Schöner und intelligenter mit großem Penis oder spitzen Brüsten …

Ein Wissenschaftler erzählt ein Evolutionsmärchen über die Zukunft der Menschheit, in der sich nach einem genetisch-ästhetischen Höhepunkt Ober- und Unterschicht auch genetisch in zwei Rassen aufspalten sollen

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Von Seiten christlicher und muslimischer Fundamentalisten wird die Evolutionstheorie abgelehnt, weil sie letztlich die Allmacht des Schöpfergottes untergräbt und die Schöpfungserzählungen in der Bibel bestreitet. Zuviel wird dem Zufall überlassen, die Geschichte hat ebenso wenig einen Endzweck wie das Leben des Einzelnen. Normalerweise versucht Evolutionstheorie die Entwicklung des Lebens aufgrund der darwinistischen Prinzipien nachzuvollziehen, ein britischer Wissenschaftler hat sich nun auch ins Geschäft der evolutionstheoretischen Prophetie begeben.

Eigentlich sollte der Blick in die Zukunft aus der evolutionären Perspektive nur höchst bedingt, wenn überhaupt möglich sein. Weil aber der Evolutionstheoretiker und Sozialwissenschaftler Oliver Curry von der London School of Economics einen Evolutionsbericht für den TV-Sender Bravo aufstellen sollte, war er wohl versucht, tief ins Spekulative zu langen, um außerordentliche Vorhersagen zu machen. Man bedient nicht skeptische Wissenschaftler, sondern Zuschauer, die interessiert werden sollen. Dafür ist denn eher das Wahr-Scheinliche oder Mögliche geeignet, also eine Art Science Fiction.

Verlegen ist Oliver Curry jedenfalls nicht, wenn es um starke Thesen geht. Passend zur sozialen Situation – und noch mehr zur aktuellen Diskussion über die wachsende Unterschicht in Deutschland – prophezeit er, dass die Menschheit sich auch genetisch in zwei Unterarten verzweigen wird – wenn auch erst in 100.000 Jahren. Dann gäbe es, wie Science Fiction-Autor H. G. Wells in seinem Roman „Die Zeitreise“ mit den aus den Klassen entstandenen Rassen der Elois und der unter der Erde lebenden, versklavten Morlocks eine genetisch unterschiedliche Ober- und Unterschicht.

Die reichen, gut ausgebildeten, gesunden und gut ernährten Angehörigen der Oberschicht könnten sich nur noch miteinander paaren und sich so allmählich nicht nur sozial, sondern auch genetisch von den Angehörigen der Unterschicht abspalten. Die privilegierten Menschen würde nach ihm zu einer „grazilen“ Unterart des Menschen werden, die dünn, groß, symmetrisch, kreativ und intelligent sind. Dafür weichen die Unterschichtler auch vom ästhetischen Ideal ab, werden kleiner und dicker, natürlich wären sie auch weniger intelligent und von eher asymmetrischen Körperbau. Unter die Erde will Curry die Unterschichtszwerge offenbar nicht verbannen, aber wahrscheinlich leben die Schönen, Klugen und Reichen dann vermutlich in gated Communities hinter Mauern in den angenehmeren Teilen dieser Welt.

Für die nähere Zukunft gibt es aber auch schon Veränderungen. In 1000 Jahren würden die Menschen – aber dann wohl nicht die der Unterschicht? – normalerweise um die zwei Meter groß sein und 120 Jahre leben. Vor der prognostizierten genetischen Aufspaltung der Menschheit in zwei biologische Klassen würde diese aber in 3000 Jahren erst einmal einen Höhepunkt erreichen.

Die körperliche Erscheinung würde sich bis dahin kontinuierlich verbessern, die Menschen gesünder, jünger und fruchtbarer sein. Die Männer sieht der Wahrsager mit symmetrischeren Gesichtszügen, einem athletischen Körperbau, einer tiefen Stimme und einem größeren Penis. Die Frauen würden hingegen leichter und ebenmäßiger werden und hätten größere Augen, spitzere Brüste und glattere Haare. So würden sich wohl Züchter das Menschengeschlecht vorstellen, das den Stereotypen entspricht. Die jetzt bestehenden Unterschiede würden aber verschwinden, übrig bliebe eine uniforme Rasse mit kaffeeschwarzer Haut. Angetrieben würden die Veränderungen vor allem durch die sexuelle Selektion, aber auch bessere Medizin und Ernährung würden zusammen mit kosmetischer Chirurgie das Menschengeschlecht verschönern. Dann aber könnte es Schritt für Schritt oder Gen für Gen zumindest für einen Teil der Menschheit abwärts gehen.

Schon in 10.000 Jahren könnten sich die Menschen durch die immer stärkere Abhängigkeit von der Technik verändert haben, meint Curry. Sie würden durch die technischen Hilfsmittel Haustieren ähnlicher, also unselbständiger werden. Sie könnten, so stellt es sich der prophezeiende Wissenschaftler vor, soziale Fertigkeiten wie die Fähigkeit verlieren, mit anderen zu kommunizieren oder zu interagieren. Sie wären weniger imstande, sich um ihre Mitmenschen zu kümmern, und könnten auch nicht mehr so gut in Teams arbeiten. Aus wäre es dann mit Liebe, Vertrauen, Sympathie oder Respekt. Es könnte auch sein, dass gerade durch die bessere Medizin neue Gesundheitsprobleme entstehen, beispielsweise ein schwächeres Immunsystem. Durch das längere Leben würden auch die genetischen Ursachen für Krankheiten wie Krebs verstärkt werden. Oder Kinn und Kiefer würden sich verändern, wenn die Menschen durch vorverarbeitete Lebensmittel immer weniger kauen müssten.

“Obwohl Wissenschaft und Technik das Potenzial besitzen, eine ideale Lebenswelt für die Menschheit für das nächste Jahrtausend zu schaffen”, so Curry, “gibt es die Möglichkeit eines genetischen Katzenjammers dank des übermäßigen Vertrauens auf die Technik, wodurch die natürliche Fähigkeit, Krankheiten zu widerstehen oder mit anderen Menschen auszukommen, vermindert wird. Danach werden die Dinge hässlich, mit der Möglichkeit der Entstehung von genetischen ‚haves’ und ‚have-nots’.“

Man sollte allerdings meinen, dass zumindest die Feudalgesellschaft bereits versucht hatte, die Menschheit in biologische Klassen aufzuspalten. Das würde wohl auch in Zukunft nur um den Preis der Erstarrung und mit massiver Repression möglich sein. Die faschistischen Rassenzüchter und –hygieniker hatten zu wenig Zeit. Und ob angesichts der Warnungen vor der zunehmenden Verfettung der Menschen Langlebigkeit und ästhetische Perfektion wirklich anstehen, ist ebenso fraglich wie die Unterstellung, dass in näherer Zukunft die krassen Unterschiede zischen Reichen und Armen zumindest zeitweise schrumpfen würden. Zudem nutzen die Menschen nicht nur Technik, essen oder paaren sich, sondern handeln auch politisch und verändern ihre Umwelt. Aber die Zukunft dürfte so oder so nicht so einfach aus ein paar Variablen ableitbar sein, was das Ganze zu einem Märchen macht, das mehr über den Wissenschaftler und vielleicht seine Zeit verrät, als über mögliche Zukünfte.