"Web 2.0 ist nutzloses Blabla, das niemand erklären kann"

Tim Berners-Lee zum Hype des "neuen Web"

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Web 2.0 ist ein Buzzword, das Hoffnungen auf eine Wiederholung der kranken Internetblase von 1999/2000 wecken soll, in der virtuelle Werte mehr galten als reale Werte. Der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, hat nun sein Missfallen über das „Web 2.0“-Geschwätz kund getan.

Tim Berners Lee, der Mann, der am CERN das http-Protokoll ebenso wie den ersten Webserver und den ersten Webbrowser entwickelte und damit 1989 die Grundlagen des heutigen WWW, muss immer wieder für alles Mögliche herhalten. Beispielsweise soll er 1989 gleich den Grundstein zum folglich anscheinend erst danach von anderen erfundenen Internet gelegt haben, belehrt uns dieser Tage ein langatmiges Schreiben des Frankfurt Trust, der zukünftig die Kontoauszüge nur noch in einem „elektronischen Briefkasten“ bereitstellt oder andernfalls „wegen des gestiegenen Aufwands“ (seitdem es das WWW gibt, ist aber zumindest in Deutschland das Versenden von Briefen gar nicht wesentlich teurer geworden) sechs Euro im Jahr zusätzlich kassieren will.

Wink mit dem Zaunpfahl: Wer zuhause kein Internet hat, soll nun gefälligst vom Büro aus seine Geldgeschäfte erledigen…

Die sogenannte „Online-Rechnung“ ist aber gar kein elektronischer Nachrichtenversand, sonst wäre es ja E-Mail, sondern ein einem Homebanking-Zugang ähnelndes Depot, für das man jede Menge Passwörter benötigt und etliche Seiten Anträge ausfüllen muss, falls man überhaupt soweit kommt, jemanden zu finden, der einem diese Formulare erstmal zuschickt. „Sie sparen Zeit und Kosten, dieser Service macht Ihr Leben noch einfacher“ wird da zum puren Hohn, verlegte Kontoauszüge werden nun durch verlegte Passwörter ersetzt, denn schließlich liefern ja auch Telekom, Internet- und Mobilfunkprovider ihre Rechnungen am liebsten auch nur noch online in ähnlich komplizierten Verfahren und Tim Berners-Lee, der an dem Schlamassel ja angeblich unmittelbar schuld sein soll, wird selbst passionierten Internetusern richtig unsympathisch.

Natürlich kann Berners-Lee für solchen Quatsch absolut nichts und muss sich täglich darüber ärgern, was aus seinem Web geworden ist und was für Schindluder damit getrieben wird. Glücklicherweise erfährt er das Meiste davon gar nicht. Doch mit all der heißen Luft um "Web 2.0", die Partys wie 1999 ebenso auslöst wie Marken- und Patentstreitigkeiten, platzte ihm nun der Kragen, als in einem IBM Developer-Works-Podcast der Interviewer gegenüber Berners-Lee „Web 1.0“ als „Verbinden von Computern und Informationsveröffentlichung“. „Web 2.0“ dagegen als „Verbinden von Menschen und neue Arten von Zusammenarbeit” spezifizierte.

Jeder, der das Internet seit fünf bis zehn Jahren kennt, weiß dagegen, dass genau letzteres das war, was die kleinen Homepagebastler der Jahre 1995 bis 2000 erreichen wollten und was zunächst auch wunderbar gelang (Arbeit im Netz - Arbeit fürs Netz) – erst die großen Unternehmen, die ab 1999 massiv dazwischenfunkten, wollten das WWW und damit dann auch gleich das ganze Internet zu E-Kommerz und Rundfunk umfunktionieren und aus der aktiven Gemeinschaft, in der jeder auch selbst Inhalte beisteuerte, ein passives Konsumgut machen, das nur noch mit vorgekauten Inhalten der großen Konzerne bestückt werden durfte, da nun schon ein falscher Link oder ein Post eines Dritten den finanziellen Ruin bedeuten konnte. Und hier bringt „Web 2.0“ auch keine Besserung, sondern sogar noch mehr Risiko, da der Inhaber einer Website auf die auf dieser dargestellten, aus diversen Quellen zusammengemischten dynamischen Inhalte ja nun gar keinen Einfluss mehr hat ("Web 2.0" ist ein Paradies für Hacker).

Stoppen wird Berners-Lees Wutausbruch „Web 2.0“ nicht. Auf ihn wird man diesmal ebenso wenig hören, wie damals, als er zum juristischen Missbrauch des Domain-Name-Systems Stellung bezog oder zur – ebenfalls juristischen – Ansicht, dass ältere Dienste wie E-Mail gegenüber einer WWW-Anwendung keine Bedeutung haben; immer wieder ein wunder Punkt bei Domainstreitigkeiten, bei denen Domains, die nur für E-Mail benutzt werden und keine hinterlegten Webinhalte, ja gar keinen angeschlossenen Webserver aufweisen, als unbenutzt und somit böswillig gegrabbt und sofort freizugeben eingestuft werden. Dennoch ist es erfreulich, dass Berners-Lee es wagt, zu sagen, dass der Web 2.0-Kaiser gar keine Hosen anhat.