"Piep piep piep - wir ham’ uns alle lieb!"

Medientage 2006: Öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk kuscheln miteinander gegen die bösen Telcos

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Die letzten Jahre interessierte sich der öffentlich-rechtliche und private Rundfunk scheinbar nur noch für „IP“ – Programmabstrahlung vermeintlich modern über Internet statt traditionell über Funkfrequenzen. Da sich deshalb mittlerweile auch Telekommunikationsunternehmen für die bisherigen, scheinbar nicht mehr benötigten Rundfunkfrequenzen interessieren, besinnt man sich nun erschrocken doch zurück auf das „Funk“ im Rundfunk. Digital wird er aber – und zwar auch das Radio!

Das Thema der Medientage 2006 lautet „Medien auf Abruf – Folgen der Individualisierung für die Kommunikationsgesellschaft“. Einerseits werden normale Rundfunksendungen mit Empfangsgeräten wie digitalen Satellitenempfängern mit integrierter Festplatte ("Premiere" digital auf Festplatte aufzeichnen, MP3 und Filme zum Download über Satellit) immer mehr zunächst nur aufgezeichnet und erst später zeitversetzt angesehen. Andererseits werden über das Internet oder Mobilfunknetze (Ist es Vodafone Live - oder doch nur eine Aufnahme?) immer mehr Sendungen sowie einzelne Audio- und Videoclips konkret bei Bedarf abgerufen und auch – beispielsweise bei Podcasts – wiederum zeitversetzt mobil konsumiert. Der Alptraum von EPIC 2015 als mögliche Zukunft der Medien eröffnete als Warnung die Veranstaltung.

Ein zahm gewordener bayrischer Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber hielt sich am Rednerpult fest (Bild: W.D.Roth)

Längen in Beitrag oder Werbung werden dabei einfach im schnellen Vorlauf übersprungen, was natürlich alleine schon den Sendern Sorge macht. Doch auch insgesamt wird der Medienkonsument mündiger und verzehrt nicht mehr einfach widerspruchslos das ihm vorgesetzte Kantinen-Massenmedium „Rundfunk“, sondern sucht sich Hauptgang und Beilagen höchst individuell zusammen, aus Tausenden von Satelliten- und Internetangeboten. Selbst, wenn der eigene Sender dabei gut wegkommt, löst diese Selbstbestimmung des Kunden bei vielen Medienanbietern Urängste aus.

Doch bange sein hilft nicht weiter. Während in den 70er-Jahren das Auftauchen ausländischer Radiosender aus Österreich (die öffentlich-rechtliche Popwelle Ö3) und Südtirol (Privat-„Piratensender“ wie Radio Bavaria International oder Radio Brenner) den bayrischen Rundfunk zum Aufbau von „Störsendern“ (B 4 Klassik gegen die Südtiroler „Musikpiraten“ oder ein weiterer Füllsender von Bayern 3 auf 99,2 MHz direkt neben dem um München meistgehörten Ö3-Sender auf 99,0 MHz) animierten und zur Jahrtausendwende dasselbe im Internet versucht wurde, hat man inzwischen die Sinnlosigkeit derartiger Unternehmen eingesehen. „Die Zeit der Frequenzverstopfung ist vorbei“, erklärte Fritz Raff, Intendant des saarländischen Rundfunks und ab 1. Januar 2007 als Nachfolger von Thomas Gruber auch neuer ARD-Vorsitzender. Und „Analoge Inseln kann es nicht geben“, auch das Radio muss digital werden, so Raff weiter.

Fritz Raff, der am kaum besuchten Vortragspanel „Wellenkonferenz RRC 2006: Folgen für Frequenzverteilung und Programmkonzepte im Hörfunk“ teilnahm, machte insgesamt einen angenehmen Eindruck und könnte, ebenso wie zuvor Gruber, den früheren Hardliner-Kurs der Altherrenrunden vermeiden und die ARD modernisieren. Wozu auch die Nutzung des zuvor von eben jenen alten Herren bekämpften Digitalradios DAB gehören wird, das nun seit einem Jahrzehnt in Deutschland immer wieder virtuell zu Grabe getragen wird, während es in England zum Erfolg wurde.

“Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird nicht mehr das Geld haben wie in der Vergangenheit, er muss zukünftig Qualität statt Quantität bieten. Hierarchien werden zugunsten von Projektarbeit verschwinden“ Fritz Raff, Intendant des saarländischen Rundfunks (Bild: W.D.Roth)

Das lange bei vielen Landesrundfunkanstalten ungeliebte, weil vom bayrischen Rundfunk geförderte, Kind ist längst erwachsen und deutschlandweit flächendeckend auf Sendung. Auch Geräte gibt es mittlerweile genügend mit langsam auch akzeptablen Preisen, sofern man nicht gerade den Billigradiowecker für 8 Euro als Maßstab nimmt, der auch heute nur drei Sender akzeptabel empfängt. Satelliten- oder Kabelempfang setzt sich bei Radio zwar auch immer mehr durch, ist aber beispielsweise im Auto keine Lösung (Digitalradio im Auto). Doch DAB hat entgegen mancher Vermutungen keine mächtige Lobby im Hintergrund – und vor allem trotz einzelner Highlights kein für die Mehrheit interessantes Programm: Für bislang flächendeckend maximal acht Programme, von denen nur einige nicht ohnehin schon auf UKW zu empfangen sind, schafft sich kaum jemand ein neues Gerät an. Nur in den Städten kam ein zweites Bouquet mit nochmals sieben oder acht Programmen hinzu, das dann aber im sogenannten L-Band unter Empfangsproblemen litt.

Im Frühjahr kam Besserung in Sicht (Mehr Frequenzen für digitales Radio): Die Wellenkonferenz RRC 2006 sollte die früheren analogen Fernsehkanäle im Band III (VHF), IV und V (UHF) komplett für die digitale Nutzung für DAB und DVB-T umwidmen. Damit waren drei ehemalige Fernsehkanäle im Band III für DAB denkbar, die damit auf jeweils vier DAB-Kanälen mit dann wiederum jeweils sieben oder acht Programmen ordentlichen Empfang sichern können – das ungeliebte L-Band könnte man für Radio aufgeben und dem Handy-Fernsehen DMB überlassen.

Was nun aber auf den Medientagen bekannt gegeben wurde, verändert die Situation komplett: Die ARD wird „ihre“ vier für DVB-T verbleibenden Kanäle im VHF-Band III ebenfalls für DAB frei geben, wenn sie dafür im Ausgleich andere DVB-T-Frequenzen im UHF-Band IV und V erhält. Dies ist durchaus sinnvoll, da so eine UHF-Antenne zukünftig den digitalen Fernsehempfang komplett abdecken kann, während bislang nur für das ARD-Paket bei Empfang mit klassischen Dachantennen noch eine zusätzliche, deutlich größere, VHF-Antenne notwendig war (Fußballballett). DAB hätte nun dafür auf einen Schlag sieben ehemalige TV-Kanäle zur Verfügung, von denen nur einer (K12) vom Verteidigungsministerium in der Leistung begrenzt wäre und könnte damit landesweit mindestens sieben Bouquets ausstrahlen. DVB-T will die ARD nun übrigens auch ohne Teilnahme der privaten Fernsehsender deutschlandweit einführen bzw. ihre vorhandenen Fernsehsender mit dem Ende der analogen Ausstrahlungen nicht abschalten, sondern auf Digitaltechnik umbauen.

“Wir verkaufen auch Handys!“: Christian Mager, Geschäftsführer von Big FM und RPR, hat keine Berührungsängste mit der Telekommunikation (Bild: W.D.Roth)

Da jeder Fernsehkanal ja vier DAB-Kanäle enthält, wäre auch der sogenannte „Overspill“, der bislang übliche Empfang von grenznahen Sendern auch im Nachbar-Bundesland, weiter realisierbar. Allerdings wird dies nicht dazu führen, dass die ARD nun alle 60 Radiokanäle bundesweit abstrahlt, wie Hans-Dieter Hillmoth, Vizepräsident des VPRT und Geschäftsführer von FFH, befürchtete – man wird die bisherige 50:50-Regelung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosendern bei dieser Kanalanzahl im Digitalradio nicht mehr aufrechterhalten, sondern den privaten Sendern mehr Kanäle geben, auch wenn die öffentlich-rechtlichen Sender ebenfalls noch neue Programme aufbauen, so wie der saarländische Rundfunk eine Art „Arte Radio“, nämlich das in Zusammenarbeit mit Radio France International, Südwestrundfunk und dem Fernsehkanal Phoenix erstellte Inforadio Antenne Saar, das über DAB und Mittelwelle abgestrahlt wird.

In heutiger DAB-Technik mit MPEG 1 Layer 2 als technischer Grundlage hätte man Platz für mindestens 49 Programme – deutlich mehr, als heute in akzeptabler Qualität mit normalen Antennen auf UKW zu empfangen sind. Allerdings wird DAB voraussichtlich modernisiert und der aktuellere Codec MPEG 4 AAC eingeführt. Die DAB-Altgerätebesitzer bekommen möglicherweise ein „Upgrade“-Angebot und die Kanalzahl bei sechs realisierten Programmpaketen stiege auf 60 bis 180 Radioprogramme, da so 10 bis 30 Programme in ein Paket passen. Mit „Visual Radio“, Radio mit Standbildern, blieben 42 bis 90 Programme und selbst Handy-TV böte noch 18 bis 24 Programme. Dieses wird man aber voraussichtlich in den vom Radio aufgegebenen L-Band-Kanälen abwickeln. Die Handy-Fernseher können dann natürlich auch die reinen Radioprogramme empfangen. Mit einer derartig hohen Kanalzahl hätten auch terrestrisch abgestrahlt endlich Spartenprogramme eine Chance, wie sie bislang nur Satellit und Internet bieten.

Überraschend war allerdings die Einstimmigkeit der früheren Gegner öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk. Seit der Jahrtausendwende sieht der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwar ohnehin seine Hauptgegner nicht mehr bei den kommerziellen Rundfunksendern, sondern bei der individuellen Telekommunikation, im Internet. Doch nun droht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkern prompt die Rache der Telekommunikationsunternehmen: Nach EU-Bestimmungen sind nämlich ungenutzte Frequenzen an die Verwaltungsbehörde, die Bundesnetzagentur, zurückzugeben – und können dann von anderen Interessenten angefordert werden, also auch beispielsweise von Mobilfunkbetreibern. Da hat man doch lieber einen Gegner, den man seit Jahren kennt…

“Es wäre ein Armutszeugnis, wenn man das Moratorium nicht um ein Jahr verlängern könnte, statt wegen der PC-Gebühr ein Fass aufzumachen!“ Jürgen Doetz, VPRT (Bild: W.D.Roth)

Wenn es nach der EU geht, wären die digitalen Rundfunkfrequenzen ohnehin zu versteigern, mit allerdings möglicherweise ebenso katastrophalen Folgen wie bei den UMTS-Frequenzversteigerungen: Mit dieser handfesten Drohung eröffnete Dr. Wolf-Dieter Ring die Veranstaltung. Doch „Rundfunk ist kein bloßes Wirtschafts-, sondern ein Kulturgut“, gab der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber zu bedenken. Er hatte sich überraschenderweise von einem deutlichen Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 2004 ("Von einer Krise wird heute nicht gesprochen") zu einem kuschelnden Befürworter gewandelt. Dass er allerdings als Begründung für diesen Sinneswandel dessen Berichterstattung vom „wichtigsten Ereignis 2006, dem Papstbesuch“ (Eine Stadt macht Papa-Mobil) angab, führte zu Heiterkeit im Saal – offensichtlich waren auch Nichtbayern anwesend.

Ein großes Image-Problem haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender mit der Rundfunkgebühr für Computer mit Internetzugang (Das Internet wird gebührenpflichtig!) trotz der vorläufigen Reduzierung auf eine Radiogebühr (Was zahlt man ARD und ZDF ab 2007 für den Zugang zum Internet?) eingehandelt: Wenn auch nach mehr als einem Jahr Tiefschlaf, so sind doch inzwischen Politik und jede Menge Verbände erwacht und protestieren. Auch Stoiber stellte klar: „Wer früher ein Radio kaufte, wollte Radio hören. Das kann man einem PC-Käufer nicht so einfach unterstellen“. Während der ARD-Vorsitzende Dr. Thomas Gruber zu diesem Zankapfel weise schwieg, polterte der ZDF-Chef Prof. Markus Schächter los und schimpfte über eine „demagogische Diskussion aus dem Sommerloch“, um dann bekanntzugeben, nur 38.000 Computerbesitzer seien überhaupt von der neuen Gebühr betroffen. Woher diese Zahl stammt, bleib allerdings unklar.

Doch aller Unmut und die zahlreichen Appelle auch von Stoiber und dem VPRT-Vorsitzenden Jürgen Doetz, das Gesetz noch ein Jahr auszusetzen oder haushalts- und nicht gerätebezogen abzurechnen, halfen nichts: Die Internet-Rundfunkgebührenpflicht wurde trotzdem einen Tag später endgültig abgesegnet! Ob nun jeder brav seinen PC anmeldet? Vermutlich nicht – und dass in Schweden dieser Tage zwei Minister zurücktreten mussten, weil sie als TV-Schwarzseher ertappt wurden, ließ Focus-Chef Helmut Markwort auf eine Kabinettsumbildung auf diesem Wege hoffen, wenn ein Minister Arbeit mit nach Hause nimmt und seinen dort dienstlich genutzten PC nicht als Rundfunkempfangsgerät gemeldet hat.

Haut auch mal auf den – nicht vorhandenen – Tisch: Dr. Hubert Burda zum Auftakt der Münchner Medientage (Bild: W.D.Roth)

Was die vielbeschworene höhere Programmqualität der öffentlich-rechtlichen Sender betrifft, war der Verleger Dr. Hubert Burda keinesfalls überzeugt. Bezugnehmend auf die Telenovelas schimpfte er: „Burda hatte diese Fortsetzungsromane in den Gründerjahren schon im Programm, Sie nehmen sie mit 40 Jahren Verspätung in Ihres!“. Dr. Burda legte auch auf die Unterschiede zwischen TV und Internet großen Wert, obwohl sein Verlag beides anbietet, nur Dr. Kofler als Chef von Premiere lobte IP-TV – was bleibt ihm auch anderes übrig, wo er die Bundesligaspiele aus Lizenzgründen nur im Internet anbieten kann…

Was DAB zehn Jahre lang war, das ungeliebte Aschenputtel, wird zukünftig dafür HDTV sein: „Dank“ der durch die Filmbranche veranlassten Kopierschutzschikanen (Analog, Digital - sch...egal, Hauptsache TV-Gucken wird illegal!) sind die wenigen lieferbaren HDTV-Receiver mit den HDTV-Fernsehern oft nicht kompatibel (Jetzt treibt es das Fernsehen noch bunter!) und es kann bislang nicht aufgezeichnet werden. Das entsprechende Vortragspanel der Medientage stand prompt unter dem niederschmetternden Motto „Hohe Auflösung, niedrige Verbreitung“ und wurde auch umgehend niedergeschmettert, da es keinen eigenen Veranstaltungsraum zur Verfügung hatte, sondern in einer Halle mit einer wesentlich mehr Lautstärke produzierenden und Applaus kassierenden Rapband untergebracht war.

Zwar kann der Satellitenbetreiber Astra die europaweite Übertragung von 19 kommerziellen HDTV-Programmen vermelden, die aber nur in wenigen Ländern legal gesehen werden dürfen und zu den frei empfangbaren HD-Kanälen von Pro 7 und Sat 1, die aber meist nur hochskalierte Standard-Programme abstrahlen und dem weniger bekannten Gemüseladen Anixe HD sowie dem Trailer-Kanal HD5 von Euro 1080 soll zukünftig auch Arte HD kommen – bislang wird allerdings selbst das normale Arte-Programm digital noch mit schwarzen Balken abgestrahlt, wenn 16:9-Material gesendet wird.

Setzt auf IP-TV – und etwas weniger HD-TV: Dr. Georg Kofler, Premiere (Bild: W.D.Roth)

Dafür legt Premiere nach dem Verlust der Bundesliga-Fußballrechte und dem Ende der Fußballweltmeisterschaft seine Programme „Premiere HD Sport“ und „Premiere HD Film“ zu „Premiere HD“ zusammen – die Filmfans werden sich vorkommen wie beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn zukünftig statt Filmen am Abend Sport läuft, was aber auch schon während der Fußballweltmeisterschaft gemacht wurde, um zwei HD-Kanäle zur Verfügung zu haben. Und mit dem nicht von Kopierschutz verkomplizierten Sportgucken in HD dürfte es damit auch vorbei sein. Nur der unabhängig finanzierte Discovery-HD-Kanal bleibt bei Premiere als solcher bestehen. Eurosport will dafür mit einem HD-Kanal ins Pay-TV einsteigen.

Bislang hat Premiere jedoch erst 40.000 HDTV-Kunden und hofft auf einige 100.000 – der Boom durch die Fußball-Weltmeisterschaft blieb aus, weil nicht genügend HDTV-Empfänger zur Verfügung standen und nun mangelt es an der Software, dem Programm. Die öffentlich-rechtlichen Sender warten dagegen ab (ARD: Fußball ja, HDTV nein!) und Eckhart Matzel vom ZDF erklärte, man sollte wenigstens 20% HD-Material zur Verfügung haben, bevor man den HDTV-Sendebetrieb beginnt. 10 bis 12 Jahre setzt Matzel als realistischen Zeitrahmen für die Umstellung an und betont „wenn wir die Analogabstrahlung abschalten, ist auch das Geld für HDTV da“. Dr. Henning Röper von Solon Marketing Consulting, der die Podiumsdiskussion moderiert hatte, wünschte sich dagegen, dass es zukünftig keine solchen speziellen HDTV-Veranstaltungen auf den Medientagen mehr geben werde. Dies könnte durchaus eintreffen, doch anders, als Dr. Röper sich dies erhofft hatte…