"Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider"

Der Papst, die Evolution und der Kreationismus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Für das Christentum ist der Glaube an Gott als Urgrund allen Seins elementar. Dennoch sieht sich die katholische Kirche keineswegs im Widerspruch zur naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie. Das zeigte sich erst kürzlich wieder bei dem Kolloquium "Schöpfung und Evolution“, zu dem Papst Benedikt XVI. nach Castel Gandolfo geladen hatte. Und auch bei seinem Deutschlandbesuch ging er auf dieses Thema ein, vor allem in seinem Vortrag am 12. September 2006 an der Universität Regensburg.

"Der Glaube ist einfach. Wir glauben an Gott – an Gott, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens“, erklärte der Papst am 12. September 2006 in seiner Predigt in Regensburg, um dann fortzufahren:

Kann man das heute noch? Ist das vernünftig? Seit der Aufklärung arbeitet wenigstens ein Teil der Wissenschaft emsig daran, eine Welterklärung zu finden, in der Gott überflüssig wird. … Aber sooft man auch meinen konnte, man sei nahe daran, es geschafft zu haben – immer wieder zeigt sich: Das geht nicht auf. … Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am Anfang: die schöpferische Vernunft, der Schöpfergeist, der alles wirkt und sich entfalten lässt, oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der Evolution und im letzten also doch auch etwas Unvernünftiges.

Damit ist klar: Für das Christentum im Allgemeinen und für die katholische Kirche im Besonderen gibt es keinen Zweifel an der göttlichen Schöpferrolle. Das heißt aber nicht im Mindesten, dass der Papst und die katholische Kirche die Evolution anzweifeln und den Kreationismus, der derzeit besonders in etlichen protestantischen Kirchen der USA Urständ feiert und die Evolutionstheorie aus dem Schulunterricht verbannen will, befürworten würden. Ein für viele nicht ganz leicht nachzuvollziehender Standpunkt, der zu Missverständnissen führt.

Aus diesem Grund drängte Benedikt XVI. immer wieder zur Klärung dieses Sachverhaltes, d.h. auf die klare Positionierung der katholischen Kirche in der Auseinandersetzung zwischen Darwinisten und Kreationisten, zwischen „logischer“ Evolution, Zufallsselektion und „Intelligent Design“. Wie sehr, das hat sich nicht zuletzt dadurch gezeigt, dass er für das alljährlich Anfang September in Castel Gandolfo stattfindende Kolloquium mit seinen ehemaligen Doktoranden in diesem Jahr das Thema "Schöpfung und Evolution“ gewählt hat.

Doch die Klärungsbestrebungen laufen insgesamt schon viel länger. Bereits 1996 gestand Papst Johannes Paul II., nicht zuletzt unter dem Einfluss des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger, in einer Rede vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, einem der exklusivsten internationalen Gelehrtenclubs der Welt, der Evolutionstheorie zu, "mehr als nur eine Hypothese“ zu sein. Öffentlich wahrgenommen wurde der kirchliche Standpunkt allerdings erst deutlich später, vor allem durch einen Artikel des Wiener Kardinals Christoph Schönborn in der „New York Times" vom 7. Juli 2005 (Die Farben der Vernunft). Und kaum zufällig veröffentlichten am 16. Januar 2006 der „L’Osservatore Romano”, das offizielle Medium des Vatikans, einen Beitrag von Fiorenzo Facchini, einem Geistlichen und Anthropologen der Universität von Bologna, sowie im August 2006 die Zeitschrift „La Civiltà Cattolica” einen zehnseitigen Artikel des Jesuiten Giuseppe De Rosa, Texte, in denen die jeweiligen Autoren in aller Ausführlichkeit auf die Evolution, von Lamarck bis Darwin, eingehen.

Daraus ergibt sich eindeutig, dass die Kirche die Deszendenztheorie, die die verschiedenen Formen des Lebendigen als aus vorangegangenen Formen des Lebendigen hervorgegangen versteht und damit auch die Abkunft des Menschen aus vormenschlichen Lebensformen belegt, seit langem als evident anerkennt. Dass gleichzeitig die göttliche Urheberschaft allen Seins als gegeben angesehen wird, ist dabei nur ein scheinbarer Widerspruch, der sich auflöst, wenn man einerseits die Schöpfung als einen kontinuierlichen Prozess und andererseits den Schöpfergott als ursächliche Transzendenz ansieht, als immanente Wirkursache der Evolution, die auch Folge-Ursachen schafft, die die universale Entwicklung bewegen. Das umfasst ebenso Aspekte der Mutation (spontane Veränderung von Arten, also des Erbgutes) wie auch der natürlichen Auslese von Individuen und Arten.

„Gott ist Vernunft“

Der Kern dieser ausführlichen Darlegungen lässt sich in dem zusammenfassen, was Joseph Ratzinger schon im Jahr 2000 gesagt und nun wiederholt und weiter ausgeführt hat, nämlich „dass die Welt in einem sehr komplizierten Evolutionsprozess entstanden ist, dass sie aber im tiefsten eben doch aus dem Logos entstanden ist. Sie trägt insofern Vernunft in sich." Dieser Logos ist, gemäß dem Beginn des Johannes-Evangeliums, Gott: „Am Anfang was das Wort (=logos, was sowohl Vernunft als auch Wort bedeutet), und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Genau diese Essenz nahm Benedikt XVI. in seiner Regensburger Vorlesung auf und erläuterte bzw. konkretisierte sie, indem er betonte: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.“ Mit diesem neutestamentarischen Gottesverständnis kann sowohl eine Synthese mit der philosophischen Aufklärung als auch mit den modernen Naturwissenschaften erreicht werden, allerdings unter der wesentlichen Maßgabe, dass die naturwissenschaftlichen Erklärungen bzw. Modelle lediglich die wirkursächlichen Zusammenhänge beschreiben können und deshalb bei ihrer Erklärung der Evolution weder etwas über die letzte Seinsursache noch über ein Ziel aussagen können.

Damit bezieht die katholische Kirche eine klare Gegenposition zu den Kreationisten, die auf dem wortgenau geschichtlichen Verständnis des biblischen Schöpfungsberichts bestehen. Die Kirche setzt sich damit aber gleichzeitig auch von dem derzeit vielerorts gängigen Naturalismus, von einer dem reinen „Stoffwechselverständnis“ verschriebenen und auf die Erklärung der innerweltlichen Ursachen beschränkten Naturwissenschaft ab, die sich anmaßt, Fragen des Warum und Wozu beantworten zu können. Sowohl Darwin als auch Einstein bewunderten die Sinnordnung hinter dem Evolutionsgeschehen, ohne dadurch zu inkonsequenten Naturwissenschaftlern zu werden.

Auch Jürgen Habermas und andere namhafte Philosophen kritisieren an dem neuen Naturalismus, dass er Phänomene vernachlässigt oder gar bestreiten muss, die zum zentralen Selbstverständnis des Menschen gehören. Beispielsweise, dass wir Ziele und Intentionen haben und zu verwirklichen suchen, uns als Akteure und Verantwortliche unserer Handlungen sehen und auf Deutungen des Seins bestehen. (In diesem Zusammenhang sei an die Debatten um Phänomene wie Selbstbewusstsein und Freiheit im Zusammenhang mit der modernen Hirnforschung erinnert.) Hier treffen ein philosophisch-theologischer „Raum der Gründe“ mit einem naturwissenschaftlichen „Raum der Ursachen“ zusammen, die nicht identisch, aber dennoch keineswegs unvereinbar sind - oder sein müssen.

Die Wurzeln der methodischen Vereinbarkeit von Schöpferglauben und moderner Naturwissenschaft - und damit gleichzeitig auch des großen Unterschieds von Christentum und den östlichen Religionen, auch des Islams -; sieht Joseph Ratzinger in dem Zusammentreffen von biblischer Botschaft und griechischem (hellenistischem) Denken, genauer: platonischem Fragen. In dieser Verschmelzung habe sich das Christentum weitgehend von seinen orientalischen Wurzeln gelöst und sei zur „europäischen“ Religion geworden, wie Ratzinger sagt.

Dabei trägt die moderne naturwissenschaftliche Vernunft mit dem ihr innewohnenden platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten hinausweist. Sie selber muss die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht. Aber die Frage, warum dies so ist, die besteht doch und muss von der Naturwissenschaft weitergegeben werden, an andere Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie.

Einhelliges Lob für diese Klärung der kirchlichen Position ist allerdings nicht zu erwarten. Allen voran wird sie auf massiven Widerspruch eines erheblichen Teils der angesprochenen "Naturalisten", also von Naturwissenschaftlern etwa aus der Hirnforschung, stoßen. Aber auch philosophische Zweifel werden nicht ausbleiben. Zwar ist das gedankliche Modell rational und in sich schlüssig, aber nur so lange, wie es ausschließlich um den reinen Werdungsprozess von Welt und Universums geht. In dem Moment, wo weitergehende Glaubenssätze der Kirche in Betracht gezogen werden, beispielsweise das Gottesbild, das Gott als reine Liebe definiert und ihm Allmacht zuspricht, wird es schwierig. Konkret: Fundamentale Widersprüchlichkeiten, wie sie in der Theodizeefrage auftauchen, lassen sich rational einfach nicht auflösen. Das allerdings mit und ohne Anerkennung der Evolutionstheorie nicht.

Dass die Klärung des katholischen Verhältnisses von biblischem Glauben und Evolutionstheorie gerade in der letzten Zeit, und zwar besonders unter Benedikt XVI., so deutlich vorangetrieben wurde, basiert auf mehreren Umständen. Zum einen wurde es fast erzwungen durch die Konfrontation mit dem oben erwähnten, größtenteils recht rabiaten Kreationismus. Hier musste, im kirchlichen Eigeninteresse, eine Distanzierung erfolgen. Zum anderen liegt es aber auch in der Person Ratzingers begründet, dessen geistige Wurzeln stark in der Philosophie, vornehmlich der griechischen, verankert sind. Und zum Dritten: Die Aussage stellt auch eine markante Abgrenzung zum Islam dar, weshalb heftiger Protest von dieser Seite zu erwarten ist. Denn immerhin, so wirkt es jedenfalls, bescheinigt Ratzinger dem Islam nicht weniger als eine grundsätzliche Entwicklungsunfähigkeit.