Der Verfassungsschutz soll "Emails auf Festplatten" lesen dürfen

In erster Lesung wurde im NRW-Landtag die von Innenminister Wolf (FDP) erstellte Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes behandelt, die dem Geheimdienst "offensive Internetbeobachtung" und das Eindringen in private Rechner ermöglichen würde - für die Opposition ist das Hausfriedensbruch

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In erster Lesung behandelte gestern der Landtag von Nordrhein-Westfalen das "Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen". Von den Grünen und der SPD wird der Entwurf abgelehnt, der es dem Verfassungsschutz ermöglichen würde, heimlich über das Internet in private Rechner einzudringen (Verfassungsschutz soll auf Computer übers Internet zugreifen dürfen). Die Novellierung war bereits auf dem Weg, bevor der missglückte Anschlag auf die Regionalzüge stattgefunden hat. Innenminister Wolf (FDP) berichtete dem Plenum zunächst vom Stand der Ermittlungen. Offenbar herrscht trotz der erfolgten Festnahmen noch Unkenntnis über die Motive der Verdächtigen vor.

Die Polizei tappt offenbar, den Ausführungen des Innenministers zufolge, noch weitgehend im Dunklen, was den Hintergrund und die Motive der mutmaßlichen Bombenleger betrifft:

Es ist deshalb auch noch keine belastbare Bewertung dazu möglich, aus welchen Gründen Deutschland für die Anschläge ausgewählt wurde. Noch liegen keine gesicherten Erkenntnisse dazu vor, inwieweit etwa familiäre Strukturen, eine islamistische Gesinnung oder Einbindung in ein Netzwerk, persönliche Erlebnisse oder sonstige Beeinflussung Auslöser für die Tat waren.

Gleichwohl wurde für Wolf mit der Entdeckung der beiden – nach Experten offenbar falsch konstruierten und daher nicht funktionsfähigen – Sprengsätze bestätigt, dass Deutschland „Teil eines weltweiten Gefahrenraumes“ ist. Nach dem 11.9. habe man sich schnell auf diese Bedrohungslage eingestellt und einen „ganzheitlichen Bekämpfungsansatz“ entwickelt, um so alle Behörden zusammen arbeiten zu lassen. „Internationale terroristische Netzwerke und auch inländische Terroristen nutzen“, so Wolf, „das Internet und die elektronische Kommunikation zunehmend zur Propaganda und für logistische Zwecke. Die Beobachtung von Internetseiten, Chats und auch das Eindringen in Rechnersysteme ist daher ein notwendiges Instrumentarium für einen wirksamen Verfassungsschutz.“

Eben dies soll unter anderem die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes ermöglichen, die dem Geheimdienst die nach dem 11.9. gewährten Sonderbefugnisse zur Auskunft über internationale Terroristen auch im Inland für heimische Terroristen gestatten würde.

Daher sollen die Auskunftsbefugnisse gegenüber Banken und Telekommunikationsunternehmen auch gegenüber inländischem Extremismus gelten. Wir müssen künftig die sogenannten homegrown-terrorists - Islamisten mit deutscher Staatsangehörigkeit ebenso beobachten können wie ausländische Gefährder. Dies bedeutet nicht, dass zum Beispiel die Bankverbindungen jedes Einzelnen überprüft werden könnten. Nur bei Anhaltspunkten für das Vorliegen von schwerwiegenden Gefahren – wie z.B. der geplante Anschlag auf eine Synagoge - darf der Verfassungsschutz solche Auskünfte einholen.

Ingo Wolf am 31.8. vor dem Landtag

Man dürfe die Welt, in der sich die modernen Terroristen bewegen, nicht von der Beobachtung durch den Geheimdienst ausschließen. Wolf verweist darauf, dass auch die Bundesregierung bei der anstehenden Veränderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes ähnliche Erweiterungen plane, diese aber in Nordrhein-Westfalen durch die FDP stärker beschränkt würden. So soll zwar der Verfassungsschutz Auskunft über Personen von Luftfahrt- und Telekommunitionsunternehmen, Banken und Postdiensten verlangen und „offensive Internetmaßnahmen“ ausführen können, aber nur dann, wenn „hinreichend Anhaltspunkte für schwere Straftaten vorliegen“ und die parlamentarische G10-Kommission dies genehmigt hat. Bei manchen Äußerungen des Innenministers zweifelt man allerdings ein wenig, ob er überhaupt weiß, wovon er spricht.

Zu dieser offensiven Internetbeobachtung gehört neben der Beobachtung von Homepages auch das Lesen von e-mails auf Festplatten. Als verantwortlicher Innenminister möchte ich für die Sicherheit unseres Landes wissen, welche Extremisten sich Anleitungen zum Bombenbauen aus dem Internet ziehen und wer in verdeckten Chatrooms über geeignete Anschlagsziele diskutiert.

Ingo Wolf

Der Paragraph 5 des Verfassungsschutzgesetzes soll auf die auf „die Beobachtung von Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 erweitert“ werden, heißt es im Entwurfstext, „um dem neuen Phänomen der home-grown-terrorists mit wirksamen Aufklärungsmitteln begegnen zu können.“ Allerdings bezieht sich § 3 Abs. 1 Nr. 1 nicht auf „inländische Terroristen“, sondern auf weit mehr:

§ 3
Aufgaben

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über

1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben,
… im Geltungsbereich des Grundgesetzes, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen und Tätigkeiten vorliegen.

Im Gesetzesentwurf wird die bereits im Rahmen des Artikels 10 Grundgesetz geregelte Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs auf folgende Befugnisse erweitert:

heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen bzw. die Suche nach ihnen, sowie der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel. Soweit solche Maßnahmen einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis darstellen bzw. in Art und Schwere diesem gleichkommen, ist dieser nur unter den Voraussetzungen des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz zulässig.

Danach wäre den Verfassungsschützern die „Teilnahme an Chats, Auktionen und Tauschbörsen, die Feststellung der Domaininhaber, die Überprüfung der Homepagezugriffe, das Auffinden verborgener Webseiten sowie der Zugriff auf gespeicherte Computerdaten“ ermöglicht. Dabei scheint dem Verfassungsschutz die erweiterten Befugnisse auch dann genehmigt zu sein, wenn „die Wirkungen der Maßnahmen“ über die „territorialen Grenzen“ des Bundeslandes hinausreicht, was heißt, dass der Verfassungsschutz NRW auch in Hamburg oder Bayern in Rechner eindringen und „Emails lesen“ dürfte.

Bei der CDU stieß der Gesetzesentwurf auf Zustimmung. So sagte Peter Biesenbach: „Wir wollen Befugnisse erweitern, damit wir nicht Fahrrad fahren, wenn andere mit dem Auto unterwegs sind.“ Bei der FDP ist man gespalten. Während Horst Engel befürchtet, dass eine Beschneidung der Bürgerrechte drohe und das vorhandene Instrumentarium zur Terrorismusbekämpfung ausreiche, stellt sich Robert Orth hinter den FDP-Innenminister und will die Ausweitung der Befugnisse zeitlich beschränken. Für Karsten Rudolph wäre das Eindringen in Computer verfassungswidrig.

Monika Düker (Bündnis 90/die Grünen) monierte nicht nur die Ausweitung der Befugnisse über „inländische Terroristen“ hinaus, sondern vor allem, dass das Gesetz wegen der Erlaubnis, in private Rechner eindringen zu können, gegen das Grundgesetz verstoße. Hier gehe es nicht um die Kontrolle durch die G10-Kommission, also um die Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs, sondern um Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung schützt. Düker verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März dieses Jahres, das eben einen solchen Fall behandelt hat. Danach sind Daten, die „nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeichert“ wurden, nicht vom Art. 10 Abs. 1 GG umfasst: „Die Daten sind durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt.“ Damit wäre ein Zugriff einem Hausfriedensbruch vergleichbar. Allerdings hob das Verfassungsgericht hervor, dass „auf die beim Kommunikationsteilnehmer gespeicherten Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen und insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugegriffen werden“ darf. In dem vom Verfassungsgericht verhandelten Fall hatte es sich um einen „äußerst geringen“ Tatverdacht und keineswegs um schwere Straftaten gehandelt.