Der Spion in der Tonne

England: Empörung über deutsche Wanzen an Mülltonnen

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Es soll ja Hollywood-Stars geben, die Wachmänner engagiert haben, die rund um die Uhr auf ihre Mülltonnen aufpassen, damit kein Unbefugter Einblick in wichtige Hinterlassenschaften der Prominenten bekommt. Dass der Müllinhalt aussagekräftig sein kann, wusste schon eine ganze Reihe von Abfallpaparazzi, welche den Müll von Stars in Reportagen vorstellten. Sogar Geld kann man damit verdienen, wie zuletzt der während der Weltmeisterschaft ausgespuckte Kaugummi von Lehmann bewies, der anschließend bei eBay versteigert wurde.

Doch auch Normalbürger lassen sich nur ungern in die Tonne schauen, wie die Reaktion auf den aktuellen „Bin-Brother“-Skandal in England zeigt. Wie die Sonntagsausgabe der britischen Zeitung Daily Mail berichtete, sollen 500.000 Mülltonnen in englischen Kommunen mit RFID-Chips ausgestattet worden sein, ohne Wissen der Haushalte. Die an den Tonnendeckeln installierten Chips sollen die Informationen „über den Inhalt der Mülltonnen“ zu einer zentralen Datenbank schicken, welche, wie die Zeitung argwöhnt, somit die Abfall-Gewohnheiten der Haushalte aufzeichnet.

In den kommenden Jahren sollen fast alle englischen Kommunen mit „verwanzten Mülltonnen“ ausgestattet sein, schrieb die Zeitung gestern. In einigen Kommungen wurden Tonnen bereits angeblich ohne Wissen der Besitzer mit den münzgroßen Chips bestückt worden. Die Installation soll zudem „in vielen Fällen“ in den Stadt- bzw. Gemeinderäten nicht öffentlich debattiert worden sein.

Man wolle die Effizienz verbessern und Nachbarschaftsstreitigkeiten darüber vermeiden, wem die Tonne gehöre, wird als offizieller Grund für den Einsatz der RFID-Chips genannt. Dass die Chips von deutschen Firmen geliefert werden, setzt der Empörung über die Aktion, die sich im Artikel und vor allem in den Kommentaren dazu äußert, noch eine weitere Spitze auf: „Germans plant bugs in our wheelie bins“ („Deutsche verwanzen unsere Mülltonnen“) lautet der Titel des Artikels in der Sonntagszeitung.

Just been out to check and yes we've been BUGGED! Bournemouth Council kept that quiet.

Leser aus Bournemouth, Dorset

How far is this Government prepared to push the man in the street. Someone is going to be killed and who's fault will it be.

Leser aus Newcastle

Experten vermuten andere als die offiziell angegebenen Gründe. Ihrer Meinung nach dürften die Informationen, welche die Chips liefern, die Kommunalverwaltungen mit den nötigen Angaben versorgen, um künftig Haushalte finanziell zu belangen, wenn sie festgelegte Grenzwerte von nicht-recycelbarem Müll überschreiten. Angeblich soll ein entsprechender Gesetzentwurf beim Umweltministerium in Planung sein. Großbritannien muss die EU-Deponien-Richtlinie umsetzen, nach der die abzulagernde Menge der biologisch abbaubaren Siedlungsabfälle bis zum Jahr 2016 auf 35 Prozent reduziert werden muss, wenn die Kommunen nicht entsprechende Strafgebühren bezahlen wollen. Gegenwärtig ist Großbritannien nach Griechenland und Portugal Schlusslicht in der EU, was das Recyceln von Abfällen betrifft, wie gerade ein Bericht des Institute for Public Policy Research deutlich machte. Der Regierung wird hier geraten, den Kommunen die Möglichkeit zu geben, eine „pay-as-you-throw“-Gebühr für nicht-recycelbaren Abfall erheben zu können.

Welche Details über den Müll der englischen Haushalte die deutsche RFID-Wanzen-Spionage ans Licht bringen wird, ist nun Gegenstand hitziger Spekulationen. Ein konservativer Parlamentarier wähnt gar eine Überwachungsaktion, wie sie nicht einmal die Sowjetunion gewagt hätte.

Möglich wäre neben der Erfassung, wann welche Mülltonnen geleert wurde, auch das Gewicht des Abfalls zu ermitteln, zumindest bei den Fahrzeugen, die bereits den Müll wiegen können: Wird die Tonne vom Hebemechanismus des Müllwagens in die Höhe gehievt, dann passiert der am Deckel angebrachte eine Antenne, welche die dort gespeicherte Seriennummer liest. Dann könnte das Gewicht des Abfalls gemessen, die Daten gespeichert und bei Rückkehr Wagens in die Müllstation die Daten an einen zentrale Datenbank in der Verwaltung weitergegeben werden. So ließe für jeden Haushalt eine genaue Müllmenge in Rechnung stellen. Nicht wenige britische Bürger argwöhnen, dass sie so doppelt für ihren Abfall berappen müssen, da die Müllabfuhr bereits über eine steuerliche Abgabe an die Kommunen bezahlt wird. In Zukunft könnte man auch alle Waren und Verpackungen, die ihrerseits mit RFID-Chips ausgestattet sind, beim Leeren der Tonne erfassen und so tatsächlich den Inhalt oder zumindest den Abfall erkennen, der nicht recycelbar ist.

Entrüstete Bürger haben bereits ihre Müllüberwachungs-Chips auf den Boden eines Ratsgebäudes geworfen, andere denken laut darüber nach, die Chips einfach wegzuwerfen, die Verwaltungen drohen jedoch damit, Mülltonnen ohne Funk-Chip nicht mehr zu entleeren. Was sie aber einem neuen britischen Kleinmülltourismus, der bei der Nachbarschaft anfängt und auf Müllkörbe und Tonnen in der weiteren Umgebung ausgedehnt werden könnte, entgegenzusetzen vermögen, ist noch nicht klar. Vielleicht wissen Mitglieder der Monty Pythons-Truppe darauf eine Antwort - oder die Deutschen.