Die unerhörten Bekenntnisse des Generals

Musharraf vs Bush und Karsai

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Üblicherweise veröffentlichen Staatsmänner ihre Memoiren, nachdem sie abgedankt haben. Anders bei Pakistans Präsidenten General Pervez Musharraf, der im Oktober 1999 durch einen unblutigen Putsch an die Macht gelangte: Seine Erinnerungen mit dem Titel „In the Line of Fire“ hat er schon zu seiner Amtszeit verfasst. Mit Auszügen daraus bringt der General derzeit die amerikanische Regierung und seine eigene in ziemliche Verlegenheit.

Im Mittelpunkt des Wirbels, den der Buchautor Musharraf mit seinen freizügigen Insiderinformationen gegenwärtig in der interessierten Öffentlichkeit, im Weißen Haus und bei seinen Kabinettsmitgliedern entfacht, stehen Äußerungen, die sich auf die pakistanische Beteiligung als Partner im „Kampf gegen den Terror“ beziehen.

Sie sei gar nicht so freiwillig vonstatten gegangen, wie es vielleicht den Anschein hatte - darauf bezog sich die erste Enthüllung Musharrafs, Ende vergangener Woche, als er im Rahmen einer Promotiontour für sein Buch behauptete, dass ihn die amerikanische Regierung schwer unter Druck gesetzt habe, damit sich Pakistan dem Kampf gegen die Taliban und al-Qaida anschließe. Sein Geheimdienstchef habe ihm mitgeteilt, dass der damalige US-Vizeaußenminister Richard Armitage im Falle einer Verweigerung mit einem Angriff gedroht habe, der Pakistan „zurück in die Steinzeit bomben würde“. Armitage dementiert dieses Zitat erwartungsgemäß und spricht von einem falschen Zitat und einem Mißverständnis. Sein Dementi läßt aber gleichwohl den inhaltlichen Kern der Behauptung Musharrafs bestehen:

Ich hatte ein heftiges Gespräch mit dem Geheimdienstchef. Ich sagte ihm, dass die Sache für Amerikaner eine Angelegenheít sei, in der es nur Schwarz oder Weiß gibt. Pakistan ist entweder auf unserer Seite oder gegen uns.

Gestern sorgte eine weitere Enthüllung des pakistanischen Präsidenten für Spannungen zwischen dem Weißen Haus und Musharraf. Die CIA habe seiner Regierung mehrere Millionen Dollar bezahlt, damit sie Hunderte von al-Qaida-Verdächtigen aushändige, erinnert sich der General. Das amerikanische Justizministerium dementierte; die Sache soll nun auch manchen pakistanischen Kabinettsmitgliedern peinlich sein, die nichts davon wussten, dass der Präsident an einem Buch schreibt. Sie zeigen sich nach Informationen der englischen Zeitung Times besorgt über die Enthüllungen in seiner Autobiographie, die "den Beziehungen zu den Allierten und westlichen Geheimdiensten schaden könnten".

In seiner Autobiographie berichtet Musharraf von seinem Zorn über die amerikanischen Versuche, ihn mit Zwang und Drohungen auf die richtige Seite zu holen, und darüber, dass er seine Kommandeure bereits „Kriegsspiele“ studieren ließ, um zu sehen, wie man reagieren könnte, falls US-Streitkräfte ohne Erlaubnis innerhalb der pakistanischen Grenzen operieren würden, Schließlich habe er sich aber dann „im Interesse Pakistans“ dazu entschlossen, mit den USA zu kooperieren.

Die politisch ungewöhnlich freien Bekenntnisse nähren jetzt die Zweifel an der Standfestigkeit des General als treuer Verbündeter. Da mag ihn der amerikanische Präsident Bush vor dem für morgen anberaumten Dreier-Gipfel mit dem afghanischen Präsidenten noch so sehr in einem Atemzug mit Karsai als "mutigen Führer" im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus rühmen, Musharraf darf sich auf einige Kritik gefasst machen.

Umso mehr als neuere Meldungen über seinen Deal, den er mit Stammesführern in der pakistanischen Grenzprovinz Wasiristan abgeschlossen hat, berichten, dass der gesuchte Taliban-Führer Mullah Omar darin verwickelt sei. Auf dessen Ergreifung hat die USA eine Belohnung in Höhe von 10 Millionen Dollar ausgesetzt.

Immer wieder wird gemunkelt, dass Osama Bin Laden sich in Wasiristan versteckt hält, als sicher gilt aber, dass diese Provinz Heimat von pakistanischen Talibans ist, welche die afghanischen kräftig mit Waffen, Kämpfern und Material unterstützen, bzw. ihnen Unterschlupf bieten. Musharaff behauptet, er habe das Wort von verläßlichen Stammesführern, dass sie als Gegenleistung für den Rückzug der pakistanischen Armee von ihrem Territorium, jeglichen Grenzverkehr einstellen.

Für Karsai zeigt sich darin eine laxe Politik des Nachbarstaates, die den Taliban ermöglicht, das Chaos in Afghanistan zu vergrößern, wie er in einem Interview mit einer deutlichen Anspielung auf Pakistan zu verstehen gab:

Wir haben ein ernsthaftes Problem in dieser Beziehung. Als ich sagte, dass wir an die Quellen des Terrorismus heran müssen, wo sie ausgebildet werden, wo sie ihre finanziellen Mittel bekommen, wo sie ihre Motivation erhalten und ausgesandt werden, um Soldaten der internationalen Streitkräfte, Ingenieure, Ärzte und Afghanen zu töten, dann meine ich genau das.

Sollten sich die Stammesführer in Wasiristan tatsächlich an die Abmachungen halten, wäre er „sehr glücklich“. Leider aber würden jüngste blutige Zwischenfälle einen Trend andeuten, der dem Geist des Waffenstillstandabkommens in Wasiristan gegenliefen.

Die Meldungen, die seit Monaten aus Afghanistan kommen, zeichnen das Bild eines Staates an der Kippe zum Chaos. Die neu installierten NATO-Truppen und die amerikanischen Streitkräfte haben augenscheinlich größte Mühe mit dem neuen Ansturm durch neu erstarkte Talibankräfte im Süden zurecht zu kommen. Ehemalige Kommadeure der Sowjetarmee halten, wie die britische Zeitung Telegraph gestern berichtete den Krieg gegen die Taliban mit der bisherigen Taktik für aussichtslos.

Der Turning Point, den sie erwähnen, ist dabei nicht einmal so sehr die militärische Strategie, sondern vielmehr die Tatsache, dass die fremden Truppen von der Bevölkerung zunehmend als feindselig empfunden werden. Dann sei nichts mehr zu machen, so die Lehre, welche die russischen Kommandeure aus der eigenen Geschichte zogen und nun den westlichen Verbündeten vorhalten.

Gut möglich, dass heute andere Staaten ähnliche Proxi-Manöver fahren wie in den achtziger Jahren die Amerikaner, welche die afghanischen Mudschahedins in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Soldaten unterstützten, weil ihnen die militärische Präsenz des „Reichs des Bösen“ in Afghanistan nicht gefiel. Pakistan wäre nicht der einzige Staat, dem eine lange militärische Präsenz der USA im Nachbarland schlecht taugt, genannt werden in diesem Zusammenhang außerdem: Iran, Russland und einige zentralasiatische Staaten.