"Der Westen weiß erbärmlich wenig von diesem Land"

Afghanistan: "Enduring Terrorism"

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Der Krieg gegen die Taliban und Al-Qaida-Stellungen in Afghanistan startete mit amerikanischen Flugangriffen am 7.Oktober 2001. Es war die erste militärische Reaktion der USA auf den Schock der Anschläge in New York und zugleich der Auftakt zum globalen Krieg gegen den Terror. Das Taliban-Regime wurde militärisch schnell besiegt, bald darauf eine neue Regierung, deren Führung sich später demokratisch legitimieren konnte, auf den Weg gebracht und es gibt Anzeichen dafür, dass auch die Qaida durch den Verlust ihrer Basen in Afghanistan deutlich geschwächt wurde. Dieser Draufsicht, die den Erfolg in der fünfjährigen Bilanz des Unternehmens "Enduríng Freedom" ins Auge fasst, widersprechen allerdings viele Berichte, die spätestens seit diesem Sommer immer Beunruhigenderes aus dem Land am Hindukusch melden (Afghanistan mehr denn je ein "failed state"), wo nach einem Diktum des früheren deutschen Verteidigungsministers Struck "auch unsere Sicherheit verteidigt wird" (vgl. "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt").

Freilich gibt es eine Art militärischer Erfolgsmeldungen aus dem gegenwärtigen Afghanistan: 420 Talibankämpfer seien in neun Tagen von Nato-Truppen im Süden getötet worden, so der Guardian heute. Doch auch diese Meldung, die auf militärische Überlegenheit hinweisen soll, hat Hintergründe, welche die Zahl in ein anderes Licht stellen. Westliche Kommandeure zeigen sich überrascht von der personellen Stärke der neuen Taliban-Einheiten, was auch deren hohen Verluste zum Teil erklärt, und von deren Kampfwillen. Man habe sie unterschätzt, verkündeten ranghohe Militärs in den letzten Tagen. Die NATO will jetzt ihre Truppen im Süden noch einmal verstärken.

Aus Pakistan wurde kürzlich laut, dass man den Kampf gegen Taliban-Verbände in Wasiristan, im Grenzgebiet zu Afghanistan, eingestellt habe und Armeestreitkräfte zurückgezogen. Für die wichtige Zusammenarbeit zwischen den westlichen Koalitionstruppen auf der einen Seite der Grenze und den pakistanischen auf der anderen ist das ein bedeutender Rückschlag, denn gerade aus den anscheinend unkontrollierbaren Stammesgebieten auf pakistanischen Boden kommt ein großer Teil des Nachschubs für die Gegner der Koalition, die in der Berichterstattung meist unter dem Sammelbegriff "Taliban-Kräfte" summiert werden.

Ein amerikanischer Offizier meint, dass die Stammesstrukturen an der pakistanischen Grenze außergewöhnlich komplex seien, "und wir sie tatsächlich überhaupt nicht verstehen". Nach Schätzungen der NATO sollen 6000 bis 8000 Taliban innerhalb Afghanistan operieren, aber niemand weiß, wie viele (auf der anderen Seite, Anm. d.V.) noch bereit stehen.

Guardian

Dass ein eindeutiger Sieg gegen diese Widersacher noch auf sich warten lässt und die Hoffnung, dass sich dies mit der Verstärkung der NATO-Kräfte erheblich ändern wird, sich nicht laut vernehmen läßt, zeigt allein auf dem militärischen Gebiet die Grenzen des Machbaren auf. Noch pessimistischer wird die Lageeinschätzung für Afghanistan fünf Jahre nach Beginn der Befreiung, wenn sich der Blick auf die Situation der Bevölkerung richtet.

Sie hat sich, wie viele Berichte in der letzten Zeit herausstellen, nicht in dem Maße zum besseren verändert, wie man es versprochen und erwartet hätte. Ein Satz, der heute in einem Kommentar des Guardian zu lesen war, trifft den Kern des Problems, das die USA und ihre Verbündeten auch im Irak haben, wohl am genauesten: Die Befreier aus dem Westen kennen das Land kaum. Auch nach fünf Jahren nicht:

Almost five years after invading Afghanistan, the west knows pitifully little about the place.

Von dem Ziel, das man dem militärischen immer beigegeben hat, in Afghanistan wie im Irak, nämlich die "Herzen und Köpfe" der Bewohner zu gewinnen, davon ist man hier wie dort weit entfernt. Kommentare, die empfehlen, sich dieses Ziel "abzuschminken", häufen sich.

Ebenso die Debatten darüber, welchen Sinn der teure Einsatz in Afghanistan hat, angesichts einer Opiumrekordernte, die man nicht verhindern konnte, einer Korruption, die immer weiter um sich greift, einer vielleicht oberflächlichen Verbesserung der Lebensumstände für Frauen und Schulkinder, die jederzeit zunichte gemacht werden kann und eines zaghaften Wiederaufbaus, auf dessen Wirkung die Bevölkerung noch immer wartet.

Was im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg noch einmal an die Öffentlichkeit geriet - nicht nur eine Vernachlässigung von Plänen für die Zeit nach dem schnellen Krieg, der die vormaligen dikatorischen Regierungen entmachtete, sondern die deutliche Ablehnung, sich mit solchen Plänen sorgsam zu befassen -, kann als starkes Indiz dafür gelesen werden, dass es der Führungsmacht USA in der Reaktion auf 9/11 in erster Linie um eine Demonstration der militärischen Stärke als um bessere Verhältnisse in den Schurkenstaaten ging.

Dieser Mangel an Voraussicht könnte jetzt zum Gegenteil dessen führen, was man im damals eilig ausgerufenen "Global War on Terror" erreichen wollte. Sollte die Regierung Karsai von den "neuen Taliban" unterhöhlt werden und zugunsten jener Kräfte abdanken müssen, so wäre das ein Desaster für die westlichen Verbündeten und ein Triumph für diejenigen, von denen man eine bessere Welt nicht zu erwarten hat..