Wenn aus einem politischen Dilemma ein "juristisches Vakuum" wird

Die Verhandlungen zum Thema Flugdatenweitergabe zwischen der EU und den USA sind bisher gescheitert, an der Praxis der Datenweitergabe ändert dies jedoch nichts

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erwartungsgemäß ist es der EU nicht gelungen, bis zum 1. Oktober 2006 ein Abkommen mit den USA über die Weitergabe von Passagierdaten zu treffen. Die USA hatten die neuen Verhandlungen, welche nach dem Urteil des EU-Gerichtshofes notwendig geworden waren, genutzt, um die Datenforderungen erneut zu erhöhen. So sollten neben den bisher 34 Daten nun auch weitere Details wie z.B. Telefon- und Handynummer des Passagiers sowie Anzahl und Name etc. der Mitreisenden übermittelt werden. Da dies aus Gründen des Datenschutzes von der EU abgelehnt wurde, wird die Datenweitergabe nunmehr ohne Rechtsgrundlage weitergeführt.

Der EU-Gerichtshof hatte sich zu dem datenschutzrechtlichen Aspekt der Weitergabe bisher nicht geäußert, sondern lediglich eine falsche Rechtsgrundlage bemängelt und diese für ungültig erklärt, was vorschnell als Sieg der Bürgerrechte gefeiert wurde. Doch das Urteil sowie die jetzige Praxis, ohne Rechtsgrundlage zu handeln, bestätigt die von Anfang an beim Europäischen Parlament geäußerte Einschätzung der Situation. So sprach man bereits 2002 von ökonomischer Erpressung, da den Fluggesellschaften mit Landeverboten bei Nichtübersendung der Daten gedroht wurde. Dabei hatte sich die EU-Kommission dadurch, dass das EU-Parlament in der Frage der Rechtsgrundlage nicht mehr miteinbezogen wurde, bereits eine vereinfachte Ausgangsposition für ein neues Abkommen geschaffen. Doch weiterhin müssten alle 25 Mitgliedsstaaten dem Abkommen zustimmen, wobei man sich auch hier bereits auf den Fall einstellte, ein Abkommen trotz dieser fehlenden Zustimmung als Legitimation zu nutzen. Ein solches Abkommen könne ja provisorisch in Kraft treten und später ratifiziert werden.

Zur Zeit jedoch gibt es weder ein provisorisches Abkommen noch eine sonstige Rechtsgrundlage, auch wenn US-Heimatschutzminister Michael Chertoff davon sprach, dass bereits ein Entwurf vorliege, was seitens der EU dementiert wurde. Die EU hat sich nunmehr eine elegante Formulierung dafür einfallen lassen, private Daten von Flugpassagieren ohne Legitimation an die USA weiterzugeben: juristisches Vakuum.

Datenschutzverletzungen ohne Konsequenzen

Jonathan Todd, Sprecher der EU-Kommission, prägte die Formulierung des rechtlichen/juristischen Vakuums. Diese Definition ist geeignet, die öffentliche Empörung (so sie stattfindet) über die Datenschutzweitergabe in Grenzen zu halten da sie suggeriert, es gebe momentan lediglich noch ein kleines rechtliches Problem, das es zu lösen gelte, an und für sich sei aber alles in Ordnung. Tatsächlich jedoch werden die Daten entgegen der europäischen Datenschutzbestimmungen weitergegeben, eine Tatsache, welche schon von Anfang an nicht einmal seitens der EU-Kommission bestritten wurde (Name, Adresse und Spezialmenüs). Schon 2003 hieß es, dass Terrorbekämpfung nun einmal vorgehe.

Die Konsequenzen des illegalen Datentransfers, welcher trotz aller Rügen, beispielsweise durch den Bundesdatenschutzbeauftragten, weiterhin stattfindet, sind quasi nicht vorhanden. Dem Passagier bleibt letztendlich nichts anderes übrig, als ggf. von einem Flug abzusehen. Inwiefern die Datenschützer konkrete Maßnahmen wie Bußgelder ins Auge fassen, bleibt offen - zumindest die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens, Bettina Sokol, hat bereits im Mai mitgeteilt, dass sie auch im Falle einer Datenweitergabe ohne entsprechende Rechtsgrundlage keine Bußgelder gegen die Lufthansa verhängen werde. Der Datenschutzverstoß im großen Ausmaß, der u.a. auch dazu führte, dass Daten in das umstrittene Passagierüberwachungssystem CAPPSII wanderten, ist somit folgenlos für jene, die ihn begehen oder anordnen. Die Daten der Betroffenen jedoch sind der europäischen Datenschutzgesetzgebung und somit der informationellen Selbstbestimmung vollständig entzogen. Wer aus welchen Gründen auf sie Zugriff bekommt und wie sie verwandt werden, bleibt eine Frage, deren Beantwortung wahrscheinlich auch in einem "juristischen Vakuum" enden wird.

Wirtschaftsspionage leichtgemacht

Bereits im Vorfeld der zu erwartenden Vorratsdatenspeicherung haben die USA die Fühler nach den zu speichernden Daten ausgestreckt, der für Justiz, Freiheit und Sicherheit zuständige EU-Kommissar Franco Frattini erklärte, in "besonderen und gut definierten Fällen" würde es gemäß den bestehenden Vereinbarungen zum Austausch von Daten in Strafverfahren für die USA auch einen Zugriff auf die gespeicherten Verbindungsdaten geben. Für die USA würden die Flugdaten in Zusammenhang mit Verbindungsdaten ein exzellentes Werkzeug für die Wirtschaftsspionage darstellen - eine Tatsache, die jedoch der Wirtschaft hier entweder nicht klar ist oder aber als unvermeidbar hingenommen wird. Weitreichenden Protest hat es bisher weder gegen die Passagierdatenweitergabe noch gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung gegeben. Es scheint als habe man die gleiche Haltung angenommen wie die Regierungskoalition in Deutschland, die als Reaktion auf Kritik durch die FDP nur meinte, ihrer Ansicht nach könne man den USA die Daten nicht verweigern.

Michael Chertoff kommentierte die Angelegenheit ein wenig anders: Seiner Meinung nach sei kein "juristisches Vakuum" vorhanden, da die amerikanischen Gesetze eine Datenweitergabe vorschrieben. Sollten die Fluggesellschaften dieser Datenweitergabe nicht nachkommen, so hätten sie mit hohen Geldbußen zu rechnen. Da beispielsweise der Lufthansa bereits, wie oben erläutert, mitgeteilt wurde, dass durch die NRW-Datenschutzbeauftragte keine finanziellen Konsequenzen zu erwarten sind, dürfte es klar sein, dass die Lufthansa nicht gegen einen Datenschutzverstoß entscheiden wird. Die Daten (nicht nur) der EU-Bürger sind somit zur Zeit zum Freiwild geworden und als letzter Akt der informationellen Selbstbestimmung bleibt nur noch eine vorgeschobene Freiwilligkeit, die Reise anzutreten oder eben nicht. Dass für viele (geschäftlich Reisende) diese Freiwilligkeit nicht existiert, bleibt bei der Auseinandersetzung mit dem Thema seitens der Politik außen vor, der Reisende wurde auf den Touristen reduziert.

Die EU-Kommission hat mit der Praxis der Datenweitergabe ohne Rechtsgrundlage ein fatales Signal gesetzt. Ob man es "juristisches Vakuum" oder "ökonomische Erpressung" nennt, ist unerheblich, es bleibt die Tatsache, dass die Daten durch die EU-Kommission nicht geschützt werden und auch ein Urteil des EU-Gerichtshofes unwichtig wird, wenn die USA etwas im Zuge der Terrorbekämpfung verlangen. Es mag ein diplomatisches Dilemma sein, Vertrauen in die EU in Bezug auf Bürgerrechte und Datenschutz kann so nicht entstehen.