Unter Verdacht

Der in Deutschland zugelassene Gentech-Mais MON 810 ist nicht ausreichend geprüft, befinden österreichische Behörden

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Bereits seit Dezember 2005 ist der Gentech-Mais MON 810 in Deutschland für den uneingeschränkten kommerziellen Anbau zugelassen. Österreich hingegen hat seit langem ein Importverbot für diese Sorte verhängt, was der EU-Kommission ein Dorn im Auge ist. Brüssel macht deshalb Druck auf die Behörden in der Alpenrepublik. Dort hat man jetzt aber eine aktuelle Studie veröffentlicht, wonach die Risikoabschätzung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) keine hinreichend verlässlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Sicherheit von MON 810 ermöglicht. Der Bann soll vorerst aufrecht bleiben.

Diverse gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) wurden bereits vor dem De-facto-Moratorium zwischen 1998 und 2004 auf EU-Ebene zugelassen. Dazu zählen auch die beiden Gentech-Maislinien MON 810 aus dem Hause Monsanto und T 25 von Bayer. Die Zulassungen wurden nach der damals gültigen Freisetzungs-Richtlinie 90/220 (Saatgut, Verarbeitung) sowie nach der Novel Food-Verordnung 258/97 (Lebensmittel) erteilt. Inzwischen hat man die Richtlinien überarbeitet und in manchen Punkten verschärft. Doch die nach altem Recht erteilten Genehmigungen wurden nach Ende des Moratoriums 2004 in den meisten Fällen einfach verlängert und, wie es in der Fachsprache heißt, die GVOs als "existierende Produkte" notifiziert. Teilweise forderte die zuständige EU-Behörde, die European Food Safety Agency (EFSA), dafür neue Unterlagen und Tests. In der Praxis hätte man aber zu wenig kontrolliert und sei zu unsystematisch vorgegangen, bemängeln Kritiker.

Diese Kritik kam keineswegs nur von angeblich „verblendeten“ Öko-Aktivisten. Mehrere Länder, darunter auch die neuen Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn, verhängten Importverbote über MON 810. Zuvor hatte Österreich bereits beide Linien auf den Index gesetzt, was unter anderem auch Gegenstand der Verhandlung vor dem Welthandelsorganisation war (WTO-Gentechnikurteil könnte EU-Länder stärken). In weiser Voraussicht und wohl wissend, dass die EU-Kommission nationalstaatliche Verbote von zugelassenen Sorten gar nicht gerne sieht, ließen sich die österreichischen Behörden einige schlaue Studien einfallen und ausarbeiten, um ihre Einwände wissenschaftlich zu untermauern.

Sie holten sich von der EFSA für eine ganze Reihe von GVP die Volltextdossiers und nahmen diese genau unter die Lupe. So wurden die von den Herstellerfirmen eingereichten Unterlagen ebenso untersucht, wie die angewandten beziehungsweise von der EFSA propagierten Methoden zur Risikobewertung. Eine dieser Studien trägt den sperrigen Titel „Toxikologie und Allergologie von GVO-Produkten. Untersuchungen zur Praxis und Empfehlungen zur Standardisierung der Sicherheitsbewertung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln“. Der Forschungsbericht wurde 2003 herausgegeben und sollte zur Pflichtlektüre all jener zählen, die gerne davon sprechen, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel die „am besten geprüften Lebensmittel“ sind. Die Studie ist interdisziplinär angelegt und wurde u.a. unter Mitwirkung des international renommierten Mediziners und Allergieexperten Dr. Rudolf Valenta erarbeitet.

Die Ergebnisse zum Status quo (Stand der Volltextdossiers 2002) der EFSA-Sicherheitsbewertung waren ernüchternd. Hinsichtlich möglicher Toxizität (Giftigkeit) resümierten die Forscher: „Es ist nicht verwunderlich, dass bis jetzt keine toxischen Wirkungen der GVP gefunden wurden, da auch nicht systematisch danach gesucht wurde.“ Was nichts anderes heißt als dass man, wenn man nicht danach sucht, eben auch nichts findet. Auch die Abschätzung möglicher Allergierisiken weise gravierende methodische Mängel auf und sei oft unsystematisch, so die Wissenschaftler. Inzwischen finden die Forscher mit ihren Einwänden auch auf EU-Ebene Gehör.

Doch eine Neubewertung der GVOs würde Zeit in Anspruch nehmen. Und das dauert der EU-Kommission offensichtlich zu lange. Sie hat kürzlich erneut die Zulassung der beiden GV-Maislinien gefordert. Die Österreicher brachten indes ihre Studien auf den neuesten Stand. Die Mängel und Schwächen in der bisherigen Risikobeurteilung seien nicht ausgeräumt, so die Meinung des Gesundheitsministeriums. Die aufschlussreichen Ergebnisse sind als deutsche Zusammenfassung auf der Homepage des Ministeriums nachzulesen und gliedern sich in umwelt- wie gesundheitsrelevante Aspekte. Kritisiert wird etwa, dass mögliche Nebeneffekte bisher immer wieder ausgeblendet wurden. Das Urteil der Forscher:

Die Abschätzung möglicher toxischer oder allergener Risiken konzentriert sich ausschließlich auf die neu eingebrachten Proteine und blendet mögliche unbeabsichtigte Sekundäreffekte der genetischen Veränderung auf die gesamte Pflanze weitgehend aus. Die Bedeutung von nicht-beabsichtigten Sekundäreffekten wurde mehrfach in internationalen Expertenkonsultationen unterstrichen, unter anderem auch seitens FAO/WHO und Codex Alimentarius. Kürzlich wies auch die Europäische Kommission auf die Bedeutung von toxikologischen Fütterungsstudien und Allergenitätsstudien mit der gesamten Pflanze für die Abschätzung von derartigen nicht-beabsichtigten Effekten hin.

Bei der Einschätzung des Allergierisikos wären Methoden angewandt worden, die keineswegs State-of-the Art sind und häufig zu falschen Ergebnissen führen:

Die Abschätzung möglicher allergener Risiken basiert im Wesentlichen auf Homologievergleichen der zusätzlichen Proteine mit bekannten Allergenen, in-vitro Verdauungsstudien und Erfahrungen mit der sicheren Anwendung der Proteine (in beiden GV-Maislinien), geringer Konzentration des Proteins in der Pflanze (GV-Mais MON810) und der Abwesenheit von Glykosylierung (GV-Mais T25). Neuere wissenschaftliche Erkenntnissen haben jedoch gezeigt, dass diese Methoden keine hinreichend verlässlichen Rückschlüsse über die allergenen Risiken ermöglichen und sowohl zu falsch-positiven als auch zu falsch-negativen Ergebnissen führen können.

Nach Meinung der österreichischen Wissenschaftler wurden auch wesentliche Fragen zu Umweltrisiken durch die EU-Behörden nicht ausreichend abgeklärt. So würden in beiden Fällen akzeptable Monitoringpläne fehlen. Das Gesundheitsministerium will deshalb an dem Import-Verbot festhalten, „solange die in dieser Studie aufgezeigten Unsicherheiten und offenen Fragen zur Risikobewertung nicht geklärt worden sind“. MON 810 schnitt in den meisten Punkten übrigens wesentlich schlechter ab als der herbizidresistente Bayer-Mais T 25. Monsanto hätte der EFSA überaus dürftige Unterlagen vorgelegt, so die Österreicher.

So sehen das die Österreicher. In Deutschland hingegen hält man den insektenresistenten Mais MON 810 für unbedenklich. Und Monsanto konnte es mit der Einführung nicht schnell genug gehen. Per Eilantrag (Monsanto hat es eilig) wurde die Zulassung für den uneingeschränkten kommerziellen Anbau urgiert. So fix ging es dann doch nicht, aber am 14. Dezember 2005, war es so weit. Das Bundessortenamt, das Verbraucherminister Horst Seehofer untersteht, gab grünes Licht. Stellt sich nur die Frage, ob die deutschen Behörden mehr über potentielle Risiken respektive über die Unbedenklichkeit von MON 810 wissen als die Österreicher.

In der Telepolis-Buchreihe ist von Brigitte Zarzer erschienen: Einfach GEN:ial. Die grüne Gentechnik