Recht ist, was das Ministerium sagt

Immer neue Bündniseinsätze drohen die Bundeswehr in Konflikt mit dem Grundgesetz zu bringen

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Symbolik ist dieser Tage wichtig für die deutsche Armee. Als die Bundesmarine das Kommando über den internationalen Flottenverband übernahm, der die UN-Mission für den Libanon unterstützen soll, wurde an militärischem Pomp ebenso wenig gespart wie an Superlativen. Es sei ein „historischer“ Einsatz, sagte Berlins Admiral Andreas Krause bei der Übernahme der Befehlsgewalt. Er folgte damit der rhetorischen Vorgabe aus der Heimat. Nach dem Parlamentsentscheid Mitte September hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die „historische Dimension“ des Einsatzes im Nahen Osten betont, weil deutsche Soldaten erstmals an den Grenzen Israels stationiert werden.

Das militärische Pathos sollte die Probleme des Einsatzes offenbar in den Hintergrund rücken. Schließlich hatte es schon kurz nach der Zustimmung des Bundestages zur Entsendung deutscher Soldaten in den Nahen Osten Verwicklungen zwischen Berlin und Libanon gegeben, nachdem die Kanzlerin die Entscheidung für den Einsatz mit der besonderen Verantwortung für das Existenzrecht Israels begründet hatte. Dies, darauf wies die libanesische Regierung ebenso wie Vertreter der schiitischen Hisbollah (Partei Gottes) hin, stand in eklatantem Widerspruch zum UN-Mandat, das die Neutralität der Truppen betont. Der Vorsitzende der Hisbollah, Hassan Nasrallah, wandte sich daraufhin unmittelbar an Merkel. Selbst wenn die See, der Luftraum und das Land überwacht werden, „haben wir mehr als 20.000 Raketen und sind stärker als je zuvor“, drohte Nasrallah.

Konflikte auch im Inneren

Die Merkelsche Begründung des Einsatzes könnte mangelndem Geschick im Umgang mit Auslandseinsätzen geschuldet gewesen sein. Doch eben dies wollen die Deutschen - in ziviler wie militärischer Führung gleichsam - auch mit der Libanon-Mission wieder erlernen. Immerhin sind die deutschen Streitkräfte seit Mitte der neunziger Jahre in rund ein Dutzend Militärmissionen eingestiegen. Dass sich diese Einsätze, vor allem in Afghanistan, mitunter an der Grenze des Völkerrechts bewegen, wird in Berlin geflissentlich übergangen, obgleich auch das Grundgesetz Handlungen für illegal erklärt, die geeignet sind, „das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“. Besonders betont wird das Verbot, „die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“.

Der Bruch dieses Tabus hatte bereits vor drei Jahren - zu Beginn der heißen Phase des so genanten Kriegs gegen den Terror unter Führung der USA - für Konflikte in der deutschen Truppe gesorgt. Der Major Florian Pfaff weigerte sich im April 2003 an der Entwicklung militärischer Software mitzuwirken. Das Programm, so argumentierte der Verweigerer, sei schließlich geeignet, den seiner Ansicht nach illegalen Angriff der USA auf Irak zu unterstützen. Der Berufssoldat Pfaff wies damit zugleich auf die von Berlin kaum thematisierte Unterstützung für laufende Kriege der USA hin, die in keiner Einsatzstatistik auftauchen. Nachdem Pfaff wegen Befehlsverweigerung degradiert wurde, ging der Fall vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das dem Beklagten Recht gab und das Urteil auf 136 Seiten begründete (Befehlsverweigerung aufgrund von Gewissensentscheidung möglich).

Dass das Bundesverwaltungsgericht den andauernden Irak-Krieg damit als völkerrechtswidrig und, im Sinne des deutschen Grundgesetzes, illegal erklärte, hat politisch kaum Folgen gehabt. Im Plenum des Bundestages sprechen mitunter zwar Oppositionsabgeordnete das Urteil an, ihre Hinweise verhallen jedoch ungehört. Bei der Debatte um den Libanoneinsatz etwa sagte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine:

Das Völkerrecht kann man auf der Welt aber nur durchsetzen, wenn man es selbst beachtet. Deshalb möchte ich hier den Satz "Im Nahen Osten ruhen die Waffen“ aufgreifen und daran erinnern, dass wir nach wie vor am Irakkrieg beteiligt sind, der nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts völkerrechtswidrig ist. Es hat keinen Sinn, das - wie andere Feststellungen auch - einfach auszuklammern und zu übergehen, weil es einem nicht passt. (...) Wir sind (...) durch die Gewährung der Nutzung von Flugplätzen sowie die Gewährung von Überflugrechten und sonstigen Hilfen an eine der Krieg führenden Parteien beteiligt. (...) Die Mehrheit dieses Hauses ist völlig im Unrecht, wenn sie ein solches gravierendes Argument übergeht.

Oskar Lafontaine am 20. September 2006

Von den Regierungsparteien SPD und CDU wurden die Einwürfe des Saarländers als „unerträglich“ und „beschämend“ bezeichnet. Das Nachrichtenmagazin Focus titelte: „Lafontaine geht auf Merkel los“, im Spiegel hieß es: „Lafontaine facht Libanon-Streit an.“ Damit war der Fall politisch erledigt.

“Abwägung“ oder Rechtsbeugung im Ministerium?

Ganz so leicht nimmt man das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes im Bundesministerium für Verteidigung aber nicht. Der Diplompädagoge und Oberstleutnant der Bundeswehr Jürgen Rose beschrieb unlängst eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Leipziger Urteil im Hause Jung. Nach der Lektüre interner Dokumente und Dienstanweisungen kommt Rose, der dem kritischen Verband Darmstädter Signal angehört, zum Urteil:

Wer seinen Dienst bei der Bundeswehr leistet, muss wissen, worauf er sich eingelassen hat, und sollte besser sein Gewissen am Kasernentor abgeben.

Oberstleutnant Jürgen Rose

So kursiere eine so genannte G1/A1-Information, ein Informationspapier für Vorgesetzte, zur Frage der „Gehorsamsverweigerung aus Gewissengründen“. Die Rechtsabteilung II 2 des Verteidigungsministeriums verkehre darin die zentralen Aussagen der Leipziger Richter ins Gegenteil. Sie nämlich schreiben vor, dass einem Verweigerer eine „gewissensschonende diskriminierungsfreie Handlungsalternative bereitgestellt“ werden müsse. Die Ministerialjuristen verstehen diese im Grunde klare Aussage gänzlich anders: Wenn die Zuweisung einer anderen Aussage nicht möglich sei, heißt es da, „hat der Vorgesetzte die dienstlichen Erfordernisse gegen die mögliche Gewissensbeeinträchtigung abzuwägen“. Auf Anfrage im Ministerium wird darauf verwiesen, dass „die Möglichkeit der Zuweisung einer Alternativtätigkeit am Einsatzort von Ausbildung und der Aufgabe und Funktion der/des Betroffenen“ abhängig ist. Gesprochenes Recht wird demnach nur dann befolgt, wenn die Umstände es erlauben.

Besonders offen widersprach der Ministerialrat im Verteidigungsministerium, Stefan Sohm, dem höchstrichterlichen Urteil aus Leipzig. In einem Artikel für die Neue Zeitschrift für Wehrrecht schrieb er, die „Verweigerungshaltung von Soldaten unter Berufung auf Grundrechte“ stehe „in einem Spannungsverhältnis zum demokratischen Prinzip und dem Primat der Politik in den Streitkräften“. Die Aussage lässt sich auf eine kurze These reduzieren: Grundgesetz und militärische (Außen-)Politik sind miteinander nicht vereinbar.

Im Ministerium wird Sohms Position auf Nachfrage zwar als „Privatmeinung“ abgetan. Doch Rose verweist in seinem Artikel auch auf eine Anweisung der Rechtsabteilung I 5 hin, nach der für „den Angehörigen der Streitkräfte“ engere Grenzen gezogen werden, als für die „’normalen’ Staatsbürger und Staatsbürgerinnen“. Zum Verbot eines Angriffskrieges - dem Ausgangspunkt des Streitfalls Pfaff gegen die Bundesrepublik Deutschland - heißt es in demselben Ministeriumspapier laut Oberstleutnant Rose: „Diesem Verbot unterfallen nur Soldaten und Soldatinnen, die als sicherheits- und militärpolitische Berater/Beraterinnen eine herausgehobene Funktion im Regierungsapparat ausüben.“ Ergo: Der General darf sich auf Grund- und Völkerrecht berufen, der Gefreite muss in jedem Fall an die Front.

Ministerium: „Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nicht gefährdet“

Auf Anfrage von Telepolis sprach ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem Thema der internen Debatte entgegen seine Brisanz ab. Seit der Verkündigung des Urteils habe es keine bekannt gewordenen vergleichbaren Fälle gegeben. Die Einschätzung des Verteidigungsministeriums habe sich daher bestätigt, „dass es sich bei dem Urteil zugrunde liegenden Fall um einem speziell gelagerten Einzelfall handelt“.

Auch die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sah der Ministeriumsvertreter nicht gefährdet, weil die Anforderungen an eine unabdingbare Gewissensentscheidung hoch gesteckt seien: „Eine begründungslose Berufung auf das eigene Gewissen reicht keineswegs aus“, so der Ministeriumssprecher in der schriftlichen Stellungnahme. Nach Ansicht des Verteidigungsressorts hat sich die „Erweiterung des Aufgabenspektrums der Bundeswehr nach Jahren sich mehrender besonderer Auslandsverwendungen“ bei allen Soldatinnen und Soldaten „im Bewusstsein verfestigt“. Einsätze fänden „auf dem Boden der Verfassung“ statt und seien daher von der freiwilligen Verpflichtung zum Dienst umschlossen.

Das mag für Einsätze zutreffen, die in Berlin entscheiden wurden. Problematisch aber ist nach wie vor die in der NATO geltende Bündnispflicht. Sie zwingt die deutsche Armee - wie im Fall Irak - zum Einsatz in Kriegen und bewaffneten Konflikten, die nach Grundgesetz und des Völkerrecht eben nicht legitim sind. „Es sind Fallgestaltungen vorstellbar“, gesteht selbst der Sprecher des Verteidigungsministeriums ein, „bei denen die Frage der Rechtsmäßigkeit eines bestimmten Einsatzes in Politik und Wissenschaft heftig umstritten sind“. Dass das Bundesverwaltungsgericht ein klares Urteil dazu gefällt hat, ignoriert auch er.