Leuchttürme und unklare Aussichten

Deutschland investiert Milliarden in die universitäre Spitzenforschung. Wem die beschlossenen Maßnahmen nützen, bleibt umstritten

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Wenn Spitzenuniversitäten überhaupt durch Finanzspritzen geschaffen werden können, stehen sie demnächst im Süden der Republik. Denn nur die Universität Karlsruhe (TH), die Universität München und die Technische Universität München wurden am vergangenen Freitag für wert befunden, durch die ebenso neue wie prestigeträchtige Förderlinie „Zukunftskonzepte zum projektbezogenen Ausbau der universitären Spitzenforschung“ unterstützt zu werden.

Bis 2011 bekommen die drei Hochschulen pro Jahr rund 20 Millionen Euro und damit einen erheblichen Teil der durch Bund und Länder vereinbarten Summe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die zwischen 2006 und 2011 im Rahmen der so genannten Exzellenzinitiative in die Förderung der Spitzenforschung investiert werden soll. Über zusätzliche Finanzmittel können sich aber auch 18 Graduiertenschulen (eine Million pro Jahr) und 17 Exzellenzcluster (6,5 Millionen pro Jahr) freuen, von denen knapp die Hälfte ebenfalls in Bayern und Baden-Württemberg angesiedelt ist.

Bei der Verteilung wurden allerdings auch andere Bundesländer und Hochschulen in Bremen, Göttingen, Dresden, Frankfurt oder Bochum berücksichtigt. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) verzichtete bei der Vorstellung der Entscheidung diesmal auf den pathetischen Regierungsjargon und die obligatorische Beschwörung eines „historischen“ Ereignisses. „Ein bedeutender Tag für die Wissenschaft“ sollte es aber doch schon sein, und mit dieser Einschätzung liegt die Ministerin sicher nicht ganz falsch.

319 Anträge – 38 Zusagen

Denn der Versuch, „Kriterien der wissenschaftlichen Qualität, des interdisziplinären Ansatzes, der internationalen Sichtbarkeit sowie der Zusammenführung regionaler Forschungskapazitäten“ (O-Ton Deutsche Forschungsgemeinschaft, zu entwickeln, die Leistungsfähigkeit einzelner Hochschulen mit- und gegeneinander abzuwägen, um daraufhin ein explizit differenzierendes Fördersystem zu entwickeln, ist in der Geschichte der deutschen Bildungspolitik bislang ohne Beispiel.

Umso mehr erstaunt die Geschwindigkeit, mit welcher der aus Politik und Wissenschaft zusammengesetzte Bewilligungsausschuss zu Werke ging. Im Januar dieses Jahres lagen dem Bildungsministerium in Berlin, den zuständigen Ministerien der Länder und den Sachverständigen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Wissenschaftsrats 157 Antragsskizzen für die Förderlinie Exzellenzcluster, 135 Antragsskizzen für die Förderlinie Graduiertenschulen und 27 Antragsskizzen für die Förderlinie Zukunftskonzepte vor.

Nach nur zehn Monaten wurden 140 potenzielle Exzellenzcluster, 117 mögliche Graduiertenschulen und 24 gefühlte Spitzenuniversitäten aussortiert oder auf den Herbst 2007 vertröstet, wenn in der zweiten Runde allerdings nur noch zehn Prozent der in Aussicht stehenden Fördersumme verteilt werden sollen.

Die große Mehrheit der deutschen Universitäten wurde also gewogen und für zu leicht befunden. Irgendetwas ist schief gelaufen, auch bei den sieben Hochschulen, die eine erste Sichtung bereits überstanden hatten und sich bis zuletzt Hoffnung machen konnten, mit oder statt München und Karlsruhe zur Elite-Uni ernannt zu werden, was allerdings vorausgesetzt hätte, das ihnen überdies noch eine Graduiertenschule und ein Exzellenzcluster zugesprochen worden wären.

Dabei hatten alle zehn Universitäten die gleiche Zeit, ihre Anträge zu begründen, und überdies gleichermaßen Besuch von Gutachtergruppen, der sie ihre Zukunftskonzepte präsentieren und ausgewählte Einrichtungen und Forschungsprojekte vorstellen konnten. An deren Kompetenz und Objektivität wollte der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, denn auch keine Zweifel aufkommen lassen.

Die Gutachtergruppen waren mit international hochrangigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzt und jeweils spezifisch auf das Profil und den Antrag der Universität zugeschnitten. Die Experten kamen zur Hälfte aus dem Ausland (11 verschiedene Staaten), zur Hälfte aus Deutschland. Es gab stets Mitglieder mit akademischer Leitungserfahrung und Industrievertreter, in vielen Gruppen Experten für Nachwuchsentwicklung, Gleichstellungsstellungsfragen und Hochschulsteuerung. 17% der Gutachter waren Frauen. Peter Strohschneider

Entscheidung ohne Sachdebatte

Wie die wenigen Damen und vielen Herren zu ihrer Entscheidung gekommen sind, soll den Hochschulen noch mitgeteilt werden, doch schon jetzt sind Zweifel an der Objektivität und wissenschaftlichen Haltbarkeit angebracht. Schließlich fehlt es ganz offenbar an verallgemeinerbaren und allgemein akzeptierten Kriterien für die folgenschwere Bewertung und überdies an der notwendigen Transparenz. Wer auf den Internetseiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach Anhaltspunkten sucht, findet ein kryptisches Tafelbild, das den Verlauf der Begutachtungs- und Entscheidungsverfahren illustrieren soll und ansonsten eine so magere Informationslage, dass sich selbst die zuständige Bundesministerin kurzfristig irritiert zeigte.

Eine Sachdebatte über die vorliegenden Vorschläge der Wissenschaft fand deshalb nicht statt, weil die Struktur der vorgeschlagenen Liste ausschließlich eindeutig, also in der Wissenschaft einstimmig zustande gekommene Vorschläge enthielt. Zweifelsfälle wurden nicht vorgelegt. Letzteres hat bei Bund und Ländern Kritik hervorgerufen, weil nach einer vorangegangenen Absprache davon ausgegangen wurde, dass die heutige Sitzung auch dazu dient, bislang strittige Fälle in gemeinsamer Beratung zwischen Wissenschaft und Politik zu behandeln.

Annette Schavan

Eine Sachdebatte fand also nicht statt. Schavans Parteifreund, der schleswig-holsteinische Wissenschaftsminister Dietrich Austermann, war sich mit den Amtskollegen aus Norddeutschland auch deshalb schnell darin einig, „dass eine Chance verspielt wurde, einen wissenschaftlich begründeten Ausgleich des Süd-Nord-Gefälles vorzunehmen.“ Doch auch im bildungspolitisch bevorzugten Teil der Republik gab es nicht überall Grund zur Freude. Das Rektorat der Universität Heidelberg, die sich bei zahllosen Rankings in der ersten Reihe platzieren konnte, hatte keine Erklärung für die plötzliche Nicht-Berücksichtigung. Man sei „tief enttäuscht“ verlautete aus der traditionsreichen Hochschule, die lediglich für die Graduiertenschule „Fundamental Physics“ und das Cluster „Zelluläre Netzwerke“ Fördergelder bekommen wird. An der Universität Bremen, die mit großen Hoffnungen in die Exzellenzinitiative gestartet war und schließlich nur eine Million pro Jahr für ihre Graduiertenschule „Global Change in the Marine Realm“ zugesprochen bekam, charakterisierte die hauseigene Pressestelle die Stimmung als „gedämpft“. Nach der Berufung unter die „Top 10“ habe man „ein etwas erfolgreicheres Abschneiden insgeheim doch erwartet“. Derzeit wird an der Weser geprüft, ob eine Bewerbung als Spitzenuniversität nun überhaupt noch Sinn macht.

In Würzburg ist dagegen positives Denken angesagt, obwohl sich die hochgesteckten Erwartungen hier ebenfalls nicht erfüllt haben. Die Julius-Maximilians-Universität bekommt Geld für eine “Graduate School for Life Sciences“, verfügt mit dem Rudolf-Virchow-Zentrum, einem DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin, bereits über das für die Nominierung zur Spitzen-Universität notwendige Exzellenzcluster und will sich – so Unipräsident Axel Haase - nun noch einmal dem Wettbewerb stellen.

Wir wussten, dass die Konkurrenz sehr hart ist. Aber das ist wie bei den Olympischen Spielen: Nicht alle der Besten können eine Medaille bekommen. (...) Wir werden nun unser Zukunftskonzept weiter ausarbeiten und uns als eine der besten deutschen Universitäten erneut dem Wettbewerb stellen.

Axel Haase

Durchhalteparolen voll übertriebener Verbindlichkeit verstreuen nahezu alle Universitäten, die sich noch eine minimale Chance auf die zweite Runde ausrechnen. Die vorgesetzten Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik sollen offenbar nicht verärgert werden, und dem regionalen Erklärungsbedarf werden sich die Verlierer im millionenschweren Poker um die begehrten Forschungsgelder früh genug stellen müssen.

Leuchttürme und Problemberge

Unabhängig von der Frage, ob die 1,9 Milliarden Euro gerecht, nach möglichst objektiven Maßstäben und an den Effizienz versprechenden Stellen verteilt werden, wird weiterhin kontrovers über Sinn und Unsinn der gesamten Exzellenzinitiative diskutiert. Zweifellos hat die Ausschreibung die Universitäten angehalten, ihre kritische Lage zu überdenken, manche Defizite aufzuarbeiten oder neue Potenziale zu erschließen, und dieser Beginn eines Modernisierungsprozesses dürfte auch für diejenigen Hochschulen, die keine zusätzlichen Finanzspritzen erwarten können, nicht ohne Folgen bleiben.

Trotzdem erscheint die Bewertung von Peter Strohschneider, der „die Rechnung der Politik“ beim Aufgehen beobachtet und außerdem „eine Hebelwirkung auf das Wissenschaftssystem“ festgestellt haben wollte, die „weit überproportional zu den eingesetzten Mitteln“ sei, deutlich übertrieben. Die aktuellen Maßnahmen der Exzellentinitiative kommen ausschließlich der – vorwiegend naturwissenschaftlichen - Forschung zugute und konzentrieren ihre segensreichen Wirkungen insbesondere auf Regionen und Institutionen, die auch ohne ein Übermaß staatlicher Fürsorge gut ausgestattet sind.

Immerhin verfügt die Ludwig-Maximilians-Universität bereits über ein Jahresbudget von rund 380 Millionen Euro und jährliche Drittmitteleinnahmen in der für Deutschland astronomischen Höhe von etwa 130 Millionen Euro. Um finanziell in der Weltspitze mitzuspielen, reicht allerdings weder dieser Betrag noch das zu erwartende Geld für die deutschlandinterne Beförderung zur Spitzenuniversität. Die Universität Zürich kann annähernd mit dem doppelten Etat planen, und die Elite-Universitäten in den Vereinigten Staaten verfügen bekanntlich über noch mehr Handlungsspielraum, was freilich auch zu einer völlig unsinnigen Konzentration geführt hat.

Die Problemberge der deutschen Bildungslandschaft werden durch den Bau von drei Leuchttürmen nicht abgetragen. Und auch die breitere Streuung von Graduiertenschulen und Exzellenzclustern kann kaum dazu beitragen, dass sich an der vielerorts katastrophalen Situation von Lehre, Betreuung oder Ausstattung Entscheidendes ändert. Hier wäre eine Mängelliste eher am Platz gewesen, aber vielleicht ist die Idee eines umgekehrten Uni-Rankings, das Deutschlands erfolgloseste Bildungsinstitute mitsamt den Gründen für ihre scheinbare Überflüssigkeit bilanziert, einer düsteren Zukunft vorbehalten.

Gute Verlierer: Studenten feiern Ausscheiden beim Elite-Wettbewerb

Gesellschaftliche Impulse, die von einer umfassenden Hochschulreform ausgehen könnten und sollten, sind in der momentanen Situation jedenfalls unerwünscht. Elite-Hochschulen, die den Nachweis eine solche zu sein, noch schuldig bleiben, aber sich erst einmal prophylaktisch zur besten Universität Deutschlands erklären, interessieren sich für Erfolgsmeldungen und Fortschritte in klangvollen Zukunftsbereichen wie Neurowissenschaften, Protein-Forschung, Photonen-Technologie oder multifunktionalen Nanosystemen. Hinweise auf die eigene Personalsituation – von den 696 Professoren an der Ludwig-Maximilians-Universität sind gerade einmal 67 Frauen -, die Proteste der „Kundschaft“ gegen Studiengebühren und – bedingungen oder die Befürchtung des AStA, die Fördergelder könnten gleich wieder durch Haushaltskürzungen aufgezehrt werden, übersieht die Hochschulleitung geflissentlich. Der UStA der ebenfalls ausgezeichneten Universität Karlsruhe hat übrigens schon im Sommer dieses Jahres andere Prioritäten vorgeschlagen und Rektor Horst Hippler, der nun ein „neues Zeitalter“ für seine Hochschule anbrechen sieht, scharf kritisiert.

Es ist der blanke Hohn, mit dieser spezifischen Elite-Förderung über die gravierenden Mängel im Fundament des deutschen Hochschulwesens hinwegtäuschen zu wollen Wenn Rektor Hippler jetzt zu eigenen finanziellen Gunsten die Debatte um die soziale Verfassung unseres Bildungssystems scheut, hat er die Tiefe der Verwerfungen nicht begriffen.

Boris Bartenstein / UStA Uni Karlsruhe

Die Karlsruher Studentenvertreter forderten „Licht statt Leuchttürme“ und plädierten für eine kritische und unabhängige Wissenschaft, „um in den aktuellen gesellschaftlichen Krisen angemessene Auswege und kreative Ideen aufzuzeigen.“ Das kIingt vergleichsweise überzeugend, aber von „kreativen Ideen“ war von Anfang an keine Rede – nicht einmal in der Bund-Länder-Vereinbarung über die Exzellenzinitiative zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen, die am 18. Juli 2005 verabschiedet wurde. Unter diesen Umständen ist es vielleicht zwingend notwendig, dass der AStA der Freien Universität Berlin die Nicht-Nominierung der FU „mit Freude und Erleichterung“ zur Kenntnis nimmt und derzeit das Ausscheiden aus dem Elite-Wettbewerb "feiert". Andernorts knallen schließlich auch die Sektkorken, und wenn die Chancengleichheit im deutschen Bildungswesen schon in keinem anderen Bereich mehr hergestellt werden kann, dann sollten die Studierenden hier die letzte Möglichkeit nutzen.