Sweet-bitter Symphony

Tom Tykwer verfilmt Süskinds "Das Parfum"

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Zwanzig Jahre dauerte es, bis Patrick Süskinds literarischer Welterfolg "Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders" verfilmt wurde. Prominente Regisseure standen bei Süskind Schlange. Sie erhielten allesamt eine diplomatische Abfuhr. Produzent Bernd Eichinger ließ seinen alten Freund in Ruhe und konnte 2000 endlich die Rechte erwerben. Die Wahl für die Regie fiel auf Tom Tykwer.

Bei seiner Erscheinung 1985 hinterließ Süskinds Roman sogleich ein geteiltes Echo: Sein Werk ließ sich nicht auf den literarischen Mainstream bringen: für einen richtigen Postmodernismus war es nicht oberflächlich und glatt genug. Keine linke deutsche Vergangenheitsbewältigung, keine offene Gesellschaftskritik, keine abgehobene literarische Reflexion, aber auch kein moderater Realismus mit gezügeltem dramatischem Konflikt und zeitgeschichtlich gezähmter Biographie. Ein Außenseiter-Buch, das merkwürdig kultig zwischen Askese und Genuss, Mord und Kunst, krudem Naturalismus und lyrischer Phantasie schwebte. Ein stilistisch eigenwilliges Werk, stellenweise poetisch faszinierend, aber auch prätentiös und ein wenig hoch-"näsig".

Der Leser sieht sich versetzt in ein anderes Jahrhundert, scheinbar vertraut aus den Schriften der deutschen Aufklärung und Klassik, doch verfremdet durch Ortserkundungen im verdreckten Paris und lieblichen Südfrankreich in der Epoche des französischen Absolutismus. Ein stellenweise märchenhaft, irreal ausfabuliertes Werk, dabei regelmäßig durchkreuzt von ekelerregender, grausamer und obsessiver Präzision. Die Geschichte eines lebenslang von Folter gequälten und geschundeten Einzelgängers, einer Subjekt- und Ich-losen Kreatur, einem Monster, das von Geburt an dazu verdammt ist, wegen seiner eigenen unheimlichen Geruchslosigkeit die ganze Welt über den angeblich "niedersten" aller Sinne, den Geruchssinn zu beschnüffeln, um ihr dasjenige, was sie ihm verweigert, Liebe, Sinnlichkeit, Zuwendung, Anerkennung, Glück, Opulenz, Wollust und Luxus, rücksichtslos im Medium des Geruchs, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Künsten zu simulieren und zu rauben.

Schnell gab es zwei Lager: die Anhänger, die sich am "Parfum" melancholisch-romantisch berauschten - und darin eine tiefsinnige Botschaft vermuteten; aber auch Gegner, die ihre Nasen zuhielten und in diesem Buch nur einen kurzlebigen literarischen Bluff, "viel Lärm um nichts" sahen.

Im Zeichen der 80er und 90er: Patrick S. und Patrick B.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Patrick Bateman und Patrick Süskind denselben Vornamen des irischen Missionars und Bischofs tragen, der als römisch-katholischer Offizierssohn in der Jugend nach Irland entführt und versklavt wurde. Patrick Bateman, die bösartige Heldenfigur aus Brat Easton Ellis "American Psycho" (1991), ist der um sechs Jahre jüngere, intellektuelle und aggressivere literarische Bruder des verzweifelt dahinvegetierenden Jean-Baptiste Grenouille, des Ziehkindes von Patrick Süskind, das 1985 das Licht der Welt erblickte.

In beiden Romanen, bei Ellis im zeitgenössischen Licht und bei Süskind im historischen Gewand, werden die klassenspezifische Wahrnehmung des modischen Konsums und die Unterdrückung von wesentlichen Lebensqualitäten mit geradezu mörderischen Folgen zum Thema.

Bei Ellis aus der rationalistisch-herrschaftlichen Perspektive eines an sich selbst irre gewordenen Egomanen aus dem Kreis der überheblichen und pervertierten Spät-Juppies der 80er Jahre, welcher die unsäglich affige Langeweile ihrer Macht- und Wohlstandsästhetik mit barbarischen Akten der Verkunstung, der Prostitution, Gewalt und Mord im Stil der Neuen Wilden "ausstaffiert", um etwas von der "Würze des Lebens" hinter der vorgeformten Markenwelt herauszuklauben und per Videoaufzeichnung in audiovisueller "Distanz" zu verewigen.

Süskind konzentriert sich auf die sinnlich-"unmittelbare" Wahrnehmung eines von Geburt an Gequälten, vom feudalen System beinahe zerquetschten, Ich-losen Individuums, eines geruchs- und gesichtslosen Niemands, der keine Autonomie kennt und sein Glück nur von Augenblick zu Augenblick wie ertrinkend "inhaliert". Schließlich entdeckt er die wunderbare Kunst der Differenzierung und Verewigung einzigartiger, an sich flüchtiger Gerüche, jedoch unter tragisch-tödlichen Umständen.

Bei Bateman sind die videogen schicken, recht grob und laut inszenierten (Sexual-) Morde, ob nun wahr oder eingebildet, die Hauptsache, es sind expressiv verkrampfte Hinrichtungen und Beseitigungen des Alter Ego, autistische, merkwürdig hohle Formen der Bestätigung des eigenen Ichs, das bei allem Aufwand in der Vergewaltigung seiner selbst und des anderen nur noch tiefer in die eigene existenzielle Leere fällt.

Bei Grenouille ist der einzelne Mord eine lästige Nebensache, ein für das Opfer fast unmerklicher Kniff im akribischen Arbeitsprozess der Geruchsgewinnung und Geruchsfixierung. Die meisten Kreaturen sind nämlich nicht dazu bereit, die "Enfleurage" (sensible Duftkonservierung z.B. von hochverderblichen Blüten) bei lebendigem Leibe in ihrer prallen Schönheit zu ertragen. Angesichts des stummen, überfallartigen Vorgehens Jean-Baptiste mit Fettbehälter und Gerbermesser (das nur fürs Auftragen und Abschaben an den menschlichen "Waben" benötigt wird) bieten sie sogleich heftigen Widerstand auf. Und das schlimmste für den Duftsammler: Glücklich vor sich hinlebende Knospen, Käfer, Katzen und Kühe sondern bei subjektiv empfundener Belästigung reflexhaft lästige Schadstoffe, Exkremente, Stressgestank und Angstschweiß ab. Das aber beeinträchtigt den charakteristisch reinen Körperduft noch bei den vollkommensten Exemplaren der Gattung.

Wenn die Duft-Modelle sich nicht wehrten, dann wäre der Mord für Grenouille sogar völlig überflüssig. Allein die täppisch-unbeholfene Annäherung des monströsen, in gewisser Weise unschuldigen "Zeck" löst Angstreflexe beim Gegenüber aus und zwingt den sanften Künstler, zum lautlosen Schlächter und perfekten Verbrecher zu werden. Es wäre zu überlegen, inwiefern der fundamentalistische Serienkiller John Doe aus David Finchers "Se7en" (1995) trotz seines an die Öffentlichkeit gerichteten terroristischen Todsünden-Labels den Schnittmengencharakter zwischen den stärker nach innen gewendeten Figuren Patrick Bateman (Marken-Rationalismus) und Jean-Baptiste Grenouille (Sensualismus) darstellt.

Das Medium ist die Botschaft: ein literarisches Odorama

Man kann Süskinds Schreibweise spielerisch, ja künstlich nennen. Unter der zynischen Decke des nachgeahmten Tons der französischen Klassengesellschaft weist sie recht unterschiedliche, typisch deutsche Epocheneinflüsse auf: klassische Anschaulichkeit, romantische Entgrenzung und naturalistische Detailtreue. Personen, Landschaften und Stadtszenen werden über das Medium von Geruch und Geschmack in eine abstrakte Innenwelt verlagert. Die klassischen Sinne Auge und Ohr, die traditionell als intelligenter, intellektueller, näher an Verstand und Vernunft "gefeiert" werden, geraten ins Hintertreffen.

Geschmack und Geruch gelten gewöhnlich als "blind und taub", sie sind stark mit dem eigenen Körper (man schmeckt und riecht, auch sich selbst), mit materiellen Stoffen und mit den Körpern der anderen besetzt. Auf einem Pariser Fischmarkt wird der Süskindsche Held in einer naturalistischen Welt der indezenten und unangenehmen Details geboren und lebt fünf Jahre stumm in einer Frosch- und Rattenperspektive aus Unrat, Schmutz und Gestank, in der jeder feine, angenehme, schöne Geruch eine Utopie bleibt.

Auf diese Weise wird aus dem Erzählen des Romans ein bis dato unerhörtes, neobarockes Beschreiben erdverbundener Welten: wirklichkeitsnaher Geruch, unerträglicher Gestank und verklärender Duft prallen aufeinander als konkurrierende Wahrnehmungsmuster (das Echte, Unangenehme, Abscheuliche, Schreckliche, das Schöne; das Wahre, das Falsche, das Stimulierende, das Betäubende, das Künstliche, das Parfum, das Fantastische). Das Paradox von Grenouilles Existenz: Er selbst besitzt keinen eigenen Körpergeruch, er bleibt somit identitätslos, ist aber auch "unsichtbar". Er verbindet seine hypersensible Geruchswahrnehmung in der Realität mit einer geradezu genialen Geruchsfantasie, die Poesie der Schönheit mit Ekel und Schrecken.

Für den Leser wird die Wahrnehmung der gesamten Welt (nicht nur der fiktiven) merkwürdig verdreht. Begierig treibt Grenouille seinen überdurchschnittlichen Riechsinn immer weiter voran, bis in die letzten Verästelungen seiner Proben, Eindrücke und Imaginationen. Jeder auch noch so unmerkliche Geruch, jedes minimale Aroma von Blüten, Früchten, tierischen und humanen Extrakten und Exkrementen soll klassifiziert, konserviert und durch eigene Mixturen "nachgebaut" werden.

Grenouilles Begabung und Leidenschaft, das Reich des Olfaktorischen zu beherrschen, es durch Sammlung und Differenzierung vorhandener Gerüche, der Reproduktion und Neuschöpfung eines Hauchs oder Parfüms zu vermessen, zu ordnen, umzupflügen und auszuweiten, macht Jean-Baptiste zum Individuum und Künstler, der in seiner Geruchswelt ungewöhnliche Kombinationen herstellt oder Düfte, die es bisher nicht gab und niemals geben wird, komplett imaginiert. Süskinds sanfte und geduldige Sprachgewalt schafft ein fast utopisches "Odorama" (siehe John Waters Schnupperkarten-Film "Polyester", 1981), eine Welt des Riechbaren, zwischen glaubhafter Technologie und die Phantasie anregender Magie.

Und indem Süskind im Medium der Literatur den Geruch in seiner antiästhetischen Unmittelbarkeit entdeckt, treibt er die poetische Kraft des geschriebenen und gedruckten Wortes in eine neue Richtung: in die Paradoxie eines Fern-Nah-Sinnes, der die eindeutige Zuordnung der anderen Sinne umstößt und verwischt: jenseits des Tastens, als konkretem, aber oft "blind" gescholtenem Nahsinn von Körper zu Körper. Und diesseits des Sehens als körperloser, distanzierter, abstraktionsfähiger Fernsinn, gibt es eine neue Methode, das natürliche Individuum in seiner kreatürlichen Nacktheit und momentanen Zuständlichkeit Pore für Pore, Falte um Falte zu erfühlen und abzuschmecken, vom schuppigen Scheitel, über seine salzigen Öffnungen bis zur käsigen Sohle.

Süskind erschafft sich einen gemischten Stil, mit satirischem Unterton, in dem sich das Erlesene und das Vulgäre, das Zärtliche und das Brutale, das Distanzierte und das Indiskrete, das Hohe und das Niedere zum stillen Vergnügen des Lesers kreuzen, verstärken oder auslöschen.

Der Film im Vergleich zum Roman

Tykwer hat zusammen mit seinen Co-Drehbuchautoren Andrew Birkin und Bernd Eichinger die Quintessenz der stummen Hauptfigur, ihr zwischen Naivität und Dämonie pendelndes Verhalten und ihre Tragik eindrucksvoll plastisch herausgearbeitet. Die Umsetzung verkommt nie zur bloßen Groteske, wie sie im Buch oft anklingt. Grenouille erscheint uns fremd, aber in gewisser Weise verstehbar.

Bemerkenswert an den Kürzungen ist nicht der Wegfall der einen oder anderen Nebenrolle, Station oder Situation. Schwerwiegender ist vor allem die Streichung einer großartigen und vielleicht entscheidenden Vision in jener Höhle, in der Jean-Baptiste Grenouille sieben Jahre Einsamkeit verbringt:

Schauplatz dieser Ausschweifungen war - wie könnte es anders sein - sein inneres Imperium, in das er von Geburt an die Konturen aller Gerüche eingegraben hatte, denen er jemals begegnet war. Um sich in Stimmung zu bringen, beschwor er zunächst die frühesten, die allerentlegensten: den feindlichen, dampfigen Dunst der Schlafstube von Madame Gaillard; das ledrig verdorrte Odeur ihrer Hände; den essigsauren Atem des Pater Terrier; den hysterischen, heißen mütterlichen Schweiß der Amme Bussie; den Leichengestank der Cimetière des Innocents; den Mördergeruch seiner Mutter. Und er schwelgte in Ekel und Hass, und es sträubten sich seine Haare vor wohligem Entsetzen.
Manchmal, wenn ihn dieser Aperitif der Abscheulichkeiten noch nicht genügend in Fahrt gebracht hatte, gestattete er sich auch einen kleinen geruchlichen Abstecher zu Grimal und kostete vom Gestank der rohen fleischigen Häute und der Gerbbrühen, oder er imaginierte den versammelten Brodem von sechshunderttausend Parisern in der schwülen lastenden Hitze des Hochsommers.

Jean-Baptiste erinnert sich an die Stationen seines bisherigen Lebens, seine Geburt durch die ungeliebte Mutter auf dem Fischmarkt von Paris, an die Odyssee durch die Klöster und Findlingsheime und Waisenhäuser, an die höllische Arbeit in den Gruben des Gerbers Grimals, an die Symphonie des Unrats in der expandierenden Großstadt Paris, die noch keine Kanalisation kennt.

Mit der elementaren Gewalt eines mythischen Superhelden löscht Jean-Baptiste die ekelhaften Eindrücke aus, "wie ein Gewitter" zieht er her "über diese Gerüche, die es gewagt hatten, seine erlauchte Nase zu beleidigen." So kostet er seinen "Zorn" und seine "Rache" aus, um allen Unrat hinweg zu spülen und neuen Samen in die Erde zu pflanzen, um so eine Welt voller Blütenpracht und duftender Harmonie zu kreieren, die Süskind mit Sprachformeln aus der biblischen Genesis ausschmückt, um sie in die narzisstische Selbstvergottung für die erlittene Erniedrigung zu wenden:

Da gebot der Große Grenouille Einhalt dem Regen. Und es geschah. Und er schickte die milde Sonne seines Lächelns über das Land, worauf sich mit einem Schlag die millionenfache Pracht der Blüten erschloss, von einem Ende des Reiches bis zum anderen, zu einem einzigen bunten Teppich, geknüpft aus Myriaden von köstlichen Duftbehältern. Und der Große Grenouille sah, dass es gut war, sehr gut. Und er blies den Wind seines Odems über das Land. Und die Blüten, liebkost, verströmten Duft und vermischten ihre Myriaden Düfte zu einem ständig changierenden und doch in ständigem Wechsel vereinten universalen Huldigungsduft an Ihn, den Großen, den Einzigen, den Herrlichen Grenouille, und dieser auf einer goldduftenden Wolke thronend, sog den Odem schnuppernd wieder ein, und der Geruch des Opfers war ihm angenehm.

Musik als Visionsersatz - Ansätze einer progressiven Bildsprache

Diese Vision fehlt im Film und damit wird auf ein wichtiges bildsprachliches Element verzichtet, das ein Stück weit die innere Geruchs-Imagination des Antihelden Grenouille zum Ausdruck bringt. Statt der konsequenten Visualisierung des utopischen Duftes hat der Regisseur als Gesamtkünstler etwas anderes anzubieten: das Aroma eines Meditations-Soundtracks, durch das Trio Tom Tykwer, Johnny Klimek und Reinhold Heil elektronisch vorgewürzt, sinfonisch verfeinert durch satte, schauerlich glissandierende Streicher und kräftig abstützende Bläser.

Den Zuhörer spannt es rhythmisch auf die Folter des angedeuteten tragischem Grauens, oder soll ihn in mystischem Entzücken verzaubern, durch sirenenhafte Chöre und Mitleid erheischendes Einzelstimmen-Falsett. Die Aufführung seines Soundtracks durch die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle ("Rhythm is it!") kommentiert Tykwer einfältig und schlicht, wie ein echter Grenouille:

Beim Komponieren fragte ich mich, wie die Musik eigentlich klingen sollte, und kam ganz schnell zu der Antwort: "Wie die Berliner Philharmoniker!"

Dabei gibt es im Film auch eine Fülle an visuellen Einfällen und Realisationen, die sich sehen lassen können: In einer körpernahen, konkreten und doch auch abstrakt-modellhaften Verfilmung werden die Lebensstationen und entscheidenden Situationen Grenouilles humorvoll in ausführlichen Szenen dramatisiert oder in verknappenden Tableaux erzählt, oft durchbrochen von beschleunigten Bildschnitten, Jump-Cuts und Montagen, wie man sie bereits in Tykwers frühem Meisterstück "Lola rennt" sah.

Die Intensität des wahrgenommenen Gestanks, der Kloake, des Unrats entspricht dem mikroskopischen Zoom, der nah heranführt an stinkenden Fisch, an faulendes Fleisch, an das Fell von Ratten, in die Strukturen von Insekten, Maden und Bakterien. Andererseits feiert die Kamera die Geruchsschönheit von Mirabellen, Rosen, Kinderhänden, Mädchenbrüsten, Frauenhaar und Weiberhaut zwischen Paris (ersetzt durch die spanischen Gassen des gotischen Viertels in Barcelona, in Girona und Figueras) und der Provence (mit dem etwas zu sauber herausgeputzten Originalort Grasse).

Wo die Bilder für sich sprechen dürfen, fangen sie an zu atmen und zu riechen. Oder sie beschleunigen sich comichaft, wenn diejenigen, die Grenouille beinahe töten (wie seine Mutter oder die späteren Mitwaisen) bzw. verschachern, wie Madame Gaillard oder der Gerber Grimal, von Straußendieben an der nächsten Ecke erledigt werden. Erstickt werden die Aufnahmen dort, wo die Inszenierung der insgesamt starken Akteure gelegentlich wie schlechtes Theater wackelt, oder wenn der allzu geschwätzige Erzähler (Otto Sanders warme Stimme) dem Zuschauer die Pointen mit Süskind-Sätzen episch vorkaut.

Der oben zitierten Duftwelt-Vision am nächsten ist eine andere Filmszene, in der Grenouille seinem neuen Lehrherrn und Arbeitgeber Maître Guiseppe Baldini in Paris beweist, wie berauschend ein Parfüm duften kann, das nicht nur eine Kopie ist. Es muss in dem Sinne originell sein, dass in seiner ausgeklügelten Komposition ein neuer Akkord erklingt, der die Wirkung aller Bestandteile, der Kopf-, Herz- und Basisnoten, verbessert und transformiert. Nur so kann er jedes äußerlich ähnlich riechende Konkurrenzprodukt, wie das marktgängige "Amor und Psyche" eines gewissen Pélissier für sensibilisierte Nasen weit übertreffen.

Der alternde, an seiner eigenen Pomade beinahe erstickende Baldini (von Dustin Hoffman höchst amüsant gespielt, von Joachim Kerzel massiv synchronisiert) schnuppert den neuen Geruch an seinem Schreibtisch feierlich aus, wobei er Tropfen für Tropfen auf seine lupenreinen Taschentücher wie auf Notenblätter am Pult eines wohltemperierten Duftklaviers pipettiert. Der darauf erfolgende Kamera-Rundschwenk eröffnet einen weichgezeichneten zauberhaften Farb-Garten virtueller Düfte, in dem die eigene Frau verjüngt als verführerische Geliebte auf den Schnupperer zukommt und ihn liebkost. In weiten Passagen seines Film verzichtet Tykwer auf solche visuell-digitalen Spielereien und hält sich an die magische Kraft seines Soundtracks.

Das Gefängnis als Ursprung und Ziel der Handlung

Drehbuch und Film konstruieren eine vom linear erzählten Roman abweichende Rahmenhandlung, die im Gefängnis und der Hinrichtungsstätte in Grasse beginnt und dort beinahe endet, hätte "Das Parfum" nicht eine andere Wendung für Grenouille zur Verfügung. Da der Delinqent rasch gesteht, wenn auch unter Folter beharrlich zum Motiv seiner Taten schweigt, wird folgendes verfügt:

Der Parfumeurgeselle Jean-Baptiste Grenouille soll binnen achtundvierzig Stunden (...) das Gesicht zum Himmel, auf ein Holzkreuz gebunden werden, bei lebendigem Leib zwölf Schläge mit einer eisernen Stange erhalten, die ihm die Gelenke der Arme, Beine, Hüften und Schultern zerschmettern, und danach auf dem Kreuze angeflochten aufgestellt werden bis zu seinem Tode.

Nach diesem Vorgriff geht es zurück an den Anfang der Geschichte voller Demütigungen und Gestank, in denen bereits einige Glanzrollen wie die verstörte Mutter (Birgit Minichmayr), die unheimliche und mörderische Begegnung des höllisch stinkenden Gerberjungen Grenouille mit dem fruchtig riechenden Mirabellen-Mädchen (Karoline Herfurth) zu verzeichnen sind.

Ben Whishaw, als Filmstar relativ unbekannt, spielt den erwachsenen Grenouille überzeugend in seiner tranceartigen, schmächtig-monströsen, dabei widerstandsfähigen Körperlichkeit, zwischen völliger Abwesenheit und raubtierartiger Präsenz, die allen Martern und Foltern des damaligen frühproletarischen Alltags unhygienischer Markplätze und hochgiftiger Manufakturen zu trotzen scheint, bis die ersehnte Geistes-Sphäre der Parfumeurskunst erreicht ist. Erst verärgert, dann verblüfft Grenouille seinen Lehrer Baldini mit seinen intuitiven Riech- und Mischmethoden. Bald verhilft er dem Meister, der zum traurigen Plagiator herabgesunken war, zu neuem Ansehen und Erfolg.

Der Aufstieg vom Gerber- zum Parfumeurgesellen ist gemacht, Grenouille erhält durch den gewitzten Regelpauker, Schwindler und Mogler im Ansatz eine Fachsprache und ein theoretisches System für seine Intuition, obwohl er vor krassen Irrtümern, wie der vergeblichen Destillierung von Steinen, Glas und Haustieren nicht gefeit ist. Noch bildungsmächtiger aber wirkt Baldini auf Jean-Baptiste durch die Utopie des perfekten Duftes aus zwölf neu komponierten Geruchs-Noten sowie einem dreizehnten Spezialzusatz.

Für ein "musikalisches" Vorhaben mit solchem Anspruch bedürfe es weiterer delikater Techniken, die in Paris nicht erworben werden könnten. Und so macht sich Grenouille auf den langen Weg in die Provence, wo über das Pressen und Destillieren hinaus die beste aller aromatischen Konservierungsmethoden praktiziert werde, die "Enfleurage" der Blumen, die "in voller Blüte ihren Duft aushauchen".

Die Berg- und Höhlensequenz in der Mitte des Romans wird im Film nur verkürzt geboten. Grenouille gelangt im Zentralmassiv der Auvergne zu einer Höhle im kegelförmigen Plomb du Cantal. Hier erreicht er den archimedischen Punkt einer fast geruchslosen Umgebung, die Position einer reinen Welt, in der er endlich und tief geschockt, seine eigene olfaktische Sterilität feststellen wird und den oben angeführten Visionen der Duftwelten-Neuschöpfung nachhängt.

Gleichfalls übersprungen wird die im Roman wichtige Zwischenstation Montpellier, wo Jean-Baptiste den "natürlichen" Körpergeruch eines "normalen" Menschen herstellt sowie Duftnoten mit manipulativer Wirkung auf andere kreiert. Seine erfreuliche Entwicklung vom Barbaren zum zivilisierten Menschen bleibt eine traurige Maskerade, wird jedoch vom aufgeklärten Marquis de la Taillade-Espinasse rein exemplarisch als zivilisatorischer Erfolg gefeiert.

Auf dem Weg nach Grasse begegnet Grenouille der Patriziertochter Laure Richis, einer jungen, überaus anziehenden Schönheit, deren berückender Duft ihn in gesteigerter Form an die Aura des einfachen Mirabellen-Mädchen erinnert. In Grasse angekommen wird er bei der verwitweten Madame Arnulfi beschäftigt. Corinna Harfouch spielt diese lustige und lustvolle Witwe, wieder einmal als Bernd Eichingers kalte erotische Muse und zackiges Markenzeichen mit Samtstimme.

Grenouille erlernt die Mazeration, in der Zehntausende von frischen Narzissen, Ginster, Orangen und Rosen in einem Kessel ertränkt werden, um ihren Blütenhauch in das flüssige Fett abzugeben. Das hieraus gewonnene aromatische Öl wird als teures Kondensat in kleinen Flakons abgefüllt. In dieser Zeit entwickelt Grenouille die Idee, Lebewesen aller Art, so auch Sterbende und Kranke, mit Fett zu beschmieren oder in ihm zu ertränken, um ihre Geruchsstoffe auszusondern.

Jenseits der Vergänglichkeit alles Irdischen will Jean-Baptiste nun ein absolutes Parfum erschaffen, "ein Duftdiadem", "an dessen erhabenster Stelle, zugleich eingebunden in andere Düfte und sie beherrschend", der Duft Laure Richis haftet. Rachel Hurd-Wood spielt diese anmutige junge Tochter des Zweiten Konsuls von Grasse, Antoine Richis, von Alan Rickman empfindsam-kultiviert gegeben.

Der Film walzt diese im Buch sparsamere Episode aus, indem er zwölf Mädchenmorde (beginnend mit der im Roman nicht enthaltenen Prostituiertenszene mit Jessica Schwarz) als Vorboten eines möglichen dreizehnten Falles präsentiert. Die Gesellschaft reagiert gespalten, zwischen ängstlichem Aberglauben und unzulänglich organisierter Sicherheit. Nacheinander tauchen die bildschönen, unentstellten Leichen kahlgeschorener Mädchen auf. Das Motiv für die offensichtlichen Serien-Morde bleibt ein Rätsel. Antoine Richis, von Vorahnungen befallen, versucht seine Tochter durch eine Flucht aus Grasse zu retten, doch der versierte Mörder kommt mit seinem ernormen Riecher dem letzten Schmuckstück auf die Spur, um die tödliche Parfum-Komposition durch eine kalte Enfleurage der Erschlagenen abzuschließen: Im eingefettenen Grabtuch wird der Geruchswert formvollendeter Schönheit und Reinheit abgeschöpft.

Hinrichtung und Massenverführung als mechanisches Tableau

Nach Festnahme und Verhör Grenouilles leidet das Theater der Hinrichtung und ihrer Vereitelung allerdings etwas an inzenatorischer Plausiblität: Jean-Baptistes fast königlicher Auftritt mit Karosse und schiefsitzendem blauem Rock ist der Beginn jener unerhörten Wendung, in der Grenouille die demagogischen Fähigkeiten seines Parfums spielen lässt, um den öffentlichen Geruch, ein Mörder zu sein, einfach verschwinden zu lassen.

Die berauschende "finale Arie" nimmt ihren Lauf. Die sich ausbreitende Verzückung und unterwürfige Ehrerbietung der Soldaten, Henker, der gewöhnlichen Zuschauer und Honoratioren ist nur die erste Stufe zum Gesamttableau fortschreitender Ekstase. Unter dem Fluidum des über ihnen hinwegsegelnden Dufttuches geben sich die Versammelten einer ungezügelten Orgie hin, jenseits der Grenzen von Stand, Alter, Geschlecht und Glaube, als schwitzende Masse schreiender, grunzender und stöhnender Menschentiere, wie es der Roman bündig ausführt.

Im Film steht der dämonisch aufgerichtete Delinqent wie ein Solist oder Dirigent auf seinem Podest, während um ihn herum in der Totale die Statisten ihr Chor- und Orchesterwerk aufführen. Doch ganz so musikalisch geht es dann doch nicht zu. Angeführt von der katalonischen Theatertruppe "La Fura dels Baus" verrichten die Beteiligten einen schüchternen Spencer-Tunick-Massen-Andeutungs-Porno. Versäumt wird die aktive Vermischung der Gegensätze; oder die dramatische Auflösung des Geschehens in leidenschaftliche Einzelszenen (wie in der anfänglichen Pariser Markt-Sequenz).

Stattdessen bleibt es beim mechanischen kollektiven Posieren. Einzig Antoine Richis scheint Verstand und Fassung zu bewahren. Wenn er auf Grenouille zueilt, um ihn zu töten, so wird auch dieser folgende Gesinnungswandel nur sehr kraft- und einfallslos inszeniert. Ähnliches gilt für die anschließende Flucht und Rückkehr nach Paris, wo Jean-Baptiste, der sich mit der letzten Portion seines Zauberduftes übergossen hat, von lauter liebeswahnsinnig gewordenen Habenichtsen, Huren und Tagedieben - wie Dionysos - zerrissen und verschlungen wird.

Tykwers Regie und Eichingers Produktion ist eine lang ersehnte Literaturverfilmung von überdurchschnittlicher Qualität gelungen. An vielen Stellen ist der Film von kraftvoller Plastizität und wohltuend gegen den Strich des gewöhnlichen Unterhaltungs- und Starkinos gekämmt. Der anfänglich packende Rhythmus der Bilder wird immer dann ausgebremst, wenn Regisseur oder Produzent nervös nach dem Mainstream zu schielen beginnen, statt der Duftpalette des Buches zu vertrauen.