Einsatz mit vielen Fragezeichen

Die deutsche Beteiligung an der Libanon-Mission sorgt für Widerspruch in allen politischen Lagern - und wird doch beschlossen werden

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Am kommenden Mittwoch wird aller Voraussicht nach der nächste deutsche Auslandseinsatz abgesegnet. Nach den laufenden Missionen auf dem Balkan, in Afghanistan und in Kongo steht dem Militärkommando vor der Küste Libanons kaum noch etwas im Wege. Der Parlamentsvorbehalt droht den nächsten Einsatz deutscher Soldaten im Ausland weniger denn je zuvor zu verhindern: Unionsparteien und Sozialdemokraten verfügen gemeinsam über die notwendige Mehrheit. Auch wenn das Oppositionsveto damit zur formaldemokratischen Makulatur wird, lohnt sich der Blick auf die Debatte.

Kaum ein Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr hat mehr Symbolkraft besessen als die Mission vor der libanesischen Küste. Wenn sich die Bundesmarine demnächst mit zwei Fregatten, zwei Transporthubschraubern, drei Versorgungsschiffen, vier Schnellbooten und insgesamt 2.400 Mann an der seit fast drei Jahrzehnten währenden Libanon-Mission UNIFIL der Vereinten Nationen beteiligt, werden deutsche Soldaten zum ersten Mal seit der Gründung dieses Staates in der Nähe Israels stationiert sein. Bewaffnete Konflikte mit dessen Armee können damit nicht ausgeschlossen werden.

Das Schnellboot HYÄNE (Klasse 143A). Foto: Bundeswehr/ Matthias Dörendahl

Die daraus erwachsende Brisanz wissen im Vorfeld der für Dienstag anberaumten Parlamentsdebatte Befürworter und Kritiker des Einsatzes für sich zu nutzen. Mitte dieser Woche machte bereits das Merkelsche Wort vom „historischen Einsatz“ die Runde. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Nahost-Mission aus der geschichtlichen Sonderlage Deutschlands mit Pathos befürworteten, kehren Vertreter der Oppositionsparteien dieses Argument gerade ins Gegenteil um. Militärisches Engagement im Nahen Osten dürfe nicht als Beitrag zur „Aufarbeitung des Holocausts“ missverstanden werden, sagte die Linkspartei-Abgeordnete Monika Knoche.

Offene Fragen steigern die Wahrscheinlichkeit von Konflikten

Die Gegner des Einsatzes bemängeln vor allem aber, dass die Bundesregierung die Beteiligung an der Mission ohne jeden Zwang angeboten hat. Tatsächlich wirft die Eile, mit der die Erweiterung des UNIFIL-Einsatzes beschlossen und - nicht nur von Deutschland - umgesetzt wird, Fragen auf. Wichtige Details des Einsatzes sind bis dato unklar.

Die primäre Aufgabe der deutschen Marine als führender nationaler Marineverband in der neuen Mission soll darin bestehen, mutmaßliche Waffenschmuggler auf hoher See aufzuhalten. Soweit herrscht Klarheit. An diesem Punkt endet sie aber auch. Nicht geklärt ist, was in diesem Fall mit Ladung und Besatzung des gestoppten Schiffs geschehen soll. Das Mandat lässt, so wie von der Bundesregierung beschrieben, diese Frage offen.

Dies birgt militärische und politische Gefahren. Indem nur von der Überwachung des „libanesischen Küstenbereiches“ die Rede ist, wird die völkerrechtlich definierte Regelung einer Sechs- bzw. Zwölf-Meilen-Zone vor der Küstenlinie beiseite gelassen. Konflikte mit den libanesischen Streitkräften werden so provoziert, zumal die Präsenz von regionalen Verbindungsoffizieren auf den deutschen Schiffen nicht feststeht. Ob die Souveränität Libanons auf diese Weise gestärkt wird, wie von Merkel in Aussicht gestellt wurde, ist mehr als unwahrscheinlich. FDP und Linkspartei wollen auch deswegen gegen den Einsatz stimmen. Deutschland werde schließlich nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Konfliktes, kritisierte der Linkspartei-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi.

Vorbehalte auch auf der Rechten

Der bevorstehende Libanoneinsatz wird aber nicht nur von der Opposition kritisch gesehen, auch in der Union regte sich zaghafter Widerstand. Die Intentionen sind freilich andere. Zeitgleich zu der Billigung des Einsatzes durch das Regierungskabinett stellte der Unions-Fraktions-Vize Andreas Schockenhoff am Mittwoch ein Grundsatzpapier zur Regelung künftiger deutscher Militäreinsätze vor. Bedeutendster Punkt: Bundeswehr-Einsätze im Ausland sollten prinzipiell an deutschen Interessen orientiert sein. Entscheidungen darüber müssten zudem „auf der Grundlage der Grundwerte der deutschen Politik und von Bündnisverpflichtungen getroffen werden“. Der Einwurf aus der Unionsfraktion belegt: Auch im konservativen Lager wird - trotz transatlantischer Verbundenheit - zunehmend auf die deutschen Interessen geachtet. Die Bedenken vor einem Einsatzautomatismus wachsen gerade in Anbetracht der diffusen militärischen Lage in Afghanistan, wo deutsche Soldaten Teil des US-geleiteten Besatzungsregimes bilden.

Darauf wies unlängst auch der außenpolitische Ressortleiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Klaus-Dieter Frankenberger, in einem Leitartikel hin. Die „Interventionskonjunktur“ der vergangenen Jahre, so schrieb Frankenberger in Bezug auf die NATO, speise einen Teil der wachsenden Vorbehalte gegen das Bündnis in den Mitgliedsstaaten, wie sich in den jüngsten Umfragen äußere: 41 Prozent der befragten Deutschen dächten demnach, dass die NATO für die Sicherheit ihres Landes nicht bedeutend sei. Vor einigen Jahren hätten nur 22 Prozent der Befragten diese Meinung geäußert. Der FAZ-Ressortchef leitet daraus wie ein wachsender Teil des konservativen Lagers eine beachtliche Schlussfolgerung ab: Unabhängig von dem transatlantischen Partner USA müsse auch „eine Mittelmacht wie Deutschland“ stärker auf die eigenen Interessen achten:

Natürlich leben die Nato und ihre Mitglieder nicht in einer idealen Welt, die ihnen den politischen Luxus gönnte, die kollektiven Interessen quasi im Seminarstil zu definieren, und in der es politisch keinen Anstoß erregte, zwischen "lebenswichtigen" und weniger wichtigen Interessen zu unterscheiden - um dann entsprechend zu handeln oder eben nicht zu handeln. Ob ideale Welt oder rauhe Wirklichkeit: Es ist nicht nur legitim, eine solche Unterscheidung vorzunehmen, es ist eigentlich unabweisbar.

Klaus-Dieter Frankenberger

Die zaghafte Emanzipierung von den USA, die aus solchen Stellungnahmen spricht, erklärt sich aus den geopolitischen Strategien Washingtons. Der „Bundesausschuss Friedensratschlag“ weist in einer Stellungnahme auf einen weiteren möglichen Automatismus hin. Bei der Debatte um den Libanon-Einsatz dürfe der größere Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, heißt es darin. Befänden sich die deutschen Kriegsschiffe erst einmal vor Libanon, verstärkten sie auch die US-amerikanische Drohkulisse gegen den Iran. Sollten die USA den Iran angreifen, könnte sich die deutsche Marine der Forderung nach „Flankenschutz“ womöglich kaum entziehen.