Marsianer Gesichtsverlust

Neue ESA-Bilder belegen: Das legendäre "Marsgesicht" ist eine exogeologische Zufallsstruktur - mehr nicht

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Für die Anhänger der Paläoastronautik, die auf dem Mars schon seit langem künstlich gefertigte Pyramiden und verlassene Siedlungen und Städte vermuten, müssen die gestern von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA veröffentlichen Mars-Bilder der Cydonia-Region ein Schlag ins Kontor gewesen sein. Ausgerechnet das „Marsgesicht“, das Paläo-SETI-Freunde stets als außerirdisches Artefakt hochstilisierten, hat sein Gesicht verloren. Dank der empfindlichen High-Resolution-Stereo-Camera des Mars-Express-Orbiters der Europäischen Raumfahrtagentur ESA konnte das „Marsgesicht“ in 3D-Bildern nunmehr als das entlarvt werden, was es de facto ist: eine exogeologisch rein zufällig geformte Gebirgsstruktur.

Sollte auf dem Roten Planeten etwa doch ein rotbärtiger Rübezahl oder eine Art marsianer Zyklop hausen? Mars-Global-Surveyor-Aufnahme vom 18. Juli 2003. Bild: NASA

Die Taktik unserer „grünen“ planetaren Nachbarn von der „roten“ Welt war stets undurchsichtig. Erst machten sie mit dem Bau eines breiten Kanalsystems auf sich aufmerksam, deren linienartige Struktur ein italienischer Astronom vor knapp 130 Jahren entdeckte. Kurz darauf überfielen sie die Erde in einer ausgesprochen schlampig organisierten Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der der Mikroben-Faktor auf dilettantische Art und Weise völlig außer Acht gelassen worden ist.

Und anschließend meißelten sie ein zorniges Gesicht mitsamt pyramidenartigen Strukturen in den Marsboden und hinterließen sogar einen riesigen „Fußabdruck“ (Riesiger Fußabdruck auf dem Mars entdeckt).

Dieses Bild des US-Marsorbiters Mars Global Surveyor veröffentlichte die NASA am 8. April 2001. Von einem Gesicht war da nicht viel zu sehen. Bild: NASA

"Einem menschlichen Kopf ähnlich“

Doch heute wissen wir es besser: Die linienartigen Strukturen, die Giovanni Schiaparelli (1835-1910) bereits 1877 entdeckte und als künstlich angelegte, wasserführende Kanäle (canali) interpretierte, was kurz darauf einen gewissen Herbert George Wells (1866-1946) sogar literarisch inspirierte, beruhen entweder auf optischen Täuschungen – oder sind nichts anderes als zufällige exogeologische Erscheinungen, auch wenn dies die Anhänger der Paläoastronautik trotz aller gegenteiligen Beteuerungen der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA immer noch völlig anders sehen.

Fundamentiert wurde der Glaube an der berühmtesten nicht-irdischen Felsformation von der NASA selbst. Als sich bei der Analyse eines bizarren Bildes, das der Marsorbiter Viking-1 am 25. Juli 1976 aufnahm, eine Struktur offenbarte, die von oben betrachtet wie ein Gesicht aussieht, charakterisierte die NASA besagte Formation eine Woche später in einer Pressemitteilung als "einem menschlichen Kopf ähnlich".

Das legendäre Originalbild des „Marsgesichtes“ in der Cydonia-Region auf dem Mars. Bild: NASA

Diese Äußerung und das Bild selbst beflügelten zwangsläufig die Phantasien vieler Menschen. Auch die Medien beteiligten sich rege an den Spekulationen, die ihren Ausdruck in zahlreichen mehr oder weniger ernsthaften Zeitungsartikeln, in Werken der Science-Fiction-Literatur, in TV-Beiträgen und später in Computerspielen sowie auf einer Vielzahl von Webseiten fanden. Ein Mythos war geboren.

Vertuschungsstrategie seitens der NASA?

Somit verwundert es nicht, dass trotz der entlarvenden Fotos von dem „Face on Mars“, die der NASA-Marsorbiter Mars Global Surveyor im April 1998 und April 2001 aufnahm sowie der späteren Bilder der Mars-Odyssey-Sonde, besagter Mythos weiterlebt. Obwohl auf diesen Aufnahmen anstelle menschlicher Gesichts- nur noch Gebirgszüge zu sehen waren, rückten SETI-Paläo-Anhänger vom Schlage eines Richard C. Hoagland von ihrem Glauben nicht ab. Das Ganze sei eine böswillige Mystifikation, eine Vertuschungsstrategie seitens der NASA, so deren Argumentation. Die "echten" Aufnahmen halte die US-Raumfahrtbehörde unter Verschluss. Der Rote Planet sei dereinst die archaische Heimat einer längst vergangenen intelligenten Kultur gewesen, so die Kritiker.

Das vermeintliche "Marsgesicht" in einer perspektivische Ansicht, die durch eine Kombination aus HRSC-Stereobilddaten mit darübergelegten hochauflösenden Bilddaten der Mars Observer Camera auf der NASA-Sonde Mars Global Surveyor erzeugt wurde. Die Blickrichtung ist von Süden nach Norden. Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum).

Doch was auf dem Mars in der Cydonia-Region zu sehen ist, sprich die vermeintlichen Pyramiden, angeblichen Siedlungen und Städte und insbesondere das „Marsgesicht“, sind mitnichten architektonische Relikte einer vergangenen hoch stehenden Zivilisation, sondern höchst gegenwärtige Relikte marsgeologischer http://marsgeologie.tripod.com/ Gebirgsformationen.

Das Marsgesicht in 3D (Anaglyphenbild, zur Betrachtung mit rot-blau- oder rot-grün-Brille). Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)

13,7 Meter pro Bildpunkt

Zu diesem klaren Fazit sieht sich jedenfalls die Europäische Raumfahrtagentur ESA nach den aussagekräftigen Bildern derMars-Express-Sonde genötigt, welche die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebene hochauflösende Stereokamera (HRSC) am 22. Juli 2006 von einem Teil der Cydonia-Region aufnahm. In einer bislang noch nicht da gewesenen Genauigkeit von 13,7 Meter pro Bildpunkt nahm Mars Express das vermeintliche “Marsgesicht“ während seines 3253. Orbits in 3D ins Visier. Und es kam, wie es kommen musste. „Wie nicht anders zu erwarten war, ist auch in unseren Bildern nichts anderes zu sehen, als ein in der Ebene von der Erosion geprägter Inselberg“, sagt Prof. Ralf Jaumann, HRSC-Experiment-Manager vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin.

HRSC-Farb-Draufsicht auf die Cydonia-Region mit dem vermeintlichen "Marsgesicht" rechts unten im Bild. Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)

Die HRSC hat zwischen April 2004 und Juli 2006 bereits mehrmals Daten von der Cydonia-Region aufgenommen. Doch zu große Überflughöhen, verbunden mit zu geringer Bildauflösung, sowie Staub und Dunst in der Atmosphäre, die zu stark verminderter Bildqualität führten, verhinderten die Aufnahme von hochwertigen Fotos.

Geographische Lage der Cydonia-Region in den nördlichen Tiefebenen des Mars. Bild: NASA/JPL/MOLA/FU Berlin

Erfolgreicher Orbit 3253

Der Orbit mit der Nummer 3253 brachte dann den erhofften Erfolg. Ein großes Gebiet in Cydonia konnte in Bestauflösung und in 3D aufgenommen werden. „Diese Bilder der Cydonia-Region sind fürwahr spektakulär“, freut sich Agustin Chicarro, seines Zeichens Projektwissenschaftler der Mars-Express-Mission. „Sie zeigen nicht nur komplett neue Aufnahmen des für Freunde von Weltraum-Mythen so interessanten Gebiets, sondern sind auch für Planetenforscher attraktiv und belegen einmal mehr die Leistungsfähigkeit der Mars-Express-Kamera.“

Perspektivische Ansicht der südwestlich des vermeintlichen "Marsgesichtes" liegenden Inselberge; die Blickrichtung in der Cydonia-Region ist von Nordosten nach Südwesten. Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)

Aus den Aufnahmen der Cydonia-Region geht hervor, dass diese in dem Gebiet Arabia Terra liegt, die selbst wiederum zur Übergangszone zwischen den südlichen Mars-Hochländern und den nördlichen Mars-Tiefländern gehört. Diese Übergangszone, auch unter der Bezeichnung Dichotomie-Grenze bekannt, ist durch breite schuttgefüllte Täler und Einzelberge unterschiedlicher Größe und Form geprägt. Einer davon ist das „Gesicht“, das sich nun als ein stark verwitterter kleiner Tafelberg von etwa drei Kilometer Länge und 1,5 Kilometer Breite darstellt.

Das vermeintliche "Marsgesicht in einer aus HRSC-Stereobilddaten errechneten perspektivische Ansicht; die Blickrichtung ist von Osten nach Westen.´Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)

Irdischer „Geierkopf"

Die „Marsgesicht“-Formation weist einen charakteristischen Bergrutsch und ein frühes Stadium einer Schutthalde auf. Frühere größere Strukturen dieser Art könnten durch spätere Lava-Überflutungen in der Umgebung überdeckt worden sein. Die westliche Wand des "Marsgesichtes" ist als zusammenhängende Masse hangabwärts gerutscht. Die Abbruchzone ist deutlich als große von Norden nach Süden verlaufende Abrisskante zu erkennen. Auch an der Basis der pyramidenähnlichen Formationen sind die Ergebnisse von Hangrutschprozessen erkennbar.

Perspektivische Ansicht der südwestlich des vermeintlichen "Marsgesichtes" liegenden Inselberge; die Blickrichtung in der Cydonia-Region ist etwa von Süden nach Norden. Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)

Bereits beim ersten Blick auf die Bilddaten fällt nördlich der vermeintlichen "Pyramiden" in direkter Nachbarschaft zum "Marsgesicht" eine weitere Bergstruktur auf, die in ihrer Form entfernt an einen Totenkopf erinnert. Hierzu Prof. Jaumann:

„Auch auf der Erde erzeugt die Verwitterung ungewöhnliche Strukturen, und die Menschen lassen ja ihrer Phantasie bei der Benennung von solchen Bergen gerne freien Lauf – wer kennt nicht einen ganz natürlich entstandenen ‚Geierkopf’, die ‚Schlafende Hexe’ bei Berchtesgaden? – Die Natur ist eben auch kreativ, und so gibt es bei den Cydonia-Bergen auf dem Mars genauso wenig Grund zu Spekulationen, dass es sich dabei um unnatürliche Formationen handelt.“

Wer mit einer rot-blauen oder rot-grünen Brille ausgerüstet ist und die Anaglyphenbilder der Cydonia-Region und das „Marsgesicht“ in 3D sehen will, lade sich die Aufnahmen unter folgenden Links runter: Bild 1, Bild 2, Bild 3, Bild 4.