Überwachen und Befehlen

Britische Überwachungskameras wurden mit Lautsprechern ausgestattet, um beobachtetes Fehlverhalten zu disziplinieren

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Überwachungskameras mag man ebenso übersehen wie manche Blicke von Neugierigen. Wenn aber deutlich wird, dass hinter den Kameras Menschen sitzen, die den öffentlichen Raum kontrollieren und lautstark ein bestimmtes Verhalten einfordern, dann dürfte das Leben in derart überwachten Räumen sich noch einmal verändern.

Zentrale der Videoüberwachung in Middlesbrough. Foto: middlesbrough.gov.uk

Noch sind es wenige Überwachungskameras, die mit Lautsprechern ausgerüstet wurden. Von den 158 Kameras in Middlesbrough kann das Sicherheitspersonal nun in einem Test bei sieben Kameras im Stadtzentrum die beobachteten Menschen, wenn sie sich ungebührlich verhalten, ermahnen. Dabei geht es weniger um die Bekämpfung von Kriminalität, sondern um die während der Blair-Regierung immer höher geschraubte Eindämmung des sogenannten antisozialen Verhaltens, das mit den anti-social behaviour orders (ASBOs) belangt werden kann (Blair will "antisoziales Verhalten" ausrotten). Wer nun betrunken des Nachts herumgrölt oder Abfall auf die Straße wirft, muss damit rechnen, öffentlich bloßgestellt zu werden. Die Kommune meldet stolz: „A new sound is hitting the streets of Middlesbrough…the sound of CCTV.”

Nach dem für das Überwachungssystem Verantwortlichen ist der Test jetzt schon ein Erfolg. Es sei eben ein erheblicher Unterschied, so Jack Bronner, ob man weiß, dass es Überwachungskameras gibt oder ob man laut darauf hingewiesen wird, „dass man etwas Falsches getan hat“. Die meisten Menschen seien dann so beschämt, wenn sie kurzfristig wie an einem Pranger vorgeführt werden, dass sie schnell und ohne weitere Probleme verschwinden. Bronner meint, die sprechenden Überwachungskameras würden die Straßen sicherer machen und das Verhalten von Störenfrieden verändern. Man hofft gewissermaßen auf ein Panoptikum zur gesteuerten Modifizierung des Alltagsverhaltens, wodurch die Menschen auf den öffentlichen Plätzen wie in Gefängnissen einer vom Staat erlassenen Disziplin unterworfen werden.

Die Mail on Sunday berichtet von einem Vorfall, der zeigt, wie das Disziplinierungsprojekt wirkt: Dabei ging es um einen Fahrradfahrer, der durch eine Fußgängerzone fuhr. Aus dem Lautsprecher kam der Befehl: „Würde der junge Mann auf dem Fahrrad bitte absteigen und gehen, da er sich in einer Fußgängerzone befindet.“ Die Zeitung schreibt weiter:

Der überraschte Jugendliche hielt an und schaute sich um. Als er bemerkte, dass die Stimme ihn meinte, breitete sich auf seinem Gesicht Schrecken aus. Er stieg ab und schob sein Fahrrad, wie ihm befohlen wurde, durch die belebten Straßen.

Angeblich wurden strenge Richtlinien für die Erteilung der Befehle ausgegeben. Sie sollen höflich gegeben werden und beispielsweise so lauten: „Warning - you are in an alcohol-free zone, please refrain from drinking“ oder „Warning - your behaviour is being monitored by CCTV. It is being recorded and the police are attending.“ Wenn der Ermahnte gehorcht, soll ein Dankeschön erfolgen.

Eingeführt wurde die neue Art der eingreifenden Überwachung aus der Ferne vom Bürgermeister, der früher Polizeioffizier gewesen ist und dessen Maxime die Nulltoleranz ist. Falls sich die sprechenden Kameras in seinem Sinne bewähren, sollen sie auch in den Wohnvierteln eingesetzt werden. Middlesbrough ist nicht die erste Kommune, die sprechende Kameras eingeführt hat. 2003 hatte bereits Wiltshire Pionierarbeit geleistet. Mit der Fernüberwachung lassen sich auch Polizeistreifen und damit Kosten einsparen. Ob die Sicherheit der überwachten Gebiete steigt oder Kriminalität nur verdrängt wird, ist umstritten. Angeblich hat der überwiegende Teil der Bevölkerung nichts gegen die Dauerbeobachtung. Im Londoner Stadtteil Shoreditch ist vor kurzem ein System eingeführt worden, mit dem die Bewohner über das Fernsehgerät die Bilder der Überwachungskameras aus ihrem Stadtteil unter dem Motto „Fight crime from your sofa“ beobachten können (Heute Abend im Fernsehen: Alles). Die britische Regierung will möglichst früh eingreifen und auch präventiv antisoziales Verhalten verhindern. Vielleicht hängen die Kameras dann ja auch bald, gesteuert durch Supernannies, in den Wohnungen?