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Um einen Artikel mit Informationen von anonymen Informanten zum Erkenntnisstand der britischen Behörden ohne juristische Probleme veröffentlichen zu können, sperrte die New York Times den Zugriff auf diesen für britische Bürger und lieferte eine Printausgabe ohne den Artikel aus

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In einem ungewöhnlichen Schritt hat die New York Times einen Artikel, der am Sonntag über die geplanten Terroranschläge in Großbritannien erschienen ist, für die britischen Leser gesperrt. Der Artikel stand weder in der internationalen Printausgabe der Times noch in der des International Herald Tribune, die nach Großbritannien geliefert wurden. Die britischen Internetnutzer wurden blockiert, um ihnen keinen Zugang zu dem Artikel Details Emerge in British Terror Case zu gewähren.

In einem ungewöhnlichen Schritt hatte die Times vor der Veröffentlichung ihren Anwalt befragt, der dazu riet, den Artikel britischen Bürgern nicht zugänglich zu machen. Er enthält Aussagen von britischen Informanten aus Sicherheitskreisen, die anonym bleiben wollten, über neue Beweise in dem Fall. In Großbritannien ist es verboten, Informationen, die einen Gerichtsprozess beeinflussen können, vor diesem bekannt zu geben. Die britischen Internetleser wurden von der New York Times so über die Vorsichtsmaßnahme informiert, wie die Zeitung gestern berichtete:

On advice of legal counsel, this article is unavailable to readers of nytimes.com in Britain,” is the message they would have seen. “This arises from the requirement in British law that prohibits publication of prejudicial information about the defendants prior to trial.

Das Unternehmen mutet absurd an, weil hier territoriale Grenzen eines Rechtsraums auf eine Weise eingehalten werden sollen, die nicht wirklich funktionieren kann, aber rechtlich zwingend sein mögen, um eine Anklage gegen die New York Times zu verhindern. Man müsse die Gesetze des Landes respektieren, das ebenfalls eine freie Presse hat, auch wenn die Pressefreiheit eingeschränkter als in den USA ist, heißt es von der New York Times, die wohl vornehmlich finanzielle Einbußen fürchtete. Den britischen Internetbenutzern verwehrte man den Zugriff über Lokalisationsprogramme, wie sie für die räumlich gezielte Werbung verwendet werden, also vermutlich über die IP-Adressen. Das kann nicht alle ausschließen, aber doch die überwiegende Mehrzahl.

Die Maßnahme des Medienkonzerns mag von britischen oder internationalen Gerichten als ausreichend akzeptiert werden, um britisches Recht einzuhalten. Allerdings könnte sie auch die Folge haben, dass auch andere Staaten nun Medien unter Druck setzen können, bestimmte Inhalte für ihre Bürger nicht zugänglich zu machen. So könnte die New York Times zum Vorreiter nicht nur für Zensur auch im Dienste von totalitären Staaten werden, sondern damit ließe sich auch eine Zonierung des Internet durch Aufrichtung von virtuellen Mauern begründen. Bei der New York Times verweist man zwar darauf, dass in Großbritannien allgemein Pressefreiheit herrscht, aber nationale Gesetze schränken auf vielfältige Weise die Berichterstattung ein. Ob dann jeweils Online-Ausgaben für die USA, China, Saudi-Arabien, Iran oder Deutschland von der New York Times und anderen Medien gemacht werden müssten? Der viel propagierte freie Fluss der Informationen wäre jedenfalls noch mehr kanalisiert als bislang.

Update: In einem Artikel der britischen Times werden heute praktisch alle Details aus dem Beitrag der New York Times berichtet. War die Zensur der NYTimes also völlig unnötig?

Der Anschlagsplan stand offenbar keinesfalls unmittelbar bevor

In dem Artikel der Times werden Berichte von britischen Sicherheitskräften über den Stand der Ermittlungen über die offiziellen Mitteilungen hinaus wiedergegeben (400 Computer, 200 Handys, 8000 Speichermedien, Tausende von Gigabytes). Kurz nach der Aufnahme eines Videobandes in einer Wohnung, die von der britischen Polizei durch einen Lauschangriff überwacht wurde, entschloss man sich, die Verdächtigen festzunehmen. Auf dem „Märtyrer“-Video haben zwei der Verdächtigen angeblich die geplanten Anschläge mit der Gewalt in Afghanistan und im Irak gerechtfertigt: „As you bomb, you will be bombed; as you kill, you will be killed.“ Sieben solcher Märtyrervideos seien gefunden worden, daneben auch ein Tagebuch, in dem Teile des Anschlagsplans ausgeführt wurden, und Belege für Geldüberweisungen aus dem Ausland. Die Verdächtigen seien monatelang beobachtet worden, wie sie in einer Wohnung mit chemischen Substanzen experimentiert hätten. Zudem habe man die Bestandteile gefunden, mit denen sich ein Flüssigsprengstoff herstellen ließe.

Allerdings ergibt sich nach den Berichten auch, dass der „vereitelte“ Anschlagsplan keineswegs unmittelbar bevorstand, wie die britischen und amerikanischen Sicherheitsbehörden und Regierungen zuerst gesagt hatten, um die verstärkten Kontrollen zu rechtfertigen (Von den "vereitelten Terroranschlägen"). Die Planer hätten noch eine Menge zu tun gehabt, um den Anschlag ausführen zu können. Nicht einmal die Rekrutierung sei abgeschlossen gewesen. Manche hatten keine Pässe, weder waren bereits Tickets gekauft, noch Buchungen vorgenommen worden. Wahrscheinlich gab es auch noch keinen Termin für die geplanten Anschläge, deren Durchführung ebenfalls noch nicht wirklich festgelegt war. Unsicher scheint man auch bei der britischen Polizei zu sein, ob überhaupt einer der Verdächtigen einen funktionierenden Sprengsatz hätte bauen können.

Angeblich wurde die britische Polizei auch nicht wegen des geplanten Terroranschlags auf die Gruppe aufmerksam, sondern hat einen Tipp erhalten und suchte nach Verbindungen zu den Selbstmordattentätern vom 7. Juli oder zu Terroristen in Pakistan. Im Zuge der Beobachtung habe man dann entdeckt, dass chemische Experimente mit Sportgetränken von der Gruppe gemacht wurden, wodurch der Verdacht entstand, dass sie mit diesen den Sprengstoff in Flugzeuge schmuggeln wollten. Vieles aber sei offen geblieben, da Scotland Yard durch die Festnahme von Rashid Rauf in Pakistan vorzeitig zum Zuschlagen gezwungen worden sei. Angeblich habe dann eine mit ihm verbundene Person versucht, in Kontakt mit der britischen Gruppe zu treten. Das wurde als Versuch interpretiert, dass die Aktion gestartet werden soll. Daher sei man dann genötigt gewesen einzuschreiten.