Der Reis, den keiner wollte

Jede fünfte Probe Langkornreis in Europa enthält illegalen Gentech-Reis LL601 aus dem Hause Bayer

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Nach dem Auftauchen des nicht zugelassenen Gentech-Reises LL601 liegen jetzt die Ergebnisse der ersten Testreihen durch europäische Reismühlen vor. Danach war jede fünfte Probe verunreinigt, wie die Europäische Kommission mitteilte. Möglicherweise ist der illegale Reis sogar im europäischen Lebensmittelhandel gelandet. Nachdem Greenpeace eine kontaminierte Sorte bei Aldi ausmachte, räumte der Discounter vorsorglich die Regale aus. Die Dimension der Verunreinigung beunruhigt. Denn eigentlich wollte diesen Reis niemand. Bayer hatte offenbar nicht vor ihn zu kommerzialisieren, weil die Performance angeblich enttäuschte. Viele US-Reisbauern haben mit Gentech-Varianten generell wenig am Hut und die Verbraucher lehnen Genfood ohnehin mehrheitlich ab.

Mit genmanipuliertem Langkornreis hat es der Verbraucher jetzt erstmals mit einer Gentech-Variante zu tun, die als Grundnahrungsmittel weltweit direkt, ohne besondere Weiterverarbeitung, verzehrt wird. Die bisher kommerzialisierten Sorten wie Gentech-Mais oder –Soja wurden dagegen vor allem als Tierfutter verwendet oder landeten nur in Spuren (Öl, Maisstärke....) in Lebensmitteln. Es erstaunt deshalb kaum, dass die EU prompt reagierte und Zwangstests verordnete, als sie Mitte August von US-Behörden über das Auftauchen nicht genehmigten Gentech-Reises LL601 von Bayer CropScience informiert wurde (Kurzer Prozess). Der Reis zählt zu den herbizidtoleranten Gentech-Sorten und ist unempfindlich gegenüber dem Unkrautvernichtungsmittel Liberty Link. Inzwischen liegen die Ergebnisse erster Testreihen vor, wie die EU-Kommission nach einem Treffen von Lebensmittelexperten aller 25 Mitgliedsstaaten am Montag mitteilte.

Die Firmen des europäischen Verbands der Reismühlen hätten danach 162 Proben auf den gentechnisch veränderten Reis aus den USA untersucht. In 33 Fällen seien sie fündig geworden. Alle Lieferungen, die den verbotenen Genreis enthielten, wurden gestoppt oder vom Markt genommen, versicherte die Branche nach Kommissionsangaben. Brüssel betonte zudem die Verpflichtung der Firmen, die Mitgliedsstaaten über jeden entdeckten Fall zu unterrichten. Staatliche Stellen in den EU-Staaten hätten noch keine oder keine sicheren Testergebnisse. Mehrere EU-Staaten haben laut Kommission erklärt, erst in ein bis zwei Wochen mit aussagekräftigen Testreihen beginnen zu können. Brüssel forderte die Mitgliedsstaaten zu größeren Anstrengungen bei den Untersuchungen auf. Auch sollte den jüngsten Greenpeace-Vorwürfen, wonach mit illegalem insektenresistentem Gentech-Reis aus China verunreinigte Produkte am europäischen Markt sind, nachgegangen werden (Noch mehr Gentech-Reis im Umlauf).

Die niederländischen Behörden teilten mit, dass in einer Schiffsladung der verbotene Genreis LL601 ebenfalls gefunden wurde. Drei Teilladungen der insgesamt 20.000 Tonnen Reis, die nach Deutschland und Großbritannien gehen sollten, seien verunreinigt gewesen. Die kontaminierte Ladung werde zerstört oder in die USA zurückgeschickt, hieß es von Seiten der Niederländer.

Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass bereits vor den EU-Maßnahmen GV-Langkornreis in die Regale europäischer Supermärkte gelangte. Greenpeace gab vorgestern bekannt, beim Lebensmitteldiscounter Aldi Nord mit LL601 verunreinigten US-Reis gefunden zu haben. Betroffen sei die Marke Bon-Ri. Das Unternehmen startete inzwischen eine Rückholaktion. Eine Sprecherin betonte gegenüber den Medien, dass man bereits vor drei Wochen Untersuchungen in Auftrag gegeben hätte, die Stichproben aber in Ordnung gewesen wäre. Man könne das Greenpeace-Testergebnis nicht bestätigen, habe aber neue Tests in Auftrag gegeben.

Die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 forderte anlässlich der Funde überhaupt eine sofortige Rückrufaktion und in Österreich eine "Aktion scharf" bei den Kontrollen. "Bis eine Gentech-Verschmutzung ausgeschlossen werden kann, müssen aus den USA importierte Reis-Produkte aus den Regalen genommen werden", so Global 2000-Gentechniksprecher Jens Karg. Der Gentech-Reis könnte nämlich bereits seit längerem in Umlauf sein. Und erst die neu importierte Ware wird auch tatsächlich auf Verunreinigungen geprüft.

Angesichts der diversen vorsorglichen Beruhigungsversuche durch nationale Regierungen, wonach der Gentech-Reis keine Risiken für die Gesundheit berge, obwohl es keine umfassende Prüfung gibt, wäre auch eine klare Positionierung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA gefragt. Die gentech-freundliche Beurteilungspraxis der Behörde steht zwar seit längerem in der Kritik. Selbst der derzeitige EU-Umweltkommissar Stavros Dimas bemängelte die EFSA öffentlich (EU-Gentechnikkonferenz: "Viele offene Punkte..."). Doch könnte sie in diesem Fall durch eine seriöse Stellungnahme zu bisherigen Erkenntnissen beziehungsweise Unsicherheiten bei LL601 den jüngst bekundeten Reformwillen unter Beweis stellen. Die mit Juli bestellte neue Direktorin der EFSA, die Französin Catherine Geslain-Lanéelle, kündigte nämlich in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Der Standard an, der Kritik Rechnung tragen und Gutachten neu aufrollen zu wollen. Derzeit befände sich auch ein Bayer-Gentech-Reis in der Prüfphase, allerdings ein anderer als LL601, so die EFSA-Direktorin. Sollte Bayer eine nachträgliche Zulassung für LL601 beantragen wie jetzt in den USA, müsste man für das Verfahren korrekter Weise wohl zwei Jahre anberaumen, meint der österreichische Risikoforscher Werner Müller gegenüber Telepolis:

Würde die EFSA Gentech-Reis einfach durchwinken, so hätte die Behörde aus der Kritik wirklich nichts gelernt. Wir brauchen für alle Gentech-Pflanzen neue nachvollziehbare Bewertungsstandards. So muss der gesamte Bereich der Allergierisiko-Beurteilung neu aufgerollt werden. Bei der Toxizität müsste man korrekter Weise Langzeitversuche über 24 Monate durchführen. Umfassende Sicherheitsprüfungen sind vor allem deshalb notwendig, weil bei gentechnisch veränderten Pflanzen synthetische, im Labor erzeugte Genkonstrukte eingebracht werden, die so in der Natur noch nie vorgekommen sind.

Kritik in den USA

In den USA hingegen könnte der Bayer-Reis rasch eine nachträgliche Genehmigung erhalten, wie die Behörden bereits signalisierten – offensichtlich ohne umfassende Tests. Dieses Vorgehen der obersten US-Behörden stößt aber sogar auf Kritik von Landwirtschaftspolitikern einzelner Bundesstaaten. Denn viele amerikanische Reisbauern wollten strenge Kontrollen bei Gentech-Reis und konnten manipulierten Varianten dieses Grundnahrungsmittel generell wenig abgewinnen. Durch strenge Kontrollen sollten genau solche Verunreinigungsfälle wie jetzt mit LL601 vermieden werden, heißt es beispielsweise aus Arkansas. Richard Bell, Arkansas Secretary of Agriculture , beschrieb diese Vorgänge in einem Interview und bezeichnete das nun eilig betriebene nachträgliche Zulassungsverfahren als „seltsam“:

They’re in the process of deregulating it which makes it eligible for commercialization. I guess the thinking is that will designate it safe for consumption. But I thought that was odd. - And if you’ll look at the press releases, there are two other Liberty Link varieties that have been deregulated but not commercialized. And by ‘commercialized’ we mean going into trade. That hasn’t happened because the rice industry objected to it. - Back in the 2005 session of the Arkansas legislature, there was an act passed called the Arkansas Rice Certification Act. It’s designed to prevent what happened (here). Of course, we didn’t envision (contamination) happening in this sequence. We thought there’d be a chance to review it before, all at once, it (landed in our laps).

Jetzt sehen sich die US-Reisbauern mit einem Ausmaß an Verunreinigungen konfrontiert, das sie so nie erwartet hätten. LL601 Reis wurde nie kommerzialisiert und nur im Feldversuch zwischen 1998 und 2001 getestet. Der US-Landwirtschaftsminister bestätigte allerdings, dass kontaminierter Reis in einer Ernte 2005 auftauchte. Grundsätzlich können Verunreinigungen sowohl durch Pollenflug, schlampiger Saatgutselektion, gemeinsamer Nutzung von Landwirtschaftsmaschinen oder Lagerräumen etc. entstehen. Was bei LL601 genau passiert ist, wird erst noch zu klären sein.

US-Reisbauern haben inzwischen Sammelklagen gegen Bayer eingebracht, zumal der Preis für US-Reis an den Börsen drastisch fiel. Auch müssen sie zusätzlich anfallende Kosten für Zertifizierungs-Tests tragen. Die Geschäfte auf großen Exportmärkten wie Japan und Europa wurden durch den Verunreinigungsfall empfindlich gestört. Und obwohl viele Reisbauern Gentech-Reis gar nicht wollten, sehen sich Branchenvertreter nun gezwungen, den Verbrauchern die Gentech-Ernte im Wortsinn „schmackhaft“ machen zu müssen, um wirtschaftliche Einbußen möglichst gering zu halten.

Bayer selbst gibt sich indes äußerst wortkarg. Das Unternehmen verweist lediglich auf die US-Behörden, die den Gentech-Reis für unbedenklich halten. In diversen Wirtschaftsmagazinen ist auch zu lesen, dass Bayer LL601 nicht kommerzialisieren wollte, weil die Performance angeblich nicht sonderlich berauschend ausfiel.

Fazit: Wieder einmal ein Verunreinigungsfall, der erhebliche Kosten für den Lebensmittelhandel und Landwirte verursachen wird. Die US-Reisbauern dürfen sich auch bei ihren eigenen Behörden bedanken, die offenbar Feldversuche mit neuen gentechnisch veränderten Pflanzen nicht sonderlich genau kontrollieren und es im Vorfeld verabsäumten, wirksame Auflagen zur Vermeidung unerwünschter Kontaminationen zu erteilen. Vielleicht sollten sie neben den Klagen an Bayer auch darauf bestehen, dass ein Wissenschaftsprojekt eingerichtet wird, das sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzt, wie man die unerwünschten Verunreinigungen nun so rasch wie möglich wieder loswird.

Von Brigitte Zarzer ist in der Telepolis-Reihe das Buch Einfach GEN:ial. Die grüne Gentechnik erschienen.