BILD sei Dank

Durch die Veröffentlichung der "Bundeswehr-Schockfotos" hat BILD vielleicht sogar eine sinnvolle Diskussion angestoßen

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"Schockfotos von deutschen Soldaten" titelte BILD gestern. Schön sind sie nicht, die Fotos von Soldaten, die mit einem Totenkopf posieren. Aber sie sagen vielleicht mehr über die entrüsteten Betrachter und die Nöte der Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen aus als über die vermeintlichen Perversitäten der abgebildeten Soldaten.

Italien, Pisa, an den Ufern des Arno. Vor ein paar Jahren, an einem winterlichen Tag. Zusammen mit mir bewunderte eine kultivierte, attraktive Kollegin eines tendenziell drögen medizininformatischen EU-Projektes die warmen Farben der ocker, dunkelrot und braun gestrichenen Häuser. "Das erinnert mich an Kabul, meine Heimatstadt", fing sie bedrückt an zu erzählen, "es sah dort fast genauso aus. Bevor alles zerstört wurde." Sie hatte in Kabul Medizin studiert und Afghanistan kurz vor dem Fall des sozialistischen Marionettenregimes verlassen. Unvermittelt fing sie an zu lachen. "Ich erinnere mich daran, wie ich unter meinem Bett im Studentenheim ein menschliches Skelett gehabt habe. In einer Kiste. Immer, wenn ich Anatomie lernte, kramte ich den Schädel oder die jeweils interessierenden Knochen hervor."

Selbstverständlich hat niemand ernsthaft etwas gegen private Knochenarchive - solange sie der Wissenschaft dienen. Nun sind aber gestern von der BILD-Zeitung "abscheuliche Fotos" (BILD) gedruckt worden, die zeigen, was Bundeswehrsoldaten vor drei Jahren mit einem von ihnen aus dem Sand hervor gekramten "Totenschädel" in Afghanistan gemacht hatten: "Deutsche Soldaten schänden Toten".

Sex und Gewalt passen zusammen, BILD, 1te Seite. Auf der 2ten Seite hingegen gab sich BILD naiv und fassungslos ob dieser Thematik: "An Perversität kaum zu überbieten ist das Foto, das einen Bundeswehrsoldaten mit entblößtem Glied in der linken und dem Schädel in der rechten Hand zeigt."

Die Bilder hatten sofort vehemente mediale und politische Wirbelstürme verursacht und die vom Verteidigungsministerium eigentlich für diese Woche beabsichtigte öffentliche Diskussion über das neue "Verteidigungsweißbuch" gänzlich in den Hintergrund gedrängt. Sofort ging es darum, die Exzesse nur einzelnen, unverantwortlichen Soldaten zuzuschreiben, die dann auch die strafrechtlichen Konsequenzen zu fürchten hätten. Mal abgesehen von den disziplinarrechtlichen Konsequenzen – welcher Berufs- oder Zeitsoldat wird schon gerne aus der Truppe geschmissen? – sind die strafrechtlichen Konsequenzen eher weniger bedrohlich. Darüber täuscht auch die harsch klingende Formulierung nicht hinweg, die Staatsanwaltschaft habe "die Ermittlungen aufgenommen". Denn was könnte schon der Straftatbestand sein? "Störung der Totenruhe"? Aber müsste dann nicht jeder Ägyptologe vorsichtshalber seinen Beruf an den Nagel hängen?

Nach kräftigem Durchatmen bleiben daher vier Fragen übrig:

  1. Was hatten sich die Soldaten vor drei Jahren dabei gedacht, als sie mit einem von ihnen gefundenen Schädel ihre sexuellen Allmachtsphantasien auslebten und herumspielten?
  2. Was hat sich der-/diejenige bei der Übermittlung der Fotos an BILD gedacht?
  3. Wo bleibt das Internet?
  4. Was bewirken BILD-Veröffentlichungen?

Dahingehend ist die im ersten Moment scheinbar besonders nahe liegende Frage nach den Intentionen der BILD-Zeitung wahrscheinlich leicht zu beantworten. Mit in Jahrzehnten vervollkommneter traumwandlerischer Sicherheit trifft BILD den gesellschaftlichen Nerv. Eine ein Tabu brechende Enthüllung ("Die Bilder erregen Abscheu"), kombiniert mit staatstragender Rhetorik ("Sind sich Vorgesetzte immer ihrer Verantwortung bewusst?") garantiert hechelnde Neugierbefriedigung und pseudo-moralische Unangreifbarkeit.

BILD, S. 2 – Paradoxe Markierung: der Leser soll auf den rot markierten Bereich fokussieren, gleichzeitig wird das Gesicht des Soldaten geschwärzt

Was hatten sich die Soldaten gedacht, die die Fotos gemacht hatten?

"Totenschädel" sind das Symbol des Todes schlechthin, insbesondere in unserem Kulturkreis. Jeder kennt Piratenflaggen. Insbesondere in Süddeutschland können selbst Kindergartenkinder in Beinhäusern aufgetürmte Schädeltürme in Augenschein nehmen. Die Katakomben von Paris mit ihren Menschenknochenmassen lassen jedes Jahr Tausende Touristen frösteln. Aber Schädel und Menschenknochen sind abstrakt; sie lassen das verblichene Leben nur erahnen. Nur deshalb kann eine Medizinstudentin gebettet über einer Kiste mit Menschenknochen ruhig schlafen. Im Rheinischen Landesmuseum Bonn ist derzeit anlässlich des 150ten Jahrestages der Entdeckung des Neandertalers eine einzigartige Ausstellung über die Evolution des Menschen zu sehen. Ausgestellt sind jede Menge Knochen, auch solche moderner Menschen, die ganz bewusst ausgebuddelt wurden. Nicht einmal Grundschulklassen schaudert es vor ihnen.

Bewusst dachten die Soldaten demnach wahrscheinlich eher wenig. Aber in ihrem tiefsten Inneren haben sie vermutlich alte Rituale vollzogen, um ihre Angst vor dem Tod zu kompensieren. Menschliche Skelette sind so abstrakt, dass sich kaum jemand vor ihnen fürchtet, erfahrungsgemäß nicht einmal Kinder (sind auch nur leichte Fleischreste vorhanden, so sieht die Einschätzung vollkommen anders aus). Mit einem gefundenen Schädel zu spielen hat den Soldaten vielleicht sogar geholfen, mit ihrer Angst vor dem Tod klar zu kommen. Dies deutet auf eklatante Mängel bei der Vorbereitung auf ihre Mission hin.

Was hat sich der-/diejenige bei der Bildübermittlung an BILD gedacht?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Vielleicht war es einfach momentane Geldnot. Vielleicht waren die Bilder auch schon viel früher an BILD übermittelt worden. Dann muss man sich wohl eher fragen, warum BILD so lange mit der Veröffentlichung gewartet hat.

"Schade zu meiner Zeit gab es noch keine Frauen im Regiment" - Kommentar bei fotocommunity.de zu einem Bild von Joerg-D. Fischer

Wo bleibt das Internet?

"Das Internet" hat völlig versagt. Schlicht und ergreifend. Wahrscheinlich deshalb, weil es dort immer nur um "George Dabbleyou" geht. Aber wo sind die kritischen deutschen Blogs, die darüber berichten, was bei "unseren" Auslandseinsätzen geschieht? Bundeswehrsoldaten wie Martin Meese (Von Hobby-Knipsern und Profi-Kriegern), die bei Fotocommunities posten, sind da wenig hilfreich. Fast hat man den Eindruck, sie wären von der PR-Abteilung des Verteidigungsministeriums vorgeschickte "BW-Gutmenschen", pardon: good soldiers. Es ist fast schon beruhigend, dass es bei den Communities noch solch prototypischen Krieger wie Jörg D. Fischer gibt, die ganz einfach dokumentieren, wie sie von Militärtechnologie und wehendem Kameradinnenhaar fasziniert sind. Sieht man sich die Kommentare zu den beiden Bundeswehrknipsern in den Communities an, so wird schnell klar: Niemand will wissen, was wirklich vorgeht, alle wollen nur oberflächlich-moralisch beruhigt werden.

Was bewirken die BILD-Veröffentlichungen?

Kurzfristig sicherlich vor allem eine Auflagensteigerung. Aber mittel- und langfristig tragen sie vielleicht sogar dazu bei, dass eine wirkliche Diskussion über die Bundeswehreinsätze in Gang kommt. Denn die kritischen Mahnungen der "üblichen Verdächtigen" des Medienzirkus, was deutsche Auslandseinsätze angeht, wurden ja noch nie wirklich gehört.

Das haben aber nicht zuletzt unsere SoldatInnen nicht verdient. Denn wenn sie einen Dienst leisten müssen, den hier zu Hause niemand versteht, dann kommt jeder einzelne von ihnen irgendwann zurück in eine Welt, in der er oder sie nicht mehr verstanden wird. Der Ruf nach psychologischer Betreuung für die SoldatInnen wird dann schnell laut. Aber er ist nicht angebracht, denn die Männer und Frauen, die aus Afghanistan und anderen Gegenden zurückkommen, sind keine Verrückten. Wenn überhaupt, dann ist es der zu Hause gebliebene Teil der Gesellschaft, der psychologischer Betreuung bedarf. Denn er schottet sich medial, politisch und individuell mit allen Mitteln gegen die Wirklichkeit "da draußen" ab. Es ist zu hoffen, dass BILD unwissentlich damit begonnen hat, diese Barriere einzureißen.