Christliche Fanatiker auf dem Vormarsch

Üben für den Jüngsten Tag - in den USA und anderswo

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Während der islamische Fundamentalismus sein Verlangen nach Reinheit in Gott schon länger durch Gemetzel ausdrückt, bereitet sich das aktuelle militante Christentum auf den Endkampf erst noch vor. Neuere Reportagen aus der evangelikalen Szene in den USA lassen vermuten, dass ihr Beitrag zur Verwüstung der Welt erheblich sein könnte.

Neulich hat sich angeblich Joseph Kony, der Anführer der ugandischen christlichen Metzelguerilla LRA (vgl. Metzeln im Namen Gottes) im Sudan gestellt. Das wäre insofern ein Gewinn für die Menschheit und vor allem für die Ugander, als es den seit bald zwanzig Jahren andauernden Irrsinnsfeldzug der LRA theoretisch beenden könnte.

In globalem Maßstab wäre es immerhin ein kleiner Anlass zur Hoffnung, leider mehren sich aber auch die großen Anlässe zur Besorgnis. Mancher, der von christlichem Fundamentalismus in den USA hört, denkt gleich an George W. Bush, dessen Wissenschaftsfeindlichkeit, christliches Sendungsbewusstsein und religiös verschleierte Minderwertigkeitskomplexe so wohl dokumentiert sind, dass sie kaum noch einer Erwähnung bedürfen.

Die Konzentration der Kritik auf diesen sogenannten "mächtigsten Mann der Welt" und seine bigotte Entourage ist natürlich blödsinnig, denn er wird in seinem öffentlichen Wirken von der US-Verfassung, von einer mehr oder minder aufmerksamen Öffentlichkeit und selbst von seiner eigenen Partei beschränkt, zudem kann man auf sein baldiges Abtreten hoffen.

Echte Volksbewegung mit einem ungeheuren Rekrutierungspotenzial und enormer politischer Durschschlagskraft

Viel interessanter als Charaktermasken wie Bush sind doch immer die gesellschaftlichen Kräfte, für die sie stehen. Aber die christliche Bewegung, die einen Teil des Massenbasis des christlichsten aller Präsidenten darstellt, wird, wenn überhaupt, nur als eine Lobby gesehen, die in den Entscheidungszentren der Politik intrigiert.

Szene aus Jesus Camp. Bild: Magnolia Pictures

Die Wurzeln dieser Graswurzelbewegung finden selten Beachtung, obwohl sie gerade in den letzten Jahren einen enormen Zulauf verzeichnen kann. Möglicherweise interessieren sich die Medien für die Vorgänge im Unterholz nicht allzu sehr, weil man denkt, dass es sich dabei nur um eine Neuauflage der Zelt- und Fernsehpredigertriumphe aus den Achtzigern und Neunzigern handelt.

Folgt man aber Dokumentarfilmerinnen wie Heidi Ewing und Sachbuchautorinnen wie Lauren Sandler, dann könnte das Missverständnis nicht größer sein. Während die evangelikale Szene der Vergangenheit vor allem von den Predigerstars geprägt wurde, die mit ihrem Charisma hauptsächlich bei der unteren weißen Mittelschicht Reibach machten, handelt es sich bei den neuen Hysterikern um eine echte Volksbewegung mit einem ungeheuren Rekrutierungspotenzial und enormer politischer Durschschlagskraft.

"Jesus Camp": mit Tarnfarben bemalte Kinder

Heidi Ewing und Rachel Grady haben für ihren Film "Jesus Camp" die Erweckungspredigerin Becky Fischer und ihre Kirche über ein Jahr lang bei ihren Aktivitäten begleitet, und schon beim Ansehen der Ausschnitte, die auf der Webseite zum Film abgelegt sind, kann einem sehr blümerant zumute werden. Zwei Hauptmerkmale, die an allen Ecken und Enden feststellbar sind: die enorme Indoktrinationstiefe, die vor allem bei Kindern zum Tragen kommt, und die allgemeine Militanz.

Szene aus Jesus Camp. Bild: Magnolia Pictures

Man sieht in den Filmausschnitten mit Tarnfarben bemalte Kinder, die auf der Bühne vor ihren Eltern Kampftänze aufführen, man sieht Einpeitscher, die ihre kindlichen Zuhörer dazu animieren, "ihr Leben für Jesus zu geben", man sieht Zehnjährige, die im Tonfall von Sektenführern davon faseln, dass sie sich als Teil einer Schlüsselgeneration ansehen, was die Wiederkehr von Jesus betrifft.

In einer Szene erläutert Becky Fischer ihr Programm im Umgang mit der Jugend. Da der Feind (gemeint ist in diesem Fall der Islam) seine Kinder nicht nur mit ideologischem Rüstzeug ausstatte, sondern auch mit Handgranaten und Gewehren, sei es nur richtig, die eigene Jugend auf die Ernsthaftigkeit der kommenden Auseinandersetzung vorzubereiten. Die Faszination der Turbochristen für den islamischen Dschihad ist unverkennbar, sie scheinen es als Herausforderung zu begreifen, einen christlichen vorzubereiten.

"Entscheidender Einfluss auf die Zusammensetzung des US-Kongresses"

Dementsprechend sehen sich auch die Kinder und Jugendlichen, die dieser Gehirnwäsche ausgesetzt sind, als Teil einer göttlichen Armee, die Amerika in absehbarer Zeit wiederzuerobern habe. In "Jesus Camp" tritt auch Mike Papantonio auf, ein bekannter Anwalt, der die evangelikale Szene seit Jahren bekämpft.

Er ist selbst praktizierender methodistischer Christ, begreift aber die evangelikale Massenhysterisierung als brennende Gefahr für die Säkularität der USA und warnt vor ihr, wo er nur kann.

Er ist der Ansicht, dass diese Bewegung bereits heute entscheidenden Einfluss auf die Zusammensetzung des US-Kongresses hat, genauso wie auf die Frage, wer Präsident wird - oder eben nicht. Haben Heidi Ewing und Rachel Grady einen propagandistischen Alarmfilm über diese Bewegung gedreht?

Becky Fischer findet sich und ihre Anliegen gut getroffen, sie weist in einer Stellungnahme gegenüber Glaubensgenossen darauf hin, dass sogar die Musik noch einmal komplett geändert worden sei, nachdem sie bei Testvorführungen dem evangelikalem Publikum zu "sinister" in den Ohren geklungen habe. Die durch und durch sinistren Vorgänge, die der Film eingefangen hat, finden ihre ungeteilte Zustimmung.

Szene aus Jesus Camp. Bild: Magnolia Pictures

"Spiegelwelt" mit Skatern und Punks

Einen ähnlichen Ansatz wie die beiden Filmemacherinnen vefolgte die Journalistin Lauren Sandler für ihr Buch "Righteous". Das Ergebnis ihrer Forschungsreise ist ernüchternd:

Ich habe mir immer gewünscht, dass meine Generation ein Anliegen aufgreift. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es dieses Anliegen sein könnte.

Auch sie glaubt, dass es die neuen Evangelikalen eine fundamental-christliche Revolution in den USA wollen, sie ergänzt aber das Bild von Becky Fischer und ihrer Armee aus jugendlichen Gotteskriegern um eine weitere Facette. Nicht nur die Militanz und die Jugendlichkeit der Bewegung machen sie sprachlos, sondern auch die subkulturelle Variationsbreite, in der sie auftritt.

Ob einer Skater, Punk, bis über beide Ohren tätowiert ist - das spielt keine Rolle; was allein zählt, ist die Hinwendung zu "Jesus" und einer möglichst wörtlichen Auslegung der Bibel, als dem Buch, das alle Fragen beantwortet. Für jede säkulare Jugendbewegung steht eine christliche Variante zur Verfügung; Sandler spricht in diesem Zusammenhang von einer "Spiegelwelt".

Die Rekrutierung funktioniert ihrer Erfahrung nach hauptsächlich über Mundpropaganda und persönlichen Kontakt. Allein die Tatsache, dass sie selbst so lange mit "wiedergeborenen" Christen unterwegs war und trotzdem nicht bekehrt wurde, sorgte in der Szene schon für großes Erstaunen, denn man rechnet dort fest mit der eigenen Unwiderstehlichkeit.

Rebellen gegen einen verderbten und verworfenen Status Quo

Interessant auch die Selbstwahrnehmung der jungen Leistungsbeter: Sie sehen sich als Rebellen gegen einen verderbten und verworfenen Status Quo, ihre Wissenschafts- und Vernunftsfeindlichkeit (insbesondere gegen die Evolutionslehre gerichtet) kommt antiautoritär daher. Das allerneueste Christentum, so Sandler, gewinnt Charisma, indem es sich cool gibt. Die kollegialen Rezensionen auf der entsprechenden Website eines Online-Buchhändlers versuchen sich teilweise in Erklärungen für das Phänomen.

Wenn niemand anders Jugendarbeit anbiete, sei der Erfolg der neuen Evangelikalen nicht erstaunlich; dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen so fröhlich an einem klerikalen Faschismus für die USA bastelten, habe außerdem mit dem typischen jugendlichen Bedürfnis nach Gemeinschaft und Abgrenzung gegenüber der Elterngeneration zu tun. Das ist insofern interessant, als es wie die Begründungen für die aktuellen Erfolge der NPD im Osten Deutschlands klingt (vgl. Schmackhafte NPD-Bonbons); soziale Verwahrlosung und faschistisch kostümierte "antiautoritäre" Impulse werden ja manchmal auch dort für das Anwachsen einer neuen Jugendkultur verantwortlich gemacht.

Es fragt sich, wie weit solche Erklärungsmuster bei den christlichen Möchtegernrebellen in den USA tragen, denen ein Präsident wie George W. Bush noch der liebste ist, wenn er ihnen auch noch lange nicht radikal genug vorkommt. Denn, wie "Jesus Camp" klar macht, stammen viele der jungen Gotteskrieger sehr wohl aus christlich-fundamentalistischen Familien. Von einem Abgrenzungsimpuls ist dort gar nichts zu erkennen; man kann höchstens hoffen, dass der noch kommt.

Wie geschickt jedenfalls die popkulturelle Dschihadisierung des Christentums auf der Klaviatur spezifisch jugendlicher Bedürfnisse spielt, kann man sich an Websites wie Teen Mania ansehen. Angebote wie Battle Cry, die eher nach Entwicklungshilfe aussehen, werden komplettiert durch die Möglichkeit, sich in "Boot Camps" zu Soldaten der christlichen Mission ausbilden zu lassen ("Gottes Armee" zur Rettung einer Generation).

In Europa sucht die Jesus Revolution Army, über die Arte kürzlich eine reportage sendete, nach neuen Mitgliedern. Das sind geschickt aufgezogene Unternehmen, die auf professionelles Design und Marketing setzen, Massenevents und Popmusik gehören immer mit dazu. Das Beispiel der durch und durch europäisch geprägten "Jesus Revolution Army" macht auch deutlich, dass sich täuscht, wer das ganze Erweckungsgedöhns auf speziell US-amerikanische Gegebenheiten zurückführen will.

Aus einem Videoclip von Battle Cry

Fundamental-christliche Jugendferienlager sind hierzulande längst keine Seltenheit mehr

Die christliche Wiederaufrüstung mit längst nicht nur ideologischen Waffen findet weltweit statt. In Indonesien sind jüngst christliche Milizenführer hingerichtet worden, die für den Tod Hunderter Moslems verantwortlich gemacht wurden. Ob es sich dabei um Extremisten oder doch nur Katholiken gehandelt hat, scheint eine Frage des Standpunkts zu sein.

Dass die Unruhen zwischen Christen und Moslems auf Sulawesi stattgefunden und eine ganze Menge Menschenleben gefordert haben, ist allerdings Konsens. Die größte kreationistische Konferenz des laufenden Jahres wurde nicht in den USA, sondern in Großbritannien inszeniert. Auch an vereinzelten deutschen Schulen wird der kreationistische Nonsens bereits gepredigt.

Fundamental-christliche Jugendferienlager sind hierzulande längst keine Seltenheit mehr, man muss sich nur einmal umschauen, entsprechende Angebote finden sich schnell. Von der Präsenz der islamisch-fundamentalistischen Fraktion ganz zu schweigen, die mittlerweile die Aufführbarkeit von Mozart-Opern in Berlin in Frage stellt.

Was ist eigentlich hier los? Erleben wir das Losbrechen eines weltweiten fundamentalistischen Fiebers, das besonders Islam und Christentum erfasst hat, und nun als wahre "Anti-68er-Bewegung" dem Säkularismus den Garaus machen will? So weit müssen die jüngsten Entwicklungen zur Fundamentalisierung der Religionen nicht reichen, unbehaglich sind sie allemal.