Die Amateure kommen

Bürgerjournalismus ist unter Medienprofis umstritten und legt zugleich Mängel des Medienbetriebes offen

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Journalisten als vierte Säule der Demokratie - die klassische Rolle dieses Berufes verblasst auch hierzulande in dem Maße, wie neue Medien bisher unbekannte Informationskanäle schaffen und die etablierte Presselandschaft verändern. Neben den klassischen Medien werden Informationen immer stärker über Internetforen verbreitet, die dokumentieren und kontrollieren. Doch auch unabhängig von den Auswirkungen dieser technischen Entwicklung hat sich das Selbstverständnis von Journalisten verändert, was wiederum den Trend zu alternativen Medien befördert.

Die Studie "Journalismus in Deutschland" unter Leitung des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg wies jüngst nach, dass sich fast 90 Prozent der professionellen Medienmacher nur noch als neutrale "Informationsdienstleister" sehen. Kaum ein Viertel der rund 1.500 Befragten betrachten sich weiterhin als Kontrolleure gesellschaftlicher (Fehl-)Entwicklungen. Noch weniger haben einen politischen Anspruch.

Die so entstandenen Freiräume werden zunehmend von Amateuren gefüllt. Der sogenannte Bürgerjournalismus hat, durch Weblogs und andere technisch einfach zu handhabende Onlineplattformen, Hochkonjunktur. Anders als der von den Hamburger Kommunikationswissenschaftlern charakterisierte klassische Journalismus treibt die Medienamateure meist der explizite Anspruch, Meinungen zu verbreiten. Ihre Texte sind vom subjektiven Blick auf das Geschehen bestimmt, legen Skandale offen oder dokumentieren Vorgänge, zu denen Vertreter klassischer Medien keinen Zugang haben.

Bürgerreporter als Sicherheitsrisiko?

Diese Formen der Veröffentlichungen liefen bislang weitgehend parallel zu den professionellen Medien. Printmedien versuchen nun aber, die Laien an die eigenen Produkte zu binden. Diese fortschreitende Verquickung des Bürgerjournalismus (Die Entdeckung der Bürger) ist eines der derzeit am heißesten diskutierten Themen in der Medienbranche. Die Mehrheit der Fachverbände sieht den Trend zum Bürgerreporter als Zulieferer für professionelle Medien dabei jedoch kritisch. Die Initiative Qualität im Journalismus, ein Zusammenschluss von Medienfachleuten und Wissenschaftlern, warnte unlängst sogar vor ungeahnten Gefahren dieses Laienjournalismus. Die flächendeckende Aufforderung etablierter Medien - etwa der Boulevardzeitung BILD - an Leser, in ihrem persönlichen Umfeld systematisch Informationen für Veröffentlichungen zu beschaffen, berge Gefahren und Risiken für die Bürgerreporter selbst, aber auch für die Medienkonsumenten und schließlich die Qualität der Medien:

"Bürgerreporter" sammeln ggf. Informationen über Personen, ohne hinreichende Kenntnisse über Persönlichkeitsrechte, Datenschutz, die Bedingungen verdeckter Recherche sowie über ethische Standards journalistischer Arbeit zu haben.

Aus der Erklärung der "Initiative Qualität im Journalismus"

Alle Beteiligten seien einem "unkalkulierbaren Haftungs- und Sicherheitsrisiko" ausgesetzt. Die Medienprofis befürchten zudem, dass durch das unkontrollierbare Vorgehen der Bürgerreporter die Arbeitsmöglichkeiten ausgebildeter Journalisten erschwert werden. Doch auch die "Initiative Qualität im Journalismus" erkennt ein "wachsendes Interesse" in der Bevölkerung an, "sich in die journalistische Gestaltung (...) einzubringen".

Darin liegt gleichsam Motiv und Chance der Zusammenarbeit zwischen den klassischen Medien und dem Bürgerjournalismus. Der chronisch kränkelnde Markt der Printmedien hat in Zeiten des Internet ein starkes Interesse daran, die immer losere Bindung zwischen Konsument und Produkt zu stärken. In Deutschland beziehen Blätter wie BILD, die Rheinische Post oder die Süddeutsche Zeitung ihre Leser bereits systematisch in das Tagesgeschäft ein. Die ursprünglich schädliche Wirkung des Internet für den Zeitungsmarkt wird kurzerhand ins Gegenteil verkehrt: Die Leser bekommen auf der Webpage eines Blattes Platz zum Publizieren. Die BILD und die Rheinische Post drucken herausragende Texte und Fotos zudem auf einer Sonderseite nach.

Probleme des Bürgerjournalismus

Zugespitzt wurde die Debatte um die Bedeutung der Laienschreiber für den professionellen Journalismus etwa von dem australischen Medienwissenschaftlers John Hartley, der mit der These für Aufsehen sorgt, jedermann sei ein Journalist. Seine Anhänger hat er damit in Internetforen wie Indymedia gefunden. Der Leitspruch der Melbourner Seite des alternativen Nachrichtenportals lautet, frei nach Hartley, "Everyone is a witness, Everyone is a journalist" (Jeder ist ein Zeuge. Jeder ist ein Journalist). Doch gerade darin wird der Widerspruch deutlich. Journalismus charakterisiert sich nicht alleine durch des Akt des Publizierens.

Wäre dies so, müsste, zugespitzt gesagt, jeder, der einen Bericht über ein Erlebnis mit Klebeband an den nächsten Laternenpfahl haftet, als Journalist bezeichnet werden. Von Hartleys These ausgehend müssen also mehrere Kriterien angesetzt werden, mindestens die Form des Beitrags und die Art des Mediums.

Journalistische Qualität

Gerade in Zeiten der ausufernden Informationsflut qualifiziert sich professioneller Journalismus durch Auswahl und Aufbereitung der Themen. Konkret: Wer professionelle Beiträge konsumiert, will relevante Themen verständlich formuliert geboten bekommen, erwartet also eine Leistung, für die er im Gegenzug zu bezahlen bereit ist. Die Aufgabe von Redaktionen und Journalisten ist es nicht zuletzt, Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Darin liegt zugleich der Hauptunterschied zu Veröffentlichungen von Laien, etwa in Weblogs. Sie sind kostenlos, dafür auch unverbindlich und unabhängig von journalistischen Qualitätskriterien. Was im Netz zu lesen ist, kann wahr und wichtig sein. Es muss aber nicht.

Trotzdem wird Bürger- und professioneller Journalismus gerade von Netzaktivisten beharrlich gleichgesetzt. Ein Beitrag der Mitgliedszeitschrift des Deutschen Journalisten-Verbandes etwa zitiert einen Vertreter des deutschsprachigen Portals Wikinews mit der These, Bürgerjournalisten könnten bei vielen Themen genau so guten Journalismus liefern wie ausgebildete Kräfte - "ohne das Haus zu verlassen oder auch nur zu telefonieren".

Der Grund dafür, so heißt es im Text weiter, liege aber nicht in der Qualität des Bürgerjournalismus, sondern im Qualitätsmangel des professionellen Betriebes, der von Zeit- und Ressourcenknappheit bestimmt sei. Das ist in der Tat eine wenig beachtete Gefahr des neuen Trends: Angesichts fortschreitender Fusionen im Medienmarkt könnten Laienschreiber bezahlte Kräfte in wenig lukrativen Bereichen wie den des Lokaljournalismus verdrängen. Anzeichen dafür gibt es vor allem in den USA, wo sich die Laienberichterstattung unter der Bezeichnung "citizen journalism" mehr als in Europa etabliert hat.

Realität der Laienberichterstattung

In hiesigen Medien bleibt Bürgerjournalismus bislang weitgehend ein Freizeitphänomen. Die entsprechenden Beiträge laufen zudem durch engere Filter, als man zunächst vermuten würde: Auch die bestehenden Onlineforen für Leser von Printmedien werden meist moderiert. Die "Readers Edition" des Nachrichtenportals Netzeitung.de etwa listet die abgelehnten Artikel mit kurzen Begründungen auf, die in jeder Tageszeitungsredaktion Anwendung finden: "teilweise beleidigende Inhalte", "uneindeutige Quellen", "keine Eigenleistung", "persönliche Beschwerde", "PR in eigener Sache", "extrem lang und unverständlich", "kein Nachrichtengehalt".

Bis auf Weiteres bleibt die Einbindung des Bürgerjournalismus demnach, ganz unspektakulär, eine Reaktion der Printmedien auf die strukturelle Krise eines Zeitungsmarktes, der den Lesern stetig neue Anreize bieten muss.