Bewahrung des Digitalen im Analogen

"Wie geht die Reise weiter?" fragte ein Symposium der "Deutschen Gesellschaft für Photographie und kam zu einer überraschenden Antwort

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Wer als Fernreisender am Bahnhof Köln-Deutz ankommt und sich in Richtung Kölnmesse aufmacht, findet leicht den neuen Eingang Süd, direkt neben den niedergerissenen alten Messehallen, von denen nur noch die ruinengleichen Fassaden stehen gelassen wurden. Aus Denkmalschutzgründen, vermutlich. Aber auch wer von Norden anreist, kann den Trümmern nicht entrinnen. Großformatige Prints von Fotos, die die zerbombte Kölner Innenstadt zeigen, empfangen die Besucher am ebenfalls neuen Eingang Nord. Der durch Zufall fast unzerstörte Kölner Dom, der sich aus den Ruinen emporreckt, wurde eine der ersten Ikonen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und somit auch der photokina, die 1951 zum ersten Mal ihre Pforten öffnete.

Alte Messegebäude im Umbau (links) und Foto der Kölner Ruinenlandschaft. Foto: Chr. Gapp

Die Ruinenbilder erinnern nicht nur nostalgisch an den mühsamen kulturellen Neuanfang nach dem Krieg. Sie erinnern auch daran, dass Kulturgüter in Krisenzeiten besonders gefährdet sind. Dies war auch ein Thema des DGPh-Symposiums "Photographie – wie geht die Reise weiter?" Die DGPh war Anfang der 50er Jahre parallel zur photokina unter maßgeblicher Mitwirkung von L.-Fritz Gruber - "Mr. Photokina" - gegründet worden. Der bis zuletzt allem Neuen aufgeschlossene und aktive Gentleman L.-Fritz Gruber starb im letzten Jahr im Alter von 96 Jahren.

Die digitale Fotografie hat sich unbestritten als fototechnische Standardtechnologie etabliert. Ein Problem jedoch, das an Schärfe gewinnt, ist die langfristige Archivierung. Allerdings betrifft das Problem der Haltbarkeit von Bildern und Dokumenten nicht nur die Fotografie. Vielmehr ist es Teil eines kulturhistorischen Problems. Daran erinnerte Prof. Hans Brümmer, Organisator der Veranstaltung, mit der Feststellung, dass 5.000 Jahre alte Tontafeln mit Keilschrifttexten immer noch gelesen werden könnten, während wir heute Technologien einsetzten, die Daten nur für wenige Jahre zuverlässig archivieren könnten. Diese über die Fotografie hinausreichenden Aspekte klangen im Laufe der Veranstaltung immer wieder an. Im Vordergrund standen jedoch gezielte Grundsatzfragen.

Messbesucher betrachten und fotografieren sich selbst in einem Monitor, der zeigt, wie sie vom "Face Detection" einer Fuji-Kamera erfasst werden. Foto: Chr. Gapp

Haltbarkeitsprobleme bei CDs und DVDs

Beschreibbare CDs und DVDs gelten für viele private und professionelle Anwender als Standardmedien für die Archivierung. Lange Haltbarkeiten werden meistens einfach als gegeben angenommen, obwohl die zu verwendenden CDs vor allem unter Preisgesichtspunkten ausgewählt werden. Welche Kriterien unter Haltbarkeitsgesichtspunkten zu beachten sind, ist meist gar nicht bekannt. So ist böses Erwachen vorprogrammiert.

In seinem Vortrag ging Brümmer daher der Frage nach, wie haltbar CDs und DVDs wirklich sind. Mit dem überraschenden Ergebnis, dass immense Unterschiede zu finden sind. Nur wenn für die CD-Beschichtung Phtalocyanin und Gold verwendet werden, bestätigen unabhängige Tester eine potentiell lange Haltbarkeit, die laut der Hersteller länger als 100 Jahre sein soll. Aber welcher Käufer von CDs weiß schon, dass er nach so einer Beschichtung Ausschau halten sollte? Bei anderen Beschichtungen ist die Haltbarkeitsdauer entweder umstritten oder erwiesenermaßen deutlich geringer. Sie liegt bei billigen Produkten bei maximal etwa fünf Jahren.

Stark vereinfacht ausgedrückt, besteht eine klassische Archivierung aus zwei Schritten: der Erzeugung des zu archivierenden Produktes (Original oder Kopie) und seiner sachgerechten Lagerung. Digitale Archive benötigen jedoch darüber hinaus kontinuierlich anzupassende Migrationsstrategien, d.h. die archivierten Daten müssen in bestimmten Abständen immer wieder auf neue Medien umkopiert werden. Dies ist eine Folge sowohl des technologischen Fortschritts (z.B. neue Betriebssysteme und Dateiformate), als auch der limitierten Haltbarkeit der Speichermedien. Ein digitales Archiv muss derzeit also ein sich beständig anpassendes Gesamtsystem sein. Jede Unterbrechung birgt das Risiko des Totalverlustes in sich. Eine Gefahr, die nicht zuletzt in Krisenzeiten besteht.

Darauf wies auch Rainer Tewes hin, der das von ihm entwickelte savedpictures-System vorstellte. Wer die Messe über den neuen Nordeingang betreten hatte, wurde durch überdimensionale Ausdrucke der Kölner Ruinenlandschaft der Nachkriegszeit daran erinnert, dass unter "Krisenzeiten" Bedrohlicheres zu verstehen ist als eine Wirtschaftsflaute. Das savedpictures-System verwendet langzeitbeständigen Ilford Micrographic Film, also ein schon seit Jahrzehnten verwendetes, sehr gut bekanntes Material, dessen Haltbarkeit unter "guten Bedingungen" von Experten laut Tewes auf "mehrere Jahrhunderte" veranschlagt wird. Es fallen bei dem System keine Migrationskosten an und die Qualität der archivierten Filme lässt sich relativ leicht prüfen. Hans Brümmer goss die Haltbarkeitsthematik in die griffige Empfehlung: "Digital speichern, analog archivieren."

Diffuse Versprechung, nach Jahren der funktionalen Aufrüstung – Einfachheit… Foto: Chr. Gapp

Nicht nur ein Klicken des Auslösers – Fotografie als ein Gesamtprozess

Jenseits der technologischen Realisierungsmöglichkeiten zeigt die Archivproblematik exemplarisch typische Merkmale der Wechselwirkungen zwischen angestammten, analogen und neuen, digitalen Technologien. Zunächst etablierten sich digitale Technologien aufgrund offensichtlicher Vorteile (sofortige Verfügbarkeit, Schnelligkeit, durchgehend digitale Prozessketten mit elektronisch kommunizierbaren Prozesselementen). Allerdings entstehen auch neue Probleme wie die Haltbarkeitsproblematik. Dies schärft den Blick zurück auf analoge Verfahren, deren Eigenschaften, als es die digitalen Prozesse noch nicht gab, oft für so selbstverständlich gehalten wurden, dass ihre Vorteile gar nicht bewusst wurden. Es besteht daher die Gefahr, dass analoge Verfahren verloren gehen, bevor die Bedeutung ihrer Vorteile überhaupt erkannt und manche ihrer auch zukünftigen Marktpotentiale abschätzbar werden. Um dem entgegenzuwirken, muss Fotografie in ihrer gesamten Prozesshaftigkeit betrachtet werden, von der Wechselwirkung zwischen Fotografierendem und Motiv über die Kamera- und Beleuchtungstechnik, die Postproduktion bis hin zu jeglicher Form von Wiedergabe.

Diese Botschaft kann als Subtext der anderen Vorträge des DGPh-Symposiums verstanden werden, die sich mit der zukünftigen Entwicklung von Kameras, dem Inkjet-Fine-Art-Printing, dem Colormanagement und dem Einsatz von Computer Generated Images, CGI, widmete.

… ein paar Stände weiter hat man dann wieder die Qual der Wahl. Ein Bild, unendlich viele Variationsmöglichkeiten. Foto: Chr. Gapp

Es ist ein kulturell-wissenschaftliches Paradoxon, dass ausgerechnet die Fotografie, also das zeitlich erste technische Bildmedium, als letztes technisches Medium digitalisiert wurde. In der Fotografie konnten sich manuelle, nur schwer zu kontrollierende Verfahren noch halten, als PC und Email schon lange zum Alltag andere Berufsfelder gehörten. Wie bei den anderen Berufen auch, bedeutet Digitalisierung eine Abnahme an manuellen Einzelaufgaben und eine dramatische Zunahme an abstrakten, nur in Prozessketten denkbaren Anforderungen. Das Symposium hat gezeigt, dass die fotografische Reise weiterhin in diese Richtung gehen wird.