kriegsdienst verrichtet haben, liegen nicht nur im Kulturspezifischen.

Vietnam als Freudenhaus für US-Wehrpflichtige vom Lande?

In ihrem Überblick "Sexualisierte Gewalt im Krieg - eine Chronik"1 schreibt Gabriele Mischkowski, der "systematische Ausbau von Militär- und vor allem Zwangsbordellen zur `sexuellen Versorgung´ der gesamten Truppe" gehöre zum Erbe des Zweiten Weltkrieges, wobei sich ihre Beispiele keineswegs auf deutsche Faschisten und Japaner beschränken. Das System sei hernach im Bereich der U.S. Army weiterentwickelt worden:

Der Koreakrieg Anfang der 50er Jahre eröffnete ein neues Kapitel dieses Aspektes der Kriegsgeschichte, der Vietnamkrieg setzte es fort. Das System der US-Militärbordelle im asiatisch-pazifischen Raum bildete den Ausgangspunkt für den riesigen Komplex der Sexindustrie und des massenhaften zivilen Sextourismus in Asien heute.

Auch massenkulturell ist der Südostasienkrieg der Vereinigten Staaten untrennbar verknüpft mit "Sex and Drugs and Rock´n´Roll". Im Kinoklassiker "Apokalypse Now" (USA 1979) werden die Showgirls für das nächtliche Truppen-Entertainment noch aus der Heimat eingeflogen. Die Masse der notgeilen Soldaten kann nicht mehr gebremst werden, und die weiblichen Stars müssen mit dem Helikopter in Sicherheit gebracht werden. In "Full Metall Jacket" (1987) verstehen sich die US-Soldaten als "Schwadron der geilen Säue", als "lifetakers and heartbreakers". Zum Zwecke des Herzensbrechens kauft sich der ganze Zug ein einziges vietnamesisches Schulmädchen, das hartnäckig auf fünf Dollar pro Mann heruntergehandelt wird. Militärfotograf Rafterman glaubt noch, die Marines würden "wenigstens für eine gute Sache" wie Freiheit sterben. "Animal Mother", der muskelstrotzende Kämpfer des Platoons, ist da anderer Meinung:

Spül dir mal den Kopf durch, Kleiner! Denkst du, wir killen hier Schlitzaugen für die Freiheit? Das hier ist ein Schlachthaus. Wenn ich meine Eier schon für ein Wort wegschießen lasse: Mein Wort heißt Bumsen [poontang]!

Sogar der Film "Hamburger Hill" (USA 1987), den das Pentagon unterstützt hat, macht uns mit den sexuellen Bedürfnissen in der U.S. Army und ihrer Befriedigung in Mama Sans Freudenhaus bekannt. Vulgärsprache am laufenden Band, coole Hintergrundmusik, rührende Gesundheitssorge gegen Karies und Tripper, ja sogar fröhliche junge US-Amerikaner begegnen uns zu Beginn der Filmgeschichte noch. In "Good Morning Vietnam" (USA 1987) sorgt der neue DJ des Militärrundfunks dafür, dass die Napalmbombardierungen "vom Mekong-Delta bis Da Da Da Nang" mit Rock´n´Roll-Musik unterlegt werden. Er weiß, dass die GIs Marihuana und Kondome im Marschgepäck mitführen und auch, was die frommen Boys vom Lande fern der Heimat so alles treiben. In der Begegnung mit einem irischstämmigen GI witzelt der Radiomacher: "I´m sitting out there, and I´m the catholic boy and I don´t know, when I´ll be getting laid. I´m just going off to Vietnam!"

Im Film "Going Back" (USA 2001) sehen US-Vietnamveteranen nach Jahrzehnten ihre alten Graffitis an den Wänden des alten "Hunting Club" in Südvietnam: Neben dem billigen Sex wird man es nach Auskunft der noch lesbaren Abschiedsgrüße auch vermissen, "Schlitzaugen" - "für Christus und Buddha" - zu killen.

In Vietnam gab es unter den Millionen US-Soldaten im sexuell aktivsten Alter ein reges Sexualleben. Asien hatte seine verlockenden "Attraktionen". Die Standards der Präservativaufklärung entsprachen vermutlich nicht den evangelikalen Schulrichtlinien von heute. Der Krieg hinterließ nicht nur drei Millionen Tote, sondern auch 200.000 Prostituierte in Südvietnam (Marc Frey: Geschichte des Vietnamkriegs). Nach Gabriele Mischkowski waren bis 1973 sogar 300.000 oder 500.000 Südvietnamesinnen im "Sex-Gewerbe" tätig gewesen. Über Kinder von US-Soldaten, deren vietnamesische Mütter von der Befreiungsfront wohl kaum umsorgt wurden, gibt es nur in Einzelfällen Zeugnisse.

Viele Kriegsfilme suggerieren, man gehe in buddhistisch geprägten Kulturen vergleichsweise undramatisch mit dem Thema Sexualität um und deshalb handele es sich bei entsprechenden Szenen um keine große Sache. In Wirklichkeit bedeutete der militärische Sextourismus aus den USA einen schwerwiegenden Eingriff in das Gefüge von asiatischen Gesellschaften (Südkorea, Vietnam, Thailand, Philippinnen). Er bediente sich der wirtschaftlichen Not der Dienstleistenden, ermöglichte eine Frauenverachtung, wie sie im eigenen Land nicht mehr akzeptiert worden wäre, und lief auf eine eindeutig rassistische Form sexueller Ausbeutung hinaus. Dies alles lebt bis heute fort in der asiatischen "Sextourismusindustrie".

Full Metall Jacket: "Ein Mädchenname für das Gewehr"

Beim Drehbuch zu "Full Metall Jacket" waren neben Stanley Kubrick auch Michael Herr und Gustav Hasford beteiligt, die auf eigene Vietnam-Erfahrungen zurückgreifen konnten. Im ersten Filmteil sehen wir, wie die von Klaus Theweleit untersuchten "Männerphantasien" fester Bestandteil der Militärausbildung sind. Um die eingeübten Tötungsreflexe mit sadistischen und speziell auch mit sexualisierten Gefühlen zu koppeln, hat man sich spezielle Übungen ausgedacht. Das Gewehr liegt nachts mit im Bett, und somit wird ausgerechnet ein phallisches Gerät zur einzigen Braut der Rekruten. Der Befehl dazu lautet:

Heute Nacht werdet ihr Schleimer mit eurem Gewehr schlafen, und dann werdet ihr euch für euer Gewehr einen Mädchennamen aussuchen, weil das die einzige Möse sein wird, die ihr Pisser hier kriegen werdet. ... Ihr seid jetzt mit dem Gewehr verheiratet ... und ihr werdet nicht fremdgehen!

Beim gemeinschaftlichen Marschieren werden gleichzeitig Waffe und Genital umfasst. Beide sind Stolz und Lustquelle des Soldaten: "This is my rifle! This is my gun! This is for fighting! This is for fun!" Die Verbindung von "Geschlechtskolben" und High-Tech-Gewehr ist hier keine primitive Urtatsache, sondern wird nach "neurolinguistischem" Plan durch das Lied programmiert. In anderen Versionen der Grundausbildungsverse lautet die doppelte Aufgabe der beiden Instrumente übrigens "killing and fun".2

Drill-Sergeant Hartman offenbart in seiner Sprache anale Fixierungen und verbreitet pausenlos jene Welt der Fäkalien, die uns spätestens Erich Fromm als Domäne der Todesanbeter enttarnt hat. Daneben fördert und verkörpert er selbst eine allgegenwärtige Sexualisierung auf vorpubertärem Niveau, wie sie eigentlich nur unter sexualfeindlichen Bedingungen gedeihen kann. In Kinderversen singen die jungen Erwachsenen in Uniform und ihr Ausbilder davon, was Mama und Papa im Bett treiben. Das verbotene Höschen von Nachbars Grete ist der stete Inbegriff von Glückseligkeit.

Penetrant begegnen uns auf Schritt und Tritt homophobe Anspielungen, Ausdruck einer unsicheren Männlichkeit und einer ängstlichen Abwehr von Homosexualität, wie sie vor allem bei Heranwachsenden und in reinen Männergesellschaften wie dem Militär verbreitet sind. Dem - höchst kultivierten - Leitbild der Nordvietnamesen wird beim Marsch-Singsang angedichtet, was sonst Dreizehnjährige einem Privatfeind wünschen mögen: "Ho-Chi-Minh ist ein Hurensohn, hat den Laufarsch auf und ´ne Eierinfektion." Der Vers geht letztlich auf US-Präsident Johnson zurück, der 1964 die durchgepeitschte Golf-von-Tonking-Resolution mit dem Ausspruch kommentierte: "Ich habe eben Ho Chi Minh nicht nur gefickt, ich habe ihm den Schwanz abgeschnitten." ["I didn´t just screw Ho Chi Minh, I cut his pecker off."]

Im Kriegsfall kommt eine Ausbildungsagenda, wie sie "Full Metall Jacket" vorführt, zum Tragen. Ein Vietnamveteran berichtete 1981: "Für manche war das ständige Tragen einer Waffe, als hättest du dauernd einen Steifen. Es war ein reiner sexueller Trip jedes Mal, wenn du am Abzug zogst."3 Zu ihrem "Truthahnschießen" auf flüchtende [!] Mitglieder des irakischen Militärs zum Ende des Golfkrieges 1991 erklärten US-amerikanische Soldaten, "dass sie nicht hier vier Wochen lang herumgevögelt haben, um jetzt nicht zum Abspritzen zu kommen."4

Schwulitäten im Männerbund

Liberale Kulturmacher behandeln "kleine Schwulitäten" im Militär vornehmlich auf humorvolle Weise. In Samuel Fullers - jetzt neu geschnittenen - Weltkriegsklassiker "The Big Red One - The Reconstruction" (USA 1980/2004) fordert z.B. ein US-Soldat seinen Hintermann im freien Schlaflager auf, das Gewehr wegzustecken. Er erfährt jedoch gleich darauf, dass es sich beim störenden Teil gar nicht um ein Gewehr handelt.

Im Film "Good Morning Vietnam" imitiert Robin Williams als DJ einen tuntigen Spezialberater für Militärmode. Gleich zu Beginn des neueren Golfkriegfilms Jarhead (USA 2005) werden - in Anlehnung an "Full Metall Jacket" - alle antihomosexuellen (und zugleich frauenfeindlichen) Lieblingswörter aus dem Vokabular der U.S. Marines eingeführt. Indessen ist die homoerotisch gefärbte Atmosphäre im modernen Männerbund hernach in vielen Szenen greifbar. Der Vorgesetzte antwortet auf die Begeisterung seiner Soldaten für die "Operation Wüstenschild" - zumindest verbal - mit unterschiedlichen Erektionsgraden seines Penis. Man schaut sich gemeinsam Pornos an und will nach hautnahen Reibereien in der Wüste ohne jede Bekleidung Football spielen. Auf der ausschließlich von männlichen Soldaten besuchten Christmas-Party gibt es den nackten Weihnachtsmann, der nur sein Geschlecht mit einer Nikolaus-Zipfelmütze bedeckt hält.

Gezielte und auch unfreiwillige Komik verbreiten einige Netznachrichten. Da wird z.B. von einer Gay-Bomb berichtet, die beim Feind über "chemische Kampfstoffe" mann-männliches Begehren auslöst und ihn dadurch kampfunfähig macht. Für helle Aufregung und Ausschluss der Betroffenen vom Kongo-Auslandseinsatz sorgte im Juni 2006 ein Aufnahmeritual für Unteroffiziere der Bundeswehr: "Einem Soldaten soll Obst ins Gesäß geschoben und dann mit einem Paddel darauf geschlagen worden sein." Die öffentlichen Reaktionen waren sehr heftig. Man kann nur auf ähnliche Sensibilität hoffen, wenn vergleichbar "erschreckende und verwerfliche" Handlungen einmal bei Auslandsmissionen vorkommen sollten. Die anale Vergewaltigung von Männern durch Männer wird bis zur Gegenwart als Kriegshandlung beschrieben, wenngleich Täter und Opfer darüber zumeist schweigen. Sie soll den Kriegsgegner vor allem "weiblich" und damit - in den Augen der Männergesellschaft - ehrlos bzw. minderwertig machen.

Auf Seiten der Gay Community gibt es durchaus nicht nur Berührungsängste in Sachen Militär. Noch 1978 unterstützte z.B. die U.S. Navy die Produktion des Musikvideos "In the Navy", indem sie der schwulen Popgruppe "The Village People" ein Kriegsschiff bereitstellte.5 Ein "Handbuch für Schwule" kann sogar das Vorurteil "weibisch" selbstironisch mit folgendem Hinweis kommentieren:

Die Weltgeschichte wimmelt von Beispielen für schwule [oder bisexuelle] Militärführer, die in der vermeintlich männlichen Arena von Mord, Totschlag und Eroberung nicht einen Deut weniger tüchtig waren als heterosexuelle Generäle. Julius Cäsar, Alexander der Große, Friedrich II., General Gordon von Khartum und Lord Kitchener - sie alle hatten männliche Liebhaber.

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Bei entsprechender Vorliebe könnte man sich also über den bisexuellen Massenmörder in Oliver Stones Film Alexander (2004) freuen. Schwule haben als Trendsetter möglicherweise mit zur Popularität des "Military-Look" beigetragen, der verstärkt wieder seit 2001 und nach meinen Beobachtungen besonders stark in den letzten zwei Jahren in Form von Camouflage-Stoffen etc. im Straßenbild präsent ist.7 Antifaschistische Kritiker wollen Schnittmengen zwischen schwulen Fetischszenen und rechten Skinheads ausmachen.

Allerdings gibt es zu den einander zugetanen Kriegern Spartas in der offiziellen Kultur der modernen Kriege keine Entsprechung. Die phallischen Kriegsfetische aus Metall (Gewehre, Kanonen, Raketen etc.) vertragen sich irgendwie nicht mit dem ganz fleischlichen Phallus-Kult.8

Im kriegsförderlichen Kino waltet die Antihomosexualität. Mel Gibson inszenierte sich selbst im militärisch geförderten Historienfilm "Braveheart" (1994) als heiligen Krieger und Märtyrer des schottischen Freiheitskampfes zwischen 1275 und 1305 nach Christus. Der Held triumphiert auf den Schlachtfeldern über homosexuelle Weichlinge, bevor er am Ende auf dem Kreuzbalken der Folterer sein eigenes Blut für die Freiheit hingibt. Der tabulose Antiterrorspaßfilm Team America: World Police (USA 2004) teilt die Menschen in Harte (Antiterror-Krieger), Pussys (Weichlinge, Friedenspropheten) und Arschlöcher (Terroristen) auf. Da die Weichlinge mit den Terroristen kollaborieren, müssen auch sie bekämpft werden, wenn sie nicht schon - wie Hans Blix - ihrer eigenen Naivität zum Opfer gefallen sind. Der einzige "gute" Schauspieler im Film verabschiedet sich von der sozialkritischen AIDS-Solidaritätskultur am Broadway, um beim Team America mitzumachen. Anfänglich muss er zwar durch orale Befriedigung des Vorgesetzten seine militärische Loyalität unter Beweis stellen, doch dann gelangt der männlich gewordene Held in die Arme der Traumfrau.

Bekanntermaßen ist der reale "Einsatz für die Freiheit und Rettung der verdammten Welt" in Washington mit einer antihomosexuellen Agenda gepaart. Filme wie Brokeback Mountain und V For Vendetta, die dieser Agenda entgegenstehen, gelten mit gutem Recht als anti-bushistisch. Schwul-lesbische Bürgerrechte sind erkämpft worden. In Zeiten zunehmender Militarisierung und "Fundamentalisierung" (christlich, islamisch) bedeutet es vermutlich einen großen Irrtum, sie einfach als fraglose Besitzstände zu betrachten.9

Frauenrolle und Militär

Darüber hinaus ist absehbar, dass jeder militaristische Schub in der Gesellschaft zaghafte zivilisatorische Fortschritte im Geschlechterverhältnis wieder rückgängig macht. Nun sind aber Frauen im Militär auf dem Vormarsch. Mit "GI Jane" (USA 1997) hat sogar das Votum für Elitesoldatinnen Eingang ins Mainstreamkino gefunden. Der Anteil weiblicher US-Militärangehöriger im Irak beträgt 15 oder mehr Prozent. Gabriele Mischkowski vermutet, "dass mit der wachsenden Einbeziehung von Frauen ins Militär die traditionelle Verknüpfung von soldatischer Männlichkeit und (sexualisierter) Gewalt ins Wanken gerät."

Zunächst scheint allerdings nur eine Zunahme von sexueller Belästigung innerhalb der Armee daraus zu folgen. Ich sehe keine Hinweise auf einen neuen militärischen Gender-Diskurs oder auf eine Umwälzung der sexuellen Symboliken im massenkulturellen Kriegsgeschehen. Die auf Nebenschauplätzen anzutreffende Werbung für den weiblichen Soldaten ist selbstredend nicht als emanzipatorische Errungenschaft zu bewerten, zumal in dieser Werbung sexistische Aspekte und das Klischee des weiblichen Opfers nach wie vor auftauchen.

Als Beispiel nenne ich das B-Movie "The Hunt For Eagle One" (USA 2006), das ohne Kinoverwertung direkt auf den DVD-Markt gelangte und vermutlich für die US-Söldnerrekrutierung auf den Philippinen gute Dienste leistet. Eine Heldin dieses Antiterrorfilms ist die afro-amerikanische Hubschrauberpilotin Captain Amy Jennings. Nach Abschuss ihres Helikopters lehrt sie einem verwundeten philippinischen Kameraden, dass ein[e] US-Marine niemals einen anderen zurücklässt. Sie wird gefangen genommen und schließlich von den islamischen Rebellen auch grausam gefoltert. Die Beschimpfungen erinnern an Bin Ladens Urteil10 über Frauen im westlichen Militär: "Du unreine Christenhure, unverschleierte Frau ohne Scham und Ehre!" Amy Jennings nimmt gleichermaßen die Rolle der mutigen US-Soldatin und des zu befreienden weiblichen Opfers ein. Statt des für ein Foltervideo vorgeschriebenen Textes ruft sie in die Kamera: "Gott schütze Amerika!" Das "United States Marine Corps", das diese Filmproduktion unterstützt hat, taucht dann als männliches Kollektiv in der Retterrolle auf. Nicht Neues also unter der Sonne.

Sadismus und Sexualmorde

In den organisierten "Sado/Maso-Szenen" moderner Gesellschaften gehört die Einvernehmlichkeit aller Beteiligten zu den obersten Geboten. Machtausübung und Ergebung im Zusammenhang mit Sexualität werden im "kultivierten Spiel" zusammengeführt. Zu den entsprechenden Präferenzen kann man je nach persönlichem Standort sehr unterschiedlich Stellung beziehen. Dabei kann jedoch niemand behaupten, ihr Kennzeichen sei unkontrollierte Gewaltausübung. Die zivilen Vergleichspunkte zum sexualisierten Sadismus im Krieg liegen nicht im "S/M-Bereich", sondern im Bereich von Gewaltverbrechen. Dafür bietet zunächst wieder das Kriegskino traurige Beispiele.

Der Film "Heaven and Earth" (USA 1993) von Oliver Stone erzählt - gegen alle Konventionen des US-Vietnamkriegfilms - die Leidensgeschichte einer vietnamesischen Frau. Gegen einen Vergewaltigungsversuch in der Dienststelle des US-Militärs setzt sich diese Vietnamesin erfolgreich zur Wehr. Der Film zeigt die Herabwürdigung vietnamesischer Frauen zu billigen Freudenmädchen für arrogante US-Amerikaner. In der Müllhalde des Stützpunktes findet Le Ly die Überreste einer Prostituierten, die ein Soldat ermordet und zerstückelt hat. Später wird sie erfahren, dass dies kein Einzelfall ist. In der entsprechende Passage der autobiographischen Literaturvorlage11 zum Film wird geschildert, wie Vietnamesen den Abfall eines GI-Lastwagen durchsuchen:

Wir öffneten den größten Karton und erstarrten vor Entsetzen. Er enthielt eine junge Frau, nackt und verstümmelt. Ihrem Äußeren nach zu urteilen handelte es sich um eine Prostituierte, die von den Soldaten benutzt, missbraucht und weggeworfen worden war.

Christopher Crowe hat zu diesem Komplex 1988 den fiktionalen Spielfilm "Off Limits"12 (dt. Titel: "Saigon") vorgelegt: 1968 fahndet die Kriminalabteilung des US-Militärs nach einem Mörder, der in Saigon bereits sechs Prostituierte umgebracht hat, und entlarvt am Ende einen hohen US-Offizier als Täter. An den Film "Casualties of War" (USA 1989), dem ein bezeugter Vergewaltigungsmord durch US-Soldaten in Vietnam zugrunde liegt, habe ich bereits vor einiger Zeit ausführlich in Telepolis erinnert (Über My Lai und besondere Morde im Krieg. Die mitleidslosen Täter sehen sich selbst in bester Dschingis-Kahn-Tradition. Sie huldigen unverhohlen einem sexualisierten Gewaltideal, in dem der "Schwanz" als die eigentliche Waffe eines Mannes gilt. In "Platoon" (1986) traut sich Oliver Stone - trotz aller historischen Belege - nur, einen Vergewaltigungsversuch anzudeuten.

Der fiktionale Schrecken in den Unterhaltungsprodukten bleibt hinter den wirklichen Verhältnissen weit zurück. Unter den Zeugnissen von US-Vietnamveteranen, die Mark Baker 1981 veröffentlicht hat, befindet sich z.B. folgende Aussage13:

Sei´n wir ehrlich, Natur ist Natur. Die Frauen stehen zur Verfügung. Diese Frauen sind von einer anderen Kultur, anderen Hautfarbe, anderen Gesellschaft. Du willst keine Prostituierte. Du hast eine M-16. Wozu solltest du für eine Lady bezahlen? Du gehst runter ins Dorf und nimmst dir, was du willst.

Die US-Soldaten nannten diejenigen, die eine Frau erst vergewaltigten und dann töteten, "Doppelveteran". Auch gruppenweise kam es zu Vergewaltigung, Mord und anschließender Leichenverstümmelung. Die gemeinschaftliche Ausübung sexualisierter Gewalt gegenüber einer einzelnen Frau hatte ganz offenkundig auch diverse Funktionen für den Gruppenprozess im Militär (z.B. Zusammengehörigkeit, Nivellierung von Klassen- oder "Rassen"-Unterschieden, hierarchisches Gunsterweissystem).

Der US-Psychiater Jonathan Shay schreibt14 über Vergewaltigung und Mord im Südostasienkrieg:

Viele Sexualpraktiken von amerikanischen Soldaten gegenüber Prostituierten in Vietnam waren extrem gewalttätig. Viele dieser Frauen wurden ermordet, aber da ihr Leben für die südvietnamesischen Zivilbehörden völlig bedeutungslos war, kamen diese Fälle nur unter außergewöhnlichen Umständen den amerikanischen Militärbehörden zur Kenntnis.

Über die Beschädigung der US-Vietnamveteranen, mit denen er therapeutisch gearbeitet hat, teilt Shay anschließend mit:

Für viele von ihnen ist Sex soviel wie ein Auslöser sich aufdrängender Erinnerungen und Gefühle an und über Vietnam, wie das Geräusch von Explosionen und der Geruch eines Leichnams. Sex und Wut sind so miteinander verflochten, dass diese Menschen sich einen zärtlichen, zwanglosen Sex ohne Wut oft nicht vorstellen können. Wenn eine erfolgreiche Therapie ihren Zorn verringert, dann berichten sie häufig, dass sie die Freuden des Geschlechtslebens mit Intimität und spielerischen Zügen neu lernen müssen oder gar zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren.

Im Irak sind heute - anders als in Vietnam - US-Berufssoldaten und private Söldner des Westens stationiert. Auch im Irak gab es bislang schon sexuelle Belästigung einheimischer Frauen, Vergewaltigungsmorde und sexuell stimulierten Sadismus. 2004 wurde der verheiratete US-Militärangehörige Federico Daniel Merida wegen des Mordes an einem 17jährigen irakischen Soldaten verurteilt, mit dem er zuvor Sex gehabt hatte. Seine Geständnisse enthielten sehr unterschiedliche Versionen des Tathergangs:

Merida first told investigators the teen demanded money at gunpoint. Later, he said he killed the boy because he forced him to have sex. In a third interview, Merida said he got angry after the two had consensual sex.

Die dritte Variante ließe wiederum kaum auf ein Umfeld schließen, das die angstfreie Wahrnehmung eigener homosexueller Anteile zulässt.

Die Demütigungs- und Gewaltpraktiken von US-Soldaten im Foltergefängnis Abu Ghraib stehen in einem eindeutig sexualisierten Zusammenhang. Der ganze Skandal weist im Zusammenhang mit unserem Thema auf einige neue Aspekte hin. Mit Lynndie England ist an vorderster Stelle eine Frau aus dem US-Militär beteiligt, was die Kastrationsgesten gegenüber Mitgliedern der arabischen Männergesellschaft noch erheblich dramatisiert. Die Bilder gehören zu einem riesigen Pool neuer Kriegsbildzeugnisse, die seit dem Aufkommen einer handlichen Digitalkameratechnik kursieren. Ihre "Verwertung" vollzog sich auch auf dem breit gefächerten pornographischen Sektor des modernen "Militainment", der privat und kommerziell bedient wird.

Im Fall der fotografisch festgehaltenen "Inszenierungen" von Abu Ghraib besteht dabei nun doch ein Bezug zur westlichen S/M-Ikonografie. Die Vorgänge können durchaus auch als Zwangsexport eines "westlichen Lebensstils" gedeutet werden, der vom Konsumangebot der Sexindustrie geprägt ist.15 Sie treffen den arabischen Kulturkreis auch kollektiv.

Allerdings ist das Erzwingen von verabscheuten sexuellen Handlungen keine ganz neue Kriegespraxis. Bereits Mitglieder der kaiserlich japanischen Armee haben im Rahmen ihrer unvorstellbaren Gräueltaten von Nanking unter Gelächter chinesische Männer dazu gezwungen, an sich gegenseitig sexuelle Handlungen vorzunehmen. Unter Berufung auf Dubravka Zarkov schreibt Gabriele Mischkowski in ihrer Chronik der sexualisierten Kriegsgewalt:

Die sexualisierte Attacke gegen den männlichen Körper besteht meist in Verstümmelungen wie dem Abschneiden des Penis, aber auch in Vergewaltigungen oder darin, Gefangene zu gegenseitigen sexuellen Handlungen zu zwingen. In einer Gesellschaft, in der das Männlichkeitsbild wesentlich auf Heterosexualität beruht, kommt dies einer symbolischen Homosexualisierung des Gegners gleich. Durch die gleichzeitige Ethnisierung des gegnerischen männlichen Körpers gilt die symbolische Ent-Männlichung der gesamten gegnerischen Gruppe oder Nation.

Team America, die arabische Welt und das "Hadji-Girl"

Über die Medienwirkung eines neueren US-Filmbeitrags zu einer "zeitgemäßen" Jugendkriegskultur gibt es ein viel sagendes Detail zu berichten. Im reaktionären Marionettenfilm "Team America: World Police" (USA 2004) kann man viele flotte Songs für den "Antiterrorkrieg" hören. Einen der Refrains hat ein im Irak stationierter US-Soldat, der Marineinfanterist Joshua Belile, im September 2005 in ein eigenes Lied eingebaut. Er singt zur Gitarre, wie er ein irakisches Mädchen - das "Hadji Girl" - kennen lernt. Das Mädchen verliebt sich, will ihn der Familie vorstellen und wird bei diesem Unterfangen von den eigenen männlichen Angehörigen erschossen. Nun geht der US-Soldat zur Notwehr über:

Then I hid behind the tv / And I locked and loaded my M-16 / I blew those little ****ers to eternity / And I said: / Dirka dirka Mohammed jihad, sherpa sherpa bakala / They shoulda known they were ****in´ with a Marine.

Der später dann auch im Internet als Video abrufbare Song beschreibt also ein Blutbad, das sich aus der Annäherung zwischen einem US-Soldaten und einer Irakerin ergibt. Die eigentlich schuldigen Täter sind Vater und Bruder des irakischen Mädchens.

Als dieser Liedtext zum Skandal wurde, gab es aus dem Irak bereits eine andere Horrorgeschichte, diesmal aus der Realität und mit vertauschten "Rollen": Laut Anklageschrift hatte der US-Soldat Green, "der im März 2006 mit anderen Besatzungssoldaten bereits seit Tagen an einem Verkehrskontrollpunkt in der irakischen Stadt Mahmudija eingesetzt war, ein Auge auf die 15jährige Abeer Hamza geworfen, die mit ihrer Familie in einem etwa 200 Meter entfernten Haus wohnte. Am Abend des 12. März 2006 stürmte der 21jährige Mann mit drei seiner Kameraden das Gebäude. Bevor er sich an dem Mädchen verging, erschoss er ihre Eltern und ihre fünf Jahre alte Schwester. Auch Abeer Hamza wurde später ermordet. Anschließend versuchten die vier US-Soldaten, ihr Verbrechen zu vertuschen. Es wurde erst am 12. Juni durch Zufall entdeckt."

In einem Internetdiskussionsforum zum besagten "Hadji Girl"-Song erfährt man entlang offenbar gebräuchlicher Texte einiges über den Testosteronspiegel im US-Militär: "Dirty Hot Sex by Pepper / So don´t be afraid when my pants start to leak / You know damn well I´m in my sexual peak." Oder: "Fuck You Like An Animal - Nine Inch Nails you / let me violate you / you let me desecrate you / you let me penetrate you / you let me complicate you. / help me / i broke apart my insides / help me / i´ve got no soul to sell / help me / the only thing that works for me / help me get away from myself ..."

Welche anderen Rauschzustände könnten einem helfen, von sich selbst und von unerträglichen Spannungen loszukommen? Der asexuelle Muskelsoldat16 vom Rambo-Typus der Reagan-Ära, den es im realen Leben ohnehin nie gegeben hat, wird zukünftig für Rekrutierungszwecke wohl kaum noch Dienste leisten können.

Billiger Sex und Rekrutenwerbung für die neuen Weltordnungskriege

Mehr als ein halbes Jahrzehnt vor dem Golfkrieg 1990/91 zeigte die Militärtechnologie-Komödie "Best Defense" (USA 1983) vorausschauend, wie Eddie Murphy als afro-amerikanischer Soldat im "befreundeten Kuwait" eingesetzt ist, die frommen Gebete vom nahen Minarett als unbestellten Weckruf beklagt, mit einer einheimischen "Bauchtänzerin" sexuellen Frühsport betreibt und ansonsten - obwohl ihm alle Sprachkenntnisse fehlen - die Araber über die Vorzüge seiner US-amerikanischen Heimat belehrt. Im Film schließt sich für das Jahr 1984 ein US-Krieg gegen den Irak an, weil dieser Kuwait angegriffen hat. Im Irak allerdings beschränkt sich die Begegnung mit dem anderen Geschlecht dann auf die Abwehr von ganz in Schwarz verschleierten "verrückten Wüstenweibern".

In der Krieggeschichte gehört das "Recht", sich Frauen zu nehmen (und zu vergewaltigen), zu den "Entlohnungen" der zwangsrekrutierten Männer aus unteren Schichten und zum Kriegsbeutefang der Berufssoldaten. Diese Tradition hält auf dem Globus an und geht einher mit Sklaverei im Großmaßstab. Der "moderne" militärische Sextourismus versteckt seine Gewalttätigkeit hinter einer pseudo-zivilisatorischen Maskerade und ermöglicht den westlichen Soldaten gleichwohl das Ausleben einer Männlichkeitsrolle, die Zuhause nicht mehr angesagt ist.17

In einem autobiographischen Buch (Jarhead, 2003) berichtet Anthony Swofford, der nach seiner Ausbildung 1990/1991 als Scharfschütze der U.S. Marines in den Operationen Desert Shield und Desert Storm eingesetzt war, über das Rekrutierungsversprechen, bei Auslandseinsätzen billige Sexdienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, und über die kollektive Begeisterung der Einheit für die "magische Brutalität" in US-Kriegsfilmklassikern: Der Anwerber der Marines "machte mir mit Berichten über käuflichen Sex auf den Philippinen den Mund wässrig. [...] Er garantierte mir, in Olongapo gebe es einen flotten Dreier schon für 40 US-Dollar. [...] Ich war geködert."18

Doch der "alte Nahe Osten" ist (noch) nicht Asien. Entsprechend zeigt die Verfilmung des Swofford-Buches, "Jarhead" (USA 2005), lauter Desillusionen. Ein Truppenmitglied sieht sich in seiner Erwartung von "Sex and Drugs and Rock´n´Roll" enttäuscht: "Jetzt sind wir auf dem Weg in die Wüste und keine Nutte im Umkreis von tausend Meilen." Der sexuelle "Notstand" der US-Soldaten und permanente Masturbationsbedürfnisse werden ausgiebig thematisiert. Tatsächlich fielen entsprechende Hinweise während des Golfkrieges 1991 der Zensur zum Opfer. US-Kampfpiloten hatten gegenüber der Nachrichtenagentur AP erwähnt, dass sie sich vor Kampfeinsätzen bei Pornofilmen entspannen; der zuständige Presseoffizier entfernte das "peinliche" Detail wieder.19

Angesichts des Notstandes scheint gutes Benehmen im fremden Land einem der Marines bzw. Jarheads schwer zu fallen. Im Auto fährt eine verschleierte Frau auf der Wüstenstraße vorbei, und er ruft mit schnalzender Zunge aus: "Hey, bring mir ein bisschen Arabisch bei. Was heißt: Blas meinen Schwanz?" Im Vergleich zum Golfkrieg 1990/91 dauert der gegenwärtige Irakeinsatz großer US-Truppenkontingente schon einige Jahre an. Sollten neue digitale bzw. virtuelle "Sexdienstleistungen" das Problem inzwischen gelöst haben?

"Piloten ist nichts verboten"

Schon die Marie in Georg Büchners "Woyzeck" befand: "Soldaten, das sind schöne Bursch!" Im Grunde ist dies die Leitidee des Kampfpilotenfilms "Top Gun" (USA 1985), der eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen Hollywood und dem Pentagon einleitete.20 Allerdings sorgte das Rekrutierungsimage der "sexuellen Attraktivität" in der Folge für Missverständnisse. Nach dem sogenannten "Tailhook"-Skandal21 vom September 1991 beriefen sich männliche Militärangehörige, denen in sehr großem Umfang sexuelle Belästigungen vorgeworfen wurden, auf ihr Kinovorbild Tom Cruise.

Der Auffrischung des "Top Gun-Formats" im Pentagon-geförderten Rekrutierungskino scheint diese Wirkungsgeschichte jedoch nicht entgegenzustehen, wie "Stealth" (USA 2005) zeigt: Ein Pilot bezieht den Namen des neuen Systems (Extreme Deep Invader) ganz unpuritanisch auf seine männliche Ausstattung oder Potenz. Der leitende Offizier des Projekts raucht eine Zigarre, die "auf den Schenkeln einer hübschen Mulattin gerollt" ist. Man unterhält sich in der Staffel offen über unterschiedliche Stile beim One-Night-Stand. Zur Erholung von einem großen Antiterror-Kampffliegereinsatz schickt der Vorgesetzte drei Piloten, darunter eine Frau, erst einmal auf eine gemeinsame Thailandreise. Die zweideutige Anmache einer Thailänderin durch den afro-amerikanische Pilot Henry Henry Purcell hört sich so an: "I fly jets. You like to go fast?" Danach erklärt Henry seiner asiatischen "Urlaubsbegleiterin" beim Spaziergang durch wunderschöne Reisfelder, dass eigentlich das Abwerfen von Bomben sein Job ist. Doch die Asiatin versteht ihn überhaupt nicht. Mit einem Kuss wird deshalb auf nonverbale Kommunikation umgeschaltet. Die Szene weckt Assoziationen zum Vietnamkrieg, und das ist in diesem Fall wohl auch so gewollt. Sexuelle Aktivität von US-Militärangehörigen im asiatischen Raum erscheint als ein noch immer gültiges Privileg.

Große Luftkriegfilme sind derzeit angesagt. Viel ungenierter noch als "Top Gun" oder "Stealth" zeichnet im gleichen Jahr der französische Kinotitel "Chevaliers du Ciel" bzw. "Sky Fighters" (Frankreich 2005) ein sexuelles Image von Kampfpiloten, die gegen "islamische Terroristen" und europäische "Schläfer ohne Bart" agieren. Wenn eine Soldatin "zwei überzeugende Argumente" hat, sind ihre Brüste gemeint. Auf der Tragfläche eines Kampffliegers wird den Piloten von einer Kollegin ein aufregender Striptease geboten. Der "Steuerknüppel" kommt wiederholt als Anspielung auf den Piloten-Phallus ins Spiel. Das steigert sich in der Luft zum symbolischen Orgasmus: "Gefällt es Ihnen?" "Ja, es ist toll. ... Ich hätte niemals gedacht, dass es so schön sein könnte!"

Die Macho-Linie wird nur an einer Stelle relativiert: Die feurigste Pilotin benutzt einen der Luftritter lediglich als befristeten Ersatzmann im Bett, bis sie wieder zu ihrem festen Freund zurückkehren kann. Übrigens weist dieser Film den Weg zum staatlichen Militainment in EUropa, das sich nunmehr dem US-Vorbild angleicht. Neben "Madame le Ministre de la Defense Michèle Alliot-Marie" ist das französische Militär im Danksagungsabspann mit mehreren dutzend Zeilen vertreten.22

"Krieg und Geilheit, die bleiben immer in Mode"

Einen Beitrag über das Kriegskino hat Rainer Gansera einmal mit folgendem Shakespeare-Zitat überschrieben: "Krieg und Geilheit, die bleiben immer in Mode." Nun lassen sich der moderne Krieg und seine Ableger kaum mit einem Naturtrieb vergleichen. Die sexualisierte Kriegsgewalt ist zudem keine archaische Erscheinung, die durch "zivilisatorischen Fortschritt" - unter Beibehaltung der überkommenen Geschlechtsrollen-Konstruktion - überwunden werden könnte. Sie gehört zum System bzw. zur Logistik des Krieges, und man trifft sie in unterschiedlicher Weise bis zur Gegenwart auf allen Militärschauplätzen an.

Die Kritik kann sich also nicht gegen eine bestimmte Nation richten, sondern muss das Kriegführen selbst als das zugrunde liegende Übel entlarven. Dass Soldaten in "demokratischen Armeen" auch hinsichtlich der schlimmsten Grausamkeiten keine Ausnahme bilden, ist historisch hinlänglich erwiesen. Dass die westlichen Militärs wieder verstärkt mit einem sexuellen Image locken, ist schändlich. Zu den Profiteuren von billigen Sexangeboten in armen Ländern oder von Zwangsprostitution und Menschenhandel unter dem Deckmantel einer privatisierten Kriegsdienstleistung gehören auch "humanitäre Helfer" des Westens, UN-Soldaten oder Angehörige der Bundeswehr. Die Medienberichterstattung über Kriege oder Auslandseinsätze des Militärs, die als gerechtfertigte Missionen angesehen werden, klammert die Bereiche "Kriegssexualität" und sexualisierte Kriegsgewalt weitgehend aus. Es besteht wenig Wahrscheinlichkeit, dass auf diese Weise ein zutreffendes Bild von aktuellen Schauplätzen vermittelt wird.

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