Umgeschriebene Wahrheiten

Über die Umweltgefahren von genverändertem Mais

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Es war eines der größten Forschungsprojekte dieser Art in Deutschland. Vier Jahre dauerten die Feldversuche, die herausfinden sollten, welche Folgen für die Umwelt genveränderter Mais hat. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz beauftragte mit der Durchführung die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft. Die zentrale Fragestellung der Studie war, welche Lebewesen in welchem Umfang von genverändertem Mais beeinträchtigt werden. Diesem Mais ist ein Genabschnitt aus dem Bakterium Bacillus thuringensis, kurz Bt genannt, hinzugefügt worden. Das Gen sorgt dafür, dass die Pflanze ein bakterielles Insektengift produziert. Mit der Folge, dass der Bt-Mais in allen seinen Zellen Bt-Toxin herstellt; er ist sozusagen ein lebendes Insektizid. Der Bt-Mais soll einen speziellen Maisschädling töten, den Maiszünsler. Andere Insekten oder Kleinlebewesen würden nicht in Mitleidenschaft gezogen. So behauptet es zumindest die Herstellerfirma Monsanto, die die Zulassung dieser Maissorte auch auf dem deutschen Markt beantragt hatte.

Einige Monate, nachdem die Studie Monitoring der Umweltwirkung des Bt-Gens im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, haben die deutschen Behörden dem BT-Mais von Monsanto die Zulassung für den deutschen Markt erteilt (Grüne Gentechnik: Volle Kraft voraus?). Monsanto selber, weltgrößter Hersteller von Gensaatgut, führt auf seiner Homepage die Untersuchung als Beleg für die Ungefährlichkeit seines Produkts auf. Zitat:

Das Toxin im Bt-Mais ist nur für Schmetterlingsarten, die am Mais fressen, schädigend und schont die übrigen Insektengruppen und Spinnen. Aber selbst andere Schmetterlingsarten – außer dem Maiszünsler – werden im Freiland aus verschiedenen Gründen durch das Bt-Protein kaum beeinträchtigt. Das zeigen u.a. umfangreiche Studien, die von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft durchgeführt wurden.

Monsanto

Wer die genannte Studie aus Bayern studiert, stutzt allerdings. Denn sie berichtet über erhebliche Gefahren, die vom BT-Mais ausgehen. So stellt die Untersuchung fest, dass es in den BT-Maisfeldern weniger Spinnen und Wanzen gibt. Das, so die Autoren der Studie, „könnte weitreichende Folgen für das Agrarökosystem und die biologische Kontrolle von Schädlingen haben“. Denn Spinnen und Wanzen seien natürliche Feinde vieler Pflanzenschädlinge. Außerdem beeinflusse Bt-Mais das Wachstum von Schmetterlingen auf bisher ungeklärte Weise. Das gelte auch für das neueste der untersuchten Produkte, den Genmais mit dem Produktnamen MON810:

Angesichts des noch äußerst geringen Kenntnisgrades über Freilandwirkungen von Mon810 auf einheimische Schmetterlinge wären noch umfassende Experimente und Studien im Feld dringend anzuraten.

Weiter stellt die Untersuchung fest, dass Bt-Mais auch das Leben verschiedener Bodenorganismen beeinträchtigt, die für das ökologische Gleichgewicht der Ackerkrume zuständig sind. Viele dieser Organismen hätten sich in Bt-Maisfeldern schlechter vermehrt. Warum lobt Monsanto trotzdem diese für ihre Produkte durchaus nachteilige Untersuchung?

Des Rätsels Lösung: Der Studie ist eine eineinhalbseitige Zusammenfassung vorangestellt. Sie wurde nicht von den beauftragten Wissenschaftlern sondern von der Institutsleitung verfasst und liest sich wie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung. Die Untersuchung habe – so der Kernsatz der Zusammenfassung – „keine oder nur geringe Effekte von BT-Mais“ auf Bodenorganismen, Kleinlebewesen und Schmetterlinge erbracht.

Angelika Hilbeck von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich erklärte auf Anfrage, Studienergebnisse und Zusammenfassung stimmten in der Tat nicht überein. Die Agrarbiologin ist Mitglied der Schweizer Fachkommission für Biologische Sicherheit und arbeitet seit 12 Jahren in der ökologischen Forschung über transgene Pflanzen. Die signifikanten Umwelteffekte des Bt-Mais, erklärt sie, würden sich in der Zusammenfassung nicht wiederfinden bzw. seien unzulässig relativiert worden. Dies sei nicht nur sachlich ungerechtfertigt, sondern auch bedauerlich. Denn immerhin gehe es um eine Studie, die wegen ihres langen Zeitraums, des sorgfältigen Forschungsdesigns, des erheblichen Arbeitsaufwands und der gewonnenen Datenfülle herausragend sei und wichtige Ergebnisse erbracht habe. Die lapidare Zusammenfassung gehe darüber hinweg.

Es sei eigentlich kein Problem, so Angelika Hilbeck, komplexe Forschungsergebnisse in kurzen Zusammenfassungen wiederzugeben. Sie verweist auf die britische Studie Farm Scale Evaluations (Bewertung auf deutsch), die sehr detailliert und transparent, aber dennoch verständlich und überschaubar eine große Datenmenge mit komplexen Aussagen der Öffentlichkeit vorgestellt habe. Hier hätten Zusammenfassung und Originaldaten übereingestimmt; die kritischen Umweltfolgen genmanipulierter Pflanzen, die die Regierungsstudie herausgefunden hatte, seien im „summary“ weder geschönt noch verfälscht worden.

Zu fragen ist, warum die umgeschriebene Wahrheit der bayerischen Studie so lange unentdeckt geblieben ist. Das hat vermutlich zwei Gründe: Zum einen haben sich die beteiligten Forscher nicht öffentlich gegen die Verfälschungen ihrer Arbeit durch die Institutsleitung gewehrt. Zum anderen haben sich sowohl Kritiker wie Befürworter der Gentechnik mit der verfälschenden Zusammenfassung zufrieden gegeben. Die einen haben sie kopfschüttelnd zu den Akten gelegt, weil sie – ähnlich wie viele Studien aus dem Umfeld von Gentechnikbefürwortern – Umweltrisiken schlicht leugnet. Die anderen haben sie aus demselben Grund propagandistisch ausgenutzt.

Monsanto hat übrigens der Landesanstalt für Landwirtschaft die Übersetzung der Studie ins Englische – inklusive der verfälschenden Zusammenfassung – finanziert. Die sichere Hoffnung, dass sich die meisten Leser solcher umfangreichen Forschungsberichte mit der Lektüre der „Zusammenfassung“ bzw. des „Summary“ begnügen, muss dies großzügige Sponsoring beflügelt haben.