In die Wüste geschickte Verhandlungen

Mit Syrien zu sprechen, sei ein wichtiger Schritt zur Deeskalation, so das Plädoyer nahezu aller Nahostbeobachter. Doch wer sagt, dass für Washington und Tel Aviv Deeskalation das Wichtigste ist?

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"Wir verhandeln mit Syrien", "wir verhandeln nicht mit Syrien" tönt es seit Ende des Libanonkrieges aus Israel. Ein Polittheater, das viel über die Konzeptlosigkeit der israelischen Führung verrät. Und über den Irrsinn der US-Führung.

Am 15. August, einen Tag nach dem Waffenstillstand zwischen Israel und der Hizbollah, verkündete der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz, dass sich Israel auf Verhandlungen mit dem Land vorbereiten müsse, das er als "Verbindungsglied in der Achse des Fundamentalismus, die von Iran nach Libanon verläuft" bezeichnete. Am 23. September unterstrich er erneut die Notwendigkeit von Verhandlungen, da Syrien der "Schlüssel zur Stabilität im Mittleren Osten" sei.

Wer hat Angst vor den Siedlern?

Fünf Tage später erklärte Ministerpräsident Ehud Olmert, dass die Golanhöhen ein integraler Bestandteil Israels seien und während seiner Amtszeit "in unseren Händen" blieben. Mit der ihm eigenen "Olmertianischen Arroganz" schlug er damit Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad die Tür vor der Nase zu. Der hatte sich zuvor unter anderem in einem Interview gegenüber dem "Spiegel" für Frieden mit Israel auf der Grundlage des Plans der Arabischen Liga von 2002 ausgesprochen, sprich: Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 und damit Rückgabe des Golan.

Die Gründe für Israels Festhalten am Golan liegen auf der Hand. Die Anhöhe zu kontrollieren, heißt einen wesentlichen Teil der Wasserressourcen von Israel, Jordanien und dem Libanon zu kontrollieren. Ein so kostbares Fleckchen wieder herzugeben, ist schwer genug, zumal wenn es von israelischen Siedlern bevölkert wird. Den daraus möglicherweise resultierenden politischen Selbstmord scheuten jedenfalls bereits Ehud Barak, Benjamin Netanyahu und Ariel Sharon, wie Uzi Benziman von der israelischen Tageszeitung Haaretz aufzählt: Sie alle "fürchteten die Bewohner der Golanhöhen und die West Bank-Siedler mehr als die Verschwörungen von Arafat, Hafez al-Assad und seinem Sohn."

Der ohnedies konzeptlosen und nach dem Triumph der Hizbollah im Libanonkrieg massiv unter Druck geratenen Olmert-Regierung dürfte zudem kaum daran gelegen sein, innerhalb kürzester Zeit nach Sayyed Hassan Nasrallah einer zweiten arabischen Ikone zur Geburt zu verhelfen. Zu der würde Baschar al-Assad durch die Rückgewinnung des Golan nämlich zweifelsohne werden.

Der sicherste Partner für Israel: Syriens Geheimdienst

Doch die israelische Führung scheint über die eigenen Siedler hinaus noch anderes zu fürchten. Jüngstes Beispiel: Avi Dichter. Erst vor wenigen Wochen hatte der Minister für Innere Sicherheit gegenüber dem israelischen Army Radio signalisiert, dass "wenn sich herausstellen sollte, dass es einen Ansprechpartner und ein Gesprächsthema gibt", die Idee mit Syrien zu verhandeln "richtig wäre".

Nach seinem Treffen am 17. Oktober mit Stephen Hadley, dem Dick Cheney nahe stehenden Nationalen US-Sicherheitsberater, hielt Dichter die Idee offensichtlich nicht mehr für so gut. Stattdessen erklärte er echogleich, dass Damaskus zunächst die Büros radikaler Palästinensergruppen schließen, die Einreise von Terroristen aus Syrien in den Irak verhindern und aufhören müsse, die Hizbollah zu unterstützen und sich in den Libanon einzumischen. Der altbekannten Auflistung fügte er jedoch noch einen weiteren Punkt an: Solange die USA mit Syrien ein Problem hätten, könne Israel dies nicht ignorieren.

Den altgedienten Haaretz-Korrepondenten Gideon Levy dürfte dieses Eingeständnis wenig überraschen: Noch nie habe sich eine israelische Regierung einer US-Forderung widersetzt - die jüngsten Regierungen aber verfielen angesichts der Bush-Administration in regelrechte Panik, schreibt er und rätselt zugleich, weshalb die einzige Supermacht der Welt keinen Finger krümme, um den "gefährlichsten und längsten Konflikt unserer Welt" zu beenden.

In der Tat: auch über das Palästina-Problem macht die Bush-Administration hinaus keinerlei Anstalten, zu einer Befriedung des Mittleren Ostens beizutragen. Die Eigentore, die sie damit schießt - von der Gewaltspirale im Irak bis zur Anheizung des weltweiten Terrorismus - scheinen sich überall herumgesprochen zu haben, außer in der Chefetage des Weißen Hauses.

Die Parodoxität wird noch größer, bedenkt man, dass der gegenwärtige US-Kurs auch dem Protégée Israel keinen Gefallen erweist, denn, wie George Ajjan, republikanisches Mitglied des dem Arab-American Institute angehörenden National Policy Council, darlegt, bekäme Israels Sicherheit nichts besser als die Zusammenarbeit mit den einzigen Kräften, die imstande seien, das Terrorismusproblem dauerhaft in den Griff zu bekommen: den arabischen Geheimdiensten.

Eine Kooperation mit Syriens Mukhabarat wäre daher weit effektiver als die Alternative, die Ajjan der israelischen Regierung, der er im übrigen eine "Kriegspsyche" attestiert, aufzeichnet: jeden Zentimeter Land, von dem aus Raketen abgefeuert werden könnten, zu besetzen.

Rechtsbündiger Hass

Was also treibt die USA dazu, Israel von Gesprächen mit Syrien abzuhalten? Ajjan schiebt es dem "leidenschaftlichen Hass" zu, den George W. Bush und seine "diskreditierten Neokonservativen" Syriens Regierung (und in der verlängerten Projektion dem ganzen Land) entgegenbringen. Es sei dieser Hass, der sie von dem ideologischen Schritt abhielte, der für eine Deeskalation - von der US-Regierung und ihre Bürger selbst profitieren würden, wie die Entwicklung im Irak beweist - nötig ist.

Es bleibt abzuwarten, ob die Studie, die der frühere US-Außenminister James Baker in Bush's eigenem Auftrag zur Irakkrise durchführte, den offenkundigen Fanatismus ein wenig zu erden vermag: Die Ergebnisse, die im Anschluss an die US-Kongresswahlen kommenden Monat vorgelegt werden sollen, beinhalten angeblich die Notwendigkeit von Gesprächen mit Iran und Syrien.

Israels Regierung ging unterdessen diesen Montag eine Koalition mit dem Chef der Yisrael Beiteinu ("Unser Haus Israel") Partei, Avigdor Lieberman, ein. Der ultra-rechte Politiker, der 2004 bereits mit dem Vorschlag aufwartete, Israel solle alle palästinensischen Gebiete annektieren und die Araber aus dem Land transferieren, und der im Mai dieses Jahres arabische Knessetabgeordnete mit Nazi-Kollaborateuren verglich, die hinzurichten seien, wird sich künftig um Irans Urananreicherungsprogramm kümmern.

Als vorrangigste Probleme auf Israels Agenda führte er die "iranische Bedrohung und die Achse des Bösen" an, bestehend aus "Syrien, Hizbollah und Hamas". In Liebermans Fall dürften ihm die Worte auch ohne neokonservative Souffleusen im Rücken über die Lippen gekommen sein.