Probleme bei der Aufklärung des "Kofferbomben"-Falls

Die Bundesanwaltschaft hat den syrischen Studenten, der dem Hauptverdächtigen Youssef E.H. bei der Suche von Bauanleitungen für Bomben im Internet geholfen haben soll, mangels Beweisen wieder freigelassen

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Am 26. August war der 23 Jahre alte syrischen Staatsangehörige Fadi A. S. „wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB), des versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in einer Vielzahl von Fällen und des versuchten Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion“ festgenommen worden ("Kleine Gruppen, die sich spontan zu Aktionen entschließen"). Jetzt hat die Bundesanwaltschaft den Haftbefehl wieder augehoben. Neues scheint es von dem mysteriösen „Kofferbomben“-Fall nicht zu geben, der gleichwohl von der Politik benutzt wurde, um neue Sicherheitsmaßnahmen wie die Antiterror-Datei durchzusetzen und andere wie die Kontrolle des Internet zu fordern.

Es ist ein bekannter Reflex – anders kann man dies nicht nennen -, dass Law-and-Order-Politiker sich sofort mit der Forderung nach neuen oder schon lange in den Schubladen liegenden Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen laut zu Wort melden, sobald es irgendwo einen Terroranschlag – und sei es nur einen Verdacht – gibt. Das war auch so im „Kofferbomben“-Fall, der kurz nach der Aktion der britischen Sicherheitskräfte gegenüber einer vermuteten islamistischen Zelle erfolgte, von der es hieß, ihr Anschlag auf mehrere Passagiermaschinen sei unmittelbar bevor gestanden. Auch in diesem Fall wurde, man darf vermuten, aus politischen Gründen die wenigen bekannten Einzelheiten über Gebühr aufgeblasen (Von den "vereitelten Terroranschlägen").

In Deutschland waren im Gegensatz zu Großbritannien, wo es sich vermutlich bestenfalls um einen vage angedachten Plan handelte, zumindest die Kofferbomben bereits in den Zügen platziert worden. Dass es sich dabei um Sprengsätze handelte, die nach Auskunft von Experten dilettantisch hergestellt wurden und gar nicht in die Luft hätten gehen können, hat Medien und interessierte Politiker dann schon wieder weniger interessiert. Auch die zunächst vom BKA zu Profis stilisierten, mit möglichen al-Qaida-Hintergrund ausgestatteten Täter waren in kaum glaublicher Weise – zumindest für Täter, die keinen Selbstmordanschlag begehen wollen – so naiv gewesen, dass sich auf den Kofferbomben nicht nur Fingerabdrücke und DNA-Spuren fanden, sondern beispielsweise auch ein Zettel mit einer Telefonnummer im Libanon. Noch dazu kehrte Youssef Mohamad E.H., einer der Täter, seelenruhig nach der anfänglichen Flucht in den Libanon zurück nach Kiel, wo er dann prompt kurz nach der Veröffentlichung der Fahndungsbilder festgenommen wurde – offenbar vor allem deswegen, weil der junge Mann, der sein Studium beginnen wollte, aufgeschreckt nach Hause telefoniert und so der libanesische Geheimdienst, der lauschte, den deutschen Sicherheitskräften den heißen Tipp geben konnte.

Bei dem in Konstanz als angeblichen Komplizen festgenommenen syrischen Studenten hieß es seitens der Bundesanwaltschaft, dass er „im Wesentlichen“ durch die Aussagen von Jihad H., der sich im Libanon der Polizei gestellt hatte, beschuldigt wurde (er will zudem auch gar nichts gewusst haben und macht Youssef für alles verantwortlich). Der Tatverdacht sei aber auch „durch Ermittlungen im Umfeld des Mitbeschuldigten Youssef“ bestätigt worden. Vorgeworfen wurde ihm, dass er vor der Tat mit diesem „im Internet mit seinem Computer nach Anleitungen zum Bau von Bomben“ recherchiert hätte: „Gemäß diesen Anleitungen“, so gab die Bundesanwaltschaft bekannt, „wurden die bei den missglückten Anschlägen verwendeten Spreng-Brandvorrichtungen zusammengebaut.“ Jetzt sagt die Bundesanwaltschaft, dass sich der ursprünglich Verdacht nach Befragung von Jihad, der den mutmaßlichen Tätern auch zur Flucht verholfen haben soll, nicht habe erhärten lassen. Man ermittle zwar weiter, aber könne die Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht mehr rechtfertigen. Hinfällig wird damit aber vorerst auch der Anklagepunkt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, dafür wären drei Verdächtige notwendig.

Offenbar hat sich damit auch nicht erhärtet, dass Fadi zusammen mit Youssef nicht nur nach Bauanleitungen für Sprengsätze gesucht, sondern genau das dann hergestellte Modell gefunden hatte. Noch vor einigen Tagen berichtete der Focus:

Bei den fehlgeschlagenen Bahn-Attentaten sollten nach FOCUS-Informationen die Leiden der Opfer erhöht werden, indem den Bomben Speisestärke beigefügt wurde. Aus der Aussage des im Libanon verhörten zweiten Kofferbombers geht hervor, dass die Attentäter im Internet recherchiert hatten, welche Wirkung das Pulver bei einer Explosion hat. Nach der Zündung der Bombe vermischt sich ein Benzin-Luftgemisch mit dem feinen Staub der Stärke. Wie ein glühender Ölfilm hätte die Mischung die Reisenden überzogen und wäre tief in die Hautschichten eingezogen.

Auch Spiegel Online berichtete dasselbe, was durch viele weitere Medien ging, und ergänzte, Jihad Fadi al-S. habe gesagt, dass Faadi "Ahnung von Computern" und Youssef "in Computerangelegenheiten unterstützt" habe, was nicht besonders erhellend und auch für einen Studenten wie Youssef eher unwahrscheinlich klingt. Spiegel Online hatte zuvor auch schon getitelt: Verhinderte Bahn-Attentate, fragt sich, wer diese verhindert hat, die Attentäter selbst?

Gut zu wissen ist, dass die Staatsanwaltschaft hierzulande wie schon die JUstiz bei den sogenannten Hamburger al-Qaida-Prozessen trotz aller Aufgeregtheiten und voreiligen Schlüsse von Medien und Politikern auf die Einhaltung des Rechts auch von Terrorverdächtigen achtet. Wie auch immer der noch weitgehend undurchsichtige „Kofferbombenfall“-Fall aufgeklärt wird, der mitunter auch für den Einsatz der Bundeswehr im Libanon dienen musste, so dürfte allerdings auch klar sein, dass weiterhin von den sich mit Sicherheit (und Angst) profilierenden Politikern der weitere Ausbau der Überwachungsmaßnahmen, beispielsweise des Internet, betrieben werden wird.