Happy Birthday? Zehn Jahre grüne Gentechnik

1996 erhielt "Roundup Ready-Soja" von Monsanto die Importzulassung für die EU und läutete damit auch bei uns die Ära der genetisch veränderten Lebensmittel ein

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Während Rote Gentechnik (zu medizinischen Zwecken) und Weiße Gentechnik (mit Mikroben) mittlerweile Zustimmung finden, sinkt die Akzeptanz der Grünen Gentechnik zusehends. Mit hehren Versprechungen waren Labors und Agro-Unternehmen angetreten, die neue Züchtungsmethode zu etablieren und ihr gar den Nimbus eines omnipotenten Hoffnungsträgern zu geben. Gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen sollten höhere Erträge ermöglichen und so den Hunger in der Welt lindern helfen. Sie sollten selbst Insektizide produzieren und so den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft verringern. Gv-Kartoffeln sollen die Medikamente gegen die Seuchen der Zukunft produzieren und patentierter gv-Reis Vitamin A enthalten um Mangelkrankheiten der Ärmsten vorzubeugen. Soviele Superlative machen skeptisch.

Deutlich wird vielmehr die große Diskrepanz zwischen den wirtschaftlichen Erwartungen der gv-Unternehmen einerseits und der Zurückhaltung - bis Ablehnung - in der Bevölkerung andererseits. Denn während der längerfristige Nutzen der Schöpfungen von Monsanto, BayerCropScience oder Aventis CropScience von Studien in Frage gestellt wird, sind die Vorteile auf Seiten der Unternehmen schon kurzfristig offensichtlich. Die Patentierung von Genen sichert den Absatz und selektive Pestizid-Toleranz - die häufigste gv-Anwendung - macht Chemie auf dem Acker nicht etwa überflüssig sondern bindet die Bauern an bestimmte Chemieunternehmen. An den Strukturen, die erst zu den Mangelerkrankungen aufgrund völlig einseitiger Ernährung führen, an den exportorientierten Großbetrieben und Billiglöhnen der Landarbeiter, haben die neuen Sorten dagegen nichts geändert.

Steigende Anbauflächen sinkende Akzeptanz

Besonders die exportorientierte Landwirtschaft in den Schwellen und Entwicklungsländern ist empfänglich für die Versprechungen von besseren und ertragreicheren Ernten. Anders in den Industrieländern wo eine Gegenöffentlichkeit und in deren Folge gesetzliche Auflagen die Verbreitung bremsen. Im Ergebnis steigen die Anbauflächen gentechnisch veränderter Pflanzen in den armen Ländern überproportional.

Quelle

Die amerikanische Regierung bewilligte im Jahre 2000 30 Millionen US-Dollar für die Förderung der gv-Technik in Osteuropa und hier besonders in den beiden EU-Beitrittskandidaten Bulgarien und Rumänien, in denen gesetzliche Regelungen zur Gentechnik noch fehlen. Zur Zeit werden weltweit rund 90 Millionen Hektar mit gv-Pflanzen bestellt, das entspricht 5 Prozent der gesamten Anbaufläche. So gesehen ist es also weiterhin der konventionelle Landbau, der die Menschheit ernährt. Kommerziell angebaute gv-Pflanzen sind Soja (60%), Mais (24%), Baumwolle (11%) und Raps (5%), weitere befinden sich in der Erprobung.

Die Wachstumsraten sind Jahr für Jahr zweistellig. 2004 haben 8,5 Millionen Bauern gv-Saatgut angepflanzt, 90 Prozent davon waren Kleinbauern in der dritten Welt. Die großen Flächen liegen aber in den USA, Kanada, Brasilien und Argentinien. Robert Fraley, Chef der Entwicklungsabteilung von Monsanto:

Diesen Innovationsschub verdanken wir der Anwendung von zwei Genen in einigen Nutzpflanzen. Inzwischen können wir tatsächlich Hunderttausende von Genen untersuchen und sie in praktisch jede Pflanze hinein bekommen.

Diese Beschleunigung stellt auch das Hauptproblem dar. Der Verwertungsdruck für die neuen Kreationen ist hoch, empirische Studien über das Auskreuzungsverhalten, Resistenzentwicklungen oder gesundheitliche Schäden als gesicherte Grundlage für politische Entscheidungsprozesse brauchen aber Zeit.

Laut aktueller Eurobarometer-Umfrage hofft jeder zweite EU-Bürger, dass Gentechnologie im Medizinbereich und in der Industrie zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen werde. Gentechnisch veränderten Lebensmitteln steht jedoch ein Großteil der Europäer skeptisch gegenüber. Die differenzierte Beurteilung durch die Befragten zeugt von einer aufgeklärten Öffentlichkeit, die sensibel für die Gefahren einer unkontrollierten Ausbreitung neuer Genkombinationen ist, jedoch sehr wohl auch die Chancen von genetischer Analytik und Produktion sieht. Moralische Bedenken, die Sorge um mögliche Risiken und nicht offensichtlicher Nutzen der neuen gv-Pflanzen tragen jedoch zur Ablehnung der Grünen Gentechnik bei.

Zustimmung und Tolerierung von gv-Lebensmitteln in einigen EU-Ländern. (Quelle: GMO Compass)

Kontrollverlust unter Laborbedingungen

Schlamperei und Heimlichtuerei mit Grüner Gentechnik tragen ebenfalls zum schlechten Image bei. Die "LL601- Reis" Funde in deutschen Supermarktregalen und bereits vorher in Versandcontainern machen deutlich wie wichtig und gleichzeitig wie schwer es in der Praxis ist Lebensmittelströme zu kontrollieren (Der Reis, den keiner wollte). Vermutlich ist es schon bei Versuchen, die in einem Züchtungsinstitut in Lousiana/USA durchgeführt wurden, zu den Vermischungen gekommen. Der Nachweis der Verunreinigungen gelang nur, weil Bayer CropScience die Markteinführung einer ähnlichen Reissorte betreibt. Für seine Zulassung mußte das Unternehmen ein Verfahren bereitstellen, mit dem dieser gv-Reis nachweisbar ist. Staatliche Überwachungsstellen sind kaum in der Lage, Analysemethoden, die einzelne Genmanipulationen aufdecken, in Eigenregie zu entwickeln. Zudem zeigen die Zustände aus dem "Gammelfleisch-Skandal" dass eine strenge Lebensmittelüberwachung schon bei konventionellen Lebensmitteln nicht sicher möglich ist. Sind die genveränderten Futtermittel erst verfüttert, ist ein Nachweis in Fleisch, Milch und Eiern mit heutigen Analyseverfahren nicht mehr möglich.

Der Fund von nicht zugelassenem genmanipuliertem Reis war nur insofern neu, als es sich explizit um Reis handelte, der als Lebensmittel deklariert war. Bei Chargen, die als Viehfutter importiert werden, ergab eine Untersuchung des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), dass 93 Prozent des Rinder- und Schweinmischfutters und 89 Prozent des Geflügelfutters deutliche gv-Anteile enthalten.

Auch unerwünschte Kreuzungen auf dem Acker lassen sich nicht gänzlich vermeiden, dies belegen Ergebnisse unter wissenschaftlicher Kontrolle in Deutschland. In einem 10m-breiten Streifen unmittelbar neben dem Bt-Mais überschreiten die gv-Einträge den Schwellenwert von 0,9 Prozent. Die (konventionelle) Ernte dieses Streifens müsste als "gentechnisch verändert" gekennzeichnet werden. In größerer Entfernung ab 20 Meter bleiben die gv-Einträge in der Regel unter 0,9 Prozent. Je nach Windverhältnissen und Lage sind einzelne Werte über 0,9 Prozent möglich. Eine Auskreuzung also nicht ausgeschlossen. Bisher gilt noch das Verursacherprinzip, sollte gv-Erbgut sich auf Nachbarkulturen verbreiten. Das Landwirtschaftsministerium will das wirtschaftliche Risiko und damit die Einstiegsschwelle für Landwirte verringern und einen Ausgleichsfond einrichten, in den Landwirte und Saatguthersteller einzahlen sollen, die Agro-Unternehmen weigern sich jedoch noch. Ist ihnen das Haftungsrisiko zu groß?

Ein Eintrag von gv-Material in konventionelle oder gar "ökologisch" bewirtschaftete Kulturen kann deren Entwertung bedeuten. Zur Zeit werden in Deutschland auf 378 Hektar gv-Pflanzen angebaut, jedoch 730.000 Hektar ökologisch bewirtschaftet. Um jedes Risiko auszuschließen haben sich mittlerweile mehr als 160 Regionen, 3500 Städte und Gemeinden und einige zehntausend Bauern selbst verpflichtet, ohne Gentechnik zu wirtschaften.

GMO-free areas in the EU

Zweifel am Nutzen

Zu den ungeklärten Risiken kommen neuerdings auch Zweifel am langfristigen Nutzen von genetisch manipulierten Pflanzen. Sieben Jahre nach dem Anbau von gv-Baumwolle in China konnte zwar der Hauptschädling, die Baumwollkapselraupe, in Schach gehalten werden, allerdings sind an ihre Stelle zahlreiche andere Schädlinge getreten. Die Bauern müssen nun mindestens genauso viele Insektizide ausbringen wie in Zeiten zuvor. Mit dem Auftreten der neuen Schädlingsplage ist die finanzielle Lage der Bauern allerdings äußerst prekär geworden, denn die Bt-Baumwolle kostet mehr als die konventionelle. Eine Langzeituntersuchung des chinesischen Landwirtschaftsministeriums und der Cornell University aus Ithaca, New York ergab, dass chinesische Bauern die gv-Baumwolle anbauen etwa acht Prozent weniger Einkommen erzielen als ihre Kollegen, die konventionelle Baumwolle auf ihren Feldern anbauen (Genpflanzen verringern nicht den Pestizid-Verbrauch).

Fachleute glauben zudem, dass Schädlinge wie der Maiszünsler irgendwann resistent gegen das von der Pflanze produzierte Insektengift werden. Renate Kaiser-Alexnat vom Institut für Biologischen Pflanzenschutz in Darmstadt: "Im Labor hat man das bei diesem Falter bereits beobachtet ... es ist wahrscheinlich, dass in der Natur auch Resistenzen auftreten. Vielleicht ist das bereits geschehen, und wir haben es noch nicht festgestellt." Aus Versuchen mit Mäusen stammt die Vermutung, die jetzt in Europa aufgetauchte Bt-Reis-Variante und das von ihr produzierte Insektengift könnten allergische Reaktionen hervorrufen.

Auch die Ansage, gv-Pflanzen dienten der Hungerbekämpfung trifft bislang nicht zu. In Argentinien und Brasilien wächst fast ausschließlich gv-Soja, in Indien und China nur Bt-Baumwolle. Beide dienen nicht als Lebensmittel, sondern werden entweder als Tierfutter in die Industriestaaten exportiert oder zu Textilien verarbeitet. Nach Angaben des Umweltinstituts stieg die Zahl der Hungernden in Argentinien seit der Einführung des gv-Soja-Anbaus stark an. "Dies ist mehr als logisch, wenn man bedenkt, dass inzwischen auf 50 Prozent der argentinischen Äcker Gensoja wächst, ein reines Exportprodukt. Auch ein Land wie Deutschland wäre nicht in der Lage, die Ernährung seiner Bevölkerung zu sichern, wenn auf der Hälfte seiner landwirtschaftlichen Flächen reine Exportprodukte wachsen würden."

Kennzeichnungsfrei durch Camouflage

Die seit April 2004 in der EU geltenden Vorschriften zur Kennzeichnung von gv-Lebens- und Futtermitteln schreiben vor, dass auf der Packung in der Zutatenliste hinter dem Stoff oder in der Fußnote die Formulierung stehen muß: "enthält gentechnisch verändertes..." oder "gentechnisch verändert", falls der gv-Anteil je Zutat 0,9 % übersteigt. Ausgenommen sind Fleisch- und Milchprodukte, auch wenn die Tiere gv-Futter bekommen haben. Auch Produkte, die indirekt mit gv-Hilfsstoffen, etwa Enzymen, hergestellt werden, müssen nicht gekennzeichnet werden. Es gilt also der Grundsatz, nur wenn es wahrscheinlich ist, dass gv-Gensequenzen im Nahrungsmittel enthalten sein könnten, muss gekennzeichnet werden.

Gv-Futtermittel, Roh- und Zusatzstoffe sind allgegenwärtig - aber praktisch kennzeichnungsfrei. Gv-Soja und Mais liefern Rohstoffe für zahlreiche Lebensmittelzutaten. Auf diesem Weg kommen viele Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Kontakt, ohne jedoch selbst gentechnisch verändert zu sein. So können Öl in Margarine, Lecithin in Schokolade, Keksen oder Eis, Sojaeiweiße oder Vitamine aus Soja stammen. Jährlich führen die EU-Länder bis zu 40 Millionen Tonnen Sojarohstoffe aus den USA, Argentinien und Brasilien ein. Mais ist die Basis für Stärke, Grundstoff für die Chemie- und Papierindustrie und für Lebensmittelzutaten wie Traubenzucker und Glukosesirup. Gv-Mikroorganismen (Bakterien und Pilze) können Zusatz- und Hilfsstoffe wie Vitamin B2, Vitamin B12, Beta-Carotin, Lysozym, Xanthan, Aminosäuren für den Süßstoff Aspartam oder den Geschmacksverstärker Glutamat produzieren. Ebenso wie Enzyme, etwa für die Käseherstellung.

Dennoch bekommt man beim Gang durch deutsche Supermarktregale den Eindruck, Gentechnik spiele in der modernen Landwirtschaft keine Rolle. Dass sich die tatsächliche Verbreitung von gv-Nahrungsmitteln und Zusatzstoffen nicht auf den Etiketten der Lebensmittel niederschlägt, hat mehrere Gründe. Hersteller vermeiden die Kennzeichnung, weil viele Verbraucher glauben, die Kennzeichnung sei ein Hinweis auf mögliche gesundheitliche Risiken. Wer korrekt kennzeichnet, wird mit Umsatz- und Vertrauensverlusten bestraft. So haben Hersteller ihre Rezepturen geändert, bei Margarine werden etwa Rapsöle anstelle von Sojaölen verwendet oder chemische Emulgatoren statt Sojalecithin.

Außerdem werden gerade Bereiche, bei denen die Anwendung der Gentechnik weit verbreitet ist, nicht von einer Kennzeichnungspflicht erfasst, etwa Fleisch, Milch, Eier und andere tierische Lebensmittel. Stehen keine Nachweisverfahren zur Verfügung wird die Einhaltung der Verordnung anhand schriftlicher Unterlagen und Zertifikate überprüft. Vor allem bei Produkten, die außerhalb der EU erzeugt werden, ist eine direkte Überprüfung kaum möglich.

Erfolglose Greepeace-Dedektive: "Wegen der großen Ablehnung findet sich kaum ein Lebensmittelhersteller, der Produkte mit Zutaten aus gentechnisch veränderten Pflanzen anbietet" Liegt Greenpeace richtig oder handelt es sich eher um gute Camouflage der Hersteller? (Bild: Greenpeace)

Dem Interesse einer Mehrheit der Bevölkerung nach transparenter Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln steht eine Geflecht von Interessen und Interessenvertretern aus Agroindustrie, Politik und Landwirtschaft entgegen, deren Motive - wirtschaftliches Kalkül, Unsicherheit und Gutgläubigkeit - eine wirksame Kontrolle erschweren und dazu beitragen, dass genveränderte Produkte aus dem Labor in alle Bereiche der Nahrungskette diffundieren. In den Umfragen werden auch die Chancen einer kontrollierten Gentechnik gesehen, jedoch tragen unrealistische Versprechungen, Schlamperei und Heimlichtuerei zur sinkenden Akzeptanz der Grünen Gentechnik bei. Der mündige Bürger muss selbst entscheiden können, welche Lebensmittel er essen möchte.