Mogelpackung

Verbraucherinformationsgesetz: Es darf ruhig etwas mehr sein

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Es ist schon erstaunlich, wie die Nahrungsmittelindustrie und die jeweilige Bundesregierung es seit Jahren schaffen, die Verbraucher in diesem Land an der Nase herumzuführen. Während die Gammelfleischskandale in immer kürzeren Zeitabständen bekannt werden, wurden auf allen Ebenen die Personalstellen der Kontrollbehörden gekürzt oder deren Budgets verknappt.

Auch der aktuelle Skandal wird ohne Folgen bleiben, denn ein Recht auf Information sollen die Verbraucher auch nach Verabschiedung des derzeit im Bundesrat zwischengelagerten „Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation“ keineswegs erhalten. Über das gesamte „Woher“ und „Wohin“ schmuddliger Nahrung soll weiterhin nicht informiert werden. Kenntnis erhalten lediglich die Behörden, und die sollen selbst entscheiden, wie viel Information sie an die Bevölkerung weiter geben.

Die oft fälschlicherweise als „Verbraucherinformationsgesetz“ bezeichnete gesetzgeberische Mogelpackung entspricht nicht einmal älteren europäischen Vorgaben. Lediglich wenn über die Skandale berichtet wird, werden kurzfristig Forderungen nach mehr Kontrolle oder lückenloser Aufklärung erhoben. So etwa die CSU in Bayern, die vollmundig Aufklärung vom Bund verlangt, aber selbst eine Verschärfung des Gesetzes im Bundesrat ablehnt.

Forderung nach Aufklärung

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hat den Bundesrat aufgerufen, das Verbraucherinformationsgesetz zu überarbeiten.

In der vorliegenden Form wird das Gesetz seinem Anspruch auf mehr Transparenz nicht gerecht. Den Behörden bleiben zu große Ermessensspielräume und die Verbraucher werden nicht erfahren, an welchen Stellen verdorbene Lebensmittel in den Handel kommen. Der zurzeit von vielen Seiten verbreitete Eindruck, dass mit Inkrafttreten des Verbraucherinformationsgesetzes alles besser wird, ist falsch

VZBV-Vorstand Edda Müller

Der VZBV befürchtet, dass die Behörden auch bei künftigen Lebensmittelskandalen die Namen der betroffenen Unternehmen geheim halten. Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und angeblichen Betriebsgeheimnissen würden sich die Behörden im Zweifel immer für die Geheimhaltung von Firmennamen entscheiden.

Unterschriften für den Verbraucherschutz

Das Meisterwerk der großkoalitionären Gesetzgebung wird am 22. September den Bundesrat passieren. Grund für Foodwatch, sich im Verbund mit neunzehn Verbraucher- und Bürgerrechtsorganisationen mit einem Appell an den Bundesrat zu wenden. Viele von ihnen – wie etwa die Journalistenorganisationen Netzwerk Recherche und die Anti-Korruptionsorgansation Transparency International Deutschland e.V. hatten zuvor bereits in ähnlicher Weise gemeinsam erfolgreich für ein Bundesinformationsfreiheitsgesetz gestritten (Informationsfreiheit, selbst gebacken).

Im Internet sammelt die Initiative Unterschriften für den Appell. Lieschen Müller und Markus Mustermann können damit ganz einfach dem Bundesrat ihre Meinung kundtun. Die Organisatoren kritisierten an dem Gesetz wesentliche Schwächen, nämlich dass es keinen Vorrang für das öffentliche Interesse vorsieht. Selbst wenn dies zur Gefahrenabwehr geeignet wäre, müsse die Behörde die Öffentlichkeit über Missstände nicht unterrichten. Auch enthalte es keine Verpflichtung der Behörden, Missstände und Kontrollergebnisse tagesaktuell unter Nennung von Produkt und Hersteller bekannt zu machen. Zudem gibt es keine Informationsbeschaffungspflicht von Behörden bei anderen Behörden und keinen Auskunftsanspruch der Verbraucher gegenüber Unternehmen.

Öffentlichkeit scheint das einzig Wirkungsvolle zu sein. Denn wenn Verbraucher erst mal wissen, was genau in welcher Wurst ist und wie es um die hygienischen Verhältnisse in manchen Schlachthöfen und Wurstfabriken bestellt ist, kann das sehr spürbare Auswirkungen auf das Kaufverhalten haben. Vielleicht führt es zu einer Verteuerung, denn Arbeit hat nun mal ihren Preis. Und wenn Arbeit nur schlecht bezahlt wird, wie in der Fleischindustrie üblich, bleibt dies sicherlich nicht ohne Auswirkung auf die Qualität.

Jetzt wurde die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern aktiv und legte im Bundesrat Vorschläge für eine deutliche Verbesserung des am kommenden Freitag zur Abstimmung stehenden Verbraucherinformationsgesetzes vor. Unter der Überschrift „Verbraucherrechte stärken – Verbraucherinformationsgesetz nachbessern“ fordert die SPD/Linke-Landesregierung, generell müsse „das öffentliche Interesse im Vordergrund stehen“. Dementsprechend müssten die „weitgehenden Ausschluss- und Beschränkungsgründe“ (für eine Informationsweitergabe) reduziert werden. Weiter fordert sie:

Sofern ein besonderes öffentliches Interesse festgestellt ist, sind Behörden zur aktiven Information der Öffentlichkeit zu verpflichten. Sofern verschiedene auskunftspflichtige Stellen über entsprechende Informationen verfügen, sollen sie kooperieren. Hier sind insbesondere elektronische Hilfsmittel zu bemühen.

Lediglich das Land Berlin unterstützt diesen Antrag, die SPD-Alleinregierung des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck in Rheinland-Pfalz stimmt mit der Union.

Was tun die Veterinäre?

Angesichts der verschiedenen Fleischskandale stellt sich zum wiederholten Male die Frage: Was treiben eigentlich die Veterinäre und Fleischbeschauer in den Schlachthöfen und in der Fleischverarbeitung. Sie sind stets vor Ort – und merken nichts. Obwohl ohne Veterinäre kein Fleisch verarbeitet werden kann, ist keiner der bisher bekannt gewordenen Skandale von Angehörigen dieser Branche aufgedeckt worden. Es sei denn, diese Mitglieder des öffentlichen Dienstes hätten sich inzwischen auf das Abfassen anonymer Anzeigen verlegt. Auch das spräche nicht unbedingt für diese Zunft.

In Schlachthöfen ist es tariflich so geregelt, dass die Einkünfte von Veterinären und Fleischbeschauern zumindest teilweise mit der verarbeiteten Stückzahl zusammen hängen. Das bedeutet, wenn im Schlachthof das Band schneller gestellt wird, sieht der Kontrolleur zwar nichts mehr, verdient aber mehr.

So wurde auch der Fall des Hühnerverarbeiters Bünnemeyer im November letzten Jahres nicht etwa durch Veterinäre aufgedeckt, sondern durch einen ehemaligen Mitarbeiter, der die Behörden informierte. Bünnemeyer spielt auch bei den neuerlichen Gammelfleisch-Ermittlungen eine Rolle.

Knappere Budgets, weniger Personal

Personalabbau der Kontrollbehörden, Privatisierung von Kontrollen und Dienstleistungen und „Verschlankung“ der öffentlichen Hände ergeben ein strukturelles Problem. Das wird schon 2001 von der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Studie Auf dem Wege zu einem besseren gesundheitlichen Verbraucherschutz am Beispiel Berlins so beschrieben:

Die Veterinärämter der Berliner Bezirke sind zuständig für die Untersuchung der Lebensmittel; sie arbeiten mit einem festgelegten Budget. Ein bisher staatliches Institut in Berlin analysiert die von den Bezirken eingelieferten Lebensmittelproben. Seit seiner Privatisierung lässt sich das Institut seine Dienstleistung nun bezahlen. Die Bezirke sehen bei ihrem festgelegten Budget kaum andere Möglichkeiten, als bei der Lebensmitteluntersuchung zu sparen. Dadurch werden immer weniger Lebensmittelproben untersucht, was wiederum dazu führt, dass die Untersuchungsinstitute mitsamt ihrem Know-how von der Bildfläche verschwinden.

Angesichts der Funde von überlagertem und verdorbenem Fleisch, Fisch, Gemüse und Backwaren in Frankfurter Kühlhäusern sah die Frankfurter Gesundheitsdezernentin Manuela Rottmann sich veranlasst, für die städtische Lebensmittelüberwachung mehr Personal zu verlangen: Derzeit sei jeder der neun Lebensmittelkontrolleure in Frankfurt für rund 840 Betriebe zuständig. Zum Vergleich: auf jeden der acht Lebensmittelkontrolleure in Bonn kommen 387,5 Betriebe.

Auch verdorbenes Gemüse und Backwaren gefunden

Nicht nur Fleisch, auch große Mengen anderer verdorbener Lebensmittel sind in der letzten Zeit in einer konzertierten Aktion der Lebensmittelämter gefunden worden. Aber die Mengen sprechen für sich: in Würzburg mehr als 14 Tonnen, in Südbaden mehrere Tonnen überlagertes Wildfleisch aus Frankreich, in Frankfurt mehr als 90 Tonnen, die schon sichtbare Veränderungen aufwiesen.

Höchste Zeit, dass die Verbraucher sich für diese Zustände interessieren.