Halbherzige Kritik

Bundeskanzlerin Merkel und Bundesinnenminister Schäuble distanzieren sich von Unrecht-Praktiken der Bush-Regierung, zu denen sie lange, auch als Oppositionspolitiker, geschwiegen haben

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Bundeskanzlerin Merkel hat zum fünften Jahrestag der Anschläge vom 11.9. eine Erklärung veröffentlicht. Darin hat sie allerdings vermieden, die Bush-Regierung deutlich zu kritisieren, und hält sich sehr im Allgemeinen, wenn sie sagt, dass beim Kampf gegen den islamistischen Terrorismus der Zweck nicht die Mittel heiligen dürfe. Immerhin mahnt sie an, dass das militärische Vorgehen nicht der einzige Weg sein dürfe: „Unser Kampf gegen den islamistisch motivierten Terrorismus wird nur erfolgreich sein, wenn wir die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Krisenregionen stärken und den Menschenrechten mehr Achtung verschaffen.“

Am Wochenende war Merkel noch deutlicher gewesen. Sie verurteilte die Praxis der USA, Terrorverdächtige in Geheimgefängnissen verschwinden zu lassen: „Der Einsatz solcher Gefängnisse ist nicht vereinbar mit meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit.“ Buch hatte die CIA-Kerker zusammen mit den „harten“ Verhörmethoden gerade erst wieder verteidigt und mit dem Nutzen für die nationale Sicherheit gerechtfertigt. Man müsse, so forderte sie, angemessene Antworten finden, "wie wir den Terroristen wirksam begegnen, ohne unsere fundamentalen Prinzipien und Grundwerte in Frage zu stellen“. Dass Merkel als Oppositionsführerin zu den damals bereits bekannten Praktiken der US-Regierung schwieg und Deutschland gerne an der Seite der USA in den Krieg im Irak ziehen lassen wollte, dazu äußerte sie sich freilich in gewohntem politischen Verzicht auf Selbstkritik nicht. Merkel hatte sich noch kurz nach Beginn des Kriegs deutlich als dessen Befürworterin geäußert:

Man hatte einen Punkt erreicht, an dem Krieg unvermeidbar geworden war. Bei einem Nichthandeln wäre der Schaden noch größer gewesen.

Innenminister Schäuble vertritt ebenfalls die Position der Bundeskanzlerin und sagte heute dem Deutschlandradio, dass man die Prinzipien des Rechtsstaates und des Völkerrechts nicht verteidigen könne, wenn man sie aufgebe oder auch nur teilweise außer Kraft setze. Das sei auch nicht im Interesse der Amerikaner.

Wenn man die fundamentalen Rechtsprinzipien außer Kraft setzt, dann wird nichts besser, sondern es wird alles nur schwierig. Das haben wir ja auch erlebt.

Allerdings hat für ihn die Bundesregierung bislang alles in dieser Hinsicht perfekt gemacht. Man habe nirgendwo Grundrechte in unvertretbarer Weise eingeschränkt. Für ihn gehören Sicherheit und Freiheit zusammen und seien keine Gegensätze, betonte er. Damit hat er auch rhetorisch die Grundlage geschaffen, dass ein Ausbau der Sicherheit auch der Freiheit zugute komme und muss nicht näher begründen, welche Sicherheitsmaßnahmen der Freiheit abträglich sind und inwiefern Deutschland unter der vorherigen und der jetzigen Regierung aufgrund der Allianz mit den USA auch für Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen mit verantwortlich ist.

Für Schäuble ist die „Gefahrenlage“ in Deutschland, wie er in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse erneut erklärte, „generell angespannt“. Die gescheiterten Anschläge auf die Regionalzüge, über deren Hintergründe man immer noch nicht viel weiß, dienen dafür als einziger Beleg – und auch als Grund für den Einsatz der Bundeswehr im Libanon.

Schäuble macht deutlich, dass für ihn die Sicherheitsmaßnahmen weiter ausgebaut werden müssen und kündigt an, dass dafür neue Haushaltsmittel benötigt werden könnten. Unverzichtbar sei die Antiterror-Datei, der Geheimdienst müsse verstärkt, die Videoüberwachung ausgebaut werden, weil sie „präventiv“ wirke. Und auch das Internet würde Schäuble gerne zu einem überwachten Ort machen:

Die Überwachung des Internets muss intensiviert werden. Es gilt, den E-Mail-Verkehr von Terror-Verdächtigen, aber auch Web-Seiten von radikalen Gruppen besser zu kontrollieren.

Sehr deutlich kritisierte Schäuble die Verstöße der US-Regierung gegen die Rechtsordnung durch die Inhaftierung von Menschen außerhalb der amerikanischen Rechtsprechung und die Anwendung von Folter.

Es gibt Grenzen, die wir nicht aufgeben dürfen. Sonst würde etwas verteidigt, was man selbst aufgegeben hat. Es muss eine klare Linie gezogen werden. Hier haben die Amerikaner Fehler gemacht.

Allerdings will der Innenminister auch weiterhin zu keiner Zeit etwas von den Geheimgefängnissen gewusst haben. Das ist schon deswegen sehr seltsam, weil der deutsche al-Masri in eben ein solches in Afghanistan entführt und dort monatelang festgehalten wurde, überdies spielten in den Prozessen gegen Mzoudi und Motassadeq seit 2003 Aussagen von Binalshibh und Khalid Scheich Mohammed – zunächst gehandelt als nicht näher identifizierte "Auskunftspersonen" - eine erhebliche Rolle (Fax vom BKA). Die US-Regierung ließ die Befragung dieser Zeugen, deren Geständnisse durch Folter erzwungen wurden, nicht zu und nannte auch nicht ihren Aufenthaltsort (Motassadeq zum zweiten Mal verurteilt). Hatte der Bundesinnenminister diese Prozesse damals nicht verfolgt, in denen es erstmals um die Anschläge vom 11.9. ging? Schäuble will aber von allem nichts gewusst haben, ebenso wie die deutsche Regierung auch abstreitet, von den getarnten CIA-Flügen etwas gewusst zu haben:

Wusste die Bundesregierung von der Praxis der Geheimgefängnisse?
Schäuble: Wir haben in Deutschland keine Kenntnisse davon. Es gibt auch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass es solche Gefängnisse in Deutschland gibt oder gegeben hat.