Billige Suche nach einem Sündenbock

Nach der Absetzung der Mozart-Oper stürzen sich alle auf den "vorauseilenden Gehorsam" der Intendantin der Deutschen Oper, für die Panik vor dem islamistischen Terror wären jedoch eher die Politiker und die Sicherheitsbehörden verantwortlich zu machen

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Ob Mozarts Oper Idomeneo in der Inszenierung von Neuenfels von der Deutschen Oper in Berlin aufgeführt wird oder nicht, ist eigentlich kaum von Belang. Dass sie aber von der Intendantin Kirsten Harms abgesetzt wurde, weil sie aufgrund einer Warnung von der Polizei meinte, dass die Gefahr für Publikum und Angestellte zu groß sei, ist tatsächlich ein diskussionswürdiger Vorfall. Alle stürzen sich nun über Kirsten Harms, die vor einer nur potenziellen Gefährdung durch islamistische Extremisten gekuscht habe, aber die Situation ist ein wenig komplizierter (Vorauseilender Gehorsam bei der Deutschen Oper).

In einer Pressemitteilung schrieb die Intendanz:

Grund für diese Änderung im November-Spielplan sind bei den Berliner Sicherheitsbehörden eingegangene und nach deren Einschätzung durchaus ernst zu nehmende Hinweise, dass Szenen der IDOMENEO-Inszenierung, die sich neben den anderen großen Weltreligionen auch mit dem Islam auseinandersetzen, derzeit ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko für das Haus darstellen. Um eine Gefährdung ihres Publikums und ihrer Mitarbeiter auszuschließen, hat sich die Intendanz der Deutschen Oper Berlin deshalb entschlossen, von der Wiederaufnahme des IDOMENEO im November 2006 abzusehen.

Vielleicht muss ich voranschicken, dass ich die Entscheidung von Frau Harms durchaus nachvollziehen kann, wenn sie einen Anruf von Innensenator Körting, der nach dem Karikaturenstreit und dem möglicherweise damit verbundenen missglückten Anschlag auf Regionalzüge erhalten hat, der vor einem "unkalkulierbaren Risiko für Publikum und Mitarbeiter" gesprochen habe und gleichzeitig, die Verantwortung von sich abwälzend, die Entscheidung auf die Opfer verschoben hat. Als der Fall mit den Mohammed-Karikaturen bekannt wurde, veröffentlichte Telepolis mit Redaktionssitz in München ziemlich schnell einen gegenüber den islamischen Vorwürfen kritischen Artikel eines Autors, der sicherheitshalber unter einem Pseudonym schrieb (Islam - Pressefreiheit 1:0). Wir haben, da der Streit um Karikaturen ging, auch einige dieser publiziert. Der Konflikt kochte hoch, wenn auch eher im Ausland. Die Stimmung war aber gut fundiert, die Angst vor dem Terrorismus wohl vorbereitet. Wir erhielten von Mitarbeitern des Verlags in Hannover, die sich durch die Veröffentlichung der Karikaturen in Telepolis auch gefährdet sahen, Mails, diese umgehend aus dem Netz zu nehmen. Das haben wir schließlich auch gemacht. Wäre eine Veröffentlichung einer Karikatur tatsächlich die Gefährdung von Menschen wert, die damit nichts zu tun haben und aus welchen Gründen auch immer nicht heroisch die Presse- und Meinungsfreiheit vertreten wollen? Zwar blieb in diesem Fall der Artikel bestehen, aber wir haben vor der Angst der Kollegen und der uns dadurch auferlegten Verantwortung gekuscht und ebenfalls vorauseilenden Gehorsam geleistet, der jetzt der Opern-Intendantin vorgeworfen wird.

Was in der Deutschen Oper diskutiert wurde, wissen wir nicht, aber wenn schon der Innensenator aufgrund von welchen Informationen oder Bewertungen auch immer vor einem unkalkulierbarem Sicherheitsrisiko warnte, dann ist die Reaktion von Kirsten Harms eher verständlich als die Haltung des Innensenators, wenn denn die Darstellung so stimmt, wie die Intendantin schildert. Der „Experte“ im Hinblick auf Sicherheitsrisiken ist der Innensenator Körting bzw. das Landeskriminalamt. Da offenbar keine konkrete Gefährdung vorlag und man nur dachte, es könnte ja sein, hätten sich die Sicherheitskräfte eher um den präventiven Schutz der Aufführungen – 2003 hatte die erste stattgefunden! - kümmern sollen, statt Panik zu verbreiten und selbst nichts zu tun. Körting habe die Intendantin an ihrem Urlaubsort angerufen und gesagt, so Frau Harms, „er liebt die Deutsche Oper, er fährt oft an ihr vorbei, und er möchte nicht erleben, dass sie nicht mehr da ist“. Das ist eine massive Beeinflussung. Warum Körting, obgleich nichts hinter dieser Warnung stand als die Spekulation, dass nach der Provokation durch die Rede von Papst Benedikt Islamisten vielleicht auf den neben Jesus und Buddha in der Opernaufführung geköpften Mohammed reagieren könnten.

Natürlich ist es seltsam, dass die Intendantin ihre aufgrund des Drucks herbeigeführte Zensurentscheidung lieber klammheinlich ausführen wollte. Sie hatte einfach die Aufführungen im Spielplan ersetzen lassen und war erst durch Nachforschungen des Evangelischen Pressedienstes (epd), wie die FAZ schreibt, genötigt worden, die Absetzung zu begründen. Gleichzeitig wurden die Medien gebeten, doch möglichst nicht darüber zu berichten. Zwar will jetzt Frau Harms diese Vertuschungsübungen kaschieren, in dem sie fordert, dass ihre Absetzung zu einer ernsthaften Diskussion führen müsse und sie deswegen auch eine Podiumsdiskussion in der Oper organisiert habe, aber es ist unverkennbar, dass sie ebenso sehr rudert wie die Polizei, die ja auch nur sicherheitshalber, ohne Kenntnis der Inszenierung, ganz im Sinne der Politik des Innenministeriums warnte. Man weiß ja nie.

Interessant ist jedenfalls, dass all die glühenden Verteidiger der Freiheit der Kunst und der Medien, die sich aufgerufen fühlten, ihre Entrüstung zu äußern, immer nur die verunsicherte Intendantin im Visier hatten. Die Panik wird aber von unseren Sicherheitspolitikern und –experten, gerade wenn neue Gesetzesvorhaben anstehen, geschürt und verbreitet. Gerade auch der Bundesinnenminister Schäuble gefällt sich darin, theoretisch mögliche Bedrohungen zu tatsächlich vorhandenen zu machen, um eine für das Durchsetzen neuer Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen geeignete Stimmungslage zu schaffen. Es ist diese, auch von den offiziell dafür zuständigen Behörden verbreitete Panikstimmung, die Überreaktionen wie die jetzt in der Deutschen Oper begünstigt. Warum wird davon nicht gesprochen? Will man den Kampf der Kulturen, der in diesem Fall nur in den Köpfen der einen Partei stattgefunden hat, den Weg bereiten? Ist es einfach leichter, auf eine Intendantin einer Kulturinstitution einzudreschen als auf den Bundesinnenminister, das BKA, den Verfassungsschutz oder LKAs? Ausgerechnet Mathias Döpfber, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, bezichtigt nun die Intellektuellen, „die ein Ausrufezeichen der Feigheit an die Wand malen“. Auch die versuchen sich natürlich, durch Warnungen aus der Verantwortung zu ziehen, wenn doch tatsächlich etwas geschehen sollte. Glaubt denn aber wirklich jemand, dass irgendein verblendeter Islamist einen Anschlag auf die Deutsche Oper ausführen würde, wenn sie Mozarts Oper aufführt?

Die amtlich bestallten „Sicherheitsexperten“ – und Harms hat recht, wenn sie sich nicht als eine solche bezeichnet – sind für die Risikoeinschätzung verantwortlich. Ein Innensenator kann nicht einfach seine Verantwortung, die ja auch die Verfassung umgreift, auf die Leitung der Oper abschieben. Der Skandal ist, dass all die freiheitsliebenden Menschen von der Politik und den Sicherheitskräften wegschauen und einen leicht angreifbaren und schon verunsicherten Sündenbock – noch dazu eine Frau - finden wollen. Wenig durchdacht und vor allem feige. Aber es scheint zu funktionieren.