Inside Job?

Fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist in den USA eine beträchtliche Graswurzelbewegung entstanden, die Kreise der eigenen Regierung direkt für die Katastrophe verantwortlich macht

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Vier von zehn US-Amerikanern glauben, dass Saddam Hussein persönlich in die Planung der Anschläge vom 11. September 2001 involviert war. Jeder dritte glaubt, dass Kreise der US-Regierung direkt in die Anschläge verstrickt sind oder bewusst nichts getan haben, sie zu stoppen, um politisches Profit aus der Situation zu ziehen. Wie geht das zusammen? Der Schock, den die US-Bevölkerung vor fünf Jahren erlitten hat, ist immer noch zu spüren. Das Paradoxon ist aber auch das Produkt einer gigantischen Propagandamaschine, die die Bevölkerung mit Desinformationen füttert, bis viele nicht mehr wissen, woran sie glauben sollen. Amerika ist extrem misstrauisch. Die Beliebtheitswerte der Regierung sind im Keller. Zunehmend verliert sie die Interpretationshoheit über 9/11. Um diesen Trend zu kontern, versucht das State Department die Argumente der Kritiker auf einer eigens eingerichteten Webseite zu entkräften. Wer sind die Kritiker und was sind ihre Argumente? Eine Reportage über die „New York 9/11 Truth“-Bewegung.

Durch die Fassade läuft eine Schockwelle... das Dach wölbt sich nach innen... dann stürzt das 47-stöckige Hochhaus fast schnurgerade ein. Binnen sieben Sekunden – in Freifallgeschwindigkeit – stürzte World Trade Center 7 in sein eigenes Fundament. Wie konnte WTC7 derart in sich zusammensacken, obwohl es nicht von einem Flugzeug getroffen worden war? Das stahlverstärkte Gebäude wäre das dritte in der Geschichte des Hochhausbaus, das aufgrund eines Feuers einstürzte. Die ersten beiden wären die Twin Towers. Die These einer wachsenden Zahl von Amerikanern: Die Flugzeuge waren nicht Auslöser der Einstürze, verschworene Kreise der Regierung haben sie sprengen lassen.

Jeden Sonntag laden Pfarrer Frank Morales, Grafikdesigner Les Jamieson und eine Handvoll Helfer zum Info- und Diskussionsabend der „New Yorker 9/11 Truth“-Gruppe in St. Mark’s Church in Downtown Manhatten ein. Jamieson ist der organisierende Kopf, Morales stellt den Raum zur Verfügung und diskutiert leidenschaftlich mit. Einer recht aktuellen Zogby-Umfrage zufolge glauben vier von zehn US-Amerikaner, die Regierung vertusche die wahren Hintergründe der Anschläge vom 11. September 2001. Jamieson sieht im fünfjährigen Jahrestag der Anschläge die Chance, „in der Bevölkerung die kritische Masse für das Bewusstsein zu erreichen, dass 9/11 für politischen und sozialen Fortschritt sowohl in den USA als auch international von zentraler Bedeutung ist.“

Während sich die US-Regierung neuerdings der Rhetorik des Antifaschismus bedient, drückt ein Mitglied der Gruppe mit seinem T-Shirt aus, dass er die wahren Faschisten vielmehr im Weißen Haus vermutet. „Um die wahren Täter in der höchsten Ebene der Regierung endlich zur Rechenschaft zu ziehen“ (Jamieson), machen die Aktivisten Bildungsarbeit im Internet und auf der Straße. Jeden Samstag wird auf Ground Zero demonstriert. Für das vergangene, mit Ereignissen gespickte Wochenende haben sie sich zusätzlich ins Zeug gelegt, sind mit Transparenten durch die Stadt gezogen und haben Flyer verteilt.

Mit Webseiten und Transparenten gegen die Regierung

Der Union Square ist ein historischer Platz in New York. Am 5. September 1882 fand hier eine Demonstration von mindestens 10.000 Arbeitern statt, woraufhin der erste Montag im September zum Feiertag wurde (Labor Day). Nach 9/11 wurde der Platz zum ersten Anlaufpunkt für Trauernde und Aktivisten. Am 3. September versammelten sich hier ca. 15 Aktivisten der NY911Truth-Gruppe, um ihre Erkenntnisse unter die Leute zu bringen. Auf ihrem Transparent steht: „9/11 was an Inside Job“ – eine US-Geheimdienstoperation. Die Touristen in den Rundfahrtbussen trauen ihren Augen kaum, machen Fotos. Doch für viele New Yorker ist das Transparent keinen Hingucker wert. Ein Passant, schick gekleidet, stört sich an der Aussage. Die Diskussion wird laut. „Ich bin doch der erste, der eine Theorie über einen Inside Job vertritt“, will der Passant einem der Aktivisten klarmachen. „Die Regierung hat ihren Fall nicht mal in liberalster Auslegung bewiesen, aber genauso wenig ist eine Geheimdienstoperation bewiesen“, sagt der gelernte Jurist, ein Schwarzer, sehr elegant gekleidet.

Für die meisten Aktivisten ist der Fall jedoch längst klar. Allan Rohde ist überzeugt, dass die Bewegung ihre Version auch vor Gericht beweisen könnte. Die größte Hürde sei längst die Wahrnehmung des Materials. „Es gibt keinen vernünftigen Grund mehr, die Beweise und Zeugenaussagen salopp abzuweisen.“ Leute die das tun, lassen sich schnell finden. Ein junger Mann, weiß, mit T-Shirt der George Washington University, empört sich über die Aktion, meint die Inside-Job-These sei „lächerlich“, weil die Frau seines Professors an besagtem Tag umgekommen sei. Derweil steht ein Mann schweigend am Union Square und schaut sich das Treiben an. Was er über 9/11 denkt? Kurze Antwort: „Inside Job!“ Seine Freunde seien auch davon überzeugt. Mit seiner Familie habe er nicht darüber gesprochen.

Jamieson und Morales hatten den New Yorker Arm der US-weiten Graswurzelbewegung zum zweiten Jahrestag der Anschläge ins Leben gerufen. „Früher wäre das nicht möglich gewesen“, meint Jamieson. „Für New York war das ein sehr emotionales Ereignis.“ Seitdem wird hinterfragt, was an diesem „schwarzen Dienstag“ wirklich geschehen ist. Fest steht, dass die Aussagen der Regierung, einen derartigen Angriff hätte „niemand vorhersagen“ können, falsch waren. Am Tag des Anschlags führten US-Behörden mindestens fünf Übungen durch. Teilweise wurde die Reaktion auf die Entführung von Passagiermaschinen geübt, teilweise die Reaktion auf den Einschlag von großen Jets in Behördengebäude. Kritiker Alex Jones schlussfolgert, dass diese Übungen als Cover für die Durchführung einer False-Flag-Operation des Geheimdienstes dienten. In jedem Fall war die Luftraumüberwachung durch diese Übungen von der sonstigen Routine entbunden. „Insgesamt gab es zu viele Vorkommnisse, die unmöglich alle auf Zufall beruhen können“, meint Jamieson.

Kontrollierter Abriss?

Zur Arbeit der Aktivisten gehört auch die Recherche und Produktion von Dokumentarfilmen. Einer der bekanntesten ist Loose Change, was soviel wie „Kleingeld“ aber auch „langsamer Wandel“ bedeutet. Diese Filme werden heute gehandelt und getauscht wie Bootlegs – Mitschnitte von Musikkonzerten – in der Prä-Internet-Ära. Einer der besten Filme – in dem Sinn, dass nicht interpretiert und spekuliert wird –, heißt September 11 Revisited und beschäftigt sich mit der Frage, ob Sprengsätze benutzt worden sein können, um die Gebäude runter zu bringen.

Zeugen am Morgen des 11. September 2001 sagten, sie hätten große Explosionen gesehen, gehört und gefühlt. Zahlreiche derartige Aussagen liegen vor von Feuerwehrleuten, Polizisten, Reportern und Betroffenen. Zum Beispiel erzählte der Feuerwehrmann Louie Cacchioli dem People-Magazin über seinen Einsatz im Südturm, kurz nachdem dieser getroffen worden war: „Ich brachte meine Leute im Aufzug in den 24. Stock, um Leute zu evakuieren. Bei der letzten Fahrt hinauf explodierte eine Bombe. Wir glauben, dass Bomben in dem Gebäude platziert worden waren.“ 62 Minuten, nachdem der Turm getroffen worden war, hatte Feuerwehrmann Orio Palmer den Aufstieg in den 74. Stock geschafft. Per Funk meldete er, es gebe „keinen Rauch oder Feuer, die Wände sind gebrochen.“ Vier Minuten später war er im 78. Stock, unmittelbar unter der Einschlagstelle. Seine Meldung: „Wir haben hier zwei isolierte Brandherde. Mit zwei Schläuchen sollten wir die löschen können.“ Offiziell stürzten die Gebäude des World Trade Center ein, weil Kerosinfeuer den Stahl schmolzen.

Starke Unterstützung erhält die „9/11 Truth“-Bewegung von den Scholars for 9/11 Truth, einem Zusammenschluss von mittlerweile etwa 300 Akademikern, die behaupten, „dass das World Trade Center fast ohne Zweifel kontrolliert abgerissen worden ist und dass die vorhandenen relevanten Belege die offizielle Version der Regierung, was am Pentagon geschehen sein soll, äußerst stark in Zweifel ziehen. Sie glauben, dass die Regierung 9/11 nicht nur geschehen ließ, sondern die Ereignisse vielleicht sogar selber orchestriert hat, um politischen Nutzen daraus zu ziehen.“

Im Film 911 Eyewitness dokumentiert der Webcasting-Pioneer Richard Siegel seine Film- und Tonaufnahmen der Katastrophe in Manhatten. Als die Welt auf die obere Hälfte der Zwillingstürme schaute und den Kommentaren lauschte, nahm Siegel von der anderen Seite des Hudson-Flusses das Panorama auf. Bevor die Türme kollabieren, hört man auf seinen Bändern zahlreiche laute Knalle wie von Explosionen. Nach einem Knall sieht man Rauch vom Fundament der Türme aufsteigen. Diese Aufnahmen untermauern weiteres Material aus dem „Loose Change“-Film, in dem zahlreiche Personen Explosionen im unteren Teil des Gebäudes bezeugen.

„Loose Change“ hat der 9/11-Bewegung zu mehr Gehör in der Öffentlichkeit verholfen. Zwar merkt man dem Film an, dass die Macher keine Profis sind – besonders im Umgang mit Internetquellen haben die Produzenten Fehler gemacht. Auf der anderen Seite wird im Film das nachgeholt, was die Massenmedien seit fünf Jahren versäumt haben: das kritische Hinterfragen der offiziellen Version und die Kontrolle der Regierung. In den USA hatte es den Aufschrei des Schauspielers Charlie Sheen gebraucht, bis die Massenmedien sich den Sorgen eines ständig wachsenden Bevölkerungsanteils widmeten. Gefragt, ob sie mit Sheen übereinstimmten, dass die Regierung die tatsächlichen Ereignisse vertuscht hätte, stimmten 83 Prozent in einer CNN-Blitzumfrage mit Ja. In Deutschland gibt es zunehmend Medienberichte, weil „Loose Change“ so erfolgreich ist und die Umfragewerte für eine Verschwörung in die Höhe schießen.

Spiegel Online hat kürzlich den gesunden Geisteszustand der skeptischen US-Amerikaner angezweifelt. Lesern der Polemik sei jedoch gesagt, dass die Spiegel-TV-Reporterin, die in New York recherchiert hatte, im persönlichen Gespräch zu einem anderen Ergebnis kam, als die Tendenz des Onlineartikels es erwarten lässt.

Am Union Square packen die Aktivisten ihre Infotafeln zusammen. Sie haben gestritten aber auch Sympathie erfahren. Jamieson ist zuversichtlich, dass am Wochenende ein wichtiger Schritt getan werden kann. „Die Wahrheit wird sich durchsetzen.“ Seine Gruppe erweckt nicht den Eindruck, als würde sie vor Erreichen ihres Ziels einknicken. Immer wieder betont er, dass die Leute sich schlau machen sollen, Webseiten besuchen, Filme gucken. Wer Expertenstimmen schätzt, wird sie für beide Versionen finden. Am Ende kommt es bei jedem Einzelnen darauf an, was er glauben möchte. Wären höchste Kreise der Regierung wirklich bereit und fähig, die eigene Bevölkerung für politische Ziele übers Messer springen zu lassen? In New York City ist es schwerer, jemanden zu finden, der nicht von einem Inside Job überzeugt ist, als umgekehrt.