Werbemülldeponien

Wie "UIP" und "Sony Entertainment" Kinderforen für Produktwerbung nutzen

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Nachdem große Filmverleiher in der Vergangenheit vor allem mit den Nachteilen (Raubkopien und schlechte Voarabberichterstattung) zu kämpfen hatten, entdecken sie jetzt den Nutzenfaktor des Internets - und die Vorteile der Anonymität.

Hey schon gehört ab den 6. Juli läuft der Film "Ab durch die Hecke" in den Kinos!!! Der ist von den Machern von Shrek und Madagascar!!! Ich fand schon die 2 Filme toll! Boa, ich stell mir den Film voll lustig vor! *freu* Ich kanns kaum erwarten ihn zu sehen nachdem ich die Vorschau gesehen hab! Was ist eure Meinung? Postet...postet

Dieses Posting von "hannimueller1993" fand sich im April im "Teens-Forum" der Seite "kinder.de" und entfachte eine kleine Diskussion, die die Spannung auf den Film und die ersten Reaktionen der jugendlichen User und Zuschauer zum Inhalt hatte.

Daran ist kaum etwas ungewöhnlich - dienen solche Foren doch genau diesem Zweck: Verständigung über Phänomene des Alltags und der Lebenswelt. Als fast dasselbe Posting jedoch noch in gut drei Dutzend anderen Internetforen auftauchte, konnte kaum mehr davon ausgegangen werden, dass hier wirklich ein/e "hannimueller" am Werk war, die/der lediglich über seine positive Erfahrung berichten wollte.

Nach kurzer Recherche stellte sich heraus, dass neben "Ab durch die Hecke" (UIP) noch andere Filme auf diese Weise "in die Diskussion" kamen: "Coco, der neugierige Affe" von "UIP" und "Monster House" von "Sony Entertainment".

Lanciert wurden die Postings von einer IP-Adresse, die laut denic zu einem Berliner Druckereibetrieb gehört. Dieser Betrieb hat jedoch nicht nur nichts mit Filmen zu tun, sondern ist bereits seit 2003 insolvent.

Nicht subversiv

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hinter dieser Häufung der Beiträge eine Marketing-Aktion zu vermuten. Und dass die Verleiher selbst - in diesem Fall "UIP" und "Sony Entertainment" - hinter den Aktionen stehen, ist wohl auch kein großes Geheimnis. Darauf per E-Mail angesprochen, gab die bei Sony für das "Digital Marketing" zuständige Managerin Carolin Beer freimütig zu:

Tatsächlich handelt es sich bei den Forums-Einträgen um die Aktivitäten einer im Jugend-Bereich tätigen Online-Marketing Agentur, mit der wir verschiedene Online-Aktionen zu MONSTER HOUSE umgesetzt haben. Hierbei sollte auf Filmseiten aber lediglich auf den Film und den Kinostart hingewiesen werden und nicht auf 'subversive Weise' Werbung für den Film gemacht werden.

Beauftragt war hiermit offenbar die Marketing-Firma "Cobra Youth Communication", die sich im selben Gewerbehof befindet, wie die insolvente Druckfirma, deren IP-Spur sie in den Foren hinterlassen hat. Wenn der Umstand, dass eine Firma mit den Servern einer anderen im Internet unterwegs ist, nicht bereits "subversiv" wirkt, dann wohl aber die Tatsache, dass sich der oder die "Forenbeauftragten" mit ständig wechselnden yahoo-E-Mail-Adressen in wenigstens einem der betroffenen Foren immer wieder neu anmeldete und neue Threads eröffnete, wenn die alten geschlossen oder gelöscht worden waren.

"Cobra Marketing Communication" ist nicht nur eine auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche spezialisierte Agentur, die in der Vergangenheit schon für etliche Filme ihres Zielpublikums die PR übernommen hat; sie arbeitet auch mit "Unicef" zusammen, betreibt den "Kindercampus.de" und mehrere Beiräte, die unter anderem "wertvolle Multiplikatorwirkung in den Bereich der Pädagogik und Schulen" (Cobra Youth Communication) leistet - insgesamt Initiativen, die man ja durchaus als positiv bewerten würde. Wie passt derartiges Engagement mit Marketing-Aktionen zusammen, bei denen in Kinder- und Teenager-Foren das Interesse und Vertrauen der User ausgenutzt wird, um Produktwerbung zu platzieren?

War das Internet nicht einmal böse?

Für Verleihfirmen wie "UIP" und "Sony Entertainment" wird es in Zeiten großer Bandbreiten und schmaler Geldbeutel offenbar immer schwieriger ihre Produkte gewinnbringend an den Zuschauer zu bringen. Kinderfilme (und erst recht die teuer produzierten CGI-Spektakel) gehören zu den beliebtesten Objekten der Filesharer, was die Kinoauswertung beträchtlich beeinflusst.

Das junge Publikum wird einerseits am Kinoereignis kaum Interesse haben, wenn es den Film auf dem heimischen PC bereits Wochen vor dem offiziellen Start gesehen hat. Auf der anderen Seite werden gerade durch die Internationalität des Web schon lange vor den deutschen Kinostarts Informationen und Bewertungen über Filme gestreut, die zusätzlich das Geschäft zu verhageln imstande sind, weil sie dem potenziellen/künftigen Zuschauer seiner wertvollen Naivität berauben.

Letzterem Umstand ist man von Verleiherseite in der Vergangenheit dadurch entgegen getreten, dass man es mit weltweit zeitgleichen Filmstarts (etwa "Matrix Revolutions" im November 2003) versucht hat, die sich aber wegen der enorm hohen Kosten nur für wenige Produktionen gelohnt haben, oder indem den Journalisten solcher Länder, in denen die Filme vorab der Presse gezeigt wurden, via "Sperrfrist" ein Schreibverbot auferlegt wurde und man bei Verstoß empfindliche privatrechtliche Strafen in Aussicht stellte.

Vor allem "UIP" hat sich im vergangenen Jahr bei "War of the Worlds" durch eine besonders stark reglementierte Sperrfrist hervorgetan - jeder Pressevertreter musste eine Erklärung unterschreiben und vor der Sichtung abgeben. Aber auch dieser Aufwand lohnt sich bei weitem nicht für alle Filme - und wohl erst recht nicht für Kinderfilme. Hier ist man sogar dazu übergegangen, in den Presseeinladungen aufzufordern, Kinder gleich mitzubringen, von denen man sich hernach positive Mundpropaganda erhofft.

Gratis-Werbefläche oder Informationsmüllhalde?

Die extrem hohe Informationsdichte in den Medien und vor allem im Internet beschert immer geringere Werbewirkungen ("Immer weniger Kids werden von immer mehr Marketing-Botschaften bombardiert." - Cobra Youth Communication). Um nachhaltig Aufmerksamkeit und Werbeeffekte zu generieren erscheint es also nur logisch, zu subtileren Mitteln als der plumpen Anpreisung von Filmen zu greifen. Chatrooms, Newsgroups und Internetforen bieten für die Verleiher hier offenbar genau die richtige Werbefläche. Einerseits sind sie bereits "zielgruppensortiert", andererseits kostet die Werbung dort nichts - wenn man sie nicht als solche zu erkennen gibt.

Das Viral-Marketing in Foren und andere PR-Tricks (etwa als Kritiken getarnte Werbelobgesänge) stellen eine kostengünstige Alternative dar. Dass unter solchen Aktionen - wenn sie, wie in dem vorliegenden Fall, einmal publik werden - nicht nur das Nutzervertrauen in die Foren leidet und diese als neutrale Informationsquellen nach und nach zweifelhaft werden, sondern der Zuschauer letztlich zum unmündigen Kinokartenkäufer degradiert werden soll, wird wohl nur als Kollateralschaden bewertet.

Im Vordergrund steht der fiskalische Effekt. Das jugendliche Publikum soll zahlen und das am besten noch unter dem Segen der Erziehungsberechtigten, wie der (Werbe)Botschaft des gefakten Nutzers "Monroe_Fan" zu entnehmen ist:

Hallo liebe Leute,

ich war neulich mit meinem Sohn in dem Film Monster House. Ich war ja total dagegen, war aber positiv überrascht. Mein Sohn Jan hatte so lange gebettelt, bis ich ja gesagt habe und dann waren wir drin und er hat mir sehr gut gefallen. Also wenn ihr noch Zeit habt, schaut ihn euch auf jeden Fall an.

Monroe_Fan

Der Autor ist Betreiber des Internetforums Filmforen.de.