Beweisen eingetroffene Prophezeiungen, dass die Bibel das Wort Gottes ist?

In der Bibel sind zahlreiche Prophezeiungen enthalten, die sich wortwörtlich erfüllt haben. Das jedenfalls behaupten fundamentale Christen. Einer kritischen Untersuchung hält eine solche Behauptung jedoch nicht stand

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Angeblich sind die Vorhersagen in der Bibel so zahlreich und korrekt, dass sämtliche Versuche, eine wissenschaftliche Erklärung zu finden, zum Scheitern verurteilt sind. Da nur Gott persönlich so viel Wahrsagekraft entwickeln kann, sehen sich bibeltreue Zeitgenossen in ihrer Ansicht bestätigt, dass die Bibel das Wort Gottes ist.

Sekten wie Scientology, Mun oder Bhagwan haben schon bessere Zeiten gesehen. Auch UFO-Sichtungen, fragwürdigen Psychotrainings und Kornkreis-Theorien gehen seit Jahren zurück, wie beispielsweise die Esoterik-Kritiker der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) vermelden.

Hat etwa eine neue Welle der Rationalität unsere Gesellschaft erfasst? Mit Sicherheit nicht, wie eine genauere Analyse belegt. Schon eher zeigt sich, dass grenz- und pseudowissenschaftliche Theorien oft Modetrends unterliegen – während die einen verschwinden, werden andere populär. Zu den derzeit immer beliebter werdenden spirituellen Lehren gehören eindeutig diejenigen, die eine wörtliche Auslegung der Bibel propagieren. Die bekannteste Folge davon ist sicherlich die derzeit vermehrt diskutierte Ablehnung der Evolution (Kreationismus), die beispielsweise in den USA weit verbreitet ist. Wenn bibeltreue Christen ihre Haltung begründen, dann kommen meist die besagten Prophezeiungen ins Spiel.

Gibt es einen biblischen Gottesbeweis?

Wie fundamentale Christen zum Thema biblische Prophezeiungen argumentieren, steht beispielsweise im Buch „Fragen, die immer wieder gestellt werden“ von dem Ingenieur und Prediger Werner Gitt1. In diesem Werk, das bei vielen bibeltreuen Gruppierungen hoch im Kurs steht, lesen wir:

Wir wollen hier die Frage nach der biblischen Wahrheit an einem ausgewählten Beispiel zeigen, das den Vorteil hat, mathematisch nachvollziehbar zu sein. Die Bibel enthält 6408 Verse mit prophetischen Angaben, von denen sich 3268 bisher so erfüllt haben, während die restlichen Prophetien noch zukünftige Ereignisse betreffen. Keine Voraussage ist verändert eingetroffen.

Anschließend rechnet Gitt – mathematisch völlig korrekt und in aller Ausführlichkeit – vor, dass das zufällige Eintreffen derart vieler Prognosen etwa so wahrscheinlich ist wie ein Sechser im Lotto. Allerdings unter der Voraussetzung, dass der Lottoschein deutlich mehr Felder hat, als es im Universum Atome gibt. Angesichts dieser eindrucksvollen Zahlenspiele kommt Gitt zu folgendem Schluss:

Die Prophetien [in der Bibel] sind göttlicher Art, sie können von keinem Menschen stammen.

Nun nennt Gitt in seinem Buch zwar nur einige wenige Beispiele für die von ihm so hoch eingeschätzten Prophezeiungen in der Bibel, doch ein kurzer Blick auf eine Internet-Seite wie dasjahrderbibel.de gibt genaueren Aufschluss. Dort lesen wir beispielsweise, dass viele biblischen Vorhersagen Jesus von Nazareth betreffen. Diese Vorhersagen finden sich allesamt im Alten Testament, dessen Inhalte – kein ernst zu nehmender Historiker bezweifelt dies – Jahrhunderte vor der Geburt Jesu verfasst wurden. Man kann also davon ausgehen, dass die Prophezeiungen tatsächlich älter sind als das Prophezeite. Weniger überzeugend sieht es dagegen aus, wenn man sich fragt, wie konkret die einzelnen Prophezeiungen sind. Dies verdeutlicht das folgende Beispiel (Psalm 22,17):

Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben.

Da das Hebräische, in dem das Alte Testament im Original geschrieben ist, eine tückenreiche Sprache ist, steht in manchen Bibeln auch „durchbohrt“ statt „durchgraben“. Die genannte Bibelstelle wird von fundamentalen Christen daher als Prophezeiung der Hinrichtung Jesu gewertet, bei der Nägel dessen Hände und Füße durchbohrten. Allerdings ist diese Interpretation nicht gerade zwingend. Dies fängt schon damit an, dass der zitierte Satz auf ein Ereignis in der damaligen Gegenwart hinweist und damit gar keine Prophezeiung ist. Es ist in diesem Psalm auch nicht davon die Rede, dass es sich bei der beschriebenen Person um Jesus handelt. Was die Hunde mit der Kreuzigung Jesu zu tun haben sollen, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Und nicht zuletzt lässt die hebräische Sprache statt „durchgraben“ auch „durchbissen“ als Übersetzung zu, was im Zusammenhang mit Hunden ja nicht ganz unwahrscheinlich ist. Am Ende bleibt also nicht mehr als eine nichtvorhandene Prophezeiung ohne konkreten Inhalt, die obendrein völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde.

Dass die genannte angebliche Vorhersage kein Einzelfall ist, soll noch ein zweites Beispiel verdeutlichen. So findet sich im Alten Testament (Sacharja 11,12) folgender Satz:

Und ich sprach zu ihnen: Gefällt's euch, so gebt her meinen Lohn; wenn nicht, so lasst's bleiben. Und sie wogen mir den Lohn dar, dreißig Silberstücke.

Auch diese Stelle ist mitnichten eine Prophezeiung, sondern bezieht sich auf einen Vorgang in der Vergangenheit. Darüber hinaus ist kein Bezug zu Jesus von Nazareth erkennbar. Findige Bibel-Exegeten stört das allerdings wenig. Ihrer Meinung nach wird an dieser Stelle der Verrat Jesu durch Judas prophezeit, für den letzterer 30 Silberstücke erhalten haben soll. Leider sind solche an den Haaren herbeigezogenen Auslegungen in diesem Zusammenhang mehr als typisch, und so ließe sich die Liste von wenig aussagekräftigen Scheinprophezeiungen auf das Leben Jesu noch deutlich verlängern. Machen Sie doch einfach die Probe aufs Exempel: Nehmen sie die „Prophezeiungen über Christus“ von der Web-Seite dasjahrderbibel.de oder eine ähnliche Quelle und schlagen sie die genannten Bibelstellen nach. Sie werden feststellen, dass weder das Wirken Jesu in Galiläa (Jesaja 9,1-2) noch der Verrat durch einen vertrauten Freund (Psalm 41,9) noch das Sterben unter Verbrechern (Jesaja 53,12) an den genannten Stellen prophezeit wird. Erst im Nachhinein hat man die entsprechenden Aussagen in der gewünschten Weise interpretiert.

Die Tatsache, dass die angeblichen Jesus-Prophezeiungen im Alten Testament (es sollen etwa 300 sein) alles andere als aussagekräftig sind, ist jedoch nur die eine Hälfte der Medaille. Noch mehr nutzen fundamentale Christen nämlich eine andere Tatsache aus: Einige Autoren des Neuen Testaments hatten offensichtlich ein großes Interesse daran, dass sich Prophezeiungen des Alten Testaments in Jesus erfüllten. Dieses Interesse ist durchaus verständlich, denn für die Juden war es damals wie heute schwierig, Jesus als den im Alten Testament angekündigten Erlöser zu akzeptieren. Da konnten eingetroffene Prophezeiungen als Argumentationshilfe recht nützlich sein.

Am Augenscheinlichsten wird dies im Matthäus-Evangelium, dessen Autor nicht weniger als 130 Zitate aus dem Alten Testament in sein Werk eingebaut hat. An elf Stellen heißt es sogar ausdrücklich, dass sich bestimmte Dinge im Leben Jesu ereignet haben, damit sich eine alttestamentarische Prophezeiung (oder etwas, was der Evangelist dafür hält) erfüllt. Das Problem hierbei ist offensichtlich: Woher soll man wissen, ob die zahlreichen angeblichen Vorhersagen tatsächlich eingetroffen sind oder ob der Autor nicht zur Ehre Gottes etwas geflunkert hat. Hier ein Beispiel aus dem Matthäusevangelium (Matthäus 21,4), wo wir lesen, wie Jesus mit einem Esel und einem Eselsfohlen (Füllen) in Jerusalem einreitet. Dass dieser Ritt kein Zufall gewesen sein kann, betont der Evangeliumsautor mit folgenden Worten:

Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.

Dass die zitierte Prophezeiung im Alten Testament (Sacharja 9,9) etwa die gleiche Aussagekraft hat wie zahlreiche andere Jesus-Vorhersagen (nämlich so gut wie keine), sei nur am Rande erwähnt. Interessieren soll uns hier eine andere Beobachtung: Diese Episode mit den beiden Eseln wird – im Gegensatz zu vielen anderen Begebenheiten aus dem Leben Jesu – an keiner anderen Stelle des Neuen Testaments bestätigt. Außerbiblische Quellen dazu gibt es sowieso nicht. Daher lässt sich heute beim besten Willen nicht mehr klären, ob sich diese Geschichte wirklich so abgespielt hat oder ob der Mathäus-Evangelist seinem Glück bei der Suche nach eingetroffenen Prophezeiungen nachgeholfen und einen Eselsritt erfunden hat.

Auch hier lassen sich mühelos weitere Beispiele finden. So erfahren wir im Matthäus-Evangelium, dass die Peiniger Jesu um dessen Kleidung das Los warfen (Matthäus 27,35), so wie es nach fundamentalchristlicher Lesart in Psalm 22,19 vorhergesagt worden war. Am Kreuz wurde Jesus Essig und Galle zu trinken gegeben (Matthäus 27,47-48), was Psalm 69,22 schon vorher gewusst haben soll. Und die angeblich letzten Worte Jesu „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46) stehen bereits in Psalm 22,2. Nach knapp 2.000 Jahren lässt sich schlichtweg nicht mehr kontrollieren, ob diese Details den Tatsachen entsprechen. Erst recht nicht zu überprüfen sind angebliche Jesus-Prophezeiungen aus dem Alten Testament, die sich auf Ereignisse wie die Jungfrauengeburt, die Salbung durch den heiligen Geist, die Auferstehung oder die Himmelfahrt beziehen. Fundamentale Christen werten diese dennoch als Treffer.

Weitere Prophezeiungen

Natürlich beziehen sich nicht alle angeblichen Prophezeiungen in der Bibel auf Jesus von Nazareth. Vielmehr betreffen zahlreiche Vorhersagen auch historische Ereignisse, die bereits zu alttestamentarischer Zeit stattfanden. Ein Lieblingsbeispiel vieler Bibel-Fans, das sowohl in einem Buch von Werner Gitt2 als auch auf der Web-Seite dasjahrderbibel.de in aller Ausführlichkeit behandelt wird, sind die Geschehnisse um die Stadt Tyrus im heutigen Libanon. Auf deren Schicksal sollen sich einige Prophezeiungen aus der Bibel beziehen.

In der Tat findet man im Alten Testament bei Hesekiel 26 die recht ausführliche Ankündigung eines Angriffs auf Tyrus durch den babylonischen König Nebukadnezar. Gott selbst soll diesen Angriff vorhergesagt haben. In nicht weniger als 21 Versen beschreibt Hesekiel wie Rosse, Wagen, Reiter und ein großes Heer Tyrus, das auf einer Insel lag, sowie dessen Vorstädte auf dem Festland dem Erdboden gleichmachen würden.

Im Gegensatz zu vielen angeblichen Jesus-Prophezeiungen stellen die Hesekiel-Zeilen tatsächlich eine Vorhersage dar und wurden nicht erst im Nachhinein dazu erklärt. Darüber hinaus bestätigt die historische Forschung, dass diese Vorhersage im Wesentlichen eingetroffen ist – jedenfalls belagerte Nebukadnezar Tyrus und zerstörte die Vorstädte. Ist das der Beweis, dass es sich um eine göttlich inspirierte Prophezeiung handelt? Mit Sicherheit nicht, denn die Sache hat einen kleinen Schönheitsfehler: Die Belagerung durch Nebukadnezar fand zwischen 586 und 573 v. Chr. statt, während die Entstehung des Buchs Hesekiel von der wissenschaftlichen Bibelforschung auf den Zeitraum zwischen 600 und 560 v. Chr. datiert wird. Die Prophezeiung könnte also jünger als das Prophezeite. Natürlich lehnen fundamentale Christen diese profane Erklärung vehement ab. Sie bestehen darauf, dass der Prophet Hesekiel durch eine göttliche Eingebung bereits im Voraus wusste, was passieren würde. Leider gibt es für diese Behauptung nicht den Schatten eines Beweises.

Um wenigstens noch einen Teil der Prophezeiung zu retten, behaupten bibeltreue Christen manchmal, Teile der Hesekiel-Prophezeiung bezögen sich auf die Einnahme Tyrus’ durch Alexander dem Großen im Jahr 332 v. Chr. (dasjahrderbibel.de folgt dieser Argumentation). Diese Eroberung fand unzweifelhaft nach der Niederschrift des Buchs Hesekiel statt. Auch diese Theorie hat jedoch den Makel, dass sie durch nichts – und schon gar nicht durch die Textstellen selbst – zu belegen ist. Wenig Mühe bereitet schließlich auch der Satz „und du [Tyrus] sollst nicht wieder gebaut werden“ im 14. Vers der besagten Prophezeiung. dasjahrderbibel.de meint, dass diese Prognose eingetroffen ist, was man vor gut 2.500 Jahren natürlich noch nicht wissen konnte. Dies ist jedoch Interpretationssache, denn Teile des früheren Stadtgebiets von Tyrus sind durchaus wieder bebaut.

Auch hier lassen sich noch zahlreiche weitere Beispiele finden. Ähnlich wie mit Tyrus verhält es sich beispielsweise mit Babylon, dessen Einnahme durch „Völker aus dem Lande des Nordens“ ebenfalls im Alten Testament vorhergesagt wird (Jeremia 50,9). Wie man in jedem Lexikon nachlesen kann, ereilte Babylon im Jahr 539 v. Chr. tatsächlich das Schicksal der Einnahme durch den Perserkönig Kyros II., wodurch sich die genannte Prophezeiung erfüllte. Auch hier gibt es jedoch keinerlei Beweis dafür, dass die Prophezeiung tatsächlich älter als das Prophezeite ist. Und selbst wenn man dies beweisen könnte, würde es nicht viel aussagen, denn die Prophezeiung ist so vage, dass es sich auch um eine Wunschvorstellung des Autors handeln könnte (Babylon war bei den Juden verhasst), die nach ihrem Eintreten mit großer Freude weitererzählt wurde.

Eher ein Schmunzeln bereitet auch die Behauptung, Jesus (gestorben um 30 n. Chr.) hätte die Zerstörung Jerusalems durch die Römer (70 n. Chr.) vorhergesagt. In der Tat finden wir etwa bei Lukas 21,6 Jesus-Worte, die eine solche Verwüstung ankündigen. Die Erklärung: Die Entstehung des Lukas-Evangeliums wird von der wissenschaftlichen Bibelforschung auf etwa 80-90 n. Chr. datiert, wodurch die Zerstörung Jerusalems bei der Niederschrift bereits Geschichte war. Natürlich lehnen fundamentale Christen auch diese Interpretation ab, denn für sie ist jedes Jesus-Wort in der Bibel authentisch. Wer jedoch behauptet, es liege eine übernatürliche Prophezeiung vor, ist nach den Spielregeln des kritischen Denkens in der Beweispflicht, und bisher konnte noch niemand auch nur ansatzweise beweisen, dass Jesus jemals etwas zur bevorstehenden Zerstörung Jerusalems sagte.

Aktuelle Ereignisse

Da die Prophezeiungen antiker Geschehnisse in der Bibel nicht viel hergeben, wollen wir nun noch einen Blick auf das werfen, was die Heilige Schrift zu Ereignissen neueren Datums zu sagen hat. Nach Ansicht fundamentaler Christen ist dies eine ganze Menge. So lesen wir etwa bei Jesaja 27,6:

Es wird einst dazu kommen, dass Jakob wurzeln und Israel blühen und grünen wird, dass sie den Erdkreis mit Früchten erfüllen.

Für dasjahrderbibel.de ist dies – man höre und staune – eine Vorhersage der Tatsache, dass der Staat Israel heute große Mengen an Zitrusfrüchten in die ganze Welt exportiert. Wirklich zwingend ist diese Auslegung allerdings nicht. Oder betrachten wir Jesaja 55,13:

Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln.

Gemäß dasjahrderbibel.de ist dies ein Hinweis auf „Programme zur Wiederaufforstung von Millionen frischer Bäume“, die in Israel in der jüngeren Vergangenheit unternommen wurden. Es liegt allerdings auf der Hand, dass es bei derart vagen und vieldeutigen Prophezeiungen praktisch unmöglich ist, keine aktuelle Entsprechung zu finden. Erstaunlich ist in jedem Fall, mit welcher Fantasie so mancher Bibeldeuter zu Werke geht. Nehmen wir etwa folgende Bibelstelle (Obadja 4):

Wenn du auch in die Höhe führest wie ein Adler und machtest dein Nest zwischen den Sternen, dennoch will ich dich von dort herunterstürzen, spricht der HERR.

Der besagte fundamentalchristliche Buchautor Werner Gitt sieht darin allen Ernstes einen Hinweis auf „Satelliten, Spacelabs und Orbitalstationen“3. Auf diese Idee wäre vermutlich nicht einmal Erich von Däniken gekommen.

Zum Schluss soll noch ein weiteres Lieblingskind der christlichen Prophezeiungs-Anhänger zur Sprache kommen: der Staat Israel. Nach dem Alten Testament ist das Gebiet des heutigen Israel für die Juden das Land, das Ihnen Gott versprochen hat und in das er sie aus aller Welt zurückbringen will (beispielsweise Hesekiel 36,28 oder Jesaja 43,6). Die Tatsache, dass 1948 der Staat Israel gegründet wurde, in den seitdem Juden aus aller Welt in ihre geistige Heimat zurückgekehrt sind, ist für bibeltreue Christen ein weiterer Beweis, dass sich die Ankündigungen des Alten Testaments erfüllen.

Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Juden bereits zu alttestamentarischer Zeit alles andere als unbehelligt in ihrem gelobten Land lebten. Im Gegenteil: Die ursprünglich als Nomaden umherziehenden Juden mussten sich „ihr“ Land erst in blutigen Schlachten erkämpfen (die Bibel berichtet davon), um später zunächst ins ägyptische und dann ins babylonische Exil getrieben zu werden. Dadurch entwickelten sich die Juden schon damals zu einem über die antike Welt versprengten Volk. Das ungestörte Leben aller Juden im gelobten Land war deshalb bereits zur Entstehungszeit des Alten Testaments ein Wunschtraum vieler Juden, der sich natürlich in ihren Schriften niederschlug.

Dass dieser Wunschtraum ausgerechnet im 20. Jahrhundert teilweise in Erfüllung ging, ist sicherlich eine Pointe der Weltgeschichte, aber sicherlich kein unerklärbares Wunder. Da die entsprechenden Stellen in der Bibel wieder einmal sehr vage gehalten sind und außerdem keine Zeitangabe enthalten, kann niemand ernsthaft behaupten, die damaligen Autoren hätten die aktuellen Vorgänge in Israel gekannt. Erstaunlich ist dagegen, dass ausgerechnet Christen darauf bestehen, dass die viel kritisierten Kriege, die Israel zur Durchsetzung seiner territorialen Interessen führte, Gottes Wille sein sollen.

Trotz einiger Suche hat bisher noch niemand eine angebliche Prophezeiung aus der Bibel gefunden, die sich nicht auch ohne eine göttliche Inspiration einfach erklären ließe. Manche Bibel-Fans stört das nicht im Geringsten, weshalb entsprechende Behauptungen bis heute zum Standard-Repertoire von Zeugen Jehovas und anderen Gruppierungen gehören. Durch ständiges Wiederholen wird eine falsche Aussage allerdings auch nicht richtiger.

Der Artikel wurde dem gerade erschienenen Buch des Autors entnommen: Klaus Schmeh: Planeten und Propheten. Ein kritischer Blick auf Astrologie und Wahrsagerei. Alibri Verlag. 170 Seiten mit zahlreichen Bildern und Cartoons. 14,00 Euro.

Klaus Schmeh ist Informatiker und nebenberuflicher Journalist. Er ist Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) sowie deren Regionalgruppe Rhein-Ruhr. Seine persönliche Homepage: www.schmeh.org.