Kongress legitimiert das von Bush eingeführte Unrechtssystem

Verschleppung, unbegrenzte Inhaftierung, Folter und Willkürlichkeit, eine Person als "feindlichen Kämpfer" zu behandeln, werden nun zur offiziellen US-Politik

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Das Weiße Haus konnte sich mit dem neuen Gesetz Military Commissions Act of 2006, das den Umgang mit verdächtigen Terroristen und die Einsetzung von Militärgerichten regelt, sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat durchsetzen. Der Senat nahm gestern nach dem Repräsentantenhaus mit 65 zu 34 Stimmen das Gesetz an. 32 demokratische und zwei republikanische Senatoren stimmten dagegen, 12 Demokraten, darunter der konservative, Bush-nahe Joe Lieberman, dafür. Zunächst hatten die Demokraten dem Streit auf republikanischer Seite als Beobachter zusehen können, bis unter hohem Druck seitens des Weißen Hauses doch eine Einigung erzielt wurde (Das "Programm" der CIA ist gerettet). Präsident Bush hatte sich noch massiv für das Gesetz stark gemacht und die Gegner in die Ecke gestellt, dass sie den Sicherheitskräften nicht die Mittel in die Hand geben, die benötigt würden, um die amerikanischen Bürger zu schützen und den Terrorismus zu besiegen.

US-Präsident Bush nach einem Treffen mit republikanischen Senatoren, die er gestern aufsuchte, um die Entscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen: „Our most important responsibility is to protect the American people from further attack. And we cannot be able to tell the American people we're doing our full job unless we have the tools necessary to do so. And this legislation passed in the House yesterday is a part of making sure that we do have the capacity to protect you.“ Bild: Weißes Haus

Nun können also die sogenannten „unrechtmäßigen feindlichen Kämpfer“ weiter willkürlich inhaftiert, mit nicht genauer definierten Mitteln verhört und ohne Recht auf Einsicht in die Anklage vor Militärgerichte gestellt werden. Dazu kommt, dass Menschen, die irrtümlich und ohne Schuld gefangen genommen, üb er die Freiheitsberaubung hinaus vielleicht misshandelt und mitunter viele Jahre lang inhaftiert wurden, nicht vor amerikanische Gerichte gehen können, um gegen die Inhaftierung zu klagen oder nachträglich Wiedergutmachung zu erreichen. Ohne Veränderung wurde auch die erweiterte und beliebig interpretierbare Definition für die „unrechtmäßigen feindlichen Kämpfer“, die nicht der amerikanischen Rechtsprechung und den Genfer Konventionen unterliegen sollen, beibeihalten, so dass das Kriegsrecht auch nicht näher beschriebene „Unterstützer“ von bewaffneten Auseinandersetzungen als feindliche Kämpfer verschleppen, unbegrenzt einsperren und willkürlich entweder irgendwann freilassen oder vor ein Kriegsgericht führen kann (Jeder kann zum "feindlichen Kämpfer" erklärt werden):

Any alien unlawful enemy combatant engaged in hostilities or having supported hostilities against the United States is subject to trial by military commission as set forth in this chapter.

Diese Entscheidung ist schon ein schwarzer Tag für den Rechtsstaat und die Menschenrechte. Noch schlimmer ist jedoch, dass der Kongress rückwirkend Folter und Misshandlungen von Gefangenen, die vor Ende 2005 festgenommen wurden, für straffrei erklärt. Damit sollen die Entscheidungsträger im Pentagon und im Weißen Haus vor möglichen Klagen geschützt werden. Auch Aussagen, die vor dem 30.12.2005 unter Folter erzwungen worden waren, dürfen noch vor den Kriegsgerichten verwendet werden. Nun ist zwar „grausame und unmenschliche Behandlung“ von Gefangenen auch für CIA-Mitarbeiter verboten, der Gesetzestext gibt aber der Regierung weiterhin einen breiten Spielraum. Darunter fallen „schwere körperliche oder geistige Schmerzen oder Leiden“, wozu „schwerer körperlicher Missbrauch“ zählt. „Schwerer körperlicher Schmerz“ wird definiert als „Körperverletzung“, die ein „ernsthaftes Todesrisiko“, „extreme körperliche Schmerzen“„Verbrennungen oder körperliche Entstellungen schwerwiegender Natur (keine Schnitte, Rasuren oder Schläge)“ und/oder einen „bedeutsamen Verlust bzw. eine bedeutsame Beeinträchtigung eines Körperglieds, eines Organs oder einer geistigen Kapazität“ einschließt. Für die von Bush als notwenig erachteten „alternativen Verhörmethoden“ ist also weiterhin genügend Spielraum, der nun auch vom Kongress anerkannt wurde.

Bei den Militärgerichten haben die Richter und das Pentagon weitgehend Freiheit über einzelne Regelungen, beispielsweise ob die Prozesse öffentlich sind, welche Beweismittel zugelassen sind und welche von den Angeklagten in welcher überarbeiteten Form eingesehen werden können. Bestimmungen wie diese: “No court, justice, or judge shall have jurisdiction to hear or consider an application for a writ of habeas corpus filed by or on behalf of an alien detained by the United States” dürften von Bürgerrechtsorganisationen bald angefochten werden. Zu hoffen ist auch, dass die amerikanischen Gerichte oder der Supreme Court, wie die Los Angeles Times schreibt dem Weißen Haus, wie dies schon gelegentlich geschehen ist, einen Strich durch die Unrechtsrechnung macht. An der Verweigerung, Habeas Corpus-Klagen vor amerikanischen Gerichten führen zu können, um eine Anklage mit Beweisen nach einer Inhaftierung zu erzwingen, hatte sich der stärkste Protest festgemacht.

Noch hat zwar US-Präsident Bush das Gesetz nicht unterschrieben. Auffällig ist jedoch, wie ruhig sich die EU und die europäischen Regierungen verhalten, wenn der große Bruder Menschenrechte und internationale Abkommen verletzt. Die Glaubwürdigkeit, am Hindukusch oder wo immer auch für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, wird damit nicht steigen, sondern der auch von muslimischen Extremisten geäußerte Vorwurf, mit zweierlei Maß zu messen, dürfte nach diesem „Erfolg“ der Bush-Regierung bekräftigt werden. Im Kampf gegen den Terrorismus ein denkbar schlechter Schritt.