Ausweitung der Kriegszone

Anti-Terror-Gesetze gegen amerikanische Teenager?

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Dass Kinder Terroristen sein können, wird niemand bestreiten, der die jungen Menschen aus der Nähe kennt. Freilich werden viele wissen, dass mit dieser Floskel, deren Wahrheitsgehalt manche zum Schmunzeln bringen mag, imgrunde banale, nicht ernstlich schädigende Aktionen gemeint sind; ruiniert wird in den meisten Fällen nur das Nervenkostüm der Nahestehenden. Doch wie so oft ist der Abgrund auch hier nicht weit vom harmlosen Witz entfernt.

In New Jersey stehen seit Anfang Juli vier Teenager im Alter von 14 bis 16 Jahren unter Anklage des "first-degree terrorism", weil sie für den 20.April dieses Jahres eine Schießerei an ihrer Schule planen wollten, bei der der Tod von mindestens 17 Menschen vorgesehen war. Waffen konnten sich die vier nicht besorgen.

Für denselben Tag, den 20.April, an dem sich das Columbine-Schulmassaker von 1999 (vgl. Medien und Gewalt von Schülern) jährt - und der Geburtstag Adolf Hitlers -, hatten zwei 17Jährige aus Missouri ein "Massaker" an einer High-School geplant. Die Polizei wurde von Mitschülern, die gewarnt worden waren, informiert. Der Anklagepunkt in diesem Fall: "making terrorist threats".

In Michigan wurde ein 18jähriger zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil auch er ein "Massaker" an Studenten einer High School in einer Vorstadt von Detroit plante. Bei ihm wurde ein AK-47 gefunden, Sprengstoffe, eine Nazi-Flagge und "Materialien zu Adolf Hitler". Entdeckt wurde er, weil er seine Pläne in einem Chatroom weitererzählte. Dieser Fall gehört laut einer Zeitungsmeldung, die sich auf Aussagen von Ermittlungsbehörden stützt, ebenfalls zu den ersten seiner Art, bei dem die Anti-Terrorgesetze (vgl. Anti-Terror-Paket in den USA auch vom Senat verabschiedet) für "Gewalt an den Schulen" (school violence) angewandt wird.

Dies sind nur drei Beispiele von versuchten Schülerattentaten. Über mögliche Erklärungen, Hintergründe, Gewaltbekämpfungsprogramme, gesellschaftliche und mediale Aspekte der Schulmassaker und das Abschreckungspotential harter Strafen wurde an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet (vgl. Clockwork America, Deutsche Verhältnisse und Medien und Gewalt von Schülern), die oben genannten Fälle weisen aber darüberhinaus auf einen anderen heiklen und schwierigen Punkt hin: auf die Formbarkeit des vagen, zentralen Begriffs im großen "War on Terror" - dem des "Terrorismus".

Ab wann kann man mit juristisch verbindlichen Konsequenzen von terroristischen Akten bzw. ihrer Vorbereitung sprechen? Sind Teenager, die ihre Gewaltphantasien umsetzen in der planerischen Nachahmung des Columbine-Massakers, mit jenen Terroristen gleichzusetzen, denen der Patriot-Act von 2001 ursprünglich galt?

Für die Kolumnistin des amerikanischen Online-Magazins Slate, Dahlia Litwick, fällt die Antwort so aus:

Es gibt einen Unterschied zwischen Terroristen und zornigen Schülern. Indem man Strafen verschärft und Heranwachsende wie Erwachsene bestraft, verwischt man eine wichtige Unterscheidung...Es gibt einen profunden Unterschied zwischen dem fundamentalistischen islamischen Terrorismus und dem Terrorismus bei uns zuhause, wie ihn z.B. Timothy McVeigh mit seinem Anschlag in Oklahoma City ausübte. Und es gibt noch mal einen riesigen Unterschied zwischen den beiden genannten Arten und den jugendlichen Plots, die "cool kids" in der Lesehalle zu erschießen.
Alle drei Klassen der Straftäter unter dieselbe Anklage als "Terroristen" zu stellen, dient einzig dazu, die bereits lückenhafte, legal verbindliche Definition des Terrorismus weiter zu verwischen. Das suggeriert, dass das "lonely kid", welches Bombendrohungen auf seiner MySpace-Seite postet das moralische Äquivalent zu Muhammed Atta ist.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der Jura-Professor Michael Grenberger, der zur Mäßigung rät: Zwar mag die Anklage wegen Terrorismus für Akte innerhalb der USA wie die Sniper-Attacken in Washington im Jahr 2002 angemessen sein, angewendet auf "(psychisch) gestörte Teenager" ("troubled teenagers") würde das seiner Meinung nach jedoch den "Krieg gegen den Terror" herabsetzen, verbilligen.

So tödlich die Anschläge der Teenager ausfallen können, so sei doch daran festzuhalten, dass Teenager nicht im selben Ausmaß schuldig seien wie Erwachsene, plädiert die Slate-Autorin Lithwick. Alle Schulattentäter hätten Depressionen mit suizidalen Tendenzen als auffällige Gemeinsamkeit, Jungs mit "Groll" sind ihrer Meinung nach etwas anderes als Terroristen mit "flüssigen Sprengstoffen". Weswegen man Gesetze, die auf solche Täter zugeschneidert sind, nicht auf die Jugendlichen anwenden dürfe. Das solle nicht verhindern, dass man Parallelen, die es zwischen beiden Phänomenen gäbe - Lithwick nennt hier beispielsweise "schematische Vorgehensweisen", "sexuelle Frustration", "alle Täter sind Männer" - eingehender untersuchen müsste, "um daraus Gesetze zu formulieren, die beide Tätergruppen abschrecken und bestrafen".

Der letzte Abschnitt der Kolumne verrät viel über die Ratlosigkeit bei beiden Phänomenen. Vor allem wenn es darum geht, mit Gesetzen Prophylaxe zu betreiben. So erscheinen Gesetze kaum vorstellbar, die in irgendeiner Weise etwa dem Schematismus, den Lithwick sowohl bei den geplanten Anschlägen der "echten" Terroristen wie bei den Schülern beobachtet, juristisch Rechnung tragen können. Oder wie will man die sexuelle Frustration der Täter in einer Weise juristisch operabel machen, dass damit künftige Taten verhindert werden?

Zum anderen wird bei allen Vergleichen zwischen der religiösen Motivation der islamistischen Terroristen und der unterstellten kultähnlichen Orientierungen der Jugendlichen, wie sie Dahlia Lithwick anstellt, einmal mehr ignoriert, dass der islamistische Terror hauptsächlich politisch motiviert ist, was man von den Schulmassakern nicht sagen kann. Vom Gesetzespaket des Patriot Act lässt sich das Gleiche behaupten, er richtet sich gegen politische Gegner, welche die USA mit Terroranschlägen bedrohen.

Dass man damit in der realpolitischen Konsequenz, wie Guantanamo deutlich dokumentiert, ein juristisches Niemandsland, frei für reichlich willkürliche Interpretationen des Begriffs "Terrorismus" aufgemacht hat, trifft nun anscheinend auch jene, die mit dem zugrundeliegenden politischen Konflikt zwischen den USA und islamistischen Terroristen nichts zu tun haben. Mit Gewalt alles über einen Kamm zu bürsten, ist, wie schon beim Waffengang in Afghanistan und im Irak zu sehen, die denkbar schlechteste Politik, um Gewalt zu verhindern. Möglich, dass auch der "Teen-Terror" von diesem "Gesetz" nicht ausgeschlossen ist.